Sinnlich, einfach.... Einfach sinnlich |
||
Vom Verharren in der Natur: Jene ihre Begegnungen, der letzte gemeinsame Film von Straub und Huillet |
Von Dunja Bialas
»The form of the body gives birth to the soul. The struggle with the matter gives rise to the form. And the rest is just filling material. I want that to be clear.« – Jean-Marie Straub
Kontrovers, sagt man, wären die Filme. Und schwierig. Anstrengend. Und intellektuell. Also insgesamt auf der spaßfeindlichen Seite. Und dennoch: Kaum jemand hat so großen Einfluss auf das Filmschaffen einer ganzen Generation gehabt wie das Film-Paar Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, und nur selten konnten Filmemacher eine so leidenschaftlich für sie entflammte Anhängerschaft um sich gruppieren. Der Film-Minimalist Jean-Claude Rousseau beherbergte nicht nur eine ihrer zahlreichen Katzen, sondern lebte sie in seinen Filmen in ihren literarischen Themen und dem reduzierten Stil nach. Der portugiesische Regisseur Pedro Costa (Meister des beobachtend-dramatisierenden Dokumentarfilms wie In Vandas Zimmer oder Juventude em marcha – Collosal Youth), setzt ihre Filme regelmäßig auf seine Carte blanche bei den Festivals der Welt und hat ihre Arbeitsweise in Où gît votre sourire enfoui (2001) dokumentiert – in huldvoller Verehrung.
Was aber macht ihre Filme so unwiderstehlich, was macht sie so anstrengend?
Straub/Huillet, wie man sie bis zum Tod von Danièle Huillet 2006 immer in einem Atemzug nannte, liebten die Literatur, wie zum Beispiel Corneille, oder Brecht, oder Böll, oder Pavese. Und sie liebten die Musik, wie Bach oder Schönberg, und nahmen deren Werke als Rohmaterial für ihre Filme. Rohmaterial: Die Texte inszenierten sie nicht, sondern ließen sie von Schauspielern aufsagen, wobei sie den Akt des
Aufsagens als Dokumentation des Schauspiels begriffen. Worte und Figuren wurden eins, die Schauspieler, bisweilen mehr verkleidet als in Kostümen, ließen Texte erklingen, und waren dabei mehr Sprachrohre als Rollenträger. Dementsprechend emotionslos und spröde begegnen einem die Literatur-Filme, aber sie sezieren auch spannungsvoll und legen die Texte auf das Wort und die inneren Diskurskonstruktionen frei. Ebenso verfuhren Straub/Huillet mit der Musik: »Ausgangspunkt für die Chronik der Anna Magdalena Bach war die Idee, einen Film zu versuchen, in dem man Musik nicht als Begleitung, nicht als Kommentar, sondern als ästhetische Materie benutzte«, so Jean-Marie Straub. Als Material-Untersuchungen sind ihre Filme immer auch politisch. In Corneilles Texten fanden Straub/Huillet die Ränkespiele der Macht in Rhetorik gegossen, in Brechts »Verhör des Lukullus« eine
scharfe Analyse der römisch-kapitalistischen Verhältnisse, eine Spiegelung der zeitgenössischen Zustände. Der Titel einer ihrer Filme, Klassenverhältnisse, ist ganz und gar marxistisch gemeint.
Und sie liebten die Natur, das Rauschen des Windes in den Blättern, die Ausblicke auf die daliegenden Landschaften, aber auch den fernen Lärm der Großstadt, den Straub/Huillet bisweilen als natürliche Störgeräusche und Gegenwartsindizien in das Aufsagen der klassischen Texte hineinströmen ließen. Sie begannen ihr Filmemachen in Frankreich, gingen dann, wegen Straubs algerienkriegskritischer Haltung, zunächst nach Deutschland und später nach Italien, wo sie in den Ruinen der antiken Stätten und in den bukolischen Landschaften die wie für sie gemalten Settings ihrer Filme fanden.
Ihre Bilder, die Einstellungen der Kamera, das sprechende Material – nicht nur der Schauspieler, der Musik oder der Texte, sondern vor allem auch des Filmmaterials – sind das Faszinierende und Einnehmende in ihrem Werk. So muss man durch das Spröde hindurch, muss erst die freigelegten Konstruktionen erklimmen, um zum Zentrum ihrer Filme zu gelangen. Hier beginnen sie zu vibrieren, hier sind sie fern und faszinierend, abweisend und einnehmend zugleich. Fast wie das Paar, das Straub/Huillet abgaben: Straub, der mal Abweisende, mal Dozierende, irgendwie Dauergrantige, Huillet, die mal Scharfsinnige, mal sich im Hintergrund Haltende und immer emsig Arbeitende, während Straub an seinen Sentenzen feilte.
»Luxus ist, kein Geld zu haben«, sagt so auch Straub im Brustton der Überzeugung in dem Film Verteidigung der Zeit von Peter Nestler (2007), am Tisch sitzend und schwadronierend, während Danièle Huillet im Hintergrund Wäsche aufhängt. Der Luxus, den Straub/Huillet sich leisteten, war, eine Kunst gegen alle Konventionen zu schaffen und dabei in ihrem Werk bahnbrechend zu sein. Sie hätten die Sprache des Kinos erneuert, heißt es zur Preisverleihung eines Spezial-Löwen für ihr Lebenswerk in Venedig 2006, kurz vor dem Tod Huillets. Aber was heißt das, die Sprache des Kinos erneuern? In dem Porträt von Nestler anlässlich ihres letzten gemeinsamen Films Jene ihre Begegnungen entspinnt sich – vielleicht als Antwort auf diese Frage – folgender Dialog:
Danièle Huillet: Ich glaube, das Problem von unseren Filmen ist nicht, dass sie intellektuell sind, sondern, dass sie zu einfach sind.
Jean-Marie Straub: Die sind sinnlich, einfach. Die sind sinnlich, die… erzählen eine Geschichte, die sind Figuren. Aber sie sind sinnlich – jede Sekunde da drin bedeutet: Schaut euch das an, das Licht, die Bewegung, hört euch das an, usw. Das ist etwas, was nicht ein zweites Mal passieren wird.
Retrospektive im Filmmuseum München bis 21.02.2013.