Das Kino: Rette es, wer kann! |
||
Über uns das All mit der großartigen Sandra Hüller |
Von Dunja Bialas
Rüdiger Suchsland hat sich mal wieder aufgeregt. Hier, an dieser Stelle, gerade mal eine Woche ist es her. In Folge 38 seiner Cinema Moralia mit den bisweilen wohltuend bärbeißigen Betrachtungen zum aktuellen Kinogeschehen mokierte er sich über die Kritik eines Kollegen zu Über uns das All. Uwe Mies über den Film, das sei hier noch einmal zitiert: »Kopflastkino ... Schomburgs Film verrät eine Menge Talent, aber kein Gespür, das legitime Unterhaltungsbedürfnis des Zuschauers unterhalb elitärer Autorenmesslatten zu befriedigen. Statt sinnlichen Nervenkitzels im Stil von Hitchcock, Truffaut oder DePalma gibt es eine akademische Versuchsanordnung nach Berliner Schule.«
Suchslands Replik darauf: »Warum sollte man als Kritiker eigentlich das 'Unterhaltungsbedürfnis des Zuschauers' gegen ›elitäre Autorenmesslatten‹ und ›akademische Versuchsanordnung‹ verteidigen? Angenommen mal, das stimmte überhaupt und wäre keine depperte Phrasendrescherei – geht es denn immer um Unterhaltung? Kritik sollte Verständnis für das Schwierige, Komplizierte wecken, für das, was sich nicht von selbst versteht. Kritik sollte Filme gegen das Publikum und nicht das Publikum gegen Filme verteidigen. Schon gar nicht irgendein 'Unterhaltungsbedürfnis' gegen 'Akademisches'; was ja sowieso nur ein Codewort ist für intellektuell. Damit wird dann 'Unterhaltung' unter der Hand zum Codewort für unintellektuell, womit man ihr auch keinen Gefallen tut.«
Diese kleine Auseinandersetzung zeigt bestechend die Demarkationslinie auf, an der wir uns als Kritiker und Zuschauer fortwährend befinden: Unterhaltung vs. intellektuelle Spaßfeindlichkeit, Kritikerwesen vs. die Abstimmung an der Kinokasse durch das Publikum. Hier der isolierte Kopf, dort die Masse der Füße. Das existierende Phänomen, dass von der Kritik gut besprochene Filme an der Kinokasse oftmals untergehen, hat Günter Rohrbach, Ex-Präsident der Deutschen Filmakademie, 2007 zu einem Artikel im »Spiegel« hinreißen lassen, mit der Überschrift: »Das Schmollen der Autisten«. Kritiken werden gar nicht gelesen, so lautete damals sein Fazit über die »eitlen Selbstdarsteller«, die mit »geballtem Missmut in der Dunkelkammer« sitzen. Große Filme (gemeint sind etatträchtige Produktionen) gingen nicht unter, nur weil die Kritik sie verreißt. Und kleine Filme (gemeint sind minder-etaige Produktionen) seien nicht besser besucht, nur weil die Kritiker sie lobten. Deshalb habe der Filmkritiker auch keine Existenzberechtigung.
Trotz dieses offensichtlichen Hasses, der hier einer ganzen Berufsgruppe entgegengeschleudert wird, bleibt die Grundfrage interessant: Wieso eigentlich haben es die nicht-mainstreamigen Filme so schwer an der Kinokasse? Nicht-mainstreamig: nennen wir sie Arthouse-Filme. Und die dazugehörenden Abspielstätten Arthouse-Kinos. Die Antwort liegt irgendwie auf der Hand, und da fragt man sich schon, wieso ein Günter Rohrbach niemals öffentlich über Produktionsbedingungen, Werbeetats und Anzahl der Filmkopien beim Filmstart nachgedacht hat. Und dass schiere Omnipräsenz zwangsläufig zu einem größeren Response führt, ja auch führen muss, denn sonst wäre der Aufwand nicht zu rechtfertigen.
Ein Beispiel aus den jüngsten Kino-Charts: Auf Platz 1 stand noch vorletzte Woche Die drei Musketiere. Der internationalen Produktion wurden allein vom DFFF (Deutscher Filmförderfonds) 7,5 Millionen Euro an »Fördersumme« zugeschossen. Hier gehe es um »die Auslastung der Studios und filmtechnischer Betriebe und entsprechende Arbeitsplätze in Deutschland«, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.
Nur zum Vergleich: besagter Film, der von Uwe Mies miesgemacht wurde, erhielt die Förderung von 400.000 Euro (Filmstiftung NRW). Gut, hier wurde ein Filmdebüt eines Hochschulabsolventen finanziert. Gut, die Inhaltsbeschreibung des Films liest sich eher spaßfeindlich: Da ist die Rede von Selbstmord und -findung, von einem Parkplatz in Frankreich und von Neuanfang. Die drei Musketiere hingegen ist: angeblich eine »Verfilmung« des nun wirklich hinreichend bekannten und zum Sprichwort geronnenen Super-Erfolgsroman der Weltliteratur. In 3D. Was heißt: garantierter Unterhaltungsspaß mit Haudraufästhetik, die trotzdem keinem wehtut. Der solchermaßen geförderte Film spielte in der ersten Woche vor 651 Kinoleinwänden und hatte pro Leinwand im Schnitt 312 Besucher, Gesamtanzahl der Besucher in Woche 1: 575.666. Oder, ganz aktuell Männerherzen... und die ganz, ganz grosse Liebe lief mit 255.376 Besucher an, in 689 Kinos. Kopienschnitt pro Leinwand in der zweiten Woche: 371 Besucher (Alle Zahlen: Media Control).
Über uns das All läuft derzeit bundesweit in 39 Kinos, so meldet die Filmstarts-Seite. Auf München heruntergebrochen heißt das: Der Film läuft im Eldorado und im Arena. Männerherzen (bundesweite Kinos: 674) läuft in München in der neuen Astor Cinema Lounge im Bayerischen Hof, im Cadillac, Gabriel, Gloria, Mathäser, Cinemaxx, Kinos Münchner Freiheit, Rio, Royal, Sendlinger Tor. Es erübrigt sich die Frage, welcher Film erfolgreicher ist. Das hat mit dem Einfluss von Filmkritik natürlich gar nichts zu tun, sondern mit den bestehenden Etat-Verhältnissen. Süßer die Kassen nie klingen…
Was aber ist mit den Kinos, die nicht auf Blockbuster setzen? Auch sie müssen Miete bezahlen, Filmmiete, Mitarbeiter und den Betrieb aufrecht erhalten. Wie geht es einem Kino wie dem Eldorado in München, einem wunderschönen 70er Jahre-Kino mit 300 Plätzen und einem »für diese Zeit ungewönlich großem Gefälle des Raumes« (Angaben aus: Neue Pardiese für Kinosüchtige, hrsg. von Monika Lerch-Stumpf)? Wie kann sich das Eldorado finanzieren, ja überleben, mit aufgrund der Marketingverhältnisse zwangsläufig unbeachteten Filmen wie Über uns das All?
Kinos spielen nicht nur Filme, die gut oder schlecht sind oder einem bestimmten Geschmack gehorchen, sondern folgen auch einem gewissen Programmierungskonzept und sind nebenbei auch der Vergabepraxis von Verleihern unterworfen. Artechock will deshalb in der nächsten Zeit das Bewusstsein für die Arthouse-Kinos schärfen, als Orte, die existieren, um nicht gleichgeschaltet auf die Leinwand zu gucken und wirtschaftlich gut dazustehen, sondern als Orte, die absichtlich ein anderes Angebot an Filmen bereitstellen, trotz ökonomischer Unwägbarkeit. Dieses Jahr haben in München zwei Kinos dichtgemacht, aus unterschiedlichen Gründen: das Tivoli und das Filmcasino. Höchste Zeit, sich mal die Kinos genauer anzusehen, die es (noch) gibt. Was sind das für Orte? Ist die Leinwand wirklich so klein, die Stühle so unbequem? Warum gibt es kein Pop-Corn? Kann man die Leute an der Kasse duzen und mit ihnen nach dem Film noch ein Bier im Foyer trinken? Oder lohnt sich der Besuch, weil man irgendwie mehr erlebt hat als nur den Film, weil man Teil einer »kulturellen Praxis« geworden ist?
Sympathie oder gute Filmbesprechungen allein reichen nicht, um die kleineren Kinos gegen die Mogule am Laufen zu halten. Wir sagen: Sympathisanten, runter vom Sofa! Nur wenn Vielfalt garantiert wird, wird Kino zur Kultur.