Künstliche Stahlgewitter |
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Jean Jeunets Mathilde – Eine große Liebe | ||
(Foto: Deutsche Kinemathek | Jean Jeunets) |
Reenactment gab es schon immer. Die heute hochumstrittene Nachstellung historischer Ereignisse mit Spielszenen in vermeintlich »objektiven« Dokumentarfilmen war in den 20er Jahren ein völlig übliches Stilmittel. Nur etwa 12 Prozent, bestenfalls knapp 20 Prozent des Bildmaterials alter Dokumentarfilme über den Ersten Weltkrieg zeigt tatsächliche Kriegshandlungen, der Rest der zum Teil sehr spektakulären Bilder wurde später nachgestellt oder bei Manövern aufgenommen. Oder es stammte gleich aus Spielfilmen. Wenn man Glück hatte machten sogar die Beteiligten dabei mit, etwa der französische Marshall Philippe Petain, der Held von Verdun (»Sie werden nicht durchkommen!«), der sich in den zwanziger Jahren für Filmaufnahmen nochmal die alte Uniform anzog und an Originalschauplätzen posierte. Solche Entdeckungen waren kleine Glanzstücke auf einem mit Geschichtswissenschaftlern und Filmhistorikern hervorragend besetzten, zweitägigen Symposium der Deutschen Kinemathek und des Berliner Zeughauskinos, das sich mit dem »Ersten Weltkrieg im Film« beschäftigte – zum Auftakt einer Filmreihe, die bis Ende November im Zeughauskino seltene Filme zum Weltkrieg präsentiert.
Vor 90 Jahren wurde noch gekämpft. Erst ab dem 11. November 1918 waren die Kampfhandlungen in Europa wirklich zuende. Da war der Kaiser aus Berlin schon geflohen, und im Deutschen Reich tobte der Kampf um die neue Ordnung. Zehn Millionen Tote hatten das Massenschlachten gekostet, und es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass dieser Krieg, trotz allem was seitdem an Schrecklichkeiten geschah, immer noch das größte kollektive Trauma der Europäer darstellt, das alles, was folgte, ohne diesen Konflikt, der in Frankreich und Großbritannien immer noch »der große Krieg« heißt, nicht verständlich ist.
Dieser Tage wird wieder erinnert, aber auch die letzten Zeitzeugen sind verschwunden. Was bleibt, jenseits des Geschriebenen, was der authentischen Erfahrung vermeintlich am nächsten kommt, sind die Bilder. Denn dieser erste moderne Krieg war auch der erste für das neue Medium des bewegten Bildes. Aber welche Filmbilder gehen uns nun durch den Kopf, wenn wir an den Ersten Weltkrieg denken? Zuallererst natürlich der Grabenkampf, Soldaten mit ängstlichen Gesichtern vor dem Sturmangriffe, dann heraus, über Stacheldraht springend, und reihenweise, »wie die Fliegen« zu Boden gemäht. Aufnahmen von Riesengeschützen, deren Bedienung mindestens zehn Mann erfordert, der ununterbrochene Hagel der Geschosse, die Explosionen auf dem Feld. Im Hinterland kilometerlange Nachschubtransporte, Pferde neben absurd verfremdet aussehenden Panzern, Menschen mit Bajonetten und großen Gasmasken, wie Aliens wirkend; vielleicht ein paar deutsche Offiziere, gestikulierend, mit Pickelhauben. Am Ende dann die Luftaufnahmen von den Mondlandschaften in Ostfrankreich. Und die vielen, vielen Toten, in Granattrichtern der Erde.
Der Charakter dieser Bilder und ihr Weiterwirken, ihre Verwandlung und politische Instrumentalisierung war das Thema der Tagung. Die ersten Illusionen zerstörte bereits gleich zu Beginn Jeanpaul Goergen (Berlin). Anhand britischer Filme, angefangen mit Werken, die noch während des Kriegs entstanden, bis hin zu durchaus anspruchsvollen »Channel 4«-Produktionen der jüngsten Zeit illustrierte Goergen den »Bedeutungsverlust des historischen Materials«, der bereits sehr früh einsetzte. Die erste Frage ist die nach der Echtheit der Aufnahmen. Denn trotzdem 1914 das Kino bereits 20 Jahre alt war, waren es nur jeweils eine Handvoll Kameramänner, die auf jeder Seite wirklich an vorderster Front waren. Das hat mit zunächst mit Geheimhaltung und Propaganda zu tun – schon damals waren Berichterstatter »embedded«. Aber Filmaufnahmen im Schützengraben waren auch ganz einfach hochgefährlich. Die moderne Filmwissenschaft versucht nun in alten Aufnahmen Kamerapositionen zu rekonstruieren, und beschäftigt mitunter sogar Experten im Lippenablesen, um gesprochene Worte aus Stummfilmaufnahmen hörbar zu machen, und so die Authentizität der Bilder zu klären – mit den oben bereits erwähnten, ernüchternden Ergebnissen. Hinzu kam, dass Filmemacher recht ungerührt Aufnahmen von 1917 mit solchen von 1914 kombinierten, um ein Ereignis von 1916 darstellen – wenn es gerade »passte«. So verschmolz die Grenze zwischen Fakt und Fiktion schon früh, zudem waren Kriegsfilme jeder Gattung von Anfang an Mittel der Propaganda und nach dem Krieg Arbeit am jeweiligen Mythos.
Vor allem versuchte man das Bild des Krieges für die Heimatfront zu schönen, die deprimierende Wirklichkeit zu verstellen. Besonders in Deutschland waren Fliegerasse wie der berühmte »Rote Baron« Richthofen die großen Träger für den Propaganda-Mythos eines ehrenhaft geführten sauberen Krieges – der doch nur die schmutzige Realität der Massenschlachten, wo täglich Zehntausende verbluteten, und auch die Zivilbevölkerung keineswegs verschont blieb, verschleiern sollte. Immer wieder inszenierten Luftkampffilme den Krieg als Spektakel, und von Anfang an war der – nach der noch frischen realen Kriegserfahrung eher ungeliebte – Kriegsfilm mit melodramatischen Rahmenhandlungen, mit Liebes- und Familiengeschichten verknüpft.
Den Krieg sinnlich angemessen und ohne Verharmlosung darstellen konnte der Stummfilm allerdings sowieso nicht, argumentierte Corinna Müller (Hamburg) in einem hochinteressanten Vortrag über die Kriegsästhetik des frühen Tonfilms. Während der Stummfilm eher hilflos mit Musikbegleitung Maschinengewehrfeuer und Bombenhagel nachzuahmen suchte, hatte der Tonfilm im Krieg ein kongeniales Sujet gefunden. Zwar ist auch hier nichts realistisch – selbst heutige digitale Tonaufnahmen erreichen nicht einmal annährend die Dezibelzahl einer Granatexplosion –, doch ermöglicht der Ton den Verzicht auf gewisse Stilisierungen. Müller zeigte eine gerade in ihrer Reduktion großartige Kampfszene aus G.W.Pabsts Westfront 1918: Das Bild verharrt minutenlang auf einem Graben, die Szene ist entpersonalisiert, weil man plötzlich aus der Distanz das Kämpfen und Sterben sieht, und die Geschichte wird völlig durch die Tonspur erzählt.
Es waren diese Spielfilme der 20er und 30er Jahre, etwa auch Lewis Milestones glänzende Remarque-Verfilmung Im Westen nichts Neues (1930) oder Victor Trivas Niemandsland (1931) gehörten, die die Darstellungsmuster für fast alle nachfolgenden Kriegsfilme vorgaben, und die Kriegs-Ikonographie des Kinos begründeten. Während die auch diskutierten Weltkriegs-Dokudramen des deutschen Fernsehens, in beschämender Weise vor den Vorgaben der »Primetimefähigkeit« kapitulieren, Dokumente schamlos »bearbeiten«, nahezu jeden Vorgang zum kleinen Melo heruntersentimentalisieren und all dies dann mit ihrer angeblichen »Darstellungskompetenz« (Sönke Neitzel) rechtfertigen, vermögen es Spielfilmregisseure von Kubrick bis Spielberg und Malick dem Zuschauer die Erfahrung des Krieges zumindest ein Stück näher zu bringen. Auch diese Geschichte fing mit dem Ersten Weltkrieg an.
Publikation:
Rainer Rother, Karin Herbst-Meßlinger (Hg.), Der Erste Weltkrieg im Film, Edition Text + Kritik, München 2009
Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek, 280 Seiten
ISBN 978-3-86916-030-6