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John Carpenters Dark Star setzte 1973 LowFiSciFi-Maßstäbe |
Von Gregor Torinus
Roland Emmerich ist mit sich zufrieden. Sein neuster Blockbuster Independence Day: Wiederkehr war mal wieder ein echtes Schnäppchen: Läppische 180 Millionen Dollar hat der Science-Fiction-Film gekostet. »Die anderen brauchen dafür immer mindestens 200 bis 250 Millionen Dollar, selbst wenn sie etwas anderes sagen«, ließ der gebürtige Schwabe jüngst in einem Interview zum Film verlauten. – Zu »den anderen« gehört allerdings auch der Amerikaner Shane Carruth. Der bewies 2004 mit seinem Sci-Fi-Film Primer, dass es doch noch eine Spur günstiger geht: Sein auf dem Sundance Film Festival mit dem Grand Prize ausgezeichneter Debütfilm kostete gerade einmal 7000 Dollar
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Primer entstand zu großen Teilen in der elterlichen Garage des Regisseurs. Im Zentrum der Geschichte stehen zwei Nerds, die aus recht seltsamen Gerätschaften eine Zeitmaschine zusammenbasteln. Als dies gelingt, kommt es zu einer Reihe von Zeitreiseparadoxien, die von den beiden Erfindern lebhaft diskutiert werden. Kennzeichnend für Primer ist der Fokus auf diesen mit den Zeitreisen verknüpften Paradoxien, und nicht auf spektakulären Szenarien, wie sie viele bekannte Zeitreisefilme prägen, darunter James Camerons Klassiker Terminator von 1984.
So hat Shane Carruth in Primer die Not der Geldknappheit in eine Tugend verwandelt und damit zugleich einen neuen Trend im Bereich des Science-Fiction-Film initiiert, der insbesondere im Angelsächsischen unter der Bezeichnung »Lo(w)-Fi Sci-Fi« bekannt wurde.
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Primer ist sozusagen der Prototyp des neuen Subgenres und zugleich selbst bereits ein Sonderfall. Denn anders als die meisten Filmemacher versteht Shane Carruth tatsächlich einiges von Technik: Der studierte Mathematiker hatte vor dem Film unter anderen an der Entwicklung von Flugsimulatoren mitgearbeitet. Zudem hat Carruth sich für Primer noch physikalisches Fachwissen angeeignet. All dies schlägt sich nieder in Form einer dicken Schicht von oftmals kaum verständlichem Tech-Talk, welches über den Großteil der Spielzeit hinweg die Bildebene überlagert.
So ist der Zuschauer damit beschäftigt, den fachlichen Ausführungen zu folgen, so dass er kaum wahrnimmt, wenn ein in der Garage stehender Labortisch verdächtig nach einer Tischtennisplatte und die Zeitmaschine selbst nach einer Ansammlung von Elektronikschrott aussieht. Carruth arbeitet mit zahlreichen Ellipsen und einer eher assoziativen Logik, die den Film in eine ganz eigene Parallelwelt entrücken. Dies macht den besonderen Charme von Primer aus, führt aber auch dazu, dass sich nicht wenige Zuschauer letztendlich ein wenig von Carruth verschaukelt fühlen.
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Für vergleichsweise üppige 200.000 Dollar hat 2011 der Amerikaner Mike Cahill seinen Low-Fi Sci-Fi-Film Another Earth gedreht. Der Independentfilm rankt sich wie ein Drama um ein tragisches Ereignis; der Sci-Fi-Aspekt ergibt sich erst aus einem der Erde gleichenden Planeten, der unerwartet am Himmel auftaucht. Dies wirft eine Reihe interessanter Fragen auf: Gibt es auch von uns selbst dort oben eine zweite Version? Und könnte es sein, dass »Erde 2« doch kein perfektes, sondern ein leicht abweichendes Spielbild unserer Erde ist? Wäre es dann nicht möglich, dass unser Schicksal dort oben einen leicht abweichenden Verlauf genommen hat? Diese Fragen sollen mittels eines bemannten Fluges zu »Erde 2« geklärt werden, der hingegen gar nicht gezeigt wird. Somit ist das Bild der zweiten Erde fast der einzige »Special Effect« in Carhills intelligentem Film.
Auch sein nächster Film I Origins – Im Auge des Ursprungs ist Low-Fi Sci-Fi, der das Genre als Vehikel benützt, um hochinteressante Fragen zu stellen. Allerdings verhebt sich der Filmemacher bei dem Versuch, seine »wissenschaftliche Fiktion« in den Bereich des Mystischen hinein auszudehnen: Die Handlung dreht sich um einen Wissenschaftler, der die Entwicklung des Auges erforscht. Er will klären, ob Darwin damit recht hatte, Evolution als zufälliges Ereignis aufgrund von Mutation und Selektion anzunehmen oder ob ihr eine zielgerichtete Steuerung im Sinne des »Intelligent Design« zugrunde liegt. Leider verflacht die interessante Diskussion bei Cahill zu einer plakativen Gegenüberstellung von Religion versus Wissenschaft und von Mystik versus Rationalität. So geht es später um das Auge als Tor zur Seele und um Seelenwanderung.
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Obwohl der Begriff »Low-Fi Sci-Fi« erst jetzt populär wurde, gab es auch schon früher einige Science-Fiction-Filme mit einem äußerst bescheidenen Budget. Ein bekanntes Beispiel ist John Carpenters Spielfilmdebüt Dark Star von 1973: Die ursprünglich als Studentenfilm gedrehte – und später um 10 Minuten gestreckt ins Kino gebrachte – Parodie von Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum entstand für lediglich 60.000 Dollar. Der groteske Höhepunkt des Film besteht in einer schreiend komischen philosophischen Diskussion zwischen einem Astronauten mit einer am Bord befindlichen intelligenten Bombe, bei der unter anderem Descartes und die Genesis ins Feld geführt werden. Im Gegensatz zu den neueren Low-Fi-Sci-Fi-Filmen, versucht Dark Star dabei keineswegs, sein geringes Budget zu verschleiern, sondern erhebt eine entsprechende Ästhetik zum gestalterischen Prinzip des Films.
In der Konzentration auf philosophische Fragen und auf ein Umfeld, das kaum von unserer gewöhnlichen Alltagsrealität abweicht, verdanken heutige Low-Fi-Sci-Fi-Filme viel den Werken von Andrej Tarkowski und insbesondere seinem Meisterwerk Stalker: Der Film von 1979 zeigt eine Expedition in eine auf der Erde befindliche geheimnisvolle »Zone«, in der die unbewussten Wünsche der Menschen wahr werden sollen. Außer, dass es dort recht neblig ist, ist diese Zone optisch nicht erkennbar. Umso interessanter sind die sich dort abspielenden Dinge. Jene werden dadurch potenziert, dass sich außer dem ortskundigen »Stalker« ein Professor und ein Schriftsteller in die Zone begeben.
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Dass »Science-Fiction« ursprünglich keineswegs zwingend mit Aliens und Reisen durchs All verknüpft war, ruft auch Darren Aronofskys Debütfilm Pi von 1998 in Erinnerung: Das ebenfalls für nur 60.000 Dollar in grobkörnigem Schwarzweiß gedrehte experimentelle Werk ist Low-Fi Sci-Fi par excellence: Pi erzählt die Geschichte des paranoiden Mathematikgenies Maximillian Cohen, der in der ganzen Welt durch Zahlen gebildete Muster erblickt. Als er bei seinen Forschungen auf die fundamentale Bedeutung der Zahl Pi stößt, wird er von Fanatikern gejagt, während er selbst immer mehr dem Wahnsinn anheim fällt. Mit Pi gelingt Aronofsky eine extrem originelle Verschmelzung von Mathematik, Metaphysik und Unterhaltung, die längst zu einem Kultfilm avanciert ist.
Auf ähnlichen Pfaden wie Pi wandelt auch Coherence von James Ward Byrkit von 2013. Der Film zeigt eine Dinnerparty, bei der ein die Erde passierender Komet seltsame Phänomene auslöst. Eine Schlüsselrolle spielt hierbei das bekannte Gedankenexperiment mit »Schrödingers Katze«. Bei Coherence mag sich zwar ein Quantenphysiker ob der nicht ganz kohärenten filmischen Umsetzung dieses Gedankenspiels zur Veranschaulichung von Quantenparadoxien die Haare raufen. Als Film ist das jedoch hoch originell und extrem unterhaltsam. Besonders bemerkenswert ist zudem, dass sich Byrkit visuell am ungefilterten Realismus der Dogma-Filme orientiert und somit denkbar weit von jeder gängigen Mainstream-Sci-Fi-Ästhetik entfernt.
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2013 kam neben Coherence mit Upstream Color auch Shane Carruths zweiter Film nach Primer in die Kinos. In dem auf der Berlinale gezeigten Film präsentiert Carruth eine ungewöhnliche und oft schwer durchschaubare Handlung, bei der diesmal ein mysteriöser, durch bestimmte Orchideen verbreiteter Parasit im Zentrum steht. Im selben Jahr erschien auch der Low-Fi-Sci-Fi-Film Her von Spike Jonze: Es ist der erste Spielfilm des Regisseurs, der mit surrealen Werken wie Being John Malkovich (1999) und Adaption (2002) bekannt wurde, zu dem er auch selbst das Drehbuch verfasste. Im Vergleich zu seinen früheren Filmen ist Her bemerkenswert leise und subtil. Für sein intelligentes Drehbuch erhielt Jonze 2014 einen Oscar.
In dem in der nahen Zukunft angesiedelten Film spielt Joaquin Phoenix den einsamen Angestellten Theodore Twombly, der als Ghostwriter Briefe für emotional verschlossene Menschen schreibt. Er selbst ist dabei, sich in sein neues Betriebssystem »Samantha« zu verlieben. Die künstliche Intelligenz erwidert Theodores Gefühle. Doch sie besitzt keinen Körper, mit dem sie diese Liebe auch physisch ausleben könnte. Somit bleibt ihr nur ihre verführerische Stimme, um mit Theodore zu kommunizieren. Jene wird im Original von Scarlett Johansson gesprochen. Johansson war 2013 auch als außerirdische künstliche Intelligenz in Jonathan Glazers experimentellen Sci-Fi-Film Under the Skin und 2014 als menschliche Intelligenzbestie in Luc Bessons Sci-Fi-Spektabel Lucy zu sehen.
Bei letzterem fährt Besson sein Thema inhaltlich komplett an die Wand. Trotzdem war der Blockbuster aus Frankreich mit spektakulären Effekten und der sexy Hauptdarstellerin international so erfolgreich, dass er von seinen Produktionskosten von 40 Millionen Dollar, weltweit mehr als das Zehnfache wieder einspielte. Aber auch Spike Jonze gelang mit seinem leisen Science-Fiction-Film Her ein achtenswerter kommerzieller Erfolg: Das mit einem Budget von nur 23 Millionen Dollar für rund 10 Prozent der Kosten eines großen Hollywood-Studiotankers gedrehte Sci-Fi-Drama spielte mit 47 Millionen Dollar immerhin gut das Doppelte seiner Produktionskosten ein.
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Low-Fi-Sci-Fi-Filme stellen heute eine echte Alternative für diejenigen Zuschauer dar, die nicht damit einverstanden sind, dass die Begriffe »Science-Fiction« und »Space-Opera« seit Star Wars fast zu Synonymen geworden sind, und deren Interesse eher einer intelligenten Handlung als möglichst spektakulären Effekten gilt.