Der Dibbuk ist los |
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Drei Menschen, drei Schicksale und Europa im Krieg: der preisgekrönte Paradies eröffnet als Vorpremiere die Filmtage |
Von Dunja Bialas
Alle zwei Jahre finden in München die Jüdischen Filmtage statt, dies nun schon zum sechsten Mal. Die Veranstaltung befindet sich unter der Fittiche der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und ergänzt damit die Jüdischen Filmtage, die von der Israelitischen Kultusgemeinde im Februar zum achten Mal abgehalten wurden – und von uns wegen der Berlinale leider prompt verpasst wurden.
Während letztere unter anderem an so bedeutungsvollen Orten wie dem neu geschaffenen NS-Dokumentationszentrum oder dem Jüdischen Gemeindezentrum stattfinden und dadurch immer von Haus auch ein wenig Emotion in sich tragen, konzentrieren sich die 6. Jüdischen Filmtage mit der Nüchternheit des Vortragssaals der Stadtbibliothek im Gasteig (neu umbenannt in »Carl-Amery-Saal«) ganz auf die Filme.
Im Zentrum des Festivals steht die Auseinandersetzung der Dritten Generation mit den Auswirkungen der Shoah und des Zweiten Weltkriegs. Auf der anderen Seite aber möchte man auch den modernen Alltag erfassen und auf das Leben blicken, wie es sich vor allem in Israel darstellt. Besonders spannend sind dieses Jahr die Spielfilme, unter denen sich echte Perlen finden.
So geht es recht glamourös am Samstag los, wenn mit Paradies des Russen Andrei Konchalovsky eröffnet wird, der auf den Filmfestspielen von Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde. Konchalovsky, der heute 79 Jahre alt ist, hat bei Andrei Tarkovsky gelernt, und das merkt man seinem Film noch an. Weiches Schwarz-Weiß bettet sanft die europäische Dreiecks-Geschichte von der russisch-aristokratischen Emigrantin Olga (Julia Vysotskaya), einem aktiven Résistance-Mitglied, Jules (Philippe Duquesne), einem französischen Collaborateur, und dem Deutschen Helmut (Christian Clauß), einem hochrangingen SS-Offizier. Die Wege der drei kreuzen sich auf schicksalhafte Weise – ganz so, wie die Geschichte Europas mit den Menschen Schicksal gespielt hat. Der junge Staatsschauspieler Christian Clauß ist zur Eröffnung anwesend. (Sa., 12.03., 18:00 Uhr)
Der zweite Spielfilm des Programms, Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen von Marcin Wrona, lief bei uns zwar schon im Kino, aber so kurz, dass dies an vielen unbemerkt vorbeigegangen sein mag. Die Jüdischen Filmtage verhelfen diesem außergewöhnlichen Film nun so noch einmal zu seinem Recht. »Dibbuk« ist ein im Judentum allseits geachteter und gefürchteter Totengeist, der zum mythischen Repertoire gehört und zahlreiche Bearbeitungen durch die Kunst erfahren hat – in Theater, Literatur und Film. Am bekanntesten wurde das Drama »Der Dibbuk« von Salomon Anski (1920), das zum Klassiker der jiddischen Literatur avancierte. Regisseur Marcin Wrona verlegt die Dramenhandlung in ein polnisches Landhaus, wo eine Hochzeit stattfindet, und inszeniert dort einen regelrechten Albtraum, als der Bräutigam sich zusehends unberechenbar verhält – der Dibbuk hat sich seiner ermächtigt. Dibbuk gilt als Meisterstück des Psycho-Thrillers, das niemals seine Contenance verliert, und kann darüber hinaus als scharfsinnige Metapher gelesen werden: als hochkommende Erinnerung und die Konfrontation mit der Lebenslüge einer selbstvergessenen Generation. (Mi., 15.03., 20:00 Uhr)
Der dritte Spielfilm des Programms taucht ganz und gar in die sozialrealistische Gegenwart ein. In Wedding Doll – Chatona Meniyar, der erste Spielfilm des israelischen Dokumentarfilmregisseurs Nitzan Giladi, will die alleinerziehende Mutter Sarah ganz für ihre Tochter Hagit da sein, die eine (wenn auch nur schwache) geistige Behinderung hat, aber schon groß ist, arbeitet und selber für sich sorgen kann. Außerdem möchte Hagit ihr Leben einfach nur: leben. Aber es kommt was dazwischen, und Mutter und Tochter entdecken eine neue Verbundenheit. Moran Rosenblatt spielt mit großer Empfindsamkeit die junge Hagit und wurde dafür mit dem Ophir Award als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. (Do., 16.03., 18:00 Uhr)
Es lohnt noch ein abschließender Blick auf ausgewählte Dokumentarfilme: Der Übersetzer (Mo., 13.03., 18:00 Uhr) ist Juri Elperin, der 1917 als Sohn russisch-jüdischer Eltern in der Schweiz geboren wurde. Seine literarische Sprechweise machen den Film zu einer reichhaltigen Reise in die Sprache, über die weitreichenden Wege des Denkens. Zum Filmgespräch anwesend ist Daniel Elprin, der Enkel.
Fünf Supermarktkassiererinnen stehen im Zentrum des frechen Super Women von Yael Kipper und Ronen Zaretzky (Mo., 13.03., 20:00 Uhr). Ein intimes Portrait der russisch-jüdischen Arbeiterinnen, das Einblick in ihren vielschichtigen Alltag gibt.
Einblicke in das vergangene Leben in Israel gibt es in Arab Movie von Eyal Sagui Bizawe (Di., 14.03., 18:00 Uhr). Der Film erinnert an die Zeit, als das israelische Fernsehen nur ein Programm hatte – und immer am Freitagnachmittag, kurz vor Schabbat, ein arabischer Film im ägyptischen Fernsehen geguckt wurde. Ein Moment der Nostalgie für alle, die aus den arabischsprachigen Ländern nach Israel kamen.
6. Jüdische Filmtage München
12.-16. März 2017
Carl-Amery-Saal, Gasteig (ehemals Vortragssaal der Bibliothek)
Karten: 7 Euro (ermäßigt 5 Euro; Eröffnung 10 Euro) unter bei München Ticket 089 / 54 81 81 81 oder in der zentralen Kartenvorverkaufsstelle des Gasteig unter 089 / 54 50 60 60