20.000 Meilen über dem Meer |
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Jacques – Entdecker der Ozeane – die Geschichte von einem, der nicht nach Hause kommen möchte |
»Jedes Festival hat die Verpflichtung, die Vielfalt des Kinos abzubilden«, sagt Quim Casas, einer der Programmer des Festivals. »Wer nichts riskiert kann nichts erreichen.«
Man könnte noch dazusagen, dass Festivals das Kino demokratisieren, weil sie dem Diktat des Marktes nicht gehorchen müssen, ihm etwas entgegensetzen.
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»Knowing things is not as important, than we think.« sagt Hong Sang-soo auf der Pressekonferenz. »Was meistens passiert, wenn ich vor dem Drehtag etwas genau geplant habe, ist, dass ich dann etwas vollkommen anderes mache.«
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Wer erinnert sich noch? »Geheimnisse des Meeres«, Jacques Cousteau und die »Calypso«. Es waren die 70er Jahre und die Welt war in Ordnung, wie selten in der Geschichte der Menschheit. Es gab noch etwas zu entdecken, und für jeden, der in den 70er Jahren Kind war, war Jacques Cousteau ein Weltentdecker, ein väterlicher Reiseführer durch den unbekannten Planeten.
Im Jahr 1942 bereits begann Cousteau, damals noch Marineoffizier und Mitglied der französischen Resistance, seine
Forschungen. Er war Miterfinder der Pressluft-Atemflasche und des Unterwasser-Scooter. Später wandte er sich bald der Meeresforschung zu, und drehte zunächst einmal Kinofilme: Ungesehene Aufnahmen des zweiten Weltraums unter Wasser. Seine erste lange, zwei Jahre dauernde Expedition führte 1954-55 ins Rote Meer, den Persischen Golf und den Indischen Ozean. Mit dabei war ein seinerzeit noch vollkommen unbekannter junger Filmemacher mit seiner Kamera: Louis Malle, der gerade die
Pariser Filmhochschule abgebrochen hatte – »zu theoretisch«. Zurück von der Reise kamen sie mit noch nie gesehenen Bildern: Menschen, die mit Fackeln zu einem Korallenriff tauchten; Delphinschwärme – unter Wasser; fliegende Fische; Haie, die ihre Beute fressen; Haie, die gejagt werden. Atemberaubende Aufnahmen, vor allem, wenn man sich die Entstehungszeit vergegenwärtigt: 1955 war die Welt unter Wasser noch kaum bekannter, als das All. Die Tauchtechnik war erst in
ihren Anfängen.
Auf knapp 90 Minuten Länge kam der Film unter dem Titel »Le Monde Du Silence« heraus. Cousteau und Malle zusammen hatten den Regie-Credit. 1956 gewann der Film als erster Dokumentarfilm die Goldene Palme von Cannes, und im Jahr darauf den Oscar. Den gewann Cousteau noch einmal 1965 für seinen zweiten Kinodokumentarfilm »Le Monde Sans Soleil«.
Mit Bernhard Grzimek
oder Heinz Sielmann kann man Cousteau nicht vergleichen, eher schon mit Hans Hass, der ja auch kein Deutscher war. Das lag nicht allein daran, dass das Meer eben etwas ganz anderes ist, als die Erde, ein fremder Raum, eine neue Welt, fast so etwas wie der Weltraum mit seinen unendlichen Weiten und new frontiers.
Sondern es lag auch daran, dass Jacques Cousteau eben Franzose war.
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Frankreich, das war für ein Kind der Bundesrepublik, erst recht für mich, weil wir damals glücklicherweise selten in Spanien und nie in Italien Urlaub machten, sondern in Frankreich, der Ort eines besseren Lebens, ein Sehnsuchtsreich: es war ein Land der Weltläufigkeit und Cousteau war, mit roter Wollmütze, immer braun gebrannt, ein Abenteurer, eine Art Jules Verne der Gegenwart. Cousteaus Fernsehserie »Geheimnisse des Meeres« liebte die Natur, aber es gab keinen
Naturkitsch. Die Romantik war zivilisatorisch. Man lernte auch etwas über antike Mythologie und über die Kunst des Essens. Unvergesslich die Episode in der Dutzende von Amphoren vom meeresgrujnd geholt wurden. Unvergesslich auch das Team: Die Söhne Jean-Yves und Phillippe, der Cheftaucher Falco.
1996 sank die »Calypso« und ein Jahr später starb Jacques Cousteau, und manche sagen jetzt, dass die Zeiten der Calypso vorbei seien, ein für alle mal. Es ist aber nichts vorbei, weil
alles irgendwann wieder kommt, weil der Mensch es nicht aushält ohne Geheimnis.
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Alldem kann jetzt auch der Film von Jérôme Salle nichts anhaben. Es wird unser Bild von Jacques Cousteau nicht verändern, dass er hier von Lambert Wilson gespielt wird, dass seine Frau aussieht wie Amelie, und dass der Film das Leben Cousteaus auf einen Eheroman reduziert.
Jérôme Salle hat sich als Autor des verhunzten The Tourist nicht gerade geschmackssicher gezeigt, als
Regisseur von Antoine Zimmer und Zulu zwar reißerische, aber von ihren Bildern her sehenswerte Filme gemacht. Das kann man auch über diesen Film sagen.
Salle erzählt die Geschichte des Vaters und der Frauen, also auch die der Mutter und der Söhne. Philippe Cousteau starb, mit erst 38. Wie der Sohn Grzimeks. Ist es wirklich nur Zufall, dass die Söhne dieser
praktischen Naturforscher früh sterben, wenn es versuchen, es ihren Vätern gleichzutun? Odyssee, Calypso – es kommt einem der Mythos von Daedalus und Ikarus in den Sinn.
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Die Odyssee, das ist die Geschichte von einem, der nicht nach Hause kommen möchte. Eine perfekte Wahl für einen Festival-Abschlussfilm, für den Augenblick, an dem das Festival heimkehrt zu seinem Ausgangspunkt.
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Der Film von Jérôme Salle möchte behaupten, dass das Abenteuer und die Eroberungen am Ende nicht ausreichen, um Verluste und Wunden auszugleichen, die durch sie dem eigenen Leben geschlagen werden. Ob das nicht auch nur ein Mythos ist? Einen Wunschvorstellung derjenigen, die nie aufgebrochen sind?
Philip Roth schreibt in »American Pastorale«, dass wir alle irren, egal, was wir tun. Das scheint mir der weisere Satz zu sein.
Das Meer ist das Meer. Es gibt keinen Horizont dort,
so wie es keinen gab im Leben dieses Forschers, Eroberers, Liebhabers, Cineasten.
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Auf dem Rückflug treffe ich Veit Helmer. Der war gerade in Tanger und Saragossa, und sagt, er habe mein San Sebastian-Tagebuch gelesen. »Dir scheint es da ja richtig zu gefallen« – stimmt!
Er fragt mich, wer jetzt eigentlich die Preise gewonnen hat. Hm... stimmt... fast vergessen – ich habe mich geärgert. So uninteressant, uninspiriert, so schlecht, diese Preisvergabe.
Egal. Preise sind schon vergessen. wer es doch wissen will – bitte sehr!