Wir wünschen unseren Lesern frohe Weihnachten! |
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Eine ganz eigenwillige Weihnachtsgeschichte: Albert Serras El cant dels ocells |
Von Dunja Bialas
Letztes Jahr haben wir an dieser Stelle darüber gerätselt, was eigentlich aus dem guten alten Weihnachtsfilm geworden ist, den es traditionell gab. Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel lautete der Versuch der Constantin, dieses Jahr die Herzen der Kinogänger auf Weihnachten einzustimmen. Der Film floppte komplett an der Kinokasse, bei Filmstart wollten gerade mal 40.000 Zuschauer den Film sehen, und das in 436 Kinos. Macht 91 Zuschauer pro Filmkopie. Auf eine ganze Woche verteilt! (Q: Blickpunkt Film)
Dieses Jahr haben wir darüber nachgedacht, warum es manchen Filmen so schlecht ergeht. Die Produktion der Constantin ist ein Gegenbeispiel für unsere These, dass mit viel Geld viele Kinos geblockt werden können und dadurch der solchermaßen gefeaturete Film fast zwangsläufig zu einem guten Einspielergebnis gelangt. Im Grundsatz stimmt das natürlich immer noch, aber in Einzelfällen kann auch mal die Macht des mündigen Kinobesuchers und der Mundpropaganda an der Kinokasse ihre Wirkung zeigen.
Dieses Jahr schlossen in München zwei alteingesessene Arthouse-Kinos. Im Januar das Tivoli Theater in der Neuhauserstraße, das vermutlich von dem einen oder anderen zuletzt besucht wurde, als dort Amadeus von Milos Forman lief, also vor fast 30 Jahren. Der Film wurde der Blockbuster des Tivoli, der mit 245.000 Besuchern in 64 Wochen für einen immer vollen Saal sorgte. Macht fast 4000 Besucher in einer Woche (Q: Pressmar Kinos)! Der Rest des Tivoli Theaters ist Geschichte und geht irgendwo unter zwischen neuen Jeans- und Handyläden, steigenden Mietpreisen und dahin eilenden Konsumenten, die gar nicht mehr wussten, dass sich inmitten der Fußgängerzone ein äußerst schmuckes 50er-Jahre-Kino befand.
Kein halbes Jahr später schloss das Filmcasino. Hier war aber keinesfalls ein Kino in Vergessenheit geraten. Es vermeldete steigende Besucherzahlen, erfreute sich schöner Premieren und befand sich, in der Nachbarschaft zur Schumann's Bar, in bester Gesellschaft. Es war irgendwie schick, dorthin zu gehen. Als wegen der in München üblicherweise steigenden Mieten die Pacha-Betreiber Mathias Scheffel, Constantin Wahl und Andreas Haidinger das Filmcasino als Kino-fremde Investoren übernahmen, gaben sie dem Kino noch ein Jahr Zeit, um nach 100.000 Euro Verlust (Q: SZ vom 17.12.2011) zu erkennen: »Wir können den Betrieb nur aufrecht erhalten, wenn wir ihn im Sommer mit Gastronomie subventionieren.« Freischankflächen hätten hergemusst, und da die Stadt diese nicht genehmigte, wurde aus unternehmerischem Trotz das Kino rausgeschmissen.
Jetzt versuchen sich die Betreiber mit einem »Bar-Restaurant-Konzept mit Spaßfaktor«. Der erste Versuch, ein »prêt-à-dîner« mit zwei »Vorstellungen« pro Abend, wird bereits mit diesem Jahr enden: »Das mit den zwei Seatings um 19 und 21 Uhr ist den Münchnern nicht vermittelbar«, so Scheffel, aber es gab »Berlin-Mitte-Style« mit »Großstadt-Flair« (Q:tz vom 16.12.2011). Das klingt nach 1A-Beschönigungs-Sprech. Aber nicht zu früh schadengefreut: Es soll weitergehen mit der Spaßgastronomie unter dem Label »Filmcasino«. Uns Kinogehern blutet das Herz.
Wenigstens sind die Stühle aus dem Filmcasino in das neue Monopol in der Schleißheimer Straße gewandert, sozusagen im Kinorecycling. Das Monopol, das aus seinen Räumen an der Münchner Freiheit weichen musste, konnte durch einen finanziellen und baulichen Kraftakt in einer ehemaligen Kegelbahn wie Phönix aus der Asche neu entstehen. Immerhin ein schönes Ällabätsch für all die Fremd-Investoren, die bei Kino nur an Kasse denken.
Leider ist das Kinosterben in München noch nicht vorbei, wie wir dieser Tage erfuhren (darüber demnächst mehr). Aber man soll nicht nur an die schlechten Zeiten denken und daran, was alles verschwindet, denn München ist eine außerordentlich pulsierende Kinostadt! Und deshalb werden wir im neuen Jahr jeden Monat ein Kino vorstellen, das uns irgendwie aufgefallen ist. Weil es umgezogen ist. Weil es endlich bequeme Sessel bekommt. Weil dort auch Konzerte stattfinden. Weil es dort die beste Bierauswahl gibt. Weil es 100 Jahre alt wird. Weil es dort so toll nach Holzvertäfelung riecht. Und weil die Vorführer dort einfach die besten sind!
Unser Bild stammt übrigens aus El cant dels ocells, eine wortkarge und handlungsarme Neuerzählung der Weihnachtsgeschichte vom katalanischen Regisseur Albert Serra. Der Titel, auf deutsch »Der Gesang der Vögel«, bezieht sich auf ein altes katalanisches Weihnachtslied. Mehr als dreißig kleine und große Vogelarten feiern dort die Geburt Christi, u.a. der Sperling, der Hänfling, die Nachtigall, die Kohlmeise und der Wiedehopf.
»Die Kohlmeise sagt:
Es ist nicht mehr Winter und auch nicht Sommer.
Es ist nur noch Frühling. Eine Blume ist geboren,
die einen solchen Duft verströmt,
dass dieser die ganze Erde erfüllt.
Der Wiedehopf kommt und pfeift: Diese Nacht ist gekommen der König der allergrößten Würde. Die Turteltaube und die Taube reizten alle zur Verwunderung durch ihr Singen ohne jede Traurigkeit.
Die Zwergohreule und auch der Steinkauz, als sie die Sonne aufgehen sehen, ziehen sich verwirrt zurück; der Waldkauz und der Uhu sprechen: Wir können nicht schauen; solcher Glanz versetzt uns in Verwunderung.«
Es lebe die Artenvielfalt, in Natur und Kultur!
Wir wünschen unseren Lesern frohe Weihnachten!
Dunja Bialas für die Artechock-Redaktion