Cinema Moralia – Folge 314
»Die Filmakademie hat circa 2.200 Mitglieder. Wo sind die?« |
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Keine guten Nachrichten aus Babelsberg... | ||
(Foto: Studio Babelsberg AG) |
»Womit ich schwer umgehen kann, ist, dass Kollegen und Kolleginnen, von denen ich der Überzeugung war, dass sie einen funktionierenden moralischen Kompass haben, sich nicht positionieren und relativieren. Ich fand die gesamte Reaktion unterirdisch.« – Martin Moszkowicz
Am Dienstagnachmittag kam per Agentur die überraschende Meldung: Die langjährigen Vorstände der traditionsreichen Babelsberger Filmstudios Carl Woebcken und Christoph Fisser haben ihre Ämter »niedergelegt« – und zwar schon Ende letzten Jahres zum 31. Dezember. Obwohl ihre Verträge noch bis Mitte 2025 liefen.
Dies teilte jetzt das Studio mit. Schon seit genau zwei Jahren ist die Studio Babelsberg AG nicht mehr unabhängig, sondern gehört mehrheitlich der
Studioplattform »Cinespace Studios«, dem zweitgrößten Studiobetreiber in den USA, die wiederum einem US-Immobilieninvestor, der TPG, gehören. Eine außerordentliche Hauptversammlung der Studio Babelsberg AG hatte im April 2023 mehrheitlich für einen »Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag« gestimmt.
Die jetzige Nachricht ist natürlich keine gute. Man wundert sich auch, dass sie mit zwei bis drei Wochen Verzug kommt. Ich dachte immer, bei einem börsennotierten Unternehmen gäbe es sehr genaue und unmittelbare Berichtspflichten.
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Aber wie geht es eigentlich den Babelsberger Studios? Nach der Neugründung in den 90er Jahren glaubte man an eine Wiedergeburt der großen Tradition und neuen Glanz. Unter Woebcken und Fisser, die fast 20 Jahre im Amt waren, gab es Auf und Abs, nicht den ganz großen Wurf, aber einen soliden Studiobetrieb. Aber die Pandemie hat Babelsberg getroffen, die allgemeine Kinokrise ist viel stärker geworden. Es gab Kurzarbeit und Auftragsmangel. Und es gab 2023 keine einzige
Hollywoodproduktion – natürlich haben da die Streiks in den USA auch nicht geholfen.
Zugleich leiden Filmstudios heute keineswegs unter Auftragsmangel. Studios sind im Prinzip gut beschäftigt. Aber die deutschen Studios können – auch wegen der Versäumnisse der Filmförderung – nicht mit der scharfen internationalen Konkurrenz mithalten. Selbst deutsche Produktionen – Kino wie Serien – drehen in Budapest und Prag oder in Rumänien. In diesen
Ländern locken nicht zuletzt Steuervorteile die Produzenten.
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Pressemeldungen sind immer auch die hohe Kunst der Diplomatie. Wenn man die gestrige Meldung noch genauer liest, fällt auf: Woebcken und Fisser haben ihre Ämter »niedergelegt«, sich zurückgezogen – das klingt eher nach einem Fight und Zwang, nach fehlenden Gestaltungsräumen. Denn weiter heißt es auch: »In den fast zwei Dekaden ihrer Tätigkeit haben sie das Studio durch gute und schlechte Zeiten souverän geleitet und die Position von Babelsberg als einer der weltweit
führenden Filmproduktionsstandorte maßgeblich ausgebaut.«
Konnten Sie das jetzt nicht mehr?
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Diese Frage stellt sich auch vor dem Hintergrund mancher scharfen Kritik an den Neu-Babelsbergern, die im August 2023 zum Beispiel Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff (der das Studio vor Woebcken/Fisser für Vivendi leitete) im RBB geäußert hatte: »Die Gefahr, dass man das Studio Babelsberg aushungern
oder an die Wand fahren will, besteht.« Dieser Bemerkung war die Forderung der US-Besitzer nach neuen Fördergeldern durch Land und Bund vorausgegangen.
Offen ist, was jetzt die Zukunft bringen wird. Es gibt offenbar neue Aufträge. »Wir ... gehen davon aus, dass im ersten Quartal 2024 ein großes US-Filmprojekt in Vorbereitung geht«, sagte der Vorstand erst im Dezember 2023.
Trotzdem branden immer wieder Spekulationen über angebliche Verkaufspläne auf. Jedenfalls geben jetzt
nur noch Amerikaner im traditionsreichsten deutschen Filmstudio den Ton an: Andy Weltman als Vorstandsvorsitzender, Andre Bleeker als Finanzvorstand (Bleeker war zuletzt Finanzchef der Budget-Hotelkette A&O Hotels and Hostels, die ihren Sitz in Berlin hat. Das Unternehmen ist bereits 2017 ebenfalls von der TPG Real Estate gekauft worden.), und Ashley Rice als drittes Vorstandsmitglied.
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Vollkommen übersehen hatte ich leider das sehr schöne und in jeder Hinsicht lesenswerte Interview, das Martin Moszkowicz, Vorstandschef der Constantin Film, bereits Ende November in der FAZ gegeben hat. Erst jetzt fiel es mir in die Hände.
Darin erzählt Moszkowicz, der eigentlich mal Journalist werden wollte, von seinen Anfängen bei der Constantin in den frühen Neunzigern, von Bernd Eichinger, aber auch von seinem Vater, der Regisseur war, und zieht Bilanz, bevor er im Frühjahr den Vorstandsvorsitz an Oliver Berben übergibt:
»Wir decken alle Bereiche unserer Branche ab. Die DNA der Constantin Film ist vor allem auch die internationale Produktion, das war sie schon vor meiner Zeit, nehmen Sie als Beispiel nur ›Der Name der Rose‹ mit Sean Connery, Christian Slater, Regie Jean-Jacques Annaud, nach dem Buch von Umberto Eco, aus dem Jahr 1986. Das ist etwas, was die meisten unserer Mitbewerber in Deutschland gar nicht machen. Wir haben, wenn man so will, das amerikanische Studiosystem im Kleinen kopiert, wir sind nicht nur Hersteller sondern auch Auswerter. Wir haben immer das Besondere gesucht, Kinofilme und Fernsehen, die kommerziell erfolgreich sind und ein großes Publikum finden und solche, die eine Bedeutung haben und herausragen. Das ist eine Aufgabe, die sich heute besonders stellt. Insgesamt sehen Sie gerade, dass die Zuschauer mit der schieren Menge an Produktionen überwältigt werden. Unser Geschäft ist nicht wirklich skalierbar – ein Überfluss von Produktionen führt nicht zu mehr Profitabilität, sondern vor allem zu einer Konzentration auf einige wenige Bestseller.«
Die Branche brauche Kreativität, Flexibilität und Innovation. »In diesen drei Bereichen müssen wir uns verbessern. Man kann Probleme immer auf andere schieben, man kann sagen, die Auftraggeber haben kein Konzept, sie geben zu wenig Geld, die Filmförderung ist chaotisch, es gibt zu wenige gute Key-Kreative. Aber das reicht nicht. Wir müssen als Produzenten immer besser werden.«
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Bezogen auf die Massaker der Hamas an Israelis am 7. Oktober ist Moszkowicz ebenfalls sehr deutlich: »Ich bin entsetzt, wie wenig da aus der Kulturbranche gekommen ist. Ich finde das grauenhaft. Tatsache ist, es fühlen sich Juden in Deutschland heute nicht mehr wohl. Es hat wenig Empathie gegeben. Es hat Wochen gedauert, dass es einen offenen Brief gab, mit jetzt rund 1000 Unterschriften drauf, viele davon stammen von der Constantin Film. Das ist ein Armutszeugnis für die deutsche Kultur. Die Filmakademie hat circa 2200 Mitglieder. Wo sind die? Mich persönlich hat das umgehauen. Ich weiß, wie schwierig es sein kann, in politischen Konflikten öffentlich Position zu beziehen. Aber hier geht es um etwas anderes – um Antisemitismus in Deutschland.«
Man wisse, dass 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung in Deutschland judenfeindlich eingestellt sind. Bei den arabischstämmigen Migranten in Deutschland sei der Anteil noch höher. »Das ist grauenhaft. Unabhängig, wie man zu der Situation im Nahen Osten steht: Das geht nicht. ... Aber wissen Sie, ich bin Filmproduzent und ich bin Optimist. Ich hoffe, dass wir begreifen, was das 'Nie wieder' bedeutet – jetzt.«
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Mark Siemons berichtet in der FAZ über die Berliner Antidiskriminierungsklausel. Das sei ein Versuch der Selbstentlastung, der der Kulturbürokratie helfe, nicht dem Kampf gegen Antisemitismus.
»Künftige Versuche mögen dabei im Detail geschickter vorgehen als Chialo. Aber schon im Ansatz stellt sich die Frage nach dem Preis, den eine solche auf vermeintlich eindeutigen Zuschreibungen fußende Anpassung an Verwaltungsbedürfnisse fordert: Sie droht die Auseinandersetzungen, die jetzt über die aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus anstehen, unsichtbar zu machen.«
Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums, hatte bei der Anhörung im
Berliner Kulturausschuss angemahnt, darüber nachzudenken, wie man dem »weltweit verbreiteten kulturellen Code«, zu dem die »Instrumentalisierung von postkolonialer Empörung für Antisemitismus« geworden sei, mit Aufklärung begegnen könne.
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Der Streit der Berliner Kulturszene geht weiter und strahlt nach ganz Deutschland ab.
Es gilt für alle Seiten, dass man die überdrehte Rhetorik kritisieren muss. Es ist aber besonders schmerzhaft, dass die Rhetorik dort überdreht, wo es um die Verteidigung von Positionen geht, die Antisemitismus relativieren oder dulden; wo also Antisemitismus im Namen der Meinungsfreiheit verteidigt wird und wo es eine legitime Position ist, zu sagen, dass jemand, der für die Antisemitismusklausel eintritt, eine »Gesinnungsdiktatur« errichten will oder Verhältnisse »wie in der DDR« oder ähnliches. Solche Leute kenne ich.
Wie steht denn zum Beispiel die Deutsche Filmakademie zur Antisemitismus-Klausel des Senats?
Filmemacher haben die Generalzuständigkeit für Bilder. Sie sind in diesem Bilderkrieg gefordert. Mehr denn je.