Der Meister |
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Eine seiner letzten Rollen: Philip Seymour Hoffman in The Master |
Wenn man von einem sagt, er sei ein unscheinbarer Star gewesen, dann ist der Widerspruch seines Lebens schon benannt. Denn eigentlich gibt es so etwas gar nicht. Aber Philip Seymour Hoffman, der jetzt überraschend und schockierend früh in New York gestorben ist, war genau dies: Einer, der gerade durch seine Unscheinbarkeit ein Star wurde; einer dessen Gesicht man schon kannte, als man sich seinen Namen noch lange nicht merken konnte; eine Projektionsfläche des Alltagsmenschen,
der Rollen spielte, die man – obwohl ein völlig anderer Typ und 30 Jahre jünger – unter bestimmten Umständen auch mit Woody Allen assoziierte: Ein Verletzlicher, Zukurzgekommener, vom Leben benachteiligter, der diesen Nachteil kompensiert durch eine Mischung aus Genialität und Ressentiment, mit Intelligenz und Sensibilität.
In klassischen Hollywood-Zeiten hätte er höchstens »den besten Freund des Helden« gespielt und wäre irgendwann von Indianern erschossen
oder vom Drehbuch vergessen worden. Heute kriegt so einer die hübschen Frauen – jedenfalls im Kino.
In Happiness, Todd Solondz' großartiger, wenn auch nicht rundum glücklicher Tragikomödie über das Glück fiel er zum ersten Mal auf – als schmutziger, verklemmter, leucht perverser Nerd und Voyeur, der zu normaler Kommunikation kaum fähig ist. Man hätte ihn damals schon kennen müssen: Sein weiches Gesicht, das auch hart werden konnte; seine sensible Ausstrahlung, die auch plump
erscheinen konnte. Die strohblonden Haare, die helle, fast weiße Haut, der teigige, etwas ungelenke Körper der bei aller Schwerfälligkeit plötzlich flink werden, konnte, durch Stärke Vertrauen schaffen oder Macht ausstrahlen und so beängstigen. Oder eben durch Schwäche Mitleid erregen.
Es war die Zeit einer neuen Welle aus Amerika: Ende der 90er Jahre, verbunden mit Filmen wie American Beauty, Magnolia Herzschlag- und Schicksalskino, dabei ironisch gebrochen. Dafür, besonders für die Brüche, stand Hoffman – eben in Magnolia, einem der nach wie vor besten US-Filme der letzten Jahrzehnte. Dessen Regisseur Paul Thomas Anderson wurde Hoffmans Schicksal: Bereits 1996 spielte er in
dessen erstem Film Hard Eight eine Hauptrolle, und langsam kam auch seine Karriere in Schwung. Seitdem war er bis auf einmal bei Anderson immer dabei, von Boogie Nights (1997) über Magnolia und Punch-Drunk Love bis zuletzt 2012 The Master, wo er die Titelrolle spielte: Einen sehr sehr amerikanischen Sektenführer, der Scientology-Gründer L.Ron Hubbard nachempfunden war. Da hat Hoffman wieder diese Arroganz des Außenseiters, die er vielen seiner Rollen gab. Die verhalf ihm auch zu dem Auftritt für den er 2006 den Oscar gewann:
In Capote spielte er die Titelrolle des skrupellosen Künstler-Dandys. Wie hier waren Hoffmans Auftritte immer wieder außergewöhnliche Rollen: Die Nachtclub-Transe in Flawless (1999), der monomanische Glücksspieler in Owning Mahowny (2003), der lüsterne Prediger in Cold Mountain (2003).
Zum schweren Körper und großen Kopf wurde der Gesamteindruck dieses Darsteller-Kraftpakets noch durch die Stimme geprägt: Unerwartet tief. Wenn er wollte, schnarrend. Immer prägnant. Hoffmans Stimme verstärkte noch den schillernden Gesamteindruck: Hoffman hatte mehr als nur eine oder zwei Seiten. Dass der 1967 in Fairport, Rochester geborene Hoffman auch privat mehrere Seiten hatte, konnte man allenfalls ahnen. US-Kollegen nannten den mit einer Kostümdesignerin verheirateten Darsteller (das Paar hat drei Kinder) nie im Zusammenhang mit den bekannten Exzessen der Filmkreise. Aber die persönliche Erinnerung an mein einziges Interview mit Hoffman, 2006 kurz vor dem Oscar-Gewinn bekommt jetzt eine andere Färbung: Verschwitzt, müde, hochnervös und seltsam fahrig war damals der persönliche Eindruck. Und man denkt dann: Da ist einer nicht anders, als seine Rollen.
Vielleicht hätte man ahnen können, dass darstellerische Höchstleistungen und seelische Achterbahnfahrten wie die Hoffmans auch jenseits Leinwand einen Preis fordern, den nicht jeder souverän meistert. Der Preis, den Hoffman jetzt bezahlen musste, war sehr hoch.