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Der Filmfreund rät...

  13.01.2000
 
 
 
 

Gewöhnlich empfehlen wir Ihnen an dieser Stelle Filme, die uns gefallen, auf dass auch Sie daran cineastischen Genuss haben mögen. Könnten wir diese Woche eigentlich auch. Z.B. Steven Soderberghs aktuellen Geniestreich THE LIMEY. Da aber ist das Problem, dass der momentan nur in diesem grässlichen Debakel von einer Synchronfassung läuft, wo ein Gutteil gerade der Dinge, ob derer uns der Film so grandios und wichtig erscheint, gnadenlos rausgebügelt und plötzlich nichtig und klein gemacht wurden. Pech.
Oder die kleine, feine Jeanne d'Arc-Reihe im Filmmuseum. Wo wir jetzt aber gerade schlicht zu faul und nicht in der Stimmung sind, uns was dazu aus den Schreibfingern zu saugen. Auch Pech.
Oder THE MASK. Oder MORE. Wo man aber doch wirklich nicht mehr zu sagen muss als: "In 3-D !!!", respektive "Sex, Drogen, Pink Floyd." Zum Glück.

Deswegen diese Woche also mal was anderes: Wir legen Ihnen den Besuch eines Films ans Herz, den wir NICHT mögen. Und meinen's aber ernst.
Es geht um HITLERJUNGE QUEX. Der eröffnet im Filmmuseum eine Reihe mit Jugendfilmen der NS-Zeit. Und ziemlich sicher haben sie von diesem berüchtigten Teil schon gehört, ihn aber wahrscheinlich noch nicht gesehen. Genau das aber sollten Sie zumindest einmal doch getan haben.
Erstmal um zu erleben, was man heute von staatlicher Seite für offenbar immer noch virulent genug hält, um unsere Demokratie - die man doch eigentlich mittlerweile für halbwegs gefestigt erachten möchte - in Bedrängnis zu stürzen. Dass Sie den Film ziemlich sicher noch nicht gesehen haben, liegt nämlich daran, dass seine Aufführung immer noch streng verboten ist, ausser in geschlossenen und kommentierten Veranstaltungen wie hier im Filmmuseum.
Wenn man den Film dann aber sieht, dünkt das Gefahrenpotential doch wohl eher gering. Wem man, um's auf gut Deutsch zu sagen, nicht in's Gehirn geschissen hat, der wird von dieser naiven Propagandaschwarte gewiss nicht zum Nazi. Schon weil der Streifen, wie alle ungeschickte Propaganda, klipp und klar ausspricht, was er will. Das ist schlechte Taktik, denn sie eröffnet dem Publikum sofort die Möglichkeit, dazu Stellung zu beziehen. Drum haben die Nazis (und Goebbels voran) solche Propagandafilme auch wenig geliebt und selten produziert, teilweise sogar selbst schnell wieder aus dem Verkehr gezogen. Man verpackte die Botschaften dann doch lieber perfide in Komödien oder Melodramen, wo sie unterschwelliger und damit wesentlich effektiver daherkam. Solche Filme freilich sind nicht verboten, sondern laufen oft und gern im Bayerischen Fernsehen oder Sonntags in der Matinee im Gloria.
Nicht mehr so rasend gefährlich scheint uns HITLERJUNGE QUEX auch einfach deshalb, weil er sich doch im Aufbau seiner Überzeugungsstrategie eine ziemliche Fehlkalkulation erlaubt. Der Film (der aus der Frühzeit des Nicht-wirklich-Tausendjährigen Reichs stammt) ist eigentlich dazu gemacht, ein Publikum für die braune Sache zu gewinnen, das ihr skeptisch bis feindlich gegenübersteht. Die Geschichte spielt im Berliner Arbeiter- und Kommunisten-Millieu, und sollte gerade dort auch die Menschen ansprechen. Drum versucht der Film den Weg nachzuzeichnen einer Abkehr vom Kommunismus und Hinkehr zum Nazitum. Ist aber dabei schon so verrannt in seinem Weltbild, dass er das häßliche Gesicht des Kommunismus und die glorreiche Fratze des Faschismus in einer Weise charakterisiert, wie sie bestimmt nur ein Nazi nachvollziehen kann. Als schlecht gilt da nämlich zwangloses Beisammensein, Trinken, Rauchen, Spielchen machen, lockere Musik und unverkrampfte Erotik. Als toll gilt im Viereck marschieren, das zackige Hitlerjugend-Lied im Chor zu schmettern, Uniformen, die stramme Ulla (bei deren Auftritten einem jedesmal wahlweise das kalte Frieselfieber oder das Strahlkotzen packen möcht') und ganz besonders, sich für die Sache umbringen zu lassen. "Kolossal," wie Protagonist Heini sagen würde - aber wer nicht insane in the brain ist und so einen blöden Opfertod anstrebt, kann aus dem Film auch die Lehre ziehen, dass man stirbt, wenn man zu den Nazis überwechselt. Ob das damals viele Kommunisten überzeugt hat?
(Vielleicht sind wir aber auch selbst mal wieder zu naiv - wenn man so durch's allabendliche Fernsehprogramm zappt, dann machen sich schon manch Zweifel breit an der Kritik- und Denkfähigkeit großer Bevölkerungsschichten. Wer's wirklich schafft, seinen Geist mit Vergnügen solchen TV-Movies, Serien, Spielshows auszusetzen, der könnte auch auf die Machart von HITLERJUNGE QUEX reinfallen, denn im (besonders handwerklichen) Vergleich ist die doch wieder hochraffiniert und gekonnt.)

Dann aber ist HITLERJUNGE QUEX als (film-)historisches Dokument durchaus interessant, und es schadet nie, den Feind genauer zu kennen. So platt und offensichtlich vieles an dem Film erstmal ist (in einer der hinreissend blödesten Szenen wird irgendwie impliziert, dass weil einer lieber Berliner Bier als englisches trinkt und Berlin an der Spree liegt, er damit eigentlich schon überzeugt vom Nazitum sein müsste), soviel läßt sich doch beim genaueren Hinschauen und -hören noch rausholen über das Weltbild der Herrenrassenzüchter und dessen Verknüpfung mit Filmästhetik. Das kann jetzt hier nicht ausführlich das Thema sein, aber als Hinweis: Achten Sie mal drauf, wie mit Tonräumen umgegangen wird, lesen Sie Theweleit und gucken Sie dann auf die Frauen und auf das, was mit Körpern geschieht in dem Film.
Und da wird's dann nämlich richtig spannend. Weil halt vieles davon nicht 1945 vom Erdboden verschwunden ist (und davor auch nicht allein in Deutschland existiert hat). Sondern munter weiterschwurbelte und schwurbelt in Köpfen und auf Leinwänden allüberall auf der Welt. Faschismus oder Faschistoides findet sich ja nicht nur bei Nazis, und äußert sich auch anders als nur durch industriell organisierten Mord an Bevölkerungsgruppen.
Und siehe da: Diese Mütter, diese Glorifizierung des Sterbens für die grössere Sache, dieses Aufgehen der Körper in der Fahne, die am Anfang und Ende weht - kennen wir das (um nur ein besonders eklatantes Beispiel zu nennen) nicht haargenau so aus dem oscargekrönten SAVING PRIVATE RYAN. Ei freilich kennen wir!
Deswegen ist der Besuch solcher Filme, auch wenn er Nerven erfordert, um bei den Strömen brauner Kacke keine Schreikrämpfe zu kriegen, besonders heilsam, wenn wir das alles nicht zuweit von uns wegschieben, uns nicht gar zu sicher drüberstehend wähnen. Vieles davon ist nämlich noch näher, als uns lieb sein sollte, lugt aus dem "Forsthaus Falkenau" oder dem "Bergdoktor", wird aufgewärmt bei Messrs. Spielberg und Lucas. Also: Keep watching the screens!
Und: Vor einem Aspekt des Films sei dann doch noch gewarnt. Der heimliche Hauptdarsteller, der eigentliche Held des Films ist letzlich das Lied der Hitlerjugend - man könnte die ganze Story auch lesen als die Erfolgsgeschichte eines musikalischen Virus. Und da sollten Sie vor der Entscheidung, ob Sie den Film besuchen wollen, dann doch vorher ausdrücklich drauf hingewiesen sein, dass Sie, falls Sie den Film gucken, damit rechnen müssen, dieses Lied für die nächsten paar Wochen als fiesen Ohrwurm im Kopf herumkriechen zu haben.
Vielleicht ist der Film auch raffinierter, als wir meinen, und seine eigentliche Absicht ist es einfach nur, einem das Lied beizubringen. Das nämlich schafft er.
(HITLERJUNGE QUEX: Filmmuseum, Do. 19:00)

So, soviel zu einem Film also, den wir nicht mögen, aber empfehlen. Und weil's tatsächlich VIEL war, jetzt zum Abschluss so kurz und knapp wie möglich das, was uns an dieser Stelle stets das Herz erwärmt und was wir SEHR mögen.
Nämlich der Herr Oehmann und sein Tip:
"Samstags Fußball, Sonntag Lindenstraße."

Viel Spaß dabei wünscht Ihnen,

Die Artechock-Redaktion

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