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Erfolgreichste senegalesische Filmproduktion der letzten Jahre – Moussa Tourés La pirogue |
Von Axel Timo Purr
Gleich hinter dem legendären Yoff-Strand Dakars, an dem abends senegalesische Ringer neben Fußballern und Freizeitsportlern jeder Art trainieren, erstrecken sich die Parcelles Assainies. Die Hauptstraßen sind weit, die Nebenstraßen eng, aber geradlinig angelegt. Das in den 1970ern initiierte soziale Wohnungsbauprojekt hat offensichtlich an die kommende Extrem-Motorisierung der Gesellschaft gedacht.
Der angenehm kühlende Wind des Atlantiks dringt auch in die kleine Gasse, in der Amadou Thior wohnt. Mit inzwischen 63 Jahren hat Thior so ziemlich alles gesehen, was im Filmgeschäft möglich ist. Er hat die großen Kinosäle Dakars erlebt, als sie noch nicht an Finanzinvestoren verkauft worden waren. Investoren, die wie sich erst später herausstellen sollte, weniger an den Kinos als an den Grundstücken interessiert waren. Kinosäle, in denen sechs Jahre nach der Unabhängigkeit des Senegals, 1966 auch der erste in einem afrikanischen Land von einem Afrikaner produzierte Film gezeigt wurde, Ousmane Sembènes La noire de..., der wie auch die meisten von Sembènes späteren Filme auf einer seiner eigenen Kurzgeschichten basierte. Der Film gewann den Prix Jean Vigo und leitete die goldenen Jahre des senegalesischen Kinos ein. Neben Sembène etablierte sich vor allem Djibril Diop Mambéty, dessen Arbeiten ebenso wie die von Sembène die politischen und sozialen Realitäten Afrikas reflektierten, immer auch durchsetzt von unkonventionellen, surrealistischen Momenten und stark forcierten Handlungsabläufen, wie etwa in Mambétys großartigem, nicht nur sprachlich wild und ausgelassenem und exaltiert politischen Touki Bouki. Aber auch eine Frau setzte sich durch. Safi Fayes preisgekrönter Kaddu Baykat kam nach einem vorläufigen Verbot in den 1970ern ebenso in Dakars Kinos wie Sembènes mit amerikanischen Geldern produzierte bitterböse Politsatire Xala.
Das Geschäft boomt; und die senegalesische Filmindustrie sucht händeringend nach neuen Talenten. Das bleibt nicht ungehört. Amadou Thior geht wie einige andere seiner Landsleute an eine der besten Filmhochschulen Frankreichs, die »École nationale supérieure Louis-Lumière«. Thior erzählt begeistert von den Ausbildungsbedingungen und der Euphorie der Studenten. 1977 macht er seinen Abschluss und kehrt trotz lukrativer Angebote aus Frankreich in den Senegal zurück. Die Zahlen scheinen Thior recht zu geben. Neben zahlreichen Kurzfilmen werden jährlich bis zu fünf Spielfilme produziert. Wie fragil dieser Boom ist, zeigt sich kurz nach Thiors Rückkehr. Die nationale Gesellschaft für Film kollabiert, wird neu gegründet, kollabiert wieder. Beamte haben Gelder veruntreut oder sind schlichtweg nicht für das komplexe Filmgeschäft qualifiziert; Labore werden nicht bezahlt und fordern von nun an Vorab-Honorare.
Thior kann vorerst an der polytechnischen Hochschule unterkommen. Er dreht Lehrfilme und bedient Rhethorik-Einheiten der Studenten. Durch eine Festanstellung beim Ministerium für Kultur berührt ihn der völlige Verfall der senegalesischen Filmindustrie zumindest finanziell nicht. Und er hat Freiräume. Thior dreht einen Kurzfilm über die sich langsam etablierenden Parcelles Assainies. Der Film gewinnt einen Preis der UNESCO; seine Dokumentation Xarek-Marak über die Dürre im Sahel wird auf dem Filmfest in Ouagadougou ausgezeichnet.
Doch die Preise schützen Thior nicht vor dem Verlust seiner Anstellung beim Ministerium. Anfang der 1990er muss er sich wie fast alle Filmschaffenden in Dakar mit dem durchschlagen, was übrig geblieben ist. Das ist nicht viel. Waren es nach seiner Rückkehr noch fünf Filme pro Jahr, so ist es nun ein Film alle vier Jahre. Und diese Filme sind fast ausschließlich den Regisseuren vorbehalten, die schon vorher mit ausländischen Geldgebern kooperiert haben. Sembène zum Beispiel. Thior gelingt es bei Sembènes Camp de Thiaroye und Guelwaar mitzuwirken und schafft es schließlich seinen ersten eigenen Spielfilm zu produzieren. Almadou wird 2001 in Ouagadougou mit einem Preis bedacht; im Senegal sind die Proteste nach einer ersten Ausstrahlung im Fernsehen jedoch so massiv, dass der Film weitere Aufführungen nicht erlebt. Vor allem die von religiösen Führern ausgesprochene Fatwa wirkt nachhaltig, die Kritik an den in Almadou gezeigten Praktiken islamischer Lehrer, der sogenannten »Marabouts«, ihre Schüler zum Betteln auf den Straßen zu zwingen, wird zum Verstummen gebracht.
»Aber es geht halt doch irgendwie immer weiter«, sagt Thior. Das beste Beispiel sei Nigerias Nollywood-Industrie, die Hollywood inzwischen überholt habe. Vorbehalte, dass Nollywood halt Hollywod sei und Senegal nun Mal Truffaut, so wie es Joseph Sagna, der künstlerische Leiter der im Kulturmanagement tätigen NGO Adafest formuliert, mag Thior nicht gelten lassen. »Im Senegal wird einfach zu viel auf die Hilfe von außen vertraut und sich auf den Lorbeeren der wenigen, aber preisgekrönten Filme ausgeruht. Aber wer sieht diese Filme? Doch hauptsächlich Zuschauer in den Ländern, aus denen die Gelder für die Produktion flossen. La pirogue ist ein toller Film, der zurecht Preise bekommen hat und auch durch das Thema Migration und Boat-People brilliert. Aber solche Filme kommen bei den normalen Leuten nicht an. Es ist wie mit der Kunst hier: wer sie hauptsächlich kauft, sind die westlichen Angestellten der hier ansässigen Hilfsorganisationen.«
Thior hat sich deshalb entschlossen, möglichst mehrgleisig zu fahren und auch die nigerianische Schiene der schnellen, preiswerten und populären Produktionen zu berücksichtigen. Er entwirft eine Serie für das staatliche Fernsehen, in der ein Student aus der Elfenbeinküste nach Dakar zieht und die abstrusesten Dinge erlebt. Eine Komödie. Er hat einen weiteren Spielfilm fertig, in dem ein für einen Stadionbau Verantwortlicher Gelder veruntreut, ins Gefängnis kommt und dann doch noch Erfolg hat. Für diesen »Millionärs«-Film sucht er noch einen Sponsor, der den Film nicht nur auf dem »schnellen« Straßenmarkt vertreiben helfen, sondern auch Verträge mit Tele Orange, einem privaten Fernsehsender, abschließen helfen soll. Tele Orange hat ein Netflix-artiges Abo- und Streaming-Angebot, hier wäre der Film gut aufgehoben. Und bei Produktionskosten von ungefähr 15.000.000 CFA (23.000 Euro) ist die Gewinnzone schnell erreicht. Mehr noch, als mit den neuen Technologien nicht nur das Filmen selbst so viel preiswerter geworden sei, auch die Synchronisation sei im Grunde inzwischen ein Kinderspiel. Zwar würden die meisten Produktionen weiterhin in der senegalesischen Verkehrssprache Wolof erscheinen, aber der Markt bewege sich. Nicht nur Französisch, mehr noch Englisch sei die ideale Zielsprache, so habe es auch Nollywood zu Erfolg gebracht. Und auch hier gebe es inzwischen die vielen jungen Leute, die einfach riesigen Spaß daran haben, viel Geld zu verdienen und für die Nollywood – anders als die älteren Generationen – gerade deshalb kein rotes Tuch ist.
Die prekären finanziellen Zwischenräume zwischen der einen und anderen Produktion, die Plage und natürlich auch Chance der Piraterie und Rechtsunsicherheit der eigenen Copyrights begegnet Thior mit Alltagsjobs: er dreht Werbefilme, kleine Clips für die städtische Kanalisation, unterrichtet an der Uni und war einige Jahre in einem eigenen Ausbildungsinstitut für Filmschaffende involviert. Und dann wird in diesem Jahr zum ersten Mal die mit der Inauguration des neuen Präsidenten Macky Sall angekündigte eine Milliarde CFA (1,5 Millionen Euro) Förderungsgelder für Filmprojekte bereitgestellt. Das höre sich nicht viel an, sei aber immerhin ein Anfang und die Anträge bereits am Laufen. Zudem gebe es einen neuen Ministerialdirektor fürs Filmwesen, einer der ersten, der etwas Ahnung vom Geschäft habe. Doch auch da regen sich Zweifel, denn was soll einer tun, wenn er eigentlich nicht wisse, was er als erstes tun soll. Es ist einfach von allem zu viel zu tun.
Hugues Diaz, Ministerialdirektor für Filmwesen des Kulturministeriums des Senegal (DCI), sieht das ein wenig anders. Er hat sein Büro direkt an der Stadtautobahn N1 auf halbem Weg in die Innenstadt. Es ist nicht einfach einen Termin bei ihm zu bekommen. Und auch dann bleibt es schwierig, bedeutet seine Sekretärin zu warten. Es müssen Formulare ausgefüllt werden. Im Wartezimmer hängen Plakate senegalesischer Filmproduktionen, Bücher zum senegalesischen Film, DVDs liegen aus. Diaz empfängt schließlich in einem stark parfümierten, klimatisierten Büro. Er spricht ein paar Worte Deutsch, ein Plakat des Ministeriums zur Teilnahme am Filmfest in Ouagadougou füllt fast die ganze hintere Wand aus. »Nein«, sagt er lachend, aber bestimmt, »ein Minister fürs Filmwesen ohne Kinos bin ich gewiss nicht!«
Diaz zählt auf, was in den letzten zwei Jahren schon alles passiert sei, gerade in Bezug auf Kinos: vier der alten zu Diskotheken und Kirchen umtransformierten Kinos in Vorstädten wie Pikine seien mit staatlicher Hilfe wieder ihrer ursprünglichen Funktion zugeführt und komplett renoviert und dann in private Hand übergeben worden. In einigen der großen Einkaufszentren in der Innenstadt stünden die ersten Multiplexe kurz vor der Vollendung. »Und das«, sagt Diaz, ist erst der Anfang! Die erste der nun jährlich geplanten einen Milliarde CFA Filmförderung werde bald ausgeschüttet sein. Er plane gesetzliche Eingaben, die endlich auch Rechtssicherheit im Filmgeschäft gewähren soll.
Und spätestens in zwei Jahren soll in Dakar ein großes, staatliches Medienproduktionszentrum entstanden sein, an dem alle profitieren dürften. Das staatlichen Fernsehen ebenso wie die freischaffenden Filmemacher. Damit würde man nicht nur die verlorenen 30 Jahre wieder aufholen, sondern sich auch von der nigerianischen Vormachtstellung befreien. »Soll Nollywood ruhig in Masse machen, wir machen in Qualität«.