38. DOK.fest München 2023
Wo Pommes??? |
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She Chef: ein feministischer Coming of Age/Entwicklungsfilm | ||
(Foto: Camino) |
Von Nora Moschuering
»Wo Pommes???« könnte darauf hindeuten, dass ich aus der Snack- und Imbiss-Fraktion komme, was jetzt nicht ganz stimmt, aber schon ein bisschen, denn ja, ich habe tatsächlich erst spät gelernt dass »Paradies Creme« gar kein richtiger Pudding ist und Kartoffelbrei auch mühsam selbst gestampft werden kann. Meine kulinarische Sozialisation ist praktisch und alltagstauglich gewesen. Auch interessiere ich mich bis heute nicht sonderlich fürs Selberkochen, auch wenn ich Essen an
sich super finde. Mir Kochende anzusehen, finde ich aber ziemlich entspannend, weil es so was Handwerkliches, Sinnliches und Zielführendes hat. Zu Recherche-Zwecken habe ich mich wieder an eines der entspannendsten Formate erinnert: »Alfredissimo« mit Alfred Biolek. Hier ein paar Zitate daraus, die man heute nur noch selten hört:
»Kannst du mit jedem Öl machen.«
»Leckere gefrorene Erbsen.«
»Ist ja auch egal, Hauptsache ist lecker.«
»Du hast dem Fernsehen ein Opfer
gebracht!«
»Ein guter Wein passt zu allem!«
Auf dem DOK.fest laufen einige Filme, die sich mit Kochen und Lebensmitteln beschäftigen. She Chef, der am 18.05. auch in die Kinos kommt, führt uns dabei radikal weg von den Snacks, hin zum »Kunst«-Handwerk, der Sterne-Küche. Man begleitet darin die Jung-Köchin Agnes und das erst einmal dabei, wie sie sich ordentliche Messer kauft. Dann macht sie sich auf die Walz, zu drei Praktika in Sterne-Küchen: im Vendôme in Köln, dem Disfrutar in Barcelona und dem Koks auf den Färöer-Inseln. She Chef ist, frei assoziiert, ein feministischer Coming of Age/Entwicklungsfilm, Koch- und Reise-Film. Ein Film über die Arbeit in Sterne-Küchen und die Position, die diese Arbeit in Agnes’ Leben einnimmt, die Leidenschaft dafür, aber auch die Reflexion darüber, was man sonst noch sucht: Familie, Freunde und wie das zu vereinbaren ist. Auf den Reisen lernt man verschiedene Arten der Küche kennen und wie dort miteinander gearbeitet wird. Insgesamt ist es aber vor allem ein Porträt von Agnes. Es ist schön, sie zu beobachten, bei den konzentrierten, ruhigen Vorgängen, bei der kleinteiligen Pinzettenarbeit (es sieht zumindest nach einer Pinzette aus), aber auch der groberen Arbeit. Dazwischen wird gekostet, gesammelt, gefangen, geschnitten, filetiert, angerichtet und experimentiert, aber auch miteinander gegessen und getrunken. Immer mit Agnes. Dabei ist sie im ersten Moment vielleicht eine etwas spröde Protagonistin, die sich für ihr Alter merkwürdig sicher scheint, der man aber sehr schnell sehr gerne folgt, weil sie interessant ist und auch, weil man das Gefühl hat, dass sie die Kamera und das Team vergisst oder zumindest als selbstverständlich nimmt. Man ist schließlich wirklich an ihrer Seite, beim Arbeiten und auch bei schwierigen Entscheidungen, sehr persönlichen Gesprächen und einer Liebesgeschichte.
Die Produkte spielen bei She Chef eine Rolle, wobei ihre Herkunft nur im Koks thematisiert ist, dort ziehen sie oft los, sammeln Muscheln, Gräser oder Wurzeln direkt aus der Umgebung.
Zurück zu Biolek, der immer darum bemüht ist, etwas über seine guten Produkte zu erklären, beispielsweise dass er sein Fleisch gerne selber durch einen Fleischwolf dreht, weil er dann weiß, woher
das Fleisch kommt und was im Hack wirklich drin ist. Das erklärt er seinem Gast Dirk Bach, der zu Beginn der Sendung erst mal 6-7 Dosen öffnet – Highlight ist die Ananas-Dose – und mehrere Tüten von Fixen für Chili con Carne, und alles zum Hack in einen Topf gibt (später noch vier sehr große Stück Gouda und verschiedene Gewürze, u.a. auch Senf, die er in den Schränken findet). Das ist sehr witzig und eine Art »Unterlaufen«, vielleicht sogar eine Persiflage des
Kochsendungs-Formats durch Bach. Im Gegensatz zu Biolek möchte Bach dabei ganz und gar nicht wissen, woraus sein in Plastik eingepacktes Hack genau ist, also er möchte das Tier in ihm nicht sehen, weshalb er grundsätzlich nur Hack und Wurst isst.
Um eben diese Entfremdung geht es bei Wir und das Tier – Ein Schlachthausmelodram von David Spaeth, der auf dem DOK.fest läuft. Der Film dreht sich um das Töten von Tieren und bleibt konzentriert bei dem, was kurz vorher, währenddessen und danach geschieht und befragt die Menschen, die es tun, danach, was das mit ihnen macht. Wie geht es den Menschen, die ganz nah dran sind am Tod, die selber töten, damit Biolek, Bach und der Großteil von uns unser abstraktes Stück Fleisch auf den Teller bekommen? Zugang dazu bekommt man zum großen Teil über die Menschen und ihre Reaktionen, das heißt aber nicht, dass die Tiere keine Rolle spielen, sie ist vielleicht geringer, aber am Ende doch die eindrücklichere. Es ist gut zu hören und zu sehen, dass es selbst die Menschen bewegt, die es tagtäglich oder auch nicht so täglich tun – also zumindest die Auswahl, die wir sehen. Da sind beispielsweise die beiden Freundinnen, die eine hat der anderen, deren Hobby es ist, Wurst in ihrer Garage herzustellen, einen Schlachterkurs geschenkt, an dem sie beide teilnehmen. Das sind dann ganz feine Momente, in denen man beobachten kann, wie in der einen etwas zusammenbricht, bzw. Zusammenhänge geknüpft werden, die möglicherweise dazu führen, weniger oder kein Fleisch zu essen. Die Frage nach der Haltung des Films ist für mich in solchen Momenten geklärt, in anderen ist es schwieriger zu erkennen, ob der Film Pro oder Contra Fleischessen ist: Man kann dabei über die Auswahl der Protagonist*innen nachdenken, die alle sehr reflektiert und bewusst handelnde Menschen sind, denen man gerne und interessiert zuhört und die einzelne Tiere oder kleine Gruppen töten, aber eben nicht im Akkord und unter widrigen Bedingungen. Auch zeigt Spaeth kein Töten von kleineren Tieren, wie z.B. Hühnern oder das Töten für etwas anderes als Fleisch. Alle wollen es so schnell und schmerzlos wie möglich für die Tiere machen und viele von ihnen sprechen von einer Belastung für sich selbst. Tiere töten ist nicht leicht und selbst den Schlachtermeister, der das seit 40 Jahren macht, bewegt und berührt es bis heute. Dann wird auch angesprochen, dass sich unser Verhalten in diesem Bereich möglicherweise gerade ändert und ändern muss. Das ist alles ganz fein beobachtet und bewegt zu eigenem Nachdenken und für mich ist darin auch die Haltung des Filmes erkennbar, aber es ist auch ein schmaler Grat, weil man (wenn man möchte) auch zu dem Schluss gelangen könnte: Dass es doch eigentlich ganz gut läuft, wenig und schnell geschlachtet wird. Das entspricht aber nicht der Realität, Großschlachtereien und ihr Umgang mit Tieren ist ein anderer und es kaufen auch mehr Menschen wie Bach ein und weniger wie Biolek, und es ist, wie der Film zeigt, meist auch eine Belastung für die schlachtenden Menschen.
Wie Großschlachtereien aussehen, sieht man z.B. in Unser täglich Brot (2005) von Nikolaus Geyrhalter, der eine Hommage auf dem DOK.fest hat und dessen Film Über die Jahre für mich einer der Dokumentarfilm-Klassiker ist. Geyrhalter arbeitet hier mit monumentalen Bildern, die die Industrialisierung und Globalisierung unserer Nahrungsproduktion zeigen. Gewaltige, vielleicht manchmal schon fast zu »schöne«, überwältigende Bilder, die besonders auf der Leinwand einen Sog ausüben, in denen man aber manchmal auch eine Diskrepanz zwischen Inhalt und Form sehen kann. Tableaux von Feldern, Ställen, Plantagen, Gärtnereien, Schlachthäusern, Verpackungshallen, von denen man gleichzeitig abgestoßen und fasziniert ist. Bei Geyrhalter spricht niemand, die Menschen arbeiten, pflücken, sprühen, sortieren, schlachten, zerlegen und sind dabei Teil des Bildes, der Maschinerie. Nur in ihren Pausen schauen sie einen an und essen dabei ihr Lunchbrot oder ihr Kantinen-Schnitzel, rauchen, trinken Kaffee. Niemand spricht mit uns, sie werden uns als stumme Spiegel vorgesetzt, was ihnen einerseits keine Stimme gibt, andererseits vielleicht dazu führt, dass wir selber diese Leerstelle ersetzen. Nach einer Zeit sprechen die Arbeiter*innen dann doch miteinander, und obwohl ich sie nicht verstehe, hat das bei mir zu mehr Einfühlung geführt. Manchmal ist es doch gut, mit der eigenen Strenge zu brechen. In jedem Fall sieht man hier das Schweine- und Rinderschlachten noch mal ganz anders als bei Wir und das Tier, nicht an einzelnen Tieren oder kleinen Gruppen, sondern wirklich in Massen, großindustriell und brutal.
Geyrhalter gibt am 07.05. um 11:00 im Audimaxx der HFF eine Masterclass, die Spaeth moderiert. Vielleicht diskutieren die beide dann auch über Tiere und darüber, weshalb die Rinder immer zum Schluss kommen.
Eine Empfehlung noch für die ARTE-Mini-Serie Wen dürfen wir Essen?, die uns verschiedene, sehr interessante Perspektiven auf den Fleischkonsum gibt: was ist der Ursprung davon? Brauchen wir Fleisch? Ist es »natürlich« oder »normal«? Wie halten wir Tiere? Wie verhalten wir uns zu Tieren? Wie fühlen Tiere? Welche Alternativen gibt es?
Und eine Ankündigung: Es gibt ein »Wo Pommes??? Teil 2 im Mai, zu All the Beauty and the Bloodshed von Laura Poitras (Kinostart am 25.05.). Darin werde ich u.a. auf den SZ-Artikel von Kunsthistorikerin Catrin Lorch vom 24.04. eingehen, in dem sie der Frage nachzugehen versucht, ob das ›noch Dokumentation oder schon ein eigenes Kunstwerk‹ ist, weil sie das dokumentarische ›Genre‹ Künstlerfilm und die Subjektivität des Films so unique findet. Da müssen wir mal die Begriffe auseinanderklamüsern und über Dinge wie (künstlerischer) Dokumentarfilm, Dokumentation, Recherche und Schnitt sprechen, liebe Frau Lorch, und uns diesem spannenden DOKUMENTARFILM widmen, zu dem man außerdem gut über Aktivismus und Kunst und über die Wirkung von Dokumentarfilmen nachdenken kann.«