Der Letzte der Giganten |
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Lino Ventura in Cadaveri Eccellenti |
Er begann seine Karriere Ende der 40er Jahre als Regieassistent von Luchino Visconti und Michelangelo Antonioni. Für seinen Politthriller »Hände über der Stadt«, ein nach wie vor aktuelles Drama über verbrecherische Immobilienspekulation und politische Korruption bekam er schon 1963 den Goldenen Löwen von Venedig – da hatte er bereits einen Silbernen Bär bei der Berlinale im Jahr zuvor gewonnen – für den Mafiafilm »Salvatore Giuliano«. Jetzt ist der italienische Filmregisseur Francesco Rosi im Alter von 92 Jahren in Rom gestorben.
Es gibt zwei Mythen über die Mafia. Der eine ist der nordamerikanische Mythos: Mafiosi sind Menschen. Marlon Brando, Robert de Niro oder Al Pacino verkörpern diese schönen Verbrecherhelden in all ihrer Coolness, sie zeigen sie als gute Söhne, Brüder, Väter, die eigentlich immer nur ihrer spaghettikochenden Mamma gefallen und die Familie zusammenhalten wollen. Diese Humanisierung der Mafia weckt Verständnis noch für den unnötigsten Mord, denn alles geschieht ja für Mamma.
Der zweite Mythos ist der italienische: Mafia ist immer und überall. Eine Krake. Wenn man ihr einen Arm abschlägt, wachsen zwei neue nach. Wir erleben sie als eiskalte Unsichtbare, als Bestie, und zugleich als omnipräsent: Sie hat das Gesicht korrupter Bullen oder schlägernder Halbwüchsiger, von Wirtschaftsbossen in edlen Anzügen, mit schweren dunklen Limousinen. Und das von Politikern, die braungebrannt und lächelnd »Verantwortung« sagen und »Macht« meinen, die nicht
gekauft werden müssen, weil ihnen der Glanz des Amtes und die Bodyguards in Armeslänge Bestechung genug ist.
Sinnlos ist der sysiphoshafte Kampf vereinzelter Polizisten allein gegen diesen Familienclan anderer Art, und am Ende des Films steht immer der Sieg des Unsichtbaren.
Kein zweiter Filmregisseur hat diese Welt so geschickt, so überzeugend und eindrucksvoll inszeniert, wie Francesco Rosi. Seine Filme sind Epen des Verbrechens. Sie romantisieren die Mafia allenfalls dadurch, dass sie sie in Eiseskälte und Perfektion als unbesiegbare zeigen, die vorgibt, die Wirklichkeit zu schildern.
Die meisten Filme des 1922 geborenen Italieners waren politisch engagierte Thriller und Gangsterfilme. Fast dokumentarisch und in jedem Detail hyperrealistisch (obwohl die einzelnen Bilder bis ins Kleinste inszeniert sind) zeigte Rosi die Zustände des Nachkriegs-Italiens in den 50er, 60er und 70er Jahren. Salvatore Giuliano (1961), Hände über der Stadt (1963), Der Fall Mattei (1972) und noch Lucky Luciano von 1973 wirken phasenweise wie Dokumentarfilme. Rosi schaut genau hin, aber er bleibt immer skeptisch.
Schon sein erster Film I Magliari, 1958 in Hamburg gedreht, im italienischen Gastarbeiter- und Hafenmilieu, zeigte die fließenden Grenzen zwischen kleinen Straßenhändlern und Straßengangs – eine westdeutsche Westside-Story.
Keiner hat den Filz zwischen Mafia, Macht und Kapital so kühl und doch eindeutig anklagend in Film verwandelt wie er. Wie ein Ermittlungsbeamter verschafft sich der Regisseur stellvertretend für die Zuschauer ein objektives Bild, doch im selben Moment drückt er sich nicht um dessen Bewertung. Viele Filme Francesco Rosis gleichen einem Prozeß. Die Fakten werden nüchtern und sachlich präsentiert, am Ende wird das Urteil gesprochen.
Aber Rosis Helden sind keine Ankläger, sondern Produkte der Verhältnisse, und an ihren Defekten, die sie in aller Integrität doch nicht verleugnen können, zeigt sich die Gewalt des Systems. Ihre Anklagen sind deshalb indirekter, aber um so schärfer. Oft sind es Ermittler, wie der stoische Inspektor Rosas, der gespielt von Lino Ventura in Cadaveri Eccellenti (1976) eine Serie von Richtermorden aufklären muss.
Rosi – das konnte man nicht genug schätzen – hat die Wirklichkeit nie mit der Wahrheit verwechselt. Aber seit den 1980ern ging die Zeit über diese Art von Kriminalfilm hinweg: Im Polizeifilm der 1980er drehten Polizisten durch und richteten ein Massaker unter Verbrechern an, weil hierin die einzige Alternative dazu liegt, selbst korrupt zu werden. Dagegen waren Rosis Helden die korrekten, braven Beamten. Stur tun sie ihren Beruf noch im Scheitern perfekt. Und so wie die Mafia – darum liebt sie Hollywood so – die gewalttätigen Ursprünge des freien Unternehmertum bloßlegt, enthüllen Rosis Filme in ihren melancholischen Sisyphoshelden die Tragödie des Staates im Kampf mit dem Kapitalismus.
Seit den 70ern wandte sich Rosi daher auch anderen Themen zu: Christus kam nur bis Eboli brachte 1979 noch einmal späten Ruhm, ebenso die Marquez-Verfilmung Chronik eines angekündigten Todes 1987.
Rosis letzter Film war 1997 Die Atempause – die Verfilmung der bitteren KZ-Tagebücher von Primo Levi. Bis zum Schluss blieb Rosi, der seine Filme auf Retrospektiven in Berlin, Locarno und Venedig zeigte und persönlich begleitete, ein engagierter Filmemacher.
Er, der als Regieassistent von Visconti und Antonioni begonnen hatte, war der letzte dieser unvergleichlichen
Generation des italienischen Kinos. Der letzte der Giganten