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Gewöhnlich empfehlen wir Ihnen an dieser Stelle Filme, die uns
gefallen, auf dass auch Sie daran cineastischen Genuss haben mögen.
Könnten wir diese Woche eigentlich auch. Z.B. Steven Soderberghs
aktuellen Geniestreich THE
LIMEY. Da aber ist das Problem, dass der momentan nur in
diesem grässlichen Debakel von einer Synchronfassung läuft, wo ein
Gutteil gerade der Dinge, ob derer uns der Film so grandios und
wichtig erscheint, gnadenlos rausgebügelt und plötzlich nichtig und
klein gemacht wurden. Pech. Oder die kleine, feine Jeanne
d'Arc-Reihe im Filmmuseum. Wo wir jetzt aber gerade schlicht zu
faul und nicht in der Stimmung sind, uns was dazu aus den
Schreibfingern zu saugen. Auch Pech. Oder THE MASK. Oder MORE. Wo man aber doch
wirklich nicht mehr zu sagen muss als: "In 3-D !!!", respektive
"Sex, Drogen, Pink Floyd." Zum Glück.
Deswegen diese Woche also mal was anderes: Wir legen Ihnen den
Besuch eines Films ans Herz, den wir NICHT mögen. Und meinen's aber
ernst. Es geht um HITLERJUNGE QUEX. Der eröffnet im Filmmuseum eine Reihe mit
Jugendfilmen der NS-Zeit. Und ziemlich sicher haben sie von diesem
berüchtigten Teil schon gehört, ihn aber wahrscheinlich noch nicht
gesehen. Genau das aber sollten Sie zumindest einmal doch getan
haben. Erstmal um zu erleben, was man heute von staatlicher
Seite für offenbar immer noch virulent genug hält, um unsere
Demokratie - die man doch eigentlich mittlerweile für halbwegs
gefestigt erachten möchte - in Bedrängnis zu stürzen. Dass Sie den
Film ziemlich sicher noch nicht gesehen haben, liegt nämlich daran,
dass seine Aufführung immer noch streng verboten ist, ausser in
geschlossenen und kommentierten Veranstaltungen wie hier im
Filmmuseum. Wenn man den Film dann aber sieht, dünkt das
Gefahrenpotential doch wohl eher gering. Wem man, um's auf gut
Deutsch zu sagen, nicht in's Gehirn geschissen hat, der wird von
dieser naiven Propagandaschwarte gewiss nicht zum Nazi. Schon weil
der Streifen, wie alle ungeschickte Propaganda, klipp und klar
ausspricht, was er will. Das ist schlechte Taktik, denn sie
eröffnet dem Publikum sofort die Möglichkeit, dazu Stellung zu
beziehen. Drum haben die Nazis (und Goebbels voran) solche
Propagandafilme auch wenig geliebt und selten produziert, teilweise
sogar selbst schnell wieder aus dem Verkehr gezogen. Man verpackte
die Botschaften dann doch lieber perfide in Komödien oder
Melodramen, wo sie unterschwelliger und damit wesentlich effektiver
daherkam. Solche Filme freilich sind nicht verboten, sondern laufen
oft und gern im Bayerischen Fernsehen oder Sonntags in der Matinee
im Gloria. Nicht mehr so rasend gefährlich scheint uns
HITLERJUNGE QUEX auch einfach deshalb, weil er sich doch im Aufbau
seiner Überzeugungsstrategie eine ziemliche Fehlkalkulation
erlaubt. Der Film (der aus der Frühzeit des
Nicht-wirklich-Tausendjährigen Reichs stammt) ist eigentlich dazu
gemacht, ein Publikum für die braune Sache zu gewinnen, das ihr
skeptisch bis feindlich gegenübersteht. Die Geschichte spielt im
Berliner Arbeiter- und Kommunisten-Millieu, und sollte gerade dort
auch die Menschen ansprechen. Drum versucht der Film den Weg
nachzuzeichnen einer Abkehr vom Kommunismus und Hinkehr zum
Nazitum. Ist aber dabei schon so verrannt in seinem Weltbild, dass
er das häßliche Gesicht des Kommunismus und die glorreiche Fratze
des Faschismus in einer Weise charakterisiert, wie sie bestimmt nur
ein Nazi nachvollziehen kann. Als schlecht gilt da nämlich
zwangloses Beisammensein, Trinken, Rauchen, Spielchen machen,
lockere Musik und unverkrampfte Erotik. Als toll gilt im Viereck
marschieren, das zackige Hitlerjugend-Lied im Chor zu schmettern,
Uniformen, die stramme Ulla (bei deren Auftritten einem jedesmal
wahlweise das kalte Frieselfieber oder das Strahlkotzen packen
möcht') und ganz besonders, sich für die Sache umbringen zu lassen.
"Kolossal," wie Protagonist Heini sagen würde - aber wer nicht
insane in the brain ist und so einen blöden Opfertod anstrebt, kann
aus dem Film auch die Lehre ziehen, dass man stirbt, wenn man zu
den Nazis überwechselt. Ob das damals viele Kommunisten überzeugt
hat? (Vielleicht sind wir aber auch selbst mal wieder zu naiv -
wenn man so durch's allabendliche Fernsehprogramm zappt, dann
machen sich schon manch Zweifel breit an der Kritik- und
Denkfähigkeit großer Bevölkerungsschichten. Wer's wirklich schafft,
seinen Geist mit Vergnügen solchen TV-Movies, Serien, Spielshows
auszusetzen, der könnte auch auf die Machart von HITLERJUNGE QUEX
reinfallen, denn im (besonders handwerklichen) Vergleich ist die
doch wieder hochraffiniert und gekonnt.)
Dann aber ist HITLERJUNGE QUEX als (film-)historisches Dokument
durchaus interessant, und es schadet nie, den Feind genauer zu
kennen. So platt und offensichtlich vieles an dem Film erstmal ist
(in einer der hinreissend blödesten Szenen wird irgendwie
impliziert, dass weil einer lieber Berliner Bier als englisches
trinkt und Berlin an der Spree liegt, er damit eigentlich schon
überzeugt vom Nazitum sein müsste), soviel läßt sich doch beim
genaueren Hinschauen und -hören noch rausholen über das Weltbild
der Herrenrassenzüchter und dessen Verknüpfung mit Filmästhetik.
Das kann jetzt hier nicht ausführlich das Thema sein, aber als
Hinweis: Achten Sie mal drauf, wie mit Tonräumen umgegangen wird,
lesen Sie Theweleit und gucken Sie dann auf die Frauen und auf das,
was mit Körpern geschieht in dem Film. Und da wird's dann
nämlich richtig spannend. Weil halt vieles davon nicht 1945 vom
Erdboden verschwunden ist (und davor auch nicht allein in
Deutschland existiert hat). Sondern munter weiterschwurbelte und
schwurbelt in Köpfen und auf Leinwänden allüberall auf der Welt.
Faschismus oder Faschistoides findet sich ja nicht nur bei Nazis,
und äußert sich auch anders als nur durch industriell organisierten
Mord an Bevölkerungsgruppen. Und siehe da: Diese Mütter, diese
Glorifizierung des Sterbens für die grössere Sache, dieses Aufgehen
der Körper in der Fahne, die am Anfang und Ende weht - kennen wir
das (um nur ein besonders eklatantes Beispiel zu nennen) nicht
haargenau so aus dem oscargekrönten SAVING PRIVATE RYAN. Ei
freilich kennen wir! Deswegen ist der Besuch solcher Filme,
auch wenn er Nerven erfordert, um bei den Strömen brauner Kacke
keine Schreikrämpfe zu kriegen, besonders heilsam, wenn wir das
alles nicht zuweit von uns wegschieben, uns nicht gar zu sicher
drüberstehend wähnen. Vieles davon ist nämlich noch näher, als uns
lieb sein sollte, lugt aus dem "Forsthaus Falkenau" oder dem
"Bergdoktor", wird aufgewärmt bei Messrs. Spielberg und Lucas.
Also: Keep watching the screens! Und: Vor einem Aspekt des
Films sei dann doch noch gewarnt. Der heimliche Hauptdarsteller,
der eigentliche Held des Films ist letzlich das Lied der
Hitlerjugend - man könnte die ganze Story auch lesen als die
Erfolgsgeschichte eines musikalischen Virus. Und da sollten Sie vor
der Entscheidung, ob Sie den Film besuchen wollen, dann doch vorher
ausdrücklich drauf hingewiesen sein, dass Sie, falls Sie den Film
gucken, damit rechnen müssen, dieses Lied für die nächsten paar
Wochen als fiesen Ohrwurm im Kopf herumkriechen zu haben.
Vielleicht ist der Film auch raffinierter, als wir meinen, und
seine eigentliche Absicht ist es einfach nur, einem das Lied
beizubringen. Das nämlich schafft er. (HITLERJUNGE QUEX:
Filmmuseum, Do. 19:00)
So, soviel zu einem Film also, den wir nicht mögen, aber
empfehlen. Und weil's tatsächlich VIEL war, jetzt zum Abschluss so
kurz und knapp wie möglich das, was uns an dieser Stelle stets das
Herz erwärmt und was wir SEHR mögen. Nämlich der Herr Oehmann
und sein Tip: "Samstags Fußball, Sonntag Lindenstraße."
Viel Spaß dabei wünscht Ihnen,
Die
Artechock-Redaktion
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