25.09.2014

Kamera­kinder, Künstler, Komö­di­anten

Tschechische Filmwoche
Bis zur Stadt Asch

Die 14. Tschechische Filmwoche 2014 zeigt viel von cineastischer Lust am Spiel

Von Natascha Gerold

2013 war das Jahr des Propheten im eigenen Land: Führte mit Fack ju Göhte ein deutscher Film hier­zu­lande die Top Ten der meist­ge­se­henen Filme im Kino an, war es in der Tsche­chi­schen Republik ebenfalls eine einhei­mi­sche Komödie: Babo­v­resky hatte die meisten Zuschauer, des Weiteren rangierten noch vier tsche­chi­sche Filme unter den meist­ge­se­henen Werken. Und entgegen des Klischees, nur Komödien würden zu Hause gut ankommen, war es bei den östlichen Nachbarn eine beacht­liche Genre-Band­breite, die ihr Publikum fand: Drama, Zeichen­trick­film, eine unkon­ven­tio­nelle Weih­nachts­ge­schichte und auch die Tragi­komödie Revival von Auto­ren­fil­merin Alice Nellis, in der die Altrocker der Gruppe Smoke nach über 40 Jahren die Band wieder zusam­men­bringen – jeder von ihnen hat sein ganz persön­li­ches Motiv dafür. Doch eine musi­ka­li­sche Wieder­ver­ei­ni­gung ist nicht so einfach in Zeiten, wo englische Songs alles andere als ein Zeichen von Rebellion sind. Ein Coup muss also her, ein Schlüssel, mit dem Smoke die Herzen der Massen erneut für sich öffnen kann…

Dieser Box Office Sommerhit des vergan­genen Jahres ist jetzt (Sa., 27.09. 19 Uhr) in München zu sehen bei der 14. Tsche­chi­schen Filmwoche, die heuer vom 24. bis 28. September statt­findet. Diesen und sechs weitere aktuelle Spiel- und Doku­men­tar­filme haben das Tsche­chi­sche Zentrum München, die Münchner Volks­hoch­schule sowie der Kultur­verein Ahoj Nachbarn dafür ausge­wählt, viele von ihnen sind Debüt­filme, wurden in Tsche­chien sowie auf inter­na­tio­nalen Festivals ausge­zeichnet und haben bei der Filmwoche im Arena Film­theater in München ihre Deutsch­land­pre­miere, unter anderem Zdenek Tycs Drei­ecks­ge­schichte Wie nie zuvor (Fr., 26.09. 19 Uhr in Anwe­sen­heit des Regis­seurs), in dem der sterbende Maler Vladimír, ein zeit­le­bens verbockter Knöterich, von zwei ihn liebenden Frauen begleitet wird. Zwischen­mensch­li­ches Konflikt­po­ten­zial, das durch Vers­tändnis auf Erlösung hofft – das zeigt sich auch in der Tragi­komödie um ein weiteres künst­le­ri­sches Comeback, die die Filmwoche eröffnet: Das Panto­mi­me­trio in Clowns (Mi., 24.09. 19 Uhr) von Viktor Tauš dürfte zu gleicher Zeit erfolg­reich gewesen sein wie die Rockband Smoke, doch vor einer erneuten Bühnen­show klaffen erst einmal tiefe Gräben alter Verlet­zungen. Tauš Film ist rundum nost­al­gisch und hoch­mo­dern zugleich: lange Einstel­lungen, im 35-mm-Format gedreht, erzählen die Geschichte des einst erfolg­rei­chen Trios in dieser tsche­chisch-finnisch-luxem­bur­gi­schen-slowa­ki­schen Ko-Produk­tion. Die drei Haupt­dar­steller – ein Franzose, zwei Tschechen – erfanden während der Dreh­ar­beiten kurzer­hand ihre eigene Kommu­ni­ka­ti­ons­form, um das gemein­same Spielziel zu erreichen, verriet Regisseur Tauš in einem Radio­in­ter­view mit einem luxem­bur­gi­schen Sender.

Apropos Europa: Tsche­chien und die Slowakei haben heuer eine Art Europa-Jubiläum. Beide Länder sind seit zehn Jahren in der EU. Wohlstand und Wachstum mögen irgendwo statt­ge­funden haben, doch nicht für die Figuren in Bis zur Stadt Asch (Do., 25.09. 21 Uhr): Preis­kampf und Ausbeu­tung, zunächst der Arbeits­kraft, dann, nicht selten, des eigenen Körpers. Iveta Grófová erzählt die Geschichte der blut­jungen Dorotka, die die Erfüllung ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Glück in der Stadt Asch an der tsche­chisch-deutschen Grenze wähnt. Vieles von dem, was sie, Grófová, in ihrem Spielfilm zeigt, haben Menschen in ihrem direkten Umfeld erlebt, als sie selbst in Asch nach der Schule als Näherin arbeitete. »Ash ist in der Nähe von Prag, aber die meisten Menschen tun so, als würden sie nicht sehen, was dort passiert«, so die Filme­ma­cherin im Gespräch mit cineuropa. Beklem­mend ähnlich ist diese Aussage den Eindrü­cken eines Helmut Schümann, der in seiner Reportage »Deutsch­land drumherum« für den Tages­spiegel den Alltag im deutsch-tsche­chi­schen Grenz­ge­biet schil­derte.

Während Anima­ti­ons­fach­frau Grófová sich erzäh­le­ri­scher Mittel des Trick- und des Doku­men­tar­films bedient, dreht ihr fast gleich­alt­riger Kollege Petr Hátle den Genre­spieß um und macht mit seiner unkon­ven­tio­nellen Bild­sprache die Prot­ago­nisten seines Doku­men­tar­films Die große Nacht (Fr., 26.09. 21 Uhr) – Süchtige, Nacht­schichtler, alternde Prosti­tu­ierte, eine junge Disco-Queen – zu Helden der pulsie­renden erbar­mungs­losen Prager Nacht.

Die Bilder sind schon da, ihre Bedeutung manchmal noch nicht – In Das Meer sehen (Do., 25.09. 19 Uhr, der Regisseur ist anwesend) bekommt der elfjäh­rige Tomaš von seinen Eltern einen Foto­ap­parat geschenkt, weil die Ferien am Meer diesmal ausfallen. Er nutzt den Trost­preis vor allem als Film­ka­mera und Video­tage­buch, in dem er zusammen mit seinem besten Freund festhält, was ihn beschäf­tigt – unter anderem das merk­wür­dige Verhalten seiner Eltern. Wie fesselnd die Erzähl­per­spek­tive eines Kindes sein kann, wissen wir nicht erst seit Richard Linkla­ters Boyhood. Schau­spieler Jiri Mádl geht in seinem Regie­debüt noch einen Schritt weiter. Bei ihm ist nicht nur das Gezeigte, sondern auch ein von Kinder­hand geführtes Medium die Botschaft – ein geschickt als Doku­men­tar­film verklei­deter Spielfilm, der auch im Kino­pro­gramm der Erwach­se­nen­welt seine Berech­ti­gung hat. Ist doch, das wusste auch Picasso, die Wieder­ge­win­nung der kreativen Haltung eines Kindes die schwie­rigste Aufgabe, der sich ein Künstler stellen kann.

14. Tsche­chi­sche Filmwoche vom 24. bis 28. September 2014