Der Regisseur ist übrigens eine Frau |
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Ein intimes, dabei fast schon ikonographisches Bild von der Mutter mit ihrem Kind zeigt Geschichten aus Teheran: Rakshan Bani-Etemad ist Vorreiterin der heutigen Regie-Generation. |
Von Dunja Bialas
Starke Frauen! Das ist ein Claim, mit dem Festivals in jüngster Zeit darauf aufmerksam machen, dass sie a entweder viele Filme mit Frauen oder b viele Filme von Frauen im Programm haben. Auf das Motto »Starke Männer« warten wir für den umgekehrten Fall noch (bei vielen Filmen von oder mit Männern). »Super Softies« fänden wir auch ganz schick.
Dieser Einteilung der Welt in die Geschlechter auch im vorangeschrittenen 21. Jahrhundert liegt der Skandal zugrunde, dass es immer noch keine Geschlechterparität gibt. Einerseits werden Frauen aus Gründen der Fortpflanzung aus der Berufslaufbahn hinauskatapultiert. Andererseits auch wegen einer Reihe von vorgeschobenen Gründen, wie Monika Kijas meint. Die Initiatorin der neuen überregionalen Filmreihe Femmes Totales, die vor drei Jahren auch den Eksystent Filmverleih gründete, mit dem sie vermehrt Filme von Frauen ins Kino bringen will, spricht von der hinderlichen »Annahme, dass Regisseurinnen nicht mit einem Millionenbudget umgehen« und vom hartnäckig sich haltenden »Klischee, dass Frauen keine Thriller oder Actionfilme machen« könnten, trotz Beispielen wie Oscar-Gewinnerin Kathryn Bigelows The Hurt Locker. Wie groß das Ressentiment ist, zeigt sich auch in Tobias Kniebes Apostrophe von Bigelow als »Regieamazone in der Menopause«, zu der er sich anlässlich ihres Oscar-Gewinns hinreißen ließ.
Das ist lustig und diskreditiert. Über Frauen zu witzeln, die eine Männerdomäne betreten, ist auch noch fünfzig Jahre nach der Blüte des Altherrenwitzes salonfähig. Frauen werden allein deshalb heute stark gemacht, weil es anders wohl nicht geht: Die erst 2014 gegründete ProQuote Regie ist darin eine der wirkungsträchtigsten Unternehmungen der letzten Jahre.
Das Sein bestimmt das Bewusstsein, das wusste schon Marx. Wenn aber die gesellschaftlichen Umstände eklatant der Gerechtigkeit hinterherhinken, muss eben manchmal erst das Bewusstsein verändert werden. Denn es gilt auch umkehrt: Bewusstsein schafft Sein. Oft wird erst an den Stellschrauben gedreht, nachdem sich für bestimmte Problemfelder die Sinne geschärft haben. Das ist Politik.
In diesem Sinne hochgradig gesellschafts- wie filmpolitisch ist so auch die Filmreihe Femmes Totales, die seit Ende November in verschiedenen Städten gastiert, darunter in Berlin, Hamburg und München (dort bis zum 27.12.). Fünf Filme von Regisseurinnen hat sich der Eksystent Filmverleih herausgepickt, vom Thriller über die Komödie zum Dokumentarfilm ist ein großes Spektrum vertreten, das zeigen soll, dass Frauen nicht nur das eine können – Frauenfilme. Frauen machen auch Filme, die wie Filme von Männern einfach nur Filme sind. Gute, schlechte, Meisterwerke, Flops. Damit ist Femmes Totales einen wichtigen Schritt weiter, emanzipierter und moderner als so manches Frauenfilmfestival, das um das eigene Geschlecht kreist und sich sehr selbstreferentiell zum Zentrum der eigenen Aufmerksamkeit erhebt. Alle fünf für Femmes Totales ausgewählten Filme wurden auf internationalen Festivals mit wichtigen Preisen ausgezeichnet, wären aber ohne das Zutun des Eksystent Filmverleihs bei uns wohl kaum in die Kinos gekommen.
Hitzewelle. Ganz wie Femmes Totales die spezifischen Frauenthemen vermeidet, geht es in dem von Frankreich und Griechenland gemeinsam produzierten Debüt von Joyce Nashawati nicht etwa um Hitzewallungen. Hitzewelle ist im Gegenteil ein atmosphärischer Mystery-Thriller, der in einer nahen Zukunft spielt, ohne Not aber auch als Metapher für die gegenwärtige »brenzlige« Lage Griechenlands gelesen werden kann. Im Zentrum steht der arabische Migrant Ashraf, eine Art Hauskeeper, der in der Villa französischer Archäologen über den Wasserstand des Swimmingpools wacht. Das Wasser ist knapp, die ökologische Katastrophe nicht fern. Ausgezeichnet mit dem Preis der FIPRESCI und zugleich der beste, weil am wenigsten erwartete Film der ersten Femmes-Totales-Staffel.
Die Menschen ihres Landes hat die Iranerin Rakshan Bani-Etemad in Geschichten aus Teheran gefilmt und ist dabei in die verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche getaucht. Eine vielstimmige Erzählung aus der iranischen Hauptstadt, die sie an der Zensurbehörde vorbei filmte. Sie findet in einer Taxi-Episode, ähnlich wie Jafar Panahi mit Taxi Teheran, zu einem wunderschönen, heiteren, bewegenden, offenherzigen und selbstbewussten Portrait ihrer Landsleute. Andere Episoden erinnern an Asghar Farhadi, Nader und Simin oder an dessen The Salesman, der bald ins Kino kommt. Bani-Etemad, Jahrgang 1954, ist unbestritten die Vorreiterin der jüngeren Generation iranischer Filmemacher. Der absolute Tipp für die Femmes-Totales-Reihe.
Vor Langeweile sterben. Nur in Israel können Frauen dies bei der Armee. Talya Lavie hat mit Null Motivation eine Komödie über die Sinnlosigkeit des Militärdiensts gedreht, als Mischung aus Pfadfinderfilm, M.A.S.H.und Highschool-Comedy. Mit angemessener Respektlosigkeit vor den Autoritäten und angebrachter Selbstironie mit dem Blick auf den weiblichen Po. Einer der vergnüglichsten, in jeder Hinsicht unkorrekten Femmes-Totales-Filme. Null Motivation wurde in Israel zum Publikumshit.
Yulas Welt ist die verbotene Zone von Svalka in der Nähe von Moskau. Der gleichnamige Film von Hanna Polak, die in Moskau Film studierte, beginnt als mädchenträumende Karrussell-Nostalgie und stülpt sich wie ein Vexierbild über die größte Müllhalde Europas. Die Handschrift ist zunächst dokumentarisch, mit an die 70er Jahre gemahnenden Zoom und reportagehafter Wackelkamera, der die gleichmäßige Off-Stimme dagegenhält. Dann, nächstes Vexierbild, tauchen wir ein in die Welt der zehnjährigen Yula, die auf der Müllhalde aufwächst. Vierzehn Jahre lang kehrte Hanna Polak immer wieder zu Yula zurück, hat ihr Coming-of-Age inmitten des Eastern Trash gefilmt, den Verfall der Mutter, den Wandel, das Überleben. Während Yula erwachsen wird, merken wir, wie sich auch der Stil von Hanna Polak beruhigt, als würde sich auch ihr Filmen nach Stabilität und einer gewissen Ordnung sehnen. Yulas Welt ist ein atmosphärisches, porträthaftes Zeugnis über die Verlorenen am Rande der Welt. Hanna Polak war mit ihrem Kurzdokumentarfilm The Children of Leningradsky für den Oscar nominiert. Nicht nur dies empfiehlt sie als neue Andrea Arnold aus dem Osten.
Träume nicht vom Fliegen. Jungs träumen ja alle davon, Pilot zu werden, Mädchen höchstens davon, Stewardess zu sein. Anders in Ghana. Dort gibt es die weltweit einzige Flugschule nur für Mädchen. Über die Schwierigkeiten, in einem von Analphabetismus und Armut geprägten Land abzuheben, aber auch von neuen, ganz und gar erstaunlichen, uneuropäischen Wegen erzählt Monika Grassl in ihrem Dokumentarfilm Girls Don’t Fly – Träume vom Fliegen. Ausgezeichnet beim Max-Ophüls-Preis als bester Dokumentarfilm.
Femmes Totales. Verschiedene Städte bis Mai 2017.
In München im Neuen Maxim noch bis zum 27.12.2016 und im Februar/März 2017 jeweils Samstags um 11:30 Uhr im Arri. Spieltermine der einzelnen Filme entnehmen Sie bitte dem Tagesprogramm bei artechock. Mehr Informationen zu den Filmen, den Regisseurinnen und dem Spirit von Femmes Totales
gibt es hier.