»Ich wusste, was ich damals getan habe.« |
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Jeff Bridges, Isabelle Huppert und Kris Kristofferson in Heaven’s Gate |
Von Axel Timo Purr
»I think Heaven’s Gate was used by powers to be, to stop a way of filmmaking where the author was the director and was in control of the money.«
–Kris Kristofferson, in Final Cut: The Making and Unmaking of Heaven’s Gate»I love the movie, I really love the movie. I can watch that movie and I can’t really see any fault in this movie.«
–Vilmos Zsigmond, in Final Cut: The Making and Unmaking of Heaven’s Gate
Kristallklar sehe ich noch heute, wie mein Freund Christoph und ich an einem Spätsommerabend des Jahres 1981 die Hochhauslichtspiele in Hannover verlassen haben und nichts mehr so war, wie wir es bis dahin gekannt hatten. Das Kino New Hollywoods hatte uns immer wieder erschüttert und begeistert, es war die fast ideale Ergänzung zum stillen, aber auf andere Art und Weise ebenso intensiven Neuen Deutschen Film. Doch was Michael Cimino mit Heaven’s Gate schuf, war jenseits von allem, was wir bis dahin gesehen hatten; es vereinte alles, was wir kannten (und liebten) und viel, von dem wir nur gehört hatten und auch etwas, was noch kommen sollte. Denn Heaven’s Gate mit seinem fast totalitären Anspruch auf Authentizität und einer epischen Erzählweise, die noch Visconti in den Schatten stellte und einer gesellschaftspolitischen Kritik, die die eigene Heimat an ihren Wurzeln packte und hinterfragte, sieht sich heute – auch thematisch – wie ein Vorläufer der großen amerikanischen Serien unserer Gegenwart, eine Art Breaking Bad im Urzustand.
War Heaven’s Gate für uns ein Neuanfang – nicht nur filmisch, denn wir verliebten uns immerhin auch in Isabelle Huppert und Christopher Walken – wurde er für Michael Cimino zu einem persönlichen »Watergate« und für das kreative, dem Regisseur bis dahin immer mehr Macht zugestehende Kino des New Hollywood der symbolische Grabstein und gleichermaßen die Geburtsstunde des studiogelenkten Blockbuster-Kinos Hollywoods.
Dabei fing alles vielversprechend an. Cimino erarbeitete sich in den 1960ern einen exzellenten Ruf als Regisseur von unkonventionellen Werbefilmen, ließ diesen Lebensabschnitt jedoch 1971 hinter sich und erarbeitete sich in Los Angeles eine neue Basis als Drehbuchautor, mit einer ersten Erwähnung für Silent Running (1972). Über ein Drehbuch für die »Dirty Harry«-Fortsetzung Magnum Force (1973) lernte er Clint Eastwood kennen, der Cimino in dessen Debütfilm Thunderbolt and Lightfoot (1974) unterstützte. Der Erfolg des extravaganten Buddy- und Roadmovies mit Clint Eastwood und Jeff Bridges in den Hauptrollen öffnete Cimino die Türen der Produzenten. Nach etlichen Absagen für Projekte, die ihm nicht am Herz lagen, entschied sich Cimino schließlich für die Realisierung eines Projektes, das den Vietnam-Krieg an der Heimatfront thematisieren sollte und in dem sich erstmals Ciminos markante filmische Vision etablieren sollte.
Denn der wie ein Triptychon angelegte The Deer Hunter (Die durch die Hölle gehen) mit seinen exzellenten Hauptdarstellern – Robert De Niro, Christopher Walken, John Savage, John Cazale, Meryl Streep und George Dzundza – brach gleich mit mehreren Konventionen. Ein Kriegsfilm, der nur zu einem Bruchteil im Krieg spielt und mit einer Wut im Bauch, die nicht einmal vor der eigenen Heimat Halt macht und in eine Schlusssequenz mündete, die das damalige Team der Produzenten verzweifeln ließ, aber bei den ersten Testscreenings das Publikum überraschend begeisterte – und erschütterte. Doch Ciminos radikaler Mix aus Poesie und Gewalt, der nicht davor halt machte, die Geschichte des Vietnamkriegs für seine Zwecke umzuschreiben, stieß auch auf heftige Kritik. Eine Kritik, die die Berlinale 1979 fast zum Abbruch brachte, weil der Chef der sowjetischen Delegation alle Filme zurückzog, um gegen eine der Kernszenen des Deer Hunter zu protestieren, die eine Foltermethode des Vietcong in einer atemberaubenden, vertrackt symbolischen Szene zeigte, die es historisch so nie gab: das erzwungene Russisch-Roulette von gefangenen Amerikanern. Aber The Deer Hunter riskierte noch mehr und war damit gleichermaßen Blaupause für Heaven’s Gate – denn auch hier überschritt Cimino bereits Grenzen, die das Budget fast sprengten, in Heaven’s Gate dann aber für einen Skandal sorgten: Im Drehbuch mit 21 Minuten vermerkt, erweitert Cimino die legendäre Hochzeitsszene im Deer Hunter während des Drehs scheinbar spontan auf 51 Minuten, schafft allerdings erst damit auch die erzählerische Grundlage, die den Verlust der Heimat und des amerikanischen Traums tatsächlich und unvorstellbar nachhaltig fühlbar macht.
Die Oscars für den Deer Hunter schienen Cimino Recht zu geben und standen Pate für sein nächstes Projekt, das Amerika im Herz angreifen sollte, am unumstößlichen Freiheitsparadigma der eigenen Geschichte nagen sollte und heute aktueller denn je ist. Cimino erzählt – auch hier historisch »frei« agierend – gleich mehrere Geschichten des Scheiterns: vor der Kulisse des historischen 1890 verbürgten »Johnson County Wars«, in dem amerikanische Großfarmer osteuropäische Einwanderer mit Gewalt daran hindern wollten, sesshaft zu werden, konzentriert sich Cimino nicht nur auf die Lüge des »Amerikanischen Traums«, sondern auch auf den Verlust der eigenen Ideale und die Korrumpierbarkeit fast jedes Menschen. Und auf eine Liebesgeschichte mit Krist Kristofferson, Christopher Walken und der jungen Isabelle Huppert, die genauso verdampft wie die Ideale der Protagonisten. Aber was im Deer Hunter noch vergleichsweise im Rahmen blieb, wird in Heaven’s Gate fulminant gesprengt: seine Liebe für opulente Tanzszenen wie die des Harvard-Abschlussballs oder Ellas Walzer, die Akribie fürs Detail, Ciminos perfektionistisches Ringen um »seine« historische Wirklichkeit – sei es das Licht oder die historischen Kulissen an Originalschauplätzen – verdoppelten nicht nur die Kosten von den vereinbarten 20 auf 40 Millionen Dollar, sondern blähten auch die nach acht Monaten Schnitt an United Artist übergebene Ur-Fassung auf fünf Stunden und fünfundzwanzig Minuten auf. Die Produzenten waren fassungslos. Als die erzwungene »Kurz«-fassung von drei Stunden und vierzig Minuten ausnahmslos vernichtende Kritiken erhielt – nur die europäische Kritik sah den Film anders – wurde abermals gekürzt und schließlich Szenen, die die eigentliche Stärke des Films ausmachen, geopfert, darunter der unvergleichlichliche Tanz auf Rollschuhen, der nicht nur an die Hochzeit im Deer Hunter erinnert, sondern auch in Heaven’s Gate die Kraft und die Schönheit einer poetischen Schlüsselszene besitzt. Michael Eppstein hat 2004 in Final Cut: The Making and Unmaking of »Heaven’s Gate« die wahnwitzige und faszinierende Entstehungsgeschichte und das Ringen um Heaven’s Gate und die außerordentlichen Auswirkungen auf die damalige Filmindustrie transparent gemacht; in Ciminos Augen bis heute ein Rennen gegen Windmühlen, das sein Schaffen nachhaltig beeinflusste.
Erst 1985 erhält Cimino erstmals wieder die Chance einen neuen Film zu machen, aber weder Year of the Dragon (1985) mit Mickey Rourke noch The Sicilian (1987) mit Christopher Lambert überzeugten Kritiker und Produzenten. Und auch Desperate Hours (1990) und Ciminos letzter Spielfilm The Sunchaser (1996) verschwinden schnell in der Versenkung, beinhalten nur noch in Ansätzen etwas von dem radikalen Atem, den der Deer Hunter und Heaven’s Gate verströmten. Aber auch in diesen letzten Produktionen scheint zumindest eins Bestand zu haben, ähneln sich die Beobachtungen von Produzenten und Kollegen über die beiden Extreme von Ciminos Persönlichkeit am Set – das des genialen Künstlers und das des infantilen Egomanen.
Seitdem wurde es still um Cimino. Er veröffentlichte einen Roman; allerdings auf Französisch, um damit der von ihm verhassten amerikanischen Kritikerschaft aus dem Weg zu gehen. Und er unterzog sich zahlreichen Schönheitsoperationen, so das die jüngsten Aufnahmen, die es von ihm gibt, eher an Michael Jackson erinnern als an den kleinen, linkischen, etwas pummeligen Cimino, der 1979 die Oscars für die beste Regie und den besten Film entgegennahm.
Erst sehr spät hat Cimino Genugtuung bezüglich seines wahrscheinlich größten Traumas erhalten, als Heaven’s Gate in der 1980er-Fassung (216 Minuten) über dreißig Jahre später, 2012, in der »Halle Tony Garnier« in Lyon wiederaufgeführt wurde. Und Cimino hat es, wie er in einem Interview mit dem »Hollywood Reporter« 2015 gestand, genießen können: »Ich bin völlig hin und weg. Ich habe Heaven’s Gate mit Freude gerade mehrmals wiedergesehen. Und es gab jedes Mal ein überwältigendes Feedback. In Venedig bei den Filmfestspielen eine halbe Stunde lang stehende Ovationen, beim New Yorker Filmfest das gleiche. Beim Lumiere Festival in Frankreich im meines Wissen größten Kino der Welt kamen 6.000 Leute zusammen, um den Film zu sehen und ihn danach mit stehenden Ovationen zu feiern. Nein, ich muss mich wirklich für nichts rechtfertigen. Ich wusste, was ich damals getan habe.«