Der Kosmos, dem Chaos entrissen |
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Antlitz und Angesicht: Cosmos von Żuławski liebt die Rätsel, ohne sie jedoch aufzulösen |
Von Dunja Bialas
»Dies Werk nenne ich gern 'eine Erzählung vom Entstehen der Wirklichkeit'. Und da ein Kriminalroman eben dies ist – ein Versuch der Organisation des Chaos –, also hat Kosmos ein wenig die Form eines Kriminalromans.
Ich lege zwei Ausgangspunkte fest, zwei Anomalien, sehr voneinander entfernte: a ein gehenkter Spatz; b Verbindung des Mundes von Katasia mit dem Mund von Lena.
Diese beiden Rätsel werden nach einem Sinn zu verlangen beginne. Das eine wird das andere durchdringen, nach einer Ganzheit strebend. Ein Prozeß von Vermutungen wird beginnen, von Assoziationen, Verdachtsgründen, etwas wird zu entstehen beginnen, doch womöglich ein ungeheuerlicher Embryo, und diese trübe, unbegreifliche Scharade wird nach ihrer Lösung rufen, eine klärende, ordnende Idee suchen.« – Witold Gombrowicz zu seinem Roman »Kosmos«
Fünfzehn Jahre waren seit seinem letzten Film vergangen. Dann legte Andrzej Żuławski wie aus dem Nichts einen neuen Film auf dem Festival von Locarno vor: Cosmos, eine Verfilmung des Romans von Witold Gombrowicz. Ein Feuerwerk, ein Irrwitz, ein Meisterwerk, für das Żuławski den Silbernen Leoparden für die beste Regie erhielt. Nur einmal noch sollte Cosmos zu seinen Lebzeiten aufgeführt werden, zwei Vorführungen waren auf der Woche der Kritik in Berlin vorgesehen, beide an einem Sonntag: am 14. und 21. Februar. Dazwischen schob sich der Tod Żuławskis. Der polnische Regisseur, der überwiegend in Paris gelebt hatte, seit dem Verbot seines zweiten Films Diabel (1972) durch die polnische Zensur, verstarb am 17. Februar 2016 in Warschau.
Bei der letzten Vorführung von Cosmos zu Lebzeiten des Regisseurs trat der portugiesische Produzent Paulo Branco vors Publikum, entschuldigte den Erkrankten und erzählte, wie der Film entstanden war. Er war mit dem Projekt an Żuławski herangetreten, der nach La Fidélité, seinem letzten Werk und filmischen Abschiedsbrief an seine Frau Sophie Marceau, keinen weiteren Film mehr in Angriff genommen hatte. Stattdessen verfasste er, wie schon sein Großvater und sein Vater, Literatur und veröffentlichte in Polen einen Skandalroman: »Der Nachttopf«, in dem er von seiner Beziehung mit der Tochter des früheren Außenministers, der Schauspielerin Weronika Rosati, schrieb. Das Buch wurde schließlich verboten. Żuławski war und blieb in seinem eigenen Land ein poète maudit, interdit.
Jetzt sollte Żuławski »Cosmos« des polnischen Autors Witold Gombrowicz verfilmen, so Brancos Idee. Der Roman war 1965 entstanden, wenige Jahre vor Żuławskis Filmdebüt Der dritte Teil der Nacht (1971), mit dem er zum ersten Mal Zeugnis ablegte von seiner atemlosen, fiebrigen Erzählweise und der Lust an Irr- und Abwegen. Hirngespinste paaren sich mit blutigem Naturalismus, historischer Dekor mit dem mikroskopischen Science-Fiction einer Läuse-Farm. Die Welt fällt in diesem ersten Film in unbändiger Hast auseinander, als entfesselter Bildersturm auf die Kriegserinnerungen seines Vaters, nach denen der Film entstand. Die vibrierenden Körper, die apokalyptische Stimmung und der Mensch am Rande des Irreseins kehren auch in seinen späteren Filmen zurück, geradezu monströs in Possession, dem Film, in dem er 1982 eine männermordende Isabelle Adjani mit einem riesigen Kraken Sex haben lässt. Das Blutüberströmte, Verwundbare und Ausweglose der Welt verbinden sich zu einem Exzess des Ungeheuerlichen, auch der geteilten Stadt Berlin, die der Film als morbiden und mordenden Schauplatz inszeniert.
Gehetzt und verfolgt, auf ihren Irrwegen ins Monströse hineingleitend, waren viele Figuren Żuławskis. In dem Film, der ihn aus Polen verbannte, Diabel, wird sein Protagonist vom Teufel heimgesucht und in der dem Chaos anheimfallenden Welt des 18. Jahrhunderts zum Königsmörder. Żuławskis Filme sind dunkel, besonders dunkel auch der hierzulande wohl bekannteste, Nachtblende von 1975 mit Romy Schneider und dem dämonischen Klaus Kinski, angesiedelt in der halbschattigen Porno-Welt.
Mit Cosmos wandte sich Żuławski am Ende noch einmal dem Licht zu. In Frankreich am Meer gedreht, vereint der Film einen weiten Himmel und die sattgrüne Natur mit überaus hellem Irr- und in Phoneme zerfallendem Sprachwitz. In der fieberhaften Unrast der Figuren beginnen die Konstellationen Karussell zu fahren, angestachelt von Sabine Azéma als hyperventilierender Pensionswirtin. Dem allen entweicht der melancholische Pensionsvater (Jean-François Balmer) in den Trost der Natur und in ein »tirilierendes« Delirium, in dem sich die Sprache in Absurdität auflöst: Tiri-tiri-tiri. Der am Ende dem Chaos aller Logik zum Trotz entrissene Kosmos birgt seinen eigenen Widerspruch: er ist und ist zugleich nicht. – Die absurde Komödienhaftigkeit des Romans gliedert sich mühelos ein in das filmische Universum des Żuławski: Fast als hätte der Text nur auf die Verfilmung gewartet, und, welch ein Glück, dass es dazu noch kam.
»Ist Wirklichkeit ihrem Wesen nach zwangsvorstellhaft? Angesichts dessen, dass wir unsere Welten aufbauen, indem wir Erscheinungen assoziieren, würde es mich nicht wundern, wenn am Uranfang der Zeiten eine zweifache Assoziierung gewesen wäre. Sie bringt die Richtung ins Chaos hinein und ist der Anfang der Ordnung.« – Witold Gombrowicz
Żuławski sollte man jetzt wieder zeigen. Vielleicht, weil man mit seinem Tod einen Anlass hat, mehr noch aber, weil seine Filme Paradigmen eines befreiten Kinos sind, das heute sehr frisch und ungestüm auf uns hereinbricht, Verwunderung auslösend darüber, was und wen wir alles verloren haben. Man sollte sein Werk wieder sehen, ebenso das anderer Regisseure der ersten, zweiten oder dritten polnischen Welle (ob Neue Welle, Drittes polnisches Kino, Kino der Jungen Kultur): Die Kurzfilme Roman Polanskis und das Frühwerk Jerzy Skolimowskis (der auf dem Festival in Rotterdam noch mal einen Film vorgestellt hat, 11 minut), und unbedingt Krzysztof Zanussis Die Struktur des Kristalls und Illuminacja – Illumination über einen Wissenschaftler, der an der Unberechenbarkeit der eigenen Physis scheitert. Ein kreatives Aus- und Aufbrechen aus einem eng und enger werdenden Korsett: das wirkt auch heute befreiend für die Seele.