22.12.2011

Wir wünschen unseren Lesern frohe Weih­nachten!

Albert Serras »El cant dels ocells«
Eine ganz eigen­wil­lige Weih­nachts­ge­schichte:
Albert Serras El cant dels ocells

Die Kinos, der Konsument und eine Bar mit Spaß­faktor: Warum auch die Gastro­nomie nicht das Heil­mittel aller Dinge ist

Von Dunja Bialas

Letztes Jahr haben wir an dieser Stelle darüber gerätselt, was eigent­lich aus dem guten alten Weih­nachts­film geworden ist, den es tradi­tio­nell gab. Als der Weih­nachts­mann vom Himmel fiel lautete der Versuch der Constantin, dieses Jahr die Herzen der Kino­gänger auf Weih­nachten einzu­stimmen. Der Film floppte komplett an der Kinokasse, bei Filmstart wollten gerade mal 40.000 Zuschauer den Film sehen, und das in 436 Kinos. Macht 91 Zuschauer pro Filmkopie. Auf eine ganze Woche verteilt! (Q: Blick­punkt Film)

Dieses Jahr haben wir darüber nach­ge­dacht, warum es manchen Filmen so schlecht ergeht. Die Produk­tion der Constantin ist ein Gegen­bei­spiel für unsere These, dass mit viel Geld viele Kinos geblockt werden können und dadurch der solcher­maßen gefea­turete Film fast zwangs­läufig zu einem guten Einspiel­ergebnis gelangt. Im Grundsatz stimmt das natürlich immer noch, aber in Einzel­fällen kann auch mal die Macht des mündigen Kino­be­su­chers und der Mund­pro­pa­ganda an der Kinokasse ihre Wirkung zeigen.

Dieses Jahr schlossen in München zwei altein­ge­ses­sene Arthouse-Kinos. Im Januar das Tivoli Theater in der Neuhau­ser­straße, das vermut­lich von dem einen oder anderen zuletzt besucht wurde, als dort Amadeus von Milos Forman lief, also vor fast 30 Jahren. Der Film wurde der Block­buster des Tivoli, der mit 245.000 Besuchern in 64 Wochen für einen immer vollen Saal sorgte. Macht fast 4000 Besucher in einer Woche (Q: Pressmar Kinos)! Der Rest des Tivoli Theaters ist Geschichte und geht irgendwo unter zwischen neuen Jeans- und Handy­läden, stei­genden Miet­preisen und dahin eilenden Konsu­menten, die gar nicht mehr wussten, dass sich inmitten der Fußgän­ger­zone ein äußerst schmuckes 50er-Jahre-Kino befand.

Kein halbes Jahr später schloss das Film­ca­sino. Hier war aber keines­falls ein Kino in Verges­sen­heit geraten. Es vermel­dete steigende Besu­cher­zahlen, erfreute sich schöner Premieren und befand sich, in der Nach­bar­schaft zur Schumann's Bar, in bester Gesell­schaft. Es war irgendwie schick, dorthin zu gehen. Als wegen der in München übli­cher­weise stei­genden Mieten die Pacha-Betreiber Mathias Scheffel, Constantin Wahl und Andreas Haidinger das Film­ca­sino als Kino-fremde Inves­toren über­nahmen, gaben sie dem Kino noch ein Jahr Zeit, um nach 100.000 Euro Verlust (Q: SZ vom 17.12.2011) zu erkennen: »Wir können den Betrieb nur aufrecht erhalten, wenn wir ihn im Sommer mit Gastro­nomie subven­tio­nieren.« Frei­schank­flächen hätten herge­musst, und da die Stadt diese nicht geneh­migte, wurde aus unter­neh­me­ri­schem Trotz das Kino raus­ge­schmissen.

Jetzt versuchen sich die Betreiber mit einem »Bar-Restau­rant-Konzept mit Spaß­faktor«. Der erste Versuch, ein »prêt-à-dîner« mit zwei »Vorstel­lungen« pro Abend, wird bereits mit diesem Jahr enden: »Das mit den zwei Seatings um 19 und 21 Uhr ist den Münchnern nicht vermit­telbar«, so Scheffel, aber es gab »Berlin-Mitte-Style« mit »Großstadt-Flair« (Q:tz vom 16.12.2011). Das klingt nach 1A-Beschö­ni­gungs-Sprech. Aber nicht zu früh scha­den­ge­freut: Es soll weiter­gehen mit der Spaßgas­tro­nomie unter dem Label »Film­ca­sino«. Uns Kino­ge­hern blutet das Herz.

Wenigs­tens sind die Stühle aus dem Film­ca­sino in das neue Monopol in der Schleißheimer Straße gewandert, sozusagen im Kino­re­cy­cling. Das Monopol, das aus seinen Räumen an der Münchner Freiheit weichen musste, konnte durch einen finan­zi­ellen und baulichen Kraftakt in einer ehema­ligen Kegelbahn wie Phönix aus der Asche neu entstehen. Immerhin ein schönes Älla­bätsch für all die Fremd-Inves­toren, die bei Kino nur an Kasse denken.

Leider ist das Kinosterben in München noch nicht vorbei, wie wir dieser Tage erfuhren (darüber demnächst mehr). Aber man soll nicht nur an die schlechten Zeiten denken und daran, was alles verschwindet, denn München ist eine außer­or­dent­lich pulsie­rende Kinostadt! Und deshalb werden wir im neuen Jahr jeden Monat ein Kino vorstellen, das uns irgendwie aufge­fallen ist. Weil es umgezogen ist. Weil es endlich bequeme Sessel bekommt. Weil dort auch Konzerte statt­finden. Weil es dort die beste Bier­aus­wahl gibt. Weil es 100 Jahre alt wird. Weil es dort so toll nach Holz­ver­tä­fe­lung riecht. Und weil die Vorführer dort einfach die besten sind!

Unser Bild stammt übrigens aus El cant dels ocells, eine wortkarge und hand­lungs­arme Neuer­zäh­lung der Weih­nachts­ge­schichte vom kata­la­ni­schen Regisseur Albert Serra. Der Titel, auf deutsch »Der Gesang der Vögel«, bezieht sich auf ein altes kata­la­ni­sches Weih­nachts­lied. Mehr als dreißig kleine und große Vogel­arten feiern dort die Geburt Christi, u.a. der Sperling, der Hänfling, die Nach­ti­gall, die Kohlmeise und der Wiedehopf.

»Die Kohlmeise sagt:
Es ist nicht mehr Winter und auch nicht Sommer.
Es ist nur noch Frühling. Eine Blume ist geboren,
die einen solchen Duft verströmt,
dass dieser die ganze Erde erfüllt.

Der Wiedehopf kommt und pfeift: Diese Nacht ist gekommen der König der aller­größten Würde. Die Turtel­taube und die Taube reizten alle zur Verwun­de­rung durch ihr Singen ohne jede Trau­rig­keit.

Die Zwerg­ohreule und auch der Steinkauz, als sie die Sonne aufgehen sehen, ziehen sich verwirrt zurück; der Waldkauz und der Uhu sprechen: Wir können nicht schauen; solcher Glanz versetzt uns in Verwun­de­rung.«

Es lebe die Arten­viel­falt, in Natur und Kultur!

Wir wünschen unseren Lesern frohe Weih­nachten!

Dunja Bialas für die Artechock-Redaktion