Cinema Moralia – Folge 316
Kakophonie, nicht Klugheit |
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»Kann das Publikum wollen?« (Theodor W. Adorno – auf dem Foto im Jahr 1964) | ||
(Foto: Jeremy J. Shapiro, CC BY-SA 3.0) |
»Das Publikum hat ein Recht darauf nicht angeschmiert zu werden auch wenn es darauf besteht angeschmiert zu werden.«
– Adorno
Um Filmkritik ging es schon öfters an der Berliner »Akademie der Künste« – aber jetzt mal richtig, nämlich im traditionellen »Akademiegespräch« der Präsidentin und Filmregisseurin Jeanine Meerapfel zum Auftakt der Berlinale. Und natürlich nicht ohne artechock: Philipp Stadelmaier, auch Autor des Filmdienst und der Süddeutschen Zeitung und ich selbst dürfen über das Verhältnis von »Filmkritik und Kinokunst« diskutieren, gemeinsam mit Verena Lueken von der FAZ,
Filmwissenschaftlerin Bettina Henzler und natürlich der AdK-Präsidentin Jeanine Meerapfel. Moderieren wird Andreas Kilb, ebenfalls FAZ.
Termin ist Dienstag, 13. Februar 2024 ab 19 Uhr (Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin).
In der Ankündigung heißt es: »Filmkunst, Kino, Filmkritik, Filmwissenschaft und Vermittlung sind untrennbar miteinander verwoben. Sie beeinflussen das Erleben und die Wahrnehmung von Film auf eine besondere Art. Doch wie lässt sich diese genau bestimmen? Inwieweit hängen die Filmkritik und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Erzählformen des Filmes zusammen? Und wie können Kritik, wissenschaftliche Einordnung und Vermittlung dazu beitragen, dass das Kino als gemeinsamer Erlebnisraum von Filmen gerettet werden kann?«
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Sind Ideen Eigentum? In Netzwerken und Gruppen ist es ganz klar, dass Ideen Gebrauchsgüter sind; es ist ganz klar, dass diese nicht im Besitz von einzelnen sich befinden. Dass sie kein Eigentum sind, auf das man Anspruch erheben kann. Sondern man teilt sie und wenn man sie nicht teilen will dann muss man sie für sich behalten. Wissen und Informationen sind Güter. Sie können geschmuggelt werden.
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»Kann das Publikum wollen?« fragte einmal Theodor W. Adorno. Damit sprach er das Tabu an, über das man nicht sprechen darf, aber auch nicht schweigen will, dem man hilflos nachrennt, hechelnd, das man klammheimlich verachtet, gerade wenn man Formulierungen gebraucht wie »Das kann man dem Publikum nicht zumuten.«
Das Publikum ist zugleich das große Unbekannte, das Monster, das keiner je gesehen hat, aber zu dem jeder eine Meinung hat. Das Publikum scheint wie die Masse zu sein – ein Wesen eigener Ordnung und Gestalt, mit eigenem Willen, oder jedenfalls Dynamik, eigenen Bewegungsgesetzen, mehr als die Summe seiner Teile.
Vielleicht aber ist es weniger als die Summe seiner Teile. Vielleicht ist das Publikum nicht wie die Masse, sondern einfach eine Menge einzelner Stimmen, die zusammen eine Kakophonie ergeben, nicht Klugheit. Sondern einfach die Vielen. Über die Vielen kann man sagen, dass viele Köche den Brei verderben, dass viele Menschen, wenn sie zusammen urteilen, zu schlechteren Urteilen kommen, als wenn jeder Einzelne für sich urteilt. Dass, wenn man den Vielen nachläuft, man sich immer auf dem falschen Weg befindet. Dass viele den schlechtesten, dümmsten und seichtesten Kompromiss finden, es sich zu leicht machen, weil der Streit in der Gruppe ermüdet, und weil hier Mehrheiten entscheiden, nicht Wahrheiten.
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»Was ist Wahrheit?« frage Pilatus, der erste Liberale, und ließ die Mehrheit entscheiden. Pilatus ist der, der Christus zum Tod verurteilte, aber auch ein Vorbild an Toleranz, an Offenheit, einer der es sich nicht leicht machte, und der den Fundamentalisten Christus aus dem Staat und der Politik raushalten wollte, aber dafür zuließ, dass der Mörder freigelassen wurde.
Der Kern des Problems, des Publikums, ist die Frage, ob das Publikum fähig ist, über journalistische Leistungen und künstlerische Werke zu entscheiden, oder dies besser an Experten delegiert werden sollte?
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Um über das Zukunftspapier zum deutschen Fernsehen zu schreiben, fehlt mir jetzt leider die Zeit. Aber über Markus Lanz kann ich schreiben: Zwei Millionen Euro Gebührengelder bekommt Lanz für seine Talkshow im Jahr. Der Boulevard und das gehobene Feuilleton empören sich.
Aber warum? Lanz ist sein Geld wert. Zwei Millionen sind Marktpreise. Bei 100 Sendungen im Jahr und die macht Lanz sicher, sind dies gerade mal 20.000 pro Sendung. Selbst wenn da sein Apparat nicht mit bezahlt werden sollte, ist das kein wahnsinnig hoher Preis. Mir scheint die Debatte eine sehr populistische Diskussion zu sein, wie fast immer, wenn es um einzelne Honorare, auch die von Wirtschaftsbossen oder Fußballspielern geht – man sieht es auch daran, wer das jetzt
hochkocht: Bild, Welt, FAZ. Die, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen sowieso jeden zweiten Tag anschießen.
Oder übersehe ich etwas? Grundsätzlich sind wir doch alle immer sehr für gute Bezahlung. Würde es, wenn man das transparenter hielte, nicht zu solchen populistischen Diskussionen kommen? Doch. Es käme dann zu Neid-Diskussionen und nach jeder schlechten Sendung, die immer mal vorkommt, kommt es zur Debatte: Ist er sein Geld wert?
Sowieso wird das Ganze dann gegen
Kindergärten und Panzer aufgerechnet und in diesen Debatten verliert Kultur immer. Und auch Lanz ist Kultur. Am Ende ist die einzige Rechtfertigung für irgendetwas im Fernsehen dann die Quote und genau dieser Quotenfetischismus macht das Fernsehen schlechter.
Die Aufregung ist aber auch gerade deshalb so groß, weil alles derzeit von den Medien skandalisiert wird. Das ist ein großes grundsätzliches Problem.
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Reformistische Turnübungen. Zur Idee einer »Demokratisierung der Kulturinstitutionen und der Filmförderinstanzen«: Hier soll sich wieder am Film und der Kultur etwas ausleben und ausprobiert werden, das mit dem Rest der Gesellschaft nichts zu tun hat.
Es ist für das (gute oder schlechte) Ergebnis einer Förder-Entscheidung vollkommen wurscht, ob Filmfördergelder von einer Intendanz oder einer Doppelspitze oder einem Gremium sogenannter Fachleute oder durch Abstimmung aller Beschäftigten einer Filmförderinstitution oder per Losverfahren vergeben werden – die Frage ist, ob Filmförderung in dieser gegebenen Weise überhaupt richtig oder falsch ist. Das ist eine Grundsatzfrage.
Wenn aber die andere Forderung, die aus Kreisen der Filmschaffenden und Künstler bei jeder Gelegenheit gerne gestellt wird, die nach Transparenz nämlich, einmal wirklich ernst genommen wird, dann sollten wir uns eingestehen, dass ein Intendanzmodell weitaus transparenter ist als jedes andere mögliche. In diesem Fall wissen wir nämlich, von wem eine Entscheidung stammt. Die Verantwortung ist ungeteilt zuuzuordnen – for better, or worse. Und diese Klarheit im Zuordnen der
Macht einer Förderinstitution, die finde ich einen Wert an sich – verbunden mit einer klaren Amtszeitbegrenzung der Intendanz auf maximal acht, besser sechs Jahre.
Mir persönlich wäre die (in der Intendanz-Kritik implizit enthaltene) Machtkritik und zwar die grundsätzliche Kritik an der Macht einer Filmförderinstitution zwar auch wichtig und die grundsätzliche Frage, ob es solche Institutionen geben sollte. Ich habe hier meine Zweifel. Ich glaube, ein totaler
(nicht nur auf Wirtschaftsförderung beschränkter) Automatismus von Filmförder-Entscheidungen würde bessere Ergebnisse produzieren – im Sinne einer höheren ästhetischen Qualität und eines größeren ökonomischen Erfolgs.
Und zusätzlich ein Losverfahren für 5-10 Prozent der Gelder hätte den Charme der Willkür. Alles andere macht die Filme schlechter und die Durchbürokratisierung der Kunstförderung nach kunstfernen Kriterien macht sie ganz besonders
schlecht.
Aber wenn es Förderung in der gegenwärtigen Art gibt, dann wird die Allmacht der Förderung nicht besser (sondern nur netter und anschmiegsamer), wenn sie von zwei Leuten oder von zehn Leuten ausgeübt wird: Die Macht selbst ist das Problem, weil sie hier völlig unnötig ist, und de facto die Künstler zum Kotau vor den Förderern erzieht.
Vor diesem Hintergrund erscheinen mir Forderungen nach Aufspaltung der Verantwortlichkeiten wie ungewolltes Machtwashing.