Deutsches Zelluloid, bewußtseinserweiternd |
||
Dominik Graf hat sich in seinem neuesten Werk der »verfluchten Liebe« im/zum deutschen Film gewidmet und dabei wahre Schätze des Genrekinos ausgegraben |
Von Ulrich Mannes
Was findet nicht alles Asyl auf dieser Veranstaltung: »Abseitiges, Knalliges, Obskures, Schräges und Vergessenes aus den Randbereichen der deutschen Filmgeschichte, Werke, die von der Kritik verkannt oder vom Publikum übersehen wurden, avantgardistisches Kunstkino genauso wie Sex-, Splatter- und St.-Pauli-Filme, undergroundige Punk- und Homemade-Werke, Genre- und Independentkino, wie auch deutsche Blockbuster aus einer Zeit, in der es dieses Wort noch nicht gab.« So bewirbt das »Besonders-Wertlos-Festival für den deutschen Psychotronischen Film«, das Anfang März im Kölner Filmhaus seine achtzehnte Ausgabe feiern konnte, sein Programm.
Psychotronischer Film, das klingt in der Tat abseitig, knallig und schräg und obendrein auch noch ein bißchen einschüchternd. Diese Gattungsbezeichnung hat einst der amerikanische Autor Michael Weldon geprägt, der seit den 80er Jahren zu den verlässlichsten Vermittlern vernachlässigter Filme gehört. Die Sichtung des Sci-Fi-Films The Psychotronic Man von 1980, in dem es um Parapsychologie und Gedankenkontrolle geht, war für ihn so etwas wie ein journalistisches Erweckungserlebnis und sollte den Namen für sein publizistisches Werk liefern. So gab Weldon ab 1981 das inzwischen legendäre Magazin »Psychotronic Video« heraus und 1983 sein voluminöses Lexikon der abseitigen Filmkultur unter dem Titel »The Psychotronic Encyclopedia of Film«.
Allerdings erklärt Kai Krick, der Mitbegründer des Festivals, dass sie von Michael Weldon im Grunde nur die Bezeichnung geborgt haben: »Das Wort hat halt einfach einen geilen Klang, und wir dachten uns, dass eine Kombination aus der Ironisierung von 'Besonders Wertvoll' und der Bezeichnung 'psychotronisch' für das richtige Publikum sorgen würde.« Hervorgegangen ist das Festival 1999 aus studentischen Videoabenden an der Ruhr-Universität in Bochum. Bis dahin waren die Teilnehmer, wie alle ordentlichen Filmfans in den Neunzigern, auf amerikanische, italienische und asiatische Filme geeicht – bis den Veranstaltern ein Video des Rolf Olsen-Films Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn von 1967 in die Hände fiel. Das erste Werk eines St.-Pauli-Zyklus, das eine völlig unbekannte Seite des deutschen Genrekinos repräsentierte und es »mit den Poliziotteschi, den Blaxploitern und dem zeitgenössischen Genrekram aus USA und Hongkong aufnehmen konnte.« Fortan suchte der harte Kern in »Videosafaris« alles zusammen, was sich an deutschen Produktionen finden ließ und wodurch sich langsam ein Bild von der »ungeschrieben Geschichte des deutschen Films« formte. Das »Institut für Psychotronik« wurde gegründet, eine Fanzine mit dem Titel »Absurd 3000« verlegt (und nach der zweiten Nummer leider wieder eingestellt). Die erste Ausgabe des Festivals, veranstaltet noch in den Uni-Räumen, war eigentlich nur erweiterter Videoabend, der mit Rolf Olsens Blutiger Freitag und Ich – Ein Groupie (mit Ingrid Steeger) allerdings echte Knaller zu bieten hatte und unglaublicherweise mehr als 1000 Besucher anzog. Schon fürs dritte Festival organisierten die Veranstalter 35mm-Kopien und zogen damit ins örtliche Kommunale Kino und verlangten Eintritt. Der Ortswechsel vor vier Jahren nach Köln ins dortige Filmhaus gab dem psychotronischen Unternehmen einen weiteren Schub. Und mit Gästen konnte das Festival von Anfang an auch aufwarten: Peter Fleischmann, Roland Klick, Wenzel Storch, Wolf Gremm, Werner Enke, Dominik Graf, Rinaldo Talamonti u.v.a.m. waren dem bewußtseinserweiterenden Festivalformat immer aufgeschlossen.
Die achtzehnte Ausgabe des Festivals bot in der Tat ein paar eindrücklich schillernde Beispiele psychotronischen Filmschaffens, mit denen sich unterschwellige wie oberflächliche Bezüge herstellen lassen. In einem Quasi-Schwerpunkt verlegte sich das Programm in die 80er Jahre, also in jene Zeit, als es um den deutschen Film eher schlecht bestellt war. Die Veranstalter fanden drei Filme, die zusammen einen fast schon repräsentativen Querschnitt der damaligen Jugendkulturen bilden: Einmal Asphaltnacht, ein »vergessener Schlüsselfilm der Berliner Punkszene« von Peter Fratzscher aus dem Jahre 1980, dann Wolfgang Bülds Teenager-Romanze Gib Gas – Ich Will Spass, in der »Nena, Markus und Extrabreit auf der Neuen Deutschen Welle durch die Bundesrepublik der frühen 80er surfen«, und schließlich noch einen Film aus der »Gefahrenzone«, das verstörende österreichische Comming-of-Age-Drama Die Erben von Walter Bannert, der die grimmige Geschichte eines Jugendlichen in den Fängen einer neonazistischen Organisation erzählt.
Zu ihrem Recht kamen unter anderem noch ein Graf-Porno-Double-Feature, ein monströs-kruder Skandalfilm, ein »beispielloser Sumpf aus Menschenhandel, Korruption, Mutter-Tochter-Inzest, SM, schwarzen Messen und Terrorismus« mit dem Titel Obszön. Ferner gab’s noch jeweils zwei Olsen- und Vohrer-Filme zu sehen, darunter Sieben Tage Frist, ein Internatsfilm aus den Sechzigern mit einem überraschenden Turn in die Nazivergangenheit, und schließlich als Höhepunkt Dominik Grafs und Johannes Sieverts neue Dokumentation Verfluchte Liebe deutscher Film, in der der eine oder andere psychotronische Filmemacher zu Wort kommt und auf den wir an dieser Stelle bestimmt noch mal eingehen werden.