Let's Make Opinion – Wenn in Dokumentarfilmen Meinungen wichtiger als Fakten werden |
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Millionen, Billionen, Billiarden, Trillionen? |
Unter den zahlreichen Subgenres, die der Dokumentarfilm in den letzten Jahren hervorgebracht hat, ist das der „Antiglobalisierungsdoku“ eines der erfolgreichsten. Erkennen kann man diese Filme an ihrer Themenwahl (Klimawandel, Armut, Umweltzerstörung, Krieg, etc.), an ihrer (nicht immer offen ersichtlichen) Parteilichkeit und der daraus resultierenden Verwendung von Erzählmitteln, die auch vor Populismus, Agitprop und Vereinfachung nicht zurückschrecken, die somit ihr Ziel (den Zuschauer aufzurütteln, aufzuregen, anzustacheln) über die bisherigen Prinzipien des objektiv beobachtenden Dokumentarfilms stellen.
Bis zu einem gewissen Grad ist es eine Frage des persönlichen Geschmacks, ob man sich einen Dokumentarfilm anschaut, um eine (wenn auch nicht unbedingt Wahrheit so doch) Wahrhaftigkeit hinter dem dargestellten Thema zu entdecken oder, um sich seine bereits (latent) bestehende Meinung zur Schlechtigkeit der Welt bestätigen zu lassen.
Aus rein cineastischer Sicht muss man aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese Art von Filmen strickt vom klassischen
Dokumentarfilm-Ideal zu trennen sind.
Wichtig ist diese Abgrenzung, da der Dokumentarfilm bis vor einigen Jahren ein Garant für unabhängige und sachliche Darstellung der Realität war, weshalb ihm eine ähnliche Glaubwürdigkeit wie dem seriösen Journalismus zugesprochen wurde.
Filme wie aktuell Let’s Make Money ziehen nun großen Vorteil aus dieser Reputation, ohne es wirklich zu verdienen.
Wer Erwin Wagenhofers vorhergehenden Film We Feed the World gesehen hat, konnte bereits dort studieren, wie man die Wahrheit im eigenen Sinne gestaltet, ohne dabei explizit lügen zu müssen. Da sind die Bösen überheblich, egoistisch und durchgeknallt, die Guten dagegen hilflos, vernünftig und verzweifelt, die Missstände sind eindeutig, die Lösungen einfach.
Weil mich Populismus
grundsätzlich nervt, egal aus welcher Ecke er kommt, habe ich mir Wagenhofers neues Werk Let’s Make Money bewusst nicht angeschaut, da alle Anzeichen darauf hindeuteten, es hier im Prinzip mit dem selben Film zu tun zu haben, nur dass diesmal die Finanzwelt und nicht die Lebensmittelindustrie der totalen Perversion überführt wird.
Allein der Trailer zum neuen Film zeigt nun symptomatisch, wie Wagenhofer und Co. den von ihnen gewünschten Effekt erzielen.
Es geht dabei um eine kleine Szene aus dem Film, in der der Steuergerechtigkeitsaktivist John Christensen davon spricht, welch enormes Privatvermögen (vermutlich) in diversen Steuerparadiesen schlummert und so der Sozialgemeinschaft entzogen ist. »11,5 trillions Dollar«, sagt Christensen auf englisch und »11,5 Trillionen Dollar«
übersetzen dazu die Untertitel.
»Wahnsinn!«, denkt man unweigerlich. »Was für ein Betrag und was für eine riesige Schweinerei!«
Dummerweise ist aber im Englischen (vor allem im amerikanischen Sprachgebrauch) eine trillion keineswegs das gleiche wie eine deutsche Trillion, genau so wenig wie die englische billion im Deutschen einer Billion entspricht, sondern einer Milliarde. 11,5 trillion sind deshalb in unserer Sprache 11,5 Billionen.
Ist das jetzt schlimm? Was macht es schon für einen Unterschied? Millionen, Billionen, Billiarden, Trillionen? Wer kennt sich da noch aus, wer kann sich unter diesen Zahlen überhaupt noch etwas vorstellen? Geht es nicht um die grundsätzliche Aussage, nämlich dass unvorstellbare Geldmengen an der Steuer vorbeigeschleust werden? Warum also auf einem kleinen Übersetzungsfehler herumreiten?
Nun, weil dieser „kleine“ Fehler eine große Wirkung hat und sein Auftreten
mehr ist, als nur eine unbedeutende Nachlässigkeit.
Wer den Filmtitel und das Wort Trillionen googelt, stellt schnell fest, mit welcher unglaublichen Selbstverständlichkeit die Zahl der 11,5 Trillionen Dollar sowohl von der Berichterstattung zum Film, als auch von diversen Blogs und Chats übernommen und einschlägig kommentiert wurde. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis diese Zahl ihren Weg in die allgemeine Diskussion findet und sie einem plötzlich von allen möglichen Leuten im Brustton der vollsten Überzeugung als Beleg ihrer Argumente um die Ohren geknallt wird und man sich wieder mal wundert, woher solche angeblich fundierten Daten kommen.
Aber woran liegt das, dass diese offensichtlich absurde Zahl (zur Verdeutlichung: 1 Trillion Dollar sind das 1.000.000-fache von einer Billionen Dollar, also des wahnwitzigen Betrags, den Amerika zur Rettung seiner Banken aufwendet) so ohne weiteres hingenommen wird? Weil sich keiner was darunter vorstellen kann? Weil das alles viel zu abstrakt ist?
Nur zum geringen Teil. Es liegt vor allem daran, dass diese Zahl in einem Dokumentarfilm vorkommt und man das dort gesagte
grundsätzlich schon mal für richtig hält, siehe oben.
Und es liegt daran, dass die Zahl einfach zu verführerisch ist. Wo in den Nachrichten die Milliarden und Billionen nur so rumfliegen, da ist die Trillion einfach noch geiler, die noch bessere Nachricht, das noch größere Erregungspotential. Genau aus diesem Grund dürfte Wagenhofer der Fehler auch unterlaufen sein.
Bei einer Information, die so wunderbar ins Konzept des eigenen Films passt, die beim Zuschauer mit großer Wahrscheinlichkeit den gewünschten Unglauben und die
erhoffte Empörung auslöst, die so „sexy“ ist, da kann man als Regisseur schon mal „betriebsblind“ werden und Fünfe grade bzw. eine Billion eine Trillion sein lassen.
Ein schlichtes Versehen zur Entschuldigen vorzuschieben, lässt den Regisseur leider in keinem besseren Licht dastehen. Denn es geht hier nicht um den Fehler in einem nachträglich von einer fremden Firma eingefügten Untertitel zum Einsatz im Ausland, sondern um die vom Regisseur persönlich gestaltete Originalversion.
Und nicht nur dort taucht der Fehler auf, sondern eben auch im Trailer (gewissermaßen dem Aushängeschild des Films) sowie auf der offiziellen
Internetnetseite.
Hat Wagenhofer das einfach übersehen? Wohl nur, wenn er während des Herstellungs- und Vermarktungsprozesses dauerhaft die Augen und Ohren fest verschlossen hatte.
Ist es ihm dann vielleicht nicht aufgefallen, ist er am Ende also auch ein Opfer der unvorstellbar großen Zahlen geworden? Schon möglich, aber sollte nicht gerade er, der hinter die Kulissen schaut, der in die Materie eingetaucht ist, der uns das Unvorstellbare begreiflich machen will, vor solchen Täuschungen gefeit sein?
Wo bleibt da die klassische Arbeit eines Dokumentarfilmers, der das, was er in seinen Film hineinnimmt (zumindest halbwegs) auf seine Plausibilität
überprüft? In dem fraglichen Gespräch errechnet der Interviewpartner mit einer einfachen Formel, welche theoretischen Steuern (rund 250 Milliarden) den Staaten dadurch entgehen. Hätte Wagenhofer sich fünf Minuten Zeit genommen, das einmal am Computer nachzurechnen, hätte er den Fehler zwangsläufig erkennen müssen.
Dass er sich gerade mit Zahlen vertut, ist um so erstaunlicher, da der Film (wie übrigens nahezu alle Antiglobalisierungsdokus) eine leidenschaftliche
Zahlenhuberei zur Belegung seiner Argumente betreibt.
Wie man es dreht und wendet, die Sache hinterlässt einen schlechten Nachgeschmack.
Das alles ist wohlgemerkt keine richtige Kritik zum Film Let’s Make Money (den ich nach wie vor nicht gesehen haben), sondern die Anmerkung zu einem kleinen Aspekt und dem gesamten dahinter stehenden Konzept.
Niemand soll sich deshalb davon abhalten lassen, diesen Film anzuschauen und ihn möglicherweise gut zu finden.
Man sollte ihm nur nicht blind vertrauen und sich immer vor Augen
halten, dass es dem Regisseur weniger um die objektive Darstellung eines Sachverhalts, als vielmehr um die Vermittlung einer Meinung geht.