Was haben wir darauf gewartet, den mal im Kino zu sehen zu
bekommen! SUNRISE - A SONG
OF TWO HUMANS: F.W. Murnaus erster amerikanischer Film, eine
von Hollywoods gewagtesten Prestige-Produktionen, einer der letzten
ganz großen Stummfilme. William Fox hatte den NOSFERATU-Regisseur
nach Amerika geholt, weniger als Produzent denn als Mäzen, um zu
beweisen, dass seine 20th Century Fox auch hehre Kunst
hervorbringen konnte. Murnau hatte praktisch carte blanche -
und nutzte dies: Aus Hermann Sudermanns vergleichsweise
unspektakulärer "Reise nach Tilsit"-Erzählung wurde ein Stadt vs.
Land-Ehebruchs-Spektakel, das von seinem Aufwand schon fast mit
D.W. Griffiths großen Epen mithalten konnte. Die Sets für die
Szenen in der Stadt gehörten zu den größten damals gebauten;
arbeiteten mit allen Tricks und Kniffen forcierter Perspektive und
(unaufdringlich) expressionistischer Design-Kunst - und weil bei
Murnau jede Einstellung bis ins Kleinste perfekt durchgestaltet
sein musste, wurden oft vom selben Set verschiedene Versionen für
verschiedene Kamerawinkel gebaut. Eine Feier der Künstlichkeit, ein
Beweis, dass im Kino die großen Wahrheiten nichts mit "Realismus"
zu tun haben, und ein Höhepunkt des "stummen" Films. (SUNRISE wurde
allerdings bereits mit einer auf Movietone synchron ablaufenden
Filmmusik veröffentlicht. Das Filmmuseum zeigt ihn stumm mit live
Klavierbegleitung.) Es dauerte Jahre, bis das Kino, nachdem ihm das
Singen, Sprechen und Lärmen beigebracht war, wieder eine solche
Poesie entfalten konnte, bis Rhythmus und Bewegung, Licht und
Schatten, Form wieder mit solch künstlerischer Meisterschaft zum
Einsatz gebracht, zum symphonischen Ganzen verschmolzen wurden.
Keine Frage also: Wenn's diese Woche nur ein Film sein soll, dann
dieser! (SUNRISE - A SONG OF TWO HUMANS (OF): Filmmuseum, So.
20:30)
Am selben Tag an selber Stelle kann man dann gleich noch zuvor
bestaunen, was ein sehr anderer Regisseur aus des selben Vorlage
gemacht hat: DIE REISE
NACH TILSIT läuft in Veit Harlans 1939er Verfilmung. Anlass
ist die Präsentation des Buchs "Veit Harlan - Des Teufels
Regisseur" von Frank Noack. Und auch wenn wir das noch nicht
gelesen haben, können wir zumindest mit Sicherheit sagen, dass es
von einem sehr interessanten Subjekt handelt. Im Dritten Reich war
Harlan bekanntlich einer der Vorzeigeregisseure - einer der sein
durchaus ordentlich beherrschtes Handwerk gerne und ganz in den
Dienst der kackbraunen Sache stellte. Und dabei seine schlimmsten
Werke gar nicht mal unbedingt mit den notorischen JUD SÜSS und
KOLBERG vorlegte (in denen man - gerade weil sie ihre Botschaft
verhältnismäßig direkt auszusprechen versuchen - durchaus Brüchiges
finden kann), sondern mit solch eher über Bande spielenden Blut
& Boden-Schnulzen wie IMMENSEE - zum Strahlkotzen! Nach dem Krieg hatte der Herr
dann kurzfristig Probleme - fing aber alsbald (und unter relativ
schnell verklungenen Protesten) wieder mit dem Filmedrehen an und
schenkte dem deutschen Kino weiterhin solch herzerwärmende Werke
wie ANDERS ALS DU UND
ICH, wo fröhlich vor unnatürlichen und krankhaften Dingen wie
Homosexualität (Schockschwerenot!) gewarnt wird. Heissa! Drei Filme
gibt's an diesem Wochenende zur Buch-Neuerscheinung zu sehen -
wem's vor nichts graust und wer unsere Meinung teilt, dass man sich
durchaus des öfteren mit eigenen Augen und Ohren und direkt am
Objekt damit auseinandersetzen sollte, wie dergleichen Dinge
funktionieren, solltemal reinschauen. (FILMMUSEUM: "Veit
Harlan - Des Teufels Regisseur", Fr.-So. 18:00, Titel siehe Programm)
Freilich gibt's auch angenehmere Arten und Weisen, das Wochenende
zu gestalten. Meint zumindest der Herr Oehmann. Und der wird schon
Recht haben. Weil das hat er öfters. (Unlängst allerdings, da hatte
er beispielweise einen Schnupfen.) Und darum übermitteln wir Ihnen
in gewohnter Weise seinen weisen Rat. Der also lautet:
"Samstags Fußball, Sonntag Lindenstraße."
Viel Spaß dabei wünscht Ihnen
Die
Artechock-Redaktion
P.S.: THE INSIDER sollten
Sie auf keinen Fall versäumen!
|