USA/I 2024 · 137 min. · FSK: ab 16 Regie: Luca Guadagnino Drehbuch: Justin Kuritzkes Kamera: Sayombhu Mukdeeprom Darsteller: Daniel Craig, Lesley Manville, Jason Schwartzman, Drew Starkey, Henrique Zaga u.a. |
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In der Tiefe des Rauchs | ||
(Foto: MUBI) |
»The shock had sobered him, drained away his drunken euphoria. He realized how tired he was, and how weak, but he was not ready yet to go home.«
– William S. Burroughs »Queer«
Eine Schwere wie ein nicht enden wollender Drink macht sich in den zähflüssigen Bildern breit. William Lee klebt am Tresen, fixiert Eugene Allerton. Besessen, den Tequila umklammernd, verliert sich Lee in der Frage, ob Allerton queer sein könnte, deutet die Codes, wenn dieser mit einer Frau Schach spielt, befragt die anderen Stammgäste in der Bar in Mexiko City. Eine Choreographie der forschenden, umwerbenden Blicke hebt an, durch Lees dickwandige Brille mit dem jungen, äußerst gesund und aufgeräumt aussehenden Allerton. Lee selbst ist ein alternder, schmerzlich verletzbarer Mann, seine faltige Haut feucht von der Schwüle und dem Alkohol, seine Haare in klebrigen Strähnen. Dann das Abtauchen in gedämpfte, verlangsamte Gespräche, alles ist Neurologie, nichts Psychologie, alles ist Begehren, Verlangen, ist possession.
Luca Guadagnino hat Queer nach dem autobiographischen Roman von William S. Burroughs gefilmt. Der war in den Vierzigern nach Mexiko City gekommen, es sollte ein Aufbruch werden, ein neues Leben mit seiner Frau Joan und den Kindern, aus den USA musste er fliehen, seine Marihuanafarm in Texas war nur eine von vielen Gründen. In Mexiko fand er Spritzen, Alkohol und Männerliebe. In Mexiko erschoss er Joan Vollmer, als er Wilhelm Tell nachstellte. Dann musste er Mexiko verlassen, im Dschungel fand er das psychedelische Yagé, das ihn von den Opiaten wegbringen sollte. In dieser Zeit schrieb er seinen ersten Roman, »Junky« (1953), dann »Queer«, der erst 1985 erschien. Im Vorwort schreibt Burroughs: »The book is motivated and formed by an event which is never mentioned, in fact is carefully avoided: the accidental shooting death of my wife, Joan, in September 1951.«
Guadagnino bringt die Bilder aus dem Roman zum Laufen und sein eigenes Körperkino zu einer weiteren Vollendung. Fügt nach dem verstörenden Bones and All einen Film mehr des bedingungslosen Begehrens hinzu, das wie in Call Me by Your Name stets auch als queeres verstanden werden kann, sogar wenn über die Bande des weiblichen Körpers gespielt wird, wie in Challengers.
Und jetzt: »queer«, titelgebend, eine Romanverfilmung. Burroughs, das lässt sofort an Naked Lunch und David Cronenbergs trashige Schreibmaschinen-Monster denken. Guadagnino macht das anders. Ganz unprätentiös, ohne surreale Spielereien, ohne das Bemühen, extravagante Illustrationen für den Rausch, für das Außersichsein, für die Sehnsucht zu finden, hat er den Text von Burroughs mit viel atmosphärischem Gespür für das Erzählte in tiefgreifende Bilder übersetzt. Der ganze Burroughs ist einfach da. In den vor den Drinks gebeugten Körpern, in der Anstrengung von Lee, witzig zu sein, um die Aufmerksamkeit von Allerton zu bekommen, in dem Aufsuchen der Bar, immer wieder, und der Blick auf den Platz, auf dem Allerton sitzt, oder eben nicht, weil er nicht gekommen ist. Das Vermissen, die Sehnsucht, das Begehren. Und dann die Erfüllung, der Sex. Männerkörper, verlangend, nachdrücklich, sublim, zärtlich, verletzbar. Die Hinwendung, die Besitzergreifung, die Abwendung. Der Mensch als Droge. Luca Guadagninos Gestaltwerdung des Romans ist eine sensation, ein die Sinne ergreifendes Ereignis.
Lee, im Roman der Fiktion gewordene Burroughs, wird verkörpert von Daniel Craig. Das Spiel des heterosexuellen Schauspielers wird pure Homoerotik: Damit verstößt Guadagnino einerseits gegen die zeitgeistigen identitären Besetzungsgebote, provoziert andererseits auch die cismännlichen Craig-Fans in ihrer binären Gefestigtheit. Guadagnino überschreibt James Bond regelrecht, wenn Craig in der Figur von Lee zu einem zweiten Schauspiel-Leben finden kann. Er zeigt queeres Begehren, seine runden Muskeln lassen die Adern hervortreten, Großaufnahme, als sich eine Spritze mit Heroin in ihnen versenkt. Auf einer Reise mit Allerton durch den südamerikanischen Kontinent, die noch einmal alles richten soll, gerät Lee unter kalten Entzug, Craig spielt frierend, voller Pein, von Decken übertürmt, mit kaltnassem Schweiß. Dann wieder strotzende Männlichkeit in den schwulen Sexszenen und nacktes Begehren: Queer erzählt von der Suche nach dem anderen Körper und vom Verlangen nach Körperlosigkeit.
Der Thailänder Sayombhu Mukdeeprom, Gudagninos Stammkameramann (der zuletzt auch Miguel Gomes’ Grand Tour und Apichatpong Weerasethakuls Memoria fotografiert hat), hat das in die Tiefe des 35mm-Korns gebannt. Immer wieder gibt er dem Orientierungsverlust nach, isoliert die Menschen in Close-ups, filmt buchstäblich unter die Haut. Als Lee im Dschungel von Ecuador die telepathisch wirkende Wurzel Yagé entdeckt – Lesley Manville spielt die von der wilden Natur angefüllte Ethnologin, an ihrer Seite ist bei einer Tischszene kurz der argentinische Filmemacher Lisandro Alonso zu sehen: eine Hommage an das Kino Lateinamerikas als dezente Fußnote – scheint Lee in seinen Wünschen anzukommen. Er wollte mit Allerton kommunizieren, ohne sprechen zu müssen. Allein: Das Begehren stand ihm dazwischen.
Luca Guadagnino setzt mit Queer seine Serie der sehr guten Filme fort und kann dabei doch immer noch provozieren. In Istanbul wurde jüngst die Aufführung verboten, woraufhin Mubi sein Festival, in dessen Rahmen der Film hätte gezeigt werden sollen, abgebrochen hat. Und selbst in München ist immer wieder zu erleben, dass das bürgerliche Arthouse-Publikum bei explizit homoerotischem Sex – selbst wenn davon nur gesprochen wird, wie in Rose Glass' Love Lies Bleeding – indigniert das Kino verlässt. Wer weiß, ob es angesichts der großartigen Präsenz von Daniel Craig seine Hetero-Prüderie einmal in Frage stellen wird.