Kamerakinder, Künstler, Komödianten |
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Bis zur Stadt Asch |
Von Natascha Gerold
2013 war das Jahr des Propheten im eigenen Land: Führte mit Fack ju Göhte ein deutscher Film hierzulande die Top Ten der meistgesehenen Filme im Kino an, war es in der Tschechischen Republik ebenfalls eine einheimische Komödie: Babovresky hatte die meisten Zuschauer, des Weiteren rangierten noch vier tschechische Filme unter den meistgesehenen Werken. Und entgegen des Klischees, nur Komödien würden zu Hause gut ankommen, war es bei den östlichen Nachbarn eine beachtliche Genre-Bandbreite, die ihr Publikum fand: Drama, Zeichentrickfilm, eine unkonventionelle Weihnachtsgeschichte und auch die Tragikomödie Revival von Autorenfilmerin Alice Nellis, in der die Altrocker der Gruppe Smoke nach über 40 Jahren die Band wieder zusammenbringen – jeder von ihnen hat sein ganz persönliches Motiv dafür. Doch eine musikalische Wiedervereinigung ist nicht so einfach in Zeiten, wo englische Songs alles andere als ein Zeichen von Rebellion sind. Ein Coup muss also her, ein Schlüssel, mit dem Smoke die Herzen der Massen erneut für sich öffnen kann…
Dieser Box Office Sommerhit des vergangenen Jahres ist jetzt (Sa., 27.09. 19 Uhr) in München zu sehen bei der 14. Tschechischen Filmwoche, die heuer vom 24. bis 28. September stattfindet. Diesen und sechs weitere aktuelle Spiel- und Dokumentarfilme haben das Tschechische Zentrum München, die Münchner Volkshochschule sowie der Kulturverein Ahoj Nachbarn dafür ausgewählt, viele von ihnen sind Debütfilme, wurden in Tschechien sowie auf internationalen Festivals ausgezeichnet und haben bei der Filmwoche im Arena Filmtheater in München ihre Deutschlandpremiere, unter anderem Zdenek Tycs Dreiecksgeschichte Wie nie zuvor (Fr., 26.09. 19 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs), in dem der sterbende Maler Vladimír, ein zeitlebens verbockter Knöterich, von zwei ihn liebenden Frauen begleitet wird. Zwischenmenschliches Konfliktpotenzial, das durch Verständnis auf Erlösung hofft – das zeigt sich auch in der Tragikomödie um ein weiteres künstlerisches Comeback, die die Filmwoche eröffnet: Das Pantomimetrio in Clowns (Mi., 24.09. 19 Uhr) von Viktor Tauš dürfte zu gleicher Zeit erfolgreich gewesen sein wie die Rockband Smoke, doch vor einer erneuten Bühnenshow klaffen erst einmal tiefe Gräben alter Verletzungen. Tauš Film ist rundum nostalgisch und hochmodern zugleich: lange Einstellungen, im 35-mm-Format gedreht, erzählen die Geschichte des einst erfolgreichen Trios in dieser tschechisch-finnisch-luxemburgischen-slowakischen Ko-Produktion. Die drei Hauptdarsteller – ein Franzose, zwei Tschechen – erfanden während der Dreharbeiten kurzerhand ihre eigene Kommunikationsform, um das gemeinsame Spielziel zu erreichen, verriet Regisseur Tauš in einem Radiointerview mit einem luxemburgischen Sender.
Apropos Europa: Tschechien und die Slowakei haben heuer eine Art Europa-Jubiläum. Beide Länder sind seit zehn Jahren in der EU. Wohlstand und Wachstum mögen irgendwo stattgefunden haben, doch nicht für die Figuren in Bis zur Stadt Asch (Do., 25.09. 21 Uhr): Preiskampf und Ausbeutung, zunächst der Arbeitskraft, dann, nicht selten, des eigenen Körpers. Iveta Grófová erzählt die Geschichte der blutjungen Dorotka, die die Erfüllung ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Glück in der Stadt Asch an der tschechisch-deutschen Grenze wähnt. Vieles von dem, was sie, Grófová, in ihrem Spielfilm zeigt, haben Menschen in ihrem direkten Umfeld erlebt, als sie selbst in Asch nach der Schule als Näherin arbeitete. »Ash ist in der Nähe von Prag, aber die meisten Menschen tun so, als würden sie nicht sehen, was dort passiert«, so die Filmemacherin im Gespräch mit cineuropa. Beklemmend ähnlich ist diese Aussage den Eindrücken eines Helmut Schümann, der in seiner Reportage »Deutschland drumherum« für den Tagesspiegel den Alltag im deutsch-tschechischen Grenzgebiet schilderte.
Während Animationsfachfrau Grófová sich erzählerischer Mittel des Trick- und des Dokumentarfilms bedient, dreht ihr fast gleichaltriger Kollege Petr Hátle den Genrespieß um und macht mit seiner unkonventionellen Bildsprache die Protagonisten seines Dokumentarfilms Die große Nacht (Fr., 26.09. 21 Uhr) – Süchtige, Nachtschichtler, alternde Prostituierte, eine junge Disco-Queen – zu Helden der pulsierenden erbarmungslosen Prager Nacht.
Die Bilder sind schon da, ihre Bedeutung manchmal noch nicht – In Das Meer sehen (Do., 25.09. 19 Uhr, der Regisseur ist anwesend) bekommt der elfjährige Tomaš von seinen Eltern einen Fotoapparat geschenkt, weil die Ferien am Meer diesmal ausfallen. Er nutzt den Trostpreis vor allem als Filmkamera und Videotagebuch, in dem er zusammen mit seinem besten Freund festhält, was ihn beschäftigt – unter anderem das merkwürdige Verhalten seiner Eltern. Wie fesselnd die Erzählperspektive eines Kindes sein kann, wissen wir nicht erst seit Richard Linklaters Boyhood. Schauspieler Jiri Mádl geht in seinem Regiedebüt noch einen Schritt weiter. Bei ihm ist nicht nur das Gezeigte, sondern auch ein von Kinderhand geführtes Medium die Botschaft – ein geschickt als Dokumentarfilm verkleideter Spielfilm, der auch im Kinoprogramm der Erwachsenenwelt seine Berechtigung hat. Ist doch, das wusste auch Picasso, die Wiedergewinnung der kreativen Haltung eines Kindes die schwierigste Aufgabe, der sich ein Künstler stellen kann.
14. Tschechische Filmwoche vom 24. bis 28. September 2014