24.07.2014

Steu­er­mann ahoi

Erfolgreichste senegalesische Filmproduktion der letzten Jahre – Moussa Tourés La pirogue

Die einst berühmte senegalesische Filmindustrie nimmt wieder Kurs auf.

Von Axel Timo Purr

Wir haben die deutsche Film­för­de­rung oft kriti­siert. Es geht natürlich auch ohne. Zum Beispiel im einstigen Kino­wun­der­land Senegal, wo so ziemlich alle Ängste deutscher Film­schaf­fender Realität geworden sind: Keine Förderung, keine Kinos, kein Publikum, keine Kritiker, kein – artechock. Doch seit 2012 gibt es nicht nur einen neuen Präsi­denten, sondern auch Hugues Diaz, den neuen Minis­te­ri­al­di­rektor für Filmwesen – und Regis­seure wie Amadou Thior.

Gleich hinter dem legen­dären Yoff-Strand Dakars, an dem abends sene­ga­le­si­sche Ringer neben Fußbal­lern und Frei­zeit­sport­lern jeder Art trai­nieren, erstre­cken sich die Parcelles Assainies. Die Haupt­straßen sind weit, die Neben­straßen eng, aber gerad­linig angelegt. Das in den 1970ern initi­ierte soziale Wohnungs­bau­pro­jekt hat offen­sicht­lich an die kommende Extrem-Moto­ri­sie­rung der Gesell­schaft gedacht.

Der angenehm kühlende Wind des Atlantiks dringt auch in die kleine Gasse, in der Amadou Thior wohnt. Mit inzwi­schen 63 Jahren hat Thior so ziemlich alles gesehen, was im Film­ge­schäft möglich ist. Er hat die großen Kinosäle Dakars erlebt, als sie noch nicht an Finanz­in­ves­toren verkauft worden waren. Inves­toren, die wie sich erst später heraus­stellen sollte, weniger an den Kinos als an den Grund­stü­cken inter­es­siert waren. Kinosäle, in denen sechs Jahre nach der Unab­hän­gig­keit des Senegals, 1966 auch der erste in einem afri­ka­ni­schen Land von einem Afrikaner produ­zierte Film gezeigt wurde, Ousmane Sembènes La noire de..., der wie auch die meisten von Sembènes späteren Filme auf einer seiner eigenen Kurz­ge­schichten basierte. Der Film gewann den Prix Jean Vigo und leitete die goldenen Jahre des sene­ga­le­si­schen Kinos ein. Neben Sembène etablierte sich vor allem Djibril Diop Mambéty, dessen Arbeiten ebenso wie die von Sembène die poli­ti­schen und sozialen Reali­täten Afrikas reflek­tierten, immer auch durch­setzt von unkon­ven­tio­nellen, surrea­lis­ti­schen Momenten und stark forcierten Hand­lungs­ab­läufen, wie etwa in Mambétys groß­ar­tigem, nicht nur sprach­lich wild und ausge­las­senem und exaltiert poli­ti­schen Touki Bouki. Aber auch eine Frau setzte sich durch. Safi Fayes preis­ge­krönter Kaddu Baykat kam nach einem vorläu­figen Verbot in den 1970ern ebenso in Dakars Kinos wie Sembènes mit ameri­ka­ni­schen Geldern produ­zierte bitter­böse Polit­sa­tire Xala.

Amadou Thior
Amadou Thior: Regisseur, Produzent, Autor (Foto: Purr)

Das Geschäft boomt; und die sene­ga­le­si­sche Film­in­dus­trie sucht hände­rin­gend nach neuen Talenten. Das bleibt nicht ungehört. Amadou Thior geht wie einige andere seiner Lands­leute an eine der besten Film­hoch­schulen Frank­reichs, die »École nationale supéri­eure Louis-Lumière«. Thior erzählt begeis­tert von den Ausbil­dungs­be­din­gungen und der Euphorie der Studenten. 1977 macht er seinen Abschluss und kehrt trotz lukra­tiver Angebote aus Frank­reich in den Senegal zurück. Die Zahlen scheinen Thior recht zu geben. Neben zahl­rei­chen Kurz­filmen werden jährlich bis zu fünf Spiel­filme produ­ziert. Wie fragil dieser Boom ist, zeigt sich kurz nach Thiors Rückkehr. Die nationale Gesell­schaft für Film kolla­biert, wird neu gegründet, kolla­biert wieder. Beamte haben Gelder verun­treut oder sind schlichtweg nicht für das komplexe Film­ge­schäft quali­fi­ziert; Labore werden nicht bezahlt und fordern von nun an Vorab-Honorare.

Thior kann vorerst an der poly­tech­ni­schen Hoch­schule unter­kommen. Er dreht Lehrfilme und bedient Rhethorik-Einheiten der Studenten. Durch eine Fest­an­stel­lung beim Minis­te­rium für Kultur berührt ihn der völlige Verfall der sene­ga­le­si­schen Film­in­dus­trie zumindest finan­ziell nicht. Und er hat Freiräume. Thior dreht einen Kurzfilm über die sich langsam etablie­renden Parcelles Assainies. Der Film gewinnt einen Preis der UNESCO; seine Doku­men­ta­tion Xarek-Marak über die Dürre im Sahel wird auf dem Filmfest in Ouag­adougou ausge­zeichnet.

Doch die Preise schützen Thior nicht vor dem Verlust seiner Anstel­lung beim Minis­te­rium. Anfang der 1990er muss er sich wie fast alle Film­schaf­fenden in Dakar mit dem durch­schlagen, was übrig geblieben ist. Das ist nicht viel. Waren es nach seiner Rückkehr noch fünf Filme pro Jahr, so ist es nun ein Film alle vier Jahre. Und diese Filme sind fast ausschließ­lich den Regis­seuren vorbe­halten, die schon vorher mit auslän­di­schen Geld­ge­bern koope­riert haben. Sembène zum Beispiel. Thior gelingt es bei Sembènes Camp de Thiaroye und Guelwaar mitzu­wirken und schafft es schließ­lich seinen ersten eigenen Spielfilm zu produ­zieren. Almadou wird 2001 in Ouag­adougou mit einem Preis bedacht; im Senegal sind die Proteste nach einer ersten Ausstrah­lung im Fernsehen jedoch so massiv, dass der Film weitere Auffüh­rungen nicht erlebt. Vor allem die von reli­giösen Führern ausge­spro­chene Fatwa wirkt nach­haltig, die Kritik an den in Almadou gezeigten Praktiken isla­mi­scher Lehrer, der soge­nannten »Marabouts«, ihre Schüler zum Betteln auf den Straßen zu zwingen, wird zum Verstummen gebracht.

Joseph Sagna
Joseph Sagna: Künst­le­ri­scher Leiter von ADAFEST (Foto: Purr)

»Aber es geht halt doch irgendwie immer weiter«, sagt Thior. Das beste Beispiel sei Nigerias Nollywood-Industrie, die Hollywood inzwi­schen überholt habe. Vorbe­halte, dass Nollywood halt Hollywod sei und Senegal nun Mal Truffaut, so wie es Joseph Sagna, der künst­le­ri­sche Leiter der im Kultur­ma­nage­ment tätigen NGO Adafest formu­liert, mag Thior nicht gelten lassen. »Im Senegal wird einfach zu viel auf die Hilfe von außen vertraut und sich auf den Lorbeeren der wenigen, aber preis­ge­krönten Filme ausgeruht. Aber wer sieht diese Filme? Doch haupt­säch­lich Zuschauer in den Ländern, aus denen die Gelder für die Produk­tion flossen. La pirogue ist ein toller Film, der zurecht Preise bekommen hat und auch durch das Thema Migration und Boat-People brilliert. Aber solche Filme kommen bei den normalen Leuten nicht an. Es ist wie mit der Kunst hier: wer sie haupt­säch­lich kauft, sind die west­li­chen Ange­stellten der hier ansäs­sigen Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen.«

Thior hat sich deshalb entschlossen, möglichst mehr­gleisig zu fahren und auch die nige­ria­ni­sche Schiene der schnellen, preis­werten und populären Produk­tionen zu berück­sich­tigen. Er entwirft eine Serie für das staat­liche Fernsehen, in der ein Student aus der Elfen­bein­küste nach Dakar zieht und die abstru­sesten Dinge erlebt. Eine Komödie. Er hat einen weiteren Spielfilm fertig, in dem ein für einen Stadi­onbau Verant­wort­li­cher Gelder verun­treut, ins Gefängnis kommt und dann doch noch Erfolg hat. Für diesen »Millionärs«-Film sucht er noch einen Sponsor, der den Film nicht nur auf dem »schnellen« Straßen­markt vertreiben helfen, sondern auch Verträge mit Tele Orange, einem privaten Fern­seh­sender, abschließen helfen soll. Tele Orange hat ein Netflix-artiges Abo- und Streaming-Angebot, hier wäre der Film gut aufge­hoben. Und bei Produk­ti­ons­kosten von ungefähr 15.000.000 CFA (23.000 Euro) ist die Gewinn­zone schnell erreicht. Mehr noch, als mit den neuen Tech­no­lo­gien nicht nur das Filmen selbst so viel preis­werter geworden sei, auch die Synchro­ni­sa­tion sei im Grunde inzwi­schen ein Kinder­spiel. Zwar würden die meisten Produk­tionen weiterhin in der sene­ga­le­si­schen Verkehrs­sprache Wolof erscheinen, aber der Markt bewege sich. Nicht nur Fran­zö­sisch, mehr noch Englisch sei die ideale Ziel­sprache, so habe es auch Nollywood zu Erfolg gebracht. Und auch hier gebe es inzwi­schen die vielen jungen Leute, die einfach riesigen Spaß daran haben, viel Geld zu verdienen und für die Nollywood – anders als die älteren Gene­ra­tionen – gerade deshalb kein rotes Tuch ist.

Die prekären finan­zi­ellen Zwischen­räume zwischen der einen und anderen Produk­tion, die Plage und natürlich auch Chance der Piraterie und Rechts­un­si­cher­heit der eigenen Copy­rights begegnet Thior mit Alltags­jobs: er dreht Werbe­filme, kleine Clips für die städ­ti­sche Kana­li­sa­tion, unter­richtet an der Uni und war einige Jahre in einem eigenen Ausbil­dungs­in­stitut für Film­schaf­fende invol­viert. Und dann wird in diesem Jahr zum ersten Mal die mit der Inau­gu­ra­tion des neuen Präsi­denten Macky Sall angekün­digte eine Milliarde CFA (1,5 Millionen Euro) Förde­rungs­gelder für Film­pro­jekte bereit­ge­stellt. Das höre sich nicht viel an, sei aber immerhin ein Anfang und die Anträge bereits am Laufen. Zudem gebe es einen neuen Minis­te­ri­al­di­rektor fürs Filmwesen, einer der ersten, der etwas Ahnung vom Geschäft habe. Doch auch da regen sich Zweifel, denn was soll einer tun, wenn er eigent­lich nicht wisse, was er als erstes tun soll. Es ist einfach von allem zu viel zu tun.

Hugues Diaz
Hugues Diaz: Minis­te­ri­al­di­rektor der Direction de la Cine­ma­to­gra­phie des Ministere de la Culture et du Patri­moine, Senegal (Foto: Purr)

Hugues Diaz, Minis­te­ri­al­di­rektor für Filmwesen des Kultur­mi­nis­te­riums des Senegal (DCI), sieht das ein wenig anders. Er hat sein Büro direkt an der Stadt­au­to­bahn N1 auf halbem Weg in die Innen­stadt. Es ist nicht einfach einen Termin bei ihm zu bekommen. Und auch dann bleibt es schwierig, bedeutet seine Sekre­tärin zu warten. Es müssen Formulare ausge­füllt werden. Im Warte­zimmer hängen Plakate sene­ga­le­si­scher Film­pro­duk­tionen, Bücher zum sene­ga­le­si­schen Film, DVDs liegen aus. Diaz empfängt schließ­lich in einem stark parfü­mierten, klima­ti­sierten Büro. Er spricht ein paar Worte Deutsch, ein Plakat des Minis­te­riums zur Teilnahme am Filmfest in Ouag­adougou füllt fast die ganze hintere Wand aus. »Nein«, sagt er lachend, aber bestimmt, »ein Minister fürs Filmwesen ohne Kinos bin ich gewiss nicht!«

Diaz zählt auf, was in den letzten zwei Jahren schon alles passiert sei, gerade in Bezug auf Kinos: vier der alten zu Disko­theken und Kirchen umtrans­for­mierten Kinos in Vors­tädten wie Pikine seien mit staat­li­cher Hilfe wieder ihrer ursprüng­li­chen Funktion zugeführt und komplett renoviert und dann in private Hand übergeben worden. In einigen der großen Einkaufs­zen­tren in der Innen­stadt stünden die ersten Multi­plexe kurz vor der Voll­endung. »Und das«, sagt Diaz, ist erst der Anfang! Die erste der nun jährlich geplanten einen Milliarde CFA Film­för­de­rung werde bald ausge­schüttet sein. Er plane gesetz­liche Eingaben, die endlich auch Rechts­si­cher­heit im Film­ge­schäft gewähren soll.

Und spätes­tens in zwei Jahren soll in Dakar ein großes, staat­li­ches Medi­en­pro­duk­ti­ons­zen­trum entstanden sein, an dem alle profi­tieren dürften. Das staat­li­chen Fernsehen ebenso wie die frei­schaf­fenden Filme­ma­cher. Damit würde man nicht nur die verlo­renen 30 Jahre wieder aufholen, sondern sich auch von der nige­ria­ni­schen Vormacht­stel­lung befreien. »Soll Nollywood ruhig in Masse machen, wir machen in Qualität«.