Peter Goedel, Filmemacher der Poetik |
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Peter Goedel: Verdiente Ehrung eines deutschen Ausnahmeregisseurs | ||
(Foto: Thomas Neumann, Hofer Filmtage) |
Von Dunja Bialas
Peter Goedel erhält auf den 58. Hofer Filmtagen den Filmpreis der Stadt Hof. Die undotierte Auszeichnung gilt einem Regisseur, dessen Werk auf besondere Weise mit dem Festival in Hof verbunden ist.
Die Laudatorin Dunja Bialas stellt in ihrer Rede »das unbekannte Meisterwerk« (Peter Nau) des Filmemachers einer politischen Poetik vor.
»Belobigen oder beschimpfen« dürfe man ihn nach dem Film. Das sagte Peter Goedel vor wenigen Wochen im Münchner Filmmuseum, Das Treibhaus stand auf dem Programm. Ob laudatio, die Lobrede, oder aber vituperatio, der Tadel der Lateiner: Peter Goedel fürchtet die Meinung der anderen nicht. Weil er selbst ganz genau weiß, was er tut – und auch, warum er es tut.
So wenig wie an diesem Abend die Zuschauerinnen und Zuschauer Goedels Aufruf zur negativen Kritik nachkamen, einem Aufruf, der von der Bescheidenheit als Filmkünstler, von der Demut vor der Rezeption – und womöglich auch vom Understatement eines Filmautors zeugt, der ein beachtliches Werk hervorgebracht hat, so wenig wird Peter Goedel hier und jetzt Tadel überbracht. Es geht vielmehr darum, ein Werk zu ehren, das der Filmkritiker Peter Nau einmal treffend »das unbekannte Meisterwerk« genannt hat, und darum, Ihnen, verehrte Anwesende, einen Ausnahme-Filmautor vorzustellen, dessen Weg für die vielen Möglichkeiten, aber auch Beschränkungen bundesrepublikanischen Filmschaffens steht.
Der Filmemacher Peter Goedel, Autor von mindestens einem Dutzend Kinofilmen, mehreren Fernsehspielen und zahlreichen Features und Fernsehbeiträgen zu Literatur und Kultur, wird heute mit dem Filmpreis der Stadt Hof ausgezeichnet. Der Preis richtet sich an Personen, die mit Hof und dem Festival eng verbunden sind. Und dies trifft für Peter Goedel auf besondere Weise zu.
1976 kam er zum ersten Mal nach Hof. Aus Neugier. Und Wissbegier. Auf die Idee hatte ihn der Filmjournalist Roland Keller gebracht, den er in München kennengelernt hatte. Die Hofer Filmtage feierten im besagten Jahr gerade erst die 9. Ausgabe. Eine Protestbewegung um Hellmuth Costards Kurzfilm Besonders wertvoll bei den Kurzfilmtagen Oberhausen hatte zur Abwanderung vieler deutscher Filmemacher nach Hof geführt. Die Hofer Filmtage galten seitdem als Fels des Neuen deutschen Films in der Brandung deutscher Filmproduktionen, und waren für die Jungfilmer und ihre Debüts wichtig.
Peter Goedel, damals freier Mitarbeiter des WDR, schlug seiner Redaktion Filmtipps aus Hof vor. »Es gibt da dieses kleine Festival in Hof«, sagte er der Filmredaktion und schwärmte, wie toll das Programm sei. Es muss nicht immer Cannes oder die Berlinale sein: Dieses Motto zog, und Peter Goedel durfte über die Hofer Filmtage berichten. Er initiierte die erste Hofer Live-Berichterstattung und schaltete für den größten Sender der ARD eineinhalb Stunden lang Beiträge, Interviewpartner und Stimmungsbilder.
Was Heinz Badewitz, der Erfinder der Hofer Filmtage, noch nicht wusste: Peter Goedel hatte bereits einen ersten Kinofilm in freier Produktion abgedreht. Der Film hieß Talentprobe und zeigte großes Kinoformat – Kameramann David Slama filmte in Schwarzweiß und auf 35mm. Sein erster Film war auch für Goedel eine »Talentprobe« und ein künstlerisches Statement, mit dem er sich vom Fernsehen absetzte.
Die titelgebende Talentprobe war ein im Kölner Rheinpark abgehaltenes Spektakel. Wonnabe-Schlagersternchen sangen öffentlich vor, nicht immer trafen sie den Ton. Das unerbittliche Publikum quittierte mit Trillerpfeifen, Kuhglocken und Topfdeckeln. Es erlebt zu haben mag Goedel so geprägt haben, dass er, wie eingangs erwähnt, auch heute noch erwartet, belobigt oder beschimpft zu werden. Dem schonungslosen Aufruhr des Publikums setzte er jedoch das Erleben seiner Protagonisten entgegen. Die Gefeierten und die Ausgebuhten, die Beklatschten und die Niedergebrüllten treten, indem sie im Film von ihren Hoffnungen erzählen, als Individuen hervor – was sie vor der gnadenlosen Wirklichkeit rettet.
Für den großen, fast zweistündigen Kinofilm gab es eine Fortsetzung, ein »Wiedersehen«, genau 30 Jahre später, und dem ersten Kinofilm vorausgegangen war Goedels erster langer Fernsehfilm, den er zusammen mit Herbert Hoven realisiert hatte. Der Titel: »Rainer, 21 Jahre, möchte Schlagersänger werden«. Besagter Rainer mit dem ungewöhnlichen Berufswunsch tritt auch in Talentprobe auf. Goedels Zuwendung zu seinen Protagonistinnen und Protagonisten ist aufrichtig und beständig.
Talentprobe, 1980 herausgebracht, wurde Peter Goedels Debüt als unabhängiger Filmemacher, und war auch sein Debüt bei den Hofer Filmtagen. Von da an kam er fast jedes Jahr nach Hof, bis weit in die Neunzigerjahre hinein, oft, aber nicht immer mit einem eigenen Film. Goedel schätzte die Hofer Atmosphäre und die Filme, die hier zu sehen waren, ebenso wie die Menschen und Kontakte, die ihn den Weg zu neuen Projekten finden ließen. Hof, als eindrückliches Mekka für den jungen deutschen Film, bestärkte ihn als Autor eines freien und unabhängigen Filmschaffens.
Eine Kette von Zufällen – so zumindest erzählt es Peter Goedel – brachte ihn überhaupt erst zum Film. Geboren 1943 im sächsischen Torgau an der Elbe, ging er mit seinen Eltern wenige Wochen vor dem Mauerbau in den Westen. In Köln und München studierte er am Vorabend der Studentenunruhen Theaterwissenschaft, Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte und machte 1968 in Köln, fast buchstäblich zwischen den Barrikaden seinen Abschluss. Eigentlich wollte er Theaterregisseur werden. Um zu verstehen, wie sich das Schauspiel auf der Bühne anfühlt, nahm er selbst Schauspielunterricht und reüssierte in der Rolle des jugendlichen Liebhabers in einem kleinen Landestheater am Niederrhein. Außerdem übernahm er Regieassistenzen. Als es ins zweite Bühnenjahr ging, wusste er: So wirklich war er dafür nicht geschaffen, für ein Leben mit Schauspielern in abgedunkelten Räumen, fernab der Welt. Wieder einmal auf einer Demo traf er einen, den er von einer Hospitanz in einem Kölner Theater kannte. »Ich bin jetzt beim WDR«, erzählte ihm der, und dass sie Leute suchten. »Ich könnte dich da vorschlagen.« Goedel wurde Aufnahme-Assistent.
So begann mit Ende Zwanzig Goedels zweite Berufstätigkeit. Ausgerechnet beim Fernsehen, obwohl er »auf keinen Fall beim Fernsehen landen« wollte, wie er bekräftigt. Seine Frau Lilo begann in München zu arbeiten, in einer Stadt, in der Goedel beinahe eine wissenschaftliche Karriere bei der Altgermanistik begonnen hätte. In München angekommen entdeckte er ein ganz anderes Arbeitsumfeld. Während es in Köln bei Filmvorhaben hieß: »Geh zum WDR«, lernte er in München in Peter Heller, Matti Bauer und anderen Filmemacher kennen, die freie Produktionen ohne Fernsehbeteiligung wagten (natürlich auch weil es um den BR damals schlecht bestellt war).
Goedel brachte das Interesse an Literatur und Schauspiel mit, ebenso die freien Aufträge für den WDR, dessen Honorare er am Anfang in seine Kinofilme steckte. Das war in einer Zeit, als das Fernsehen mit anspruchsvollen Produktionen und Fernsehspielen seine Kulturhochzeit hatte. Die WDR-Filmredakteure Helmut Merker und Werner Dütsch und der Literaturredakteur Christhart Burgmann waren den Themen, die Goedel aufbrachte, allesamt aufgeschlossen. So gibt es zwar auf formaler Ebene, aber inhaltlich und in dem hohen künstlerischen Anspruch nur wenig Unterschiede zwischen Goedels Fernseh- und Kinofilmen.
Peter Goedel ist ein Filmemacher, der ein Werk mit vielen Facetten hervorgebracht hat – in großer gestalterischer Freiheit. Während Talentprobe noch ein beobachtender Dokumentarfilm ist, der aus der Nähe zu den Protagonisten auch von ihren Träumen zu erzählen weiß, lässt Goedels nächster Film die dokumentarische Wirklichkeit bereits zu Teilen hinter sich.
Hinter den Elbbrücken hatte Goedel 1986 gedreht. Der Film erzählt von der Freundschaft dreier Männer, die ein Wochenende auf hoher See beim Angeln verbringen. Sie tauschen sich über ihre Zukunft aus, erzählen von ihren Sorgen und Hoffnungen. Sehr narrativ, mit starken Protagonisten, hebt der Film ab in sehnsuchtsvolle Sphären und verlässt in den Gedanken den engen Raum des Bootes.
Das hat ihm nicht nur – und jetzt kommen wir auf die vituperatio – Lob eingebracht. Zumal nicht von den Kollegen des Dokumentarfilms. Klaus Wildenhahn fand schon in Talentprobe das Vorgehen zu undokumentarisch, Hinter den Elbbrücken blieb überdies lange bei Schnittmeister Peter Przygodda liegen. Dem Filmeditor von Wim Wenders, Klaus Lemke, Volker Schlöndorff, Reinhard Hauff und vielen anderen widmete Goedel 1993 einen eigenen Film. Goedel hatte noch nicht den richtigen Weg gefunden, wie die Geschichte von den drei Männern zu erzählen sei. Axel Brandt hatte die Kamera gemacht, war aber auch am Drehbuch beteiligt – was den Sprung des dokumentarischen Filmprojekts ins Narrative hinein schon erahnen lässt.
Das Gespür für den richtigen Stoff ist fürs Fernsehen und die Filmproduktionen immer das wichtigste. Bei Peter Goedel kommt ein tiefliegendes Interesse dazu. Mitte der Siebzigerjahre hatte er ein Buch gelesen, das er ein »Erweckungserlebnis« nennt. Es war »Das Treibhaus«, das mittlere Werk aus Wolfgang Koeppens »Trilogie des Scheiterns«, in dem der Schriftsteller bereits 1953 formulierte, wovon der junge Goedel zwanzig Jahre später bewegt war. Als er das Filmprojekt begann, war die von Helmut Kohl ausgerufene »geistig-moralische Wende« bereits in vollem Gange. Auf das Filmschaffen von Herbert Achternbusch, Karin Braun und Elfie Mikesch wurde durch Innenminister Zimmermann in einem Maße Einfluss genommen, dass der Vorwurf der Zensur im Bundestag offen debattiert wurde. Mitten in die aufgeheizte Atmosphäre hinein brachte Goedel Das Treibhaus heraus, das war 1987, und gab der geistig-moralischen Wende, die »Kommerz statt Kunst« wollte, ein anspruchsvolles ästhetisches Contra.
Das dokumentarische Bild – Bundestagsdebatten und Ansichten Bonns, so das Regierungsviertel, die tristen Schaufensterauslagen in der ebenso tristen Fußgängerzone und die Nachtclubs, in denen die Abgeordneten ihre Einsamkeit vergessen – verbindet sich mit der Geschichte über das Scheitern des Bundestagsabgeordneten Keetenheuve, gespielt von Christian Doermer. Kameramann David Slama wechselt zwischen dem dokumentarisch-farbigen und dem fiktional-schwarzweißen Filmmaterial, während Rüdiger Vogler aus dem Off Koeppens Erzähler spricht. Gleich zweimal durchbricht Goedel den Raum seiner dokumentarischen Fiktion, zeigt sich zusammen mit Wolfgang Koeppen als Urheber des Films.
Die Vorgehensweise Goedels war zur damaligen Zeit unerhört. Heute wird Das Treibhaus als »hybrider« und überaus moderner Film gefeiert. Sein Misstrauen gegen die schablonenhafte Form und das konventionelle Erzählen lässt Peter Goedel als einen Vorreiter seiner Zeit erscheinen. Er lässt die Träume und Wünsche in seine Dokumentarfilme hinein, und öffnet die Fiktion für die dokumentarische Wirklichkeit. Und obwohl er später der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm beitrat, weil er es wichtig fand, dass der Dokumentarfilm mehr Sichtbarkeit bekäme, betont er: »Ich bin kein Dokumentarfilmer, ich bin Filmemacher!« Seine Filme sind Essays, Spielfilme, Fernsehspiele, und auch Dokumentarfilme. Jedoch selten nur das jeweils eine.
Goedels gestaltende Kraft findet für jeden Film eine neue Form. Er will sich nicht zufrieden geben mit der Welt, die sich ihm dokumentarisch aufdrängt. Weil es dahinter, in jedem Menschen und in jedem Schicksal, noch eine weitere Ebene gibt, die auf den ersten Blick verborgen ist, die aber zum Vorschein gebracht werden kann, durch den Film. Wenn er die Fiktion Koeppens mit der bundesrepublikanischen Wirklichkeit auf essayistische Weise verwebt, tritt das schmerzhafte Auseinanderklaffen der Welt vom Ideal zum Vorschein, als hochpolitischer Zwischenraum. Jean-Luc Godard hat diese Art des Filmemachens einmal so auf den Punkt gebracht: Es geht nicht darum, politische Film zu machen, es geht darum, Filme politisch zu machen. Goedel macht sogar poetische Filme politisch – und politische Film poetisch.
Die Offenheit der Form und das genaue Nachdenken über die richtige Gestaltung verleiht dem Kino von Peter Goedel eine Innovationskraft, die ihn von Film zu Film neue Ansätze finden lässt.
1997 kam sein Kinospielfilm Tanger mit Armin Mueller-Stahl heraus. Tanger spielt zu Beginn des letzten Jahrhunderts in der marokkanischen Hafenstadt, als sie zum Mythos für viele europäische Zuwanderer wurde. Spione, Schmuggler, Drogenhändler und Schriftsteller hielten sich in Tanger auf, Paul Bowles war die Ikone. Mit ihm machte Peter Goedel ein langes – Bowles letztes – Interview, das er mit der Geschichte vom ehemaligen Spion, Armin Mueller-Stahl spielt ihn, montiert. Der wandert durch das dokumentarische Tanger, erinnert sich in Flashbacks an die Zeit, die von Paul Bowles heraufbeschworen wird. Drehbuchgrundlage für den vielschichtig verwobenen Film war die Geschichte eines Mitarbeiters des britischen Geheimdienstes, den Goedel im legendären Hamburger Atlantic-Hotel kennengelernt hatte.
Nach einer wahren Geschichte also? Die heute inflationär und als Authentizitätsstrategie gebrauchte Floskel trifft auf das Werk Goedels nicht zu. Bei Peter Goedel reichert sich die Fiktion durch die Wirklichkeit an, wird die Wirklichkeit in imaginäre Sphären gehoben, verwebt sich mit ihnen zur unauflösbaren Werkseinheit. Peter Goedel weiß: Ohne die Wirklichkeit gibt es keine Geschichten, und eine Geschichte ohne Wirklichkeit ist nur halb so interessant.
Eine seiner letzten Geschichten führt Goedel in ein kleines, heute verschwundenes Münchner Nachtlokal. Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da ist ein Blick in die Fraunhofer Schoppenstube, in der Wirtin Gerti und ihr Mann Werner Guhl, verstorben während der mehrjährigen Dreharbeiten, Nacht für Nacht einen sozialutopischen Mikrokosmos schufen. Verkrachte Existenzen saßen mit Musikern des Gärtnerplatztheaters, mit Studentinnen und Studenten auf engstem Raum zusammen, feierten, tranken und sangen gemeinsam Lieder. Bis in die frühen Morgenstunden.
Anlässlich der Premiere des Films in Hof 2011 wurde Wirtin Gerti Guhl die erste Frau, die sich beim traditionellen Fußballspiel auf den Platz wagte – ein letzter historischer Moment, in dem sich Peter Goedel und sein Werk eng mit der Geschichte der Hofer Filmtage verbindet.
Mit seinen feinen und vorher nie gesehenen Filmen beschenkt Peter Goedel die cineastische Welt. Dafür und für seine enge Verbundenheit zu den Hofer Filmtagen wird Peter Goedel heute überaus verdient mit dem Filmpreis der Stadt Hof ausgezeichnet. Dazu möchte ich aus ganzem Herzen gratulieren.