Cinema Moralia – Folge 38
Über das »legitime Unterhaltungsbedürfnis« |
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Akademische Versuchsanordnung nach Berliner Schule? | ||
(Foto: RFF Real Fiction Filmverleih eK) |
In seiner Kritik von Jan Schomburgs Über uns das All gibt Uwe Mies, der es eigentlich besser weiß, mal wieder den Populisten, tut leider dümmer als er ist, und unterschreibt unter der Hand seinen Offenbarungseid als Filmkritiker: »Kopflastkino ... Schomburgs Film verrät eine Menge Talent, aber kein Gespür, das legitime Unterhaltungsbedürfnis des Zuschauers unterhalb elitärer Autorenmesslatten zu befriedigen. Statt sinnlichen Nervenkitzels im Stil von Hitchcock, Truffaut oder DePalma gibt es eine akademische Versuchsanordnung nach Berliner Schule.«
Aufgabe von Filmkritik wäre hier natürlich erstmal, dem Leser klarzumachen, was Schomburg will – offensichtlich ja etwas anderes, als Hitchcock, Truffaut oder DePalma. Und warum er es will. Außerdem könnte Mies wissen, dass Hitchcock, Truffaut oder DePalma zu ihren Leb- bzw. Hochzeiten auch von Kritikern, die auf »Volkverbundenheit« machten, mit dem Vorwurf konfrontiert wurden, »Kopflastkino« zu bieten, und »elitär« zu sein. Warum aber überhaupt der gehässige Tonfall? Und warum mit diesem auf die Schwachen noch einprügeln? Damit man selber größer wird?
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Warum sollte man als Kritiker eigentlich das »Unterhaltungsbedürfnis des Zuschauers« gegen »elitäre Autorenmesslatten« und »akademische Versuchsanordnung« verteidigen? Angenommen mal das stimmte überhaupt und wäre keine depperte Phrasendrescherei – geht es denn immer um Unterhaltung? Kritik sollte Verständnis für das Schwierige, Komplizierte wecken, für das, was sich nicht von selbst versteht. Kritik sollte Filme gegen das Publikum und nicht das Publikum gegen Filme verteidigen. Schon gar nicht irgendein »Unterhaltungsbedürfnis« gegen »Akademisches«; was ja sowieso nur ein Codewort ist für intellektuell. Damit wird dann »Unterhaltung« unter der Hand zum Codewort für unintellektuell, womit man ihr auch keinen Gefallen tut.
Verräterisch ist aber bei Mies das Wort »legitim«. Dies ist wie das Pfeifen im Wald: Verstünde sich die Legitimität nämlich von selbst, müsste sie nicht eigens betont werden. Die Verstärkung im Beiwort enthüllt die Schwäche der Position.
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Noch einmal zur Unterhaltung. Das Problem ist ja nicht, dass die Leute unterhalten werden wollen. Sondern dass ihr »legitimes Unterhaltungsbedürfnis« heute von geschmacklosem Schwachsinn wie What a Man befriedigt wird. Während intelligente Unterhaltung wie Komödien von Lubitsch, Chaplin, Wilder oder Musicals von Minelli heute kaum noch gekannt und nicht mehr verstanden werden, kaum im Spätprogramm noch auftauchen, und als »schwierig« gelten. Und dass all die Genannten nicht einen Nachfolger im Gegenwartskino haben. Dass es keine intelligente Unterhaltung mehr gibt, keine Komödien, sondern nur noch Klamotten.
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Man muss also so wenig DePalma gegen Schomburg ausspielen wie Fatih Akin gegen die Berliner Schule. Es darf das alles geben. Man sollte alles unterstützen. Man sollte aber mal Matthias Schweighöfer erklären, warum Til Schweiger schlechte Filme macht, und er selbst kein Nachfolger von Billy Wilder ist. Das glaubt er jetzt nämlich.
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Hier noch ein DVD-Tip, für einen Film, der aufgrund von Zensurproblemen nicht beworben, aber sehr wohl verkauft werden darf. Man sollte zugreifen, solange es ihn noch gibt: Eine multikulturelle Feministinnengang – Weiße, Latinas, Schwarze – nimmt darin brutale Rache an Vergewaltigern. Eine junge Frau wird von ihnen gerettet, und gerät in den Bann der Gruppe. So nimmt eine Art düstere Version der Patty-Hearst-Story ihren Lauf: Selbstbefreiung als Abhängigkeit neuer Art. Das ist die grobe Handlung dieser sehr straighten, schmutzigen urbanen Rache-Phantasie, in der ziemlich viel geballert wird, und bei der brutalsten, aber auch plakativsten Szene ein Rasiermesser die zentrale Rolle spielt. »Als hätte man Thelma & Louise mit Taxi Driver gekreuzt.« urteilte ein Kritiker, als A Gun for Jennifer auf den ersten Filmfestivals lief. Das geht genauso in die richtige Richtung, wie der Spruch auf dem Originalplakat: »Dead Men don’t rape«. Erst 1997 kam der Film heraus, und wirkt doch in seiner B-Movie-Erhabenheit, seinem Stolz auf die eigene Dreistigkeit, und seiner Punk-Verweigerung gegenüber den Publikumserwartungen wie aus einer völlig anderen Zeit – der Film sieht eher aus, wie ein Werk aus den 70ern. Anti-»Political Correctness«-Kino, wie man es den USA der späten 90er gar nicht zugetraut hätte. Der Regisseur des Films ist Todd Morris, der aus der New Yorker Independent-Szene kommt, einer jener Off-Hollywood Filmemacher, die durch ihre linksliberalen Ansichten nicht vor der Erkenntnis bewahrt werden, dass Kino Spaß machen darf, dass es ein Ort ist, an dem man alle Instinkte, auch die höheren ausleben darf. So klaut und kopiert er schamlos von seinen Vorlieben. Morris' Debüt ist Exploitation-Kino, pur und böse, wie es sein muss, allerdings, und schon das hebt den Film heraus, befeuert nicht von männlichen, sondern weiblichen Phantasien. Und weil das auch in unseren Tagen nicht gut ankommt, hat dieser Film, der vor allem auf Festivals lief, die junge Karriere des Regisseur, kaum das sie begonnen hatte, auch schon ruiniert: Erst acht Jahre später, konnte er seinen zweiten Film machen: Molotov Samba lief dann immerhin in Cannes. Jenseits von Asien hat erst einer wie Quentin Tarantino, zehn Jahre später in Death Proof wieder etwas Ähnliches auf die Leinwand gebracht. Ein grimmiger Film, von so bestechender wie subversiver Intelligenz, zugleich, wie man so sagt: Nichts für schwache Nerven. (Todd Morris: A Gun for Jennifer; plus Bonusmaterial (Trailer, Interview); USA 1997, bei Good!Movies (Midnite Xpress Collection No. 02))
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Folgende Pressemitteilung spricht Bände: »Medienbord Berlin Brandenburg besucht das Filmset zur letzten Klappe der Dreharbeiten von Hanni & Nanni 2«
München, 12. September 2011 In Berlin fiel heute die letzte Klappe des zweiten Teils der erfolgreichen UFA Cinema Produktion Hanni &
Nanni. Kirsten Niehuus vom Medienbord Berlin-Brandenburg besuchte zusammen mit den Produzenten Nico Hofmann, Jürgen Schuster, Hermann Florin und der Producerin Gesa Tönnesen abschließend das Filmset. Vor Ort wurden sie von dem hochkarätigen deutschen Cast um Hannelore Elsner, Suzanne von Borsody, Katharina Thalbach sowie den Hanni und Nanni-Zwillingen Jana und Sophia Münster in Empfang genommen. ... Im zweiten Kinofilm rund um die berühmtesten Zwillinge der Welt geht es
turbulent weiter! Nach dem großen Erfolg des ersten Teils, der 1 Mio. Besucher begeisterte, dreht UFA Cinema jetzt ein neues und spannendes Abenteuer in Lindenhof. Die Zwillinge werden erneut von den Publikumslieblingen Sophia und Jana Münster gespielt, die 2010 mit dem Bambi in der Kategorie »Talent« ausgezeichnet wurden. Wie im ersten Teil werden die Zwillinge und ihre Freunde wieder von einem hochkarätig besetzten Erwachsenenensemble begleitet. Hannelore Elsner, Katharina Thalbach
und Suzanne von Borsody spielen auch dieses Mal die Direktorin Frau Theobald, die lustige, liebevolle Mademoiselle Bertoux und die schlechtgelaunte Frau Mägerlein. Heino Ferch und Anja Kling sind wieder als einfühlsames und engagiertes Elternpaar Jule und Georg Sullivan dabei. Zudem werden Barbara Schöneberger als Karrierefrau Daphne und Carolin Kebekus als zwielichtige Lehrerin Frau Goethe das Ensemble mit mächtiger Wucht aufmischen. Hanni & Nanni 2 ist eine Produktion der UFA Cinema in Koproduktion mit Feine Filme und dem ZDF, gefördert durch den FilmFernsehFonds Bayern, das Medienboard Berlin-Brandenburg, die Filmförderungsanstalt FFA sowie den Deutschen Filmförderfonds DFFF.
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Es ist (möglicherweise) ja nichts dagegen zu sagen, dass Hanni & Nanni großzügig gefördert wird. Aber warum werden alle Förderanträge von Faust [Anm. d. Red: der Gewinner des Goldenen Löwen von Venedig 2011 R: Alexander Sokurow] von der deutschen Filmförderung abgelehnt. Ich fand den Film auch nicht super, aber ein völlig anderes Kaliber ist er natürlich schon. Und, wenn man sich auf Förderkriterien einlassen will, ja fraglos ein deutscher Stoff.
Filmförderung, das zur Erinnerung, ist dazu da, Kultur zu fördern. Nur Hilfsweise darf sie auch Wirtschaftsförderung sein. Wäre es anders, müsste die EU-Kommission die Förderungen schließen. Frage daher: Gibt es Kultur jenseits von Hanni & Nanni und What a Man? Wie sieht die aus?
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45 Filme stehen in der Auswahl für den Europäischen Filmpreis. In den 20 Ländern mit den meisten Mitgliedern wurde jeweils ein nationaler Film von den Mitgliedern direkt in die Auswahl gewählt. Alle weiteren Filme wurden von einem Komitee ausgewählt, das aus EFA-Vorstandsmitgliedern und den eingeladenen Experten Pierre-Henri Deleau (Frankreich), Marit Kapla (Schweden), Stefan Kitanov (Bulgarien), Derek Malcolm (Großbritannien) und Elma Tataragic (Bosnia & Herzegowina) bestand. In den kommenden Wochen stimmen die 2.500 Mitglieder der European Film Academy für die Nominierungen in den verschiedenen Kategorien, die am 5. November auf dem Europäischen Filmfestival in Sevilla (Spanien) bekannt gegeben werden. Die Nominierungen in den Kategorien Dokumentarfilm, Animationsfilm, Kurzfilm und Erstlingsfilm folgen im Laufe der nächsten Wochen.
Nachfolgend die Liste. Alle Artechock-Leser dürfen sich beteiligen und dem Autor bis zum 1. November ihre Nominierungen bekannt geben. Wir veröffentlichen sie dann hier vor dem 5.11.
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Die Auswahlliste (Originaltitel in alphabetischer Reihenfolge, Artikel werden nicht berücksichtigt)
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.