10.01.2013

Sinnlich, einfach.... Einfach sinnlich

Straub/Huillet: Jene ihre Begegnungen
Vom Verharren in der Natur:
Jene ihre Begegnungen, der letzte gemeinsame Film von Straub und Huillet

Zur Retrospektive von Jean-Marie Straub im Filmmuseum München anlässlich seines 80. Geburtstages

Von Dunja Bialas

»The form of the body gives birth to the soul. The struggle with the matter gives rise to the form. And the rest is just filling material. I want that to be clear.« – Jean-Marie Straub

Kontro­vers, sagt man, wären die Filme. Und schwierig. Anstren­gend. Und intel­lek­tuell. Also insgesamt auf der spaß­feind­li­chen Seite. Und dennoch: Kaum jemand hat so großen Einfluss auf das Film­schaffen einer ganzen Gene­ra­tion gehabt wie das Film-Paar Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, und nur selten konnten Filme­ma­cher eine so leiden­schaft­lich für sie entflammte Anhän­ger­schaft um sich grup­pieren. Der Film-Mini­ma­list Jean-Claude Rousseau beher­bergte nicht nur eine ihrer zahl­rei­chen Katzen, sondern lebte sie in seinen Filmen in ihren lite­ra­ri­schen Themen und dem redu­zierten Stil nach. Der portu­gie­si­sche Regisseur Pedro Costa (Meister des beob­ach­tend-drama­ti­sie­renden Doku­men­tar­films wie In Vandas Zimmer oder Juventude em marcha – Collosal Youth), setzt ihre Filme regel­mäßig auf seine Carte blanche bei den Festivals der Welt und hat ihre Arbeits­weise in Où gît votre sourire enfoui (2001) doku­men­tiert – in huld­voller Verehrung.

Was aber macht ihre Filme so unwi­der­steh­lich, was macht sie so anstren­gend?
Straub/Huillet, wie man sie bis zum Tod von Danièle Huillet 2006 immer in einem Atemzug nannte, liebten die Literatur, wie zum Beispiel Corneille, oder Brecht, oder Böll, oder Pavese. Und sie liebten die Musik, wie Bach oder Schönberg, und nahmen deren Werke als Rohma­te­rial für ihre Filme. Rohma­te­rial: Die Texte insze­nierten sie nicht, sondern ließen sie von Schau­spie­lern aufsagen, wobei sie den Akt des Aufsagens als Doku­men­ta­tion des Schau­spiels begriffen. Worte und Figuren wurden eins, die Schau­spieler, bisweilen mehr verkleidet als in Kostümen, ließen Texte erklingen, und waren dabei mehr Sprach­rohre als Rollen­träger. Dementspre­chend emoti­onslos und spröde begegnen einem die Literatur-Filme, aber sie sezieren auch span­nungs­voll und legen die Texte auf das Wort und die inneren Diskurs­kon­struk­tionen frei. Ebenso verfuhren Straub/Huillet mit der Musik: »Ausgangs­punkt für die Chronik der Anna Magdalena Bach war die Idee, einen Film zu versuchen, in dem man Musik nicht als Beglei­tung, nicht als Kommentar, sondern als ästhe­ti­sche Materie benutzte«, so Jean-Marie Straub. Als Material-Unter­su­chungen sind ihre Filme immer auch politisch. In Corneilles Texten fanden Straub/Huillet die Ränke­spiele der Macht in Rhetorik gegossen, in Brechts »Verhör des Lukullus« eine scharfe Analyse der römisch-kapi­ta­lis­ti­schen Verhält­nisse, eine Spie­ge­lung der zeit­genös­si­schen Zustände. Der Titel einer ihrer Filme, Klas­sen­ver­hält­nisse, ist ganz und gar marxis­tisch gemeint.

Und sie liebten die Natur, das Rauschen des Windes in den Blättern, die Ausblicke auf die dalie­genden Land­schaften, aber auch den fernen Lärm der Großstadt, den Straub/Huillet bisweilen als natür­liche Stör­geräu­sche und Gegen­warts­in­di­zien in das Aufsagen der klas­si­schen Texte hinein­strömen ließen. Sie begannen ihr Filme­ma­chen in Frank­reich, gingen dann, wegen Straubs alge­ri­en­kriegs­kri­ti­scher Haltung, zunächst nach Deutsch­land und später nach Italien, wo sie in den Ruinen der antiken Stätten und in den buko­li­schen Land­schaften die wie für sie gemalten Settings ihrer Filme fanden.

Ihre Bilder, die Einstel­lungen der Kamera, das spre­chende Material – nicht nur der Schau­spieler, der Musik oder der Texte, sondern vor allem auch des Film­ma­te­rials – sind das Faszi­nie­rende und Einneh­mende in ihrem Werk. So muss man durch das Spröde hindurch, muss erst die frei­ge­legten Konstruk­tionen erklimmen, um zum Zentrum ihrer Filme zu gelangen. Hier beginnen sie zu vibrieren, hier sind sie fern und faszi­nie­rend, abweisend und einneh­mend zugleich. Fast wie das Paar, das Straub/Huillet abgaben: Straub, der mal Abwei­sende, mal Dozie­rende, irgendwie Dauer­gran­tige, Huillet, die mal Scharf­sin­nige, mal sich im Hinter­grund Haltende und immer emsig Arbei­tende, während Straub an seinen Sentenzen feilte.

»Luxus ist, kein Geld zu haben«, sagt so auch Straub im Brustton der Über­zeu­gung in dem Film Vertei­di­gung der Zeit von Peter Nestler (2007), am Tisch sitzend und schwa­dro­nie­rend, während Danièle Huillet im Hinter­grund Wäsche aufhängt. Der Luxus, den Straub/Huillet sich leisteten, war, eine Kunst gegen alle Konven­tionen zu schaffen und dabei in ihrem Werk bahn­bre­chend zu sein. Sie hätten die Sprache des Kinos erneuert, heißt es zur Preis­ver­lei­hung eines Spezial-Löwen für ihr Lebens­werk in Venedig 2006, kurz vor dem Tod Huillets. Aber was heißt das, die Sprache des Kinos erneuern? In dem Porträt von Nestler anläss­lich ihres letzten gemein­samen Films Jene ihre Begeg­nungen entspinnt sich – viel­leicht als Antwort auf diese Frage – folgender Dialog:

Danièle Huillet: Ich glaube, das Problem von unseren Filmen ist nicht, dass sie intel­lek­tuell sind, sondern, dass sie zu einfach sind.

Jean-Marie Straub: Die sind sinnlich, einfach. Die sind sinnlich, die… erzählen eine Geschichte, die sind Figuren. Aber sie sind sinnlich – jede Sekunde da drin bedeutet: Schaut euch das an, das Licht, die Bewegung, hört euch das an, usw. Das ist etwas, was nicht ein zweites Mal passieren wird.

Retro­spek­tive im Film­mu­seum München bis 21.02.2013.