Das E und U des Kurzfilms |
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Sorgfältig kadrierter Gewinnerfilm des internationalen Wettbewerbs: Limbo von Konstantina Kotzamani |
Von Dunja Bialas
Regensburg, so erfahre ich in dem zwölfminütigen Dokumentarfilm Kinolandschaft in Regensburg, ist eine Stadt mit einer vitalen Kinoszene. Mit fünfzehn Sälen hat die Hauptstadt der Oberpfalz eine der höchsten Kino-Dichten Deutschlands, acht davon fallen dem Multiplex Cinemaxx zu, die restlichen sieben teilen sich die fünf Arthouse-Kinos auf: Ihnen konnte der vor knapp zwanzig Jahren eröffnete Kinoriese nichts anhaben. Das sah nicht immer so aus. Noch 2013 titelte die »Mittelbayerische«: »Das Ostentorkino muss zusperren.«
Heute ist das Ostentorkino immer noch da und eine der fünf Spielstätten der Kurzfilmwoche Regensburg. Beim Besuch zeigt sich das Kino genau wie das älteste gotische (Regensburger) Stadttor, nach dem es benannt ist, als bestens erhalten. Das »Lichtspielhaus« wartet mit bequemen Sitzen und einer großen, leicht konkav gebogenen Leinwand auf, um auch Cinemascope eindrucksvoll darzustellen. Eine Kuriosität verbirgt sich hier, die das Ostentorkino für auswärtige Besucher zur unbedingten Sehenswürdigkeit macht: Direkt hinter der Leinwand liegt die sogenannte »Kinokneipe«, ein mit dem Kinosaal durch einen schmalen Durchgang verbundenes urgemütliches Lokal. In den verwinkelten Räumen finden sich Kicker und Dart, und an den Wänden hängen Filmplakate – ein im tiefsten Kino-Bauch versunkenes Kabinett.
Der Film Kinolandschaft in Regensburg ist einer der über 300 Kurzfilme, die Festivalleiterin Insa Wiese und ihre Kollegen Philipp Weber und Michael Fleig nach Regensburg geholt haben. Die Filme verteilen sich auf fünfzehn Sektionen, darunter auch das »Regionalfenster«, in dem der Regensburg-Film lief. In drei Reihen finden Wettbewerbe mit insgesamt 117 Filmen statt, alles dies beträchtliche Quantitäten, die die Regensburger Kurzfilmwoche zu einem bedeutsamen Festival seiner Sparte macht.
Es gibt einen internationalen (56 Filme) und einen deutschen Wettbewerb (31 Filme), außerdem wurde dieses Jahr der sektionsübergreifende Wettbewerb »Architekturfenster« eingeführt, um der Tatsache gerecht zu werden, dass sich eine Vielzahl an Kurzfilmen mit architektonischen Aspekten befasst. Um ein Gebäude, eine Stadtplanung oder auch das Verhältnis »Menschen und Gebäude« filmisch darzustellen, braucht es bisweilen nicht viel Zeit. Gewonnen hat den »Architekturwettbewerb« der interdisziplinär arbeitende österreichische Tänzer und Künstler Willi Dorner. In every-one inszeniert er in zehn Minuten eine Art Reenactement von Michel de Certeaus »Die Kunst des Handelns«: eine Reihe von Menschen tanzt und bewegt sich durch die Straßen einer Stadt und erforscht mit ihren kletternden und sich krümmenden Körper die Gebäude und deren Eigenschaften.
Die Programmierung der Festivalmacher ist darauf bedacht, den Filmen Zusammenhalt zu geben, und immer besorgt um Diversität. Es lässt sich eine wiederkehrende Programmstruktur beobachten, mit einem jeweils leichten ersten und letzten Film und einem sich wie ein großformatiges Centerfold entfaltenden oftmals fast halbstündigen mittelständigen Film, um den herum sich die anderen Filme gruppieren. Ein Schlagwort oder Motto betitelt die Programme: Sie heißen »Cats and Dogs« (mit antagonistischen Filmen), »Alles geregelt« (mit Filmen über den Versuch, der Welt Ordnung zu geben) oder »Eintauchen« (mit Filmen, in denen das Wasser eine dramaturgische Rolle spielt). Hinter den sprechenden Titeln der Programme verbergen sich auffällig anspruchsvolle Filmprogramme, die von den Regensburgern sehr bereitwillig angenommen werden.
Auch dies macht die Regensburger Kurzfilmwoche in der Region bedeutsam. Kurzfilme sind für Insa Wiese keine »kurzen Dinger«, die hopplahopp anfangen, mit einer Pointe enden und in der Mitte Unterhaltsamkeit bieten. Kurzfilme sind für sie eine ernst zu nehmende Kategorie. So zeigt sie auch dokumentarische Formate, die Einblicke in besondere Welten bieten, oder Experimentalfilme, die sie für ein breites Publikum in Mischprogrammen aus der nerdigen Nische herausholt.
Das Kurzfilmgenre ist besonders geeignet für den Regensburger Spagat zwischen E und U. World War Cup beispielsweise des mehrfach preisgekrönten Briten Simon Ellis schält aus der wichtigsten Nebensache der Welt, dem Fußball, das nationalistische Potential des Sports heraus, und zeigt, ohne zu denunzieren, den einfältigen Patriotismus der britischen Fußballgucker in einem Pub, die ein Match gegen Deutschland kommentieren. You can imagine. Selbiges Kaliber hat der narrativ-experimentelle Festivalliebling Une poignée de main historique des Franzosen Aurélien Laplace über das Genre des »historischen Händedrucks« zwischen Politikern. Ein Film, der in den Wahljahren 2016 / 2017 besondere Beachtung erfährt und wie ein Brennglas wirkt.
Abstraktes fügt sich so neben Figuratives, Sphärisches neben die Narration. Auch im abstrakt-experimentellen Bereich fächerte sich ein breites Spektrum auf, mit dem Materialfilm Le Bulbe tragique des Quebecers Guillaume Vallée, mit dem sich als stroboskopischer Bildersturm enfaltende not even nothing can be free of ghosts des in Berlin lebenden Österreichers Rainer Kohlberger, einer der Emerging Artists des Festivals, oder dem Montagefilm When You Awake des US-Amerikaners Jay Rosenblatt, einem der ganz großen Filmemacher im Bereich des Foundfootage. Erzählungen, die nachdenklich stimmen und oder unterhaltsam sind (beides schließt sich nicht aus) gab es zahlreich zu sehen, darunter besonders hervorzuheben der bulgarische Red Light von Toma Waszarow, der zwar wie eine Parabel wirkt, seine sozialrealistische Ebene jedoch nie vergisst und von einer Busfahrt erzählt, die (fast) an einer roten Ampel scheitert.
Gewonnen hat im internationalen Wettbewerb wiederum ein Film, der sich in das Zwischenreich von Inszenierung und Kunst schiebt. Limbo der Griechin Konstantina Kotzamani erzählt in sorgfältig kadrierten Tableaus von der von Faszination angetriebenen Bewegung von zwölf Jungen, die einem ätherischen Gegenüber begegnen.
In der Durchsicht längst nicht aller Kurzfilmprogramme lässt sich die Leidenschaft der Festivalleiterin für den Dokumentarfilm und das Filmessay ausmachen. Darko Fritz, der mit seinem vierzehnminütigen Zagreb Confidential – Imaginary Futures die Stadtentwicklung Zagrebs als (Re-)Konstruktion mittels Modelle und Archivmaterial verdeutlich, zeigt, was für eine erkenntnisbringende Kraft im Kurzessay liegt, das fast ganz ohne Worte und sehr filmisch über die Bildmontage funktioniert. Besonders stark erwies sich auch der Film, der den deutschen Wettbewerb gewann. Herr und Frau Müller der Münchner HFF-Studentin Dominique Klein zeigt in der Kurzform, wie Dokumentarfilm geht: Ihre titelgebenden Protagonisten sind ein ganz besonderes Ehepaar; er ist seit einem Schlaganfall im Locked-in-Syndrom von der Welt ausgeschlossen, sie ist eine Frohnatur, die unverdrossen mit ihrem Mann kommuniziert. Kleins Film ist in der Kürze ein Plädoyer für Toleranz und Kontinuität und zeigt alles, was ein Film braucht: Die Kraft, die von starken Protagonisten ausgeht. Und die Leichtigkeit einer angedeuteten Erzählung.
23. Internationale Kurzfilmwoche Regensburg
15. bis 22. März 2017