04.10.2001

Spione wie wir

Spy Kids
Gewaltbereite Kinder
(Foto: Miramax)

Robert Rodriguez' SPY KIDS

Von Rüdiger Suchsland

Weniges verun­si­chert die gegen­wär­tige Gesell­schaft tiefer, als ihre eigenen Kinder. Gerade hat Spiel­bergs A.I. das vorge­führt: Die Angst der Erwach­senen vor dem Kind, vor der geheim­nis­vollen Welt, in der es sich bewegt, und zu der ihnen kein Sesam-öffne-Dich Zugang verschafft. Und den Horror, der gerade in der Perfek­tion liegt, mag sie auch noch so liebevoll und harmlos grundiert sein – es scheint der Natur des Kindes zu wider­spre­chen, wenn es auch ohne Erwach­sene auskommt. Zugleich birgt das Motiv des auf sich allein gestellten Kindes immer auch einen versteckten Traum gerade der modernen Erwach­se­nen­welt: Die klamm­heim­liche Hoffnung, aller Verant­wor­tung ledig zu sein, die Rolle des Beschüt­zers und Ernährers abwerfen zu können, und wieder unge­bunden als Indi­vi­duum »sich selbst verwirk­li­chen« zu dürfen, die Frei­heits­ver­spre­chen unserer Zeit tatsäch­lich zu leben.

Filme wie KEVIN ALLEIN ZU HAUS dürfen als unbe­wusster Ausdruck solcher Hoff­nungen verstanden werden, als Traum­spiel einer Gesell­schaft, die immer weniger Zeit und Raum für ihre Kinder hat, und dies durch immer mehr Geld zu kompen­sieren sucht. Weil sich die Defizite nicht einfach leugnen und verdrängen lassen, konstru­iert sich die Erwach­se­nen­welt im Kino die Gestalt eines selbst­be­wusst-wehr­haften Kindes, eines immer opti­mis­ti­schen, nie wirklich ängst­li­chen über­klugen kleinen Erwach­senen – zahllos sieht man in jüngeren Filmen diese Kinder, die eigent­lich keine sind, und die eher noch ihren Eltern aus der Not helfen, als ihrer­seits Hilfe zu brauchen (wie das in älteren Filmen zumindest kurz vor Schluß fast immer der Fall war, und damit die Ordnung der Dinge wieder zurecht rückte).

Roberto Rodriguez' SPY KIDS knüpft genau an derartige Phan­ta­sien an. Seine Helden sind die 9jährige Carmen und der 7jährige Juni Cortez, die zwei Kinder eines Paares aus ehema­ligen Top-Spionen, das sich mit der Fami­li­en­grün­dung zur Ruhe gesetzt hat. Am Beginn des Films erzählt Mutter Ingrid das eigene Leben den Kindern in Form einer Gute-Nacht-Geschichte. Während die Kinder nichts über die wahre Identität ihrer – nach Außen lang­wei­ligen – Eltern ahnen, ist das Märchen für uns Zuschauer bebildert – ein rasanter, gut erzählter Auftakt, der bereits viele Stereo­typen des Agen­ten­films parodiert und den Takt vorgibt für eine erstaun­lich furiose, über­drehte Komödie, die auch sich selbst keinen Augen­blick ernst nimmt, und der es doch an tieferer Bedeutung nicht fehlt.

Kino heißt, dass alles möglich und alles erlaubt ist. Roberto Rodriguez zele­briert diesen Freiraum seit jeher; bei ihm wird er tatsäch­lich Lein­wand­wirk­lich­keit. Dies galt in seinen früheren Filmen, vor allem jenen, die er innerhalb der US-Film­in­dus­trie gedreht hat (FROM DUSK TILL DAWN und zuletzt den weit unter Wert geschätzten THE FACULTY), die vom hoch­re­fle­xiven Spiel mit den Genres, der Verwei­ge­rung gegenüber Hollywood-Zwängen geprägt sind.

Diesmal also der Agen­ten­film. Nach neun Jahren werden die Eltern Ingrid und Gregorio Cortez vom Geheim­dienst reak­ti­viert. Doch offenbar sind ihre alten Fähig­keiten etwas einge­rostet, schnell werden sie von dem Glam-Pop-Schurken Fegan Floop gefan­gen­ge­nommen. Dieser bringt Agenten reihen­weise zum Verschwinden und hält sie in über­di­men­sio­nalen Kinder­puppen gefangen; die Kinder des Landes mani­pu­liert er per TV-Show, sein Ziel ist, wie immer in solchen Fällen, die Welt­herr­schaft. Erringen möchte er diese mithilfe einer Armee aus Robo­ter­kin­dern, das einzige, das ihm dafür noch fehlt ist das »dritte Gehirn«, eine Super­waffe, in deren Besitz sich Gregorio befindet.
Das alles hört sich höchst albern an, und ist es auch. Aber es handelt sich um eine fröhliche, heitere, unbe­schwerte, immer unauf­dring­liche Albern­heit, die die Zuschauer trotzdem nie für dumm verkauft. Der Humor von SPY KIDS ist eine präzise Mischung aus Subti­lität und Scherzen der gröberen Sorte, aus Film­zi­taten, Witzen, die nur Erwach­sene verstehen und Spässen, bei denen die Kinder vor Vergnügen glucksen werden, auch wenn die Erwach­senen mit den Augen rollen.

Dabei ist dieses rasante Spiel mit – vor allem – James-Bond-Klischees auch noch intel­li­gent. Denn unge­achtet anderer Aspekte dreht sich alles letztlich in sensibler und anre­gender Weise um das Verhältnis von Erwach­senen- und Kinder­welt. So verrät SPY KIDS in Komö­di­en­form etwas über die Träume von Eltern, die gern in ihren Beruf zurück­wollen, den sie für die Familie geopfert haben. Ebenso geht es aber um Kinder, die über die besorgten Ratschläge ihrer Eltern längst hinaus sind – oder manchmal nur glauben, es zu sein. Und die Idee, Erwach­sene ausge­rechnet in Kinder­puppen einzu­sperren, ist eben mehr als nur ein Gag, ebenso Rodriguez' Kinder­ro­boter – ein auch ohne A.I.-Erfahrung beklem­mendes Bild.
Nie verrät Rodriguez hier das Niveau seines Stoffes: Denn wenn sich die Erwach­senen in der Realität vor den Zwängen des Alltags mehr und mehr in die künst­li­chen Paradiese der Spaß­ge­sell­schaft, also in bunt-fröhlich-tumbe Kinder­welten flüchten, dann müssen die Kinder zwangs­läufig in Rollen der Erwach­senen schlüpfen. Eine Annährung der Welten, die zwar viel Komö­di­en­stoff bietet, darüber hinaus aber ein Stück ernster Wirk­lich­keit zum Thema macht: Infan­ti­li­sie­rung und parallel das Wieder-Verschwinden der Kindheit.
Am Ende steht gegen­seitig erhöhte Achtung zwischen Kindern und Eltern, »family values«, die aber nie von oben herab oder per erhobenem Zeige­finger gepredigt, sondern sozusagen durch die Hintertür vermit­telt werden.

Jenseits von all dem ist SPY KIDS aber zual­ler­erst eine höchst erfri­schende Pop-Komödie, ein bunter Augenspaß, 90 Minuten Kino­ver­gnügen pur.