05.04.2018

Gendernauten in Regens­burg

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Teenager können eine unglaubliche Kraft entfalten. Welche, das zeigt uns Jennifer Reeder, die Queen des American Independent.
(Foto: Jennifer Reeder / Kurzfilmwoche Regensburg)

Die Internationale Kurzfilmwoche präsentierte Werkschauen zu Jennifer Reeder und Monika Treut

Von Dunja Bialas

Camille Paglia ist eine Femi­nistin, die gerne um die Ecke denkt und mit Klischees kurzen Prozess macht. Jetzt wurde sie mit ihrem jüngsten Buch »Free Women, Free Men – Sex, Gender, Feminism« von der deutschen Rechten verein­nahmt, die hierfür aller­dings empfind­liche Eingriffe bei der deutschen Über­set­zung vornehmen musste. Eine Unter­las­sungs­klage gegen den Antaios-Verlag folgte. Wie es zu all dem kommen konnte? Paglia schreckt nicht davor zurück, biolo­gis­ti­sche Sicht­weisen auf die Frau zu disku­tieren, um sich dem zu nähern, »was sie am glück­lichsten macht«. Das beinhaltet bei ihr auch – sie ist offen für alles – Schwan­ger­schaft und Kinder­kriegen. Im Interview mit der »Süddeut­schen Zeitung« erklärt sie: »Man muss Frauen die Wahl lassen. Genau diese Fragen müssen von den Linken disku­tiert werden, und zwar so, dass es dem Indi­vi­dua­lismus des modernen Menschen entspricht. Wenn die Linke sich solchen Themen nicht ehrlich stellt, wird die Rechte stärker.«

Die queere Film­re­gis­seurin Monika Treut, Jahrgang 1954, hat die streit­bare ameri­ka­ni­sche Kultur­wis­sen­schaft­lerin im Jahr 1991 in dem Kurz­por­trait Dr. Paglia verewigt, das sie jetzt auf der Kurz­film­woche Regens­burg im Rahmen einer Werkschau persön­lich vorge­stellt hat. Der Auffüh­rung schickte sie diverse Warnungen voran. Achtung, es folge eine Schnell­feu­er­sprech­ge­wehr, mit durchaus kontro­versen Äuße­rungen. Und in der Tat: Der Film präsen­tierte die Femi­nistin als im Hoch­leis­tungs­tempo denkende und spre­chende Scharf­schützin, die im Schnell­durch­gang durch die Theorien den Femi­nismus als »Anti-Intel­lek­tua­lismus« und »Rous­se­auismus« abknallte und einfor­derte, sich endlich dem Denken zuzu­wenden und dem Sex, der egal wie – bisexuell, lesbisch, sich selbst genügend – prak­ti­ziert sein will. »Ich bin mir die Liebes­ge­schichte des Jahr­hun­derts« lautet einer ihrer provokant-arrogant-narziss­ti­schen Sätze, mit denen sie, seit sie schreiben kann, heraus­for­dert: Die »anti-femi­nis­ti­sche« Femi­nistin wurde 1993 vom »Spiegel« als rappendes Theorie-Monster darge­stellt. Bei Monika Treut darf sie als Brachi­al­den­kerin faszi­nie­rend schillern und macht sogar Lust auf mehr.

Der Femi­nismus ist voller Wider­sprüche, das weiß Monika Treut. Sie hat sich früh mit den biolo­gis­ti­schen Deter­mi­nanten der Sexua­lität befasst und Filme über Menschen gemacht, die sich dem nicht beugen wollten. »Gendernauten« nannte sie die Reisenden zwischen den Geschlech­tern, die Geschlechts­um­ge­wan­delten, Trans­gen­ders, Queeren. Ihnen hat sie 1999 den abend­fül­lenden Doku­men­tar­film Gendernauts: A Journey Through Shifting Iden­ti­ties gewidmet; bei der Kurz­film­woche stellte sie ihre erste Annähe­rung an das Thema vor, Max (1992), den sie in ihrer New Yorker Zeit reali­sierte und der sie in der Szene inter­na­tional bekannt machte.

Treuts Augenmerk gilt ganz allgemein den Tabus der Frau­en­be­we­gung, das macht sie auch zur Seelen­ver­wandten von Paglia. Schon 1983 hat sie mit Bondage einen Film über lesbische BDSM-Praktiken gedreht, die von der Szene damals noch ausge­grenzt waren, berichtet sie. Ihr Film kommt direkt aus der »Lesbian Sex Mafia«, die sich damals in New York formiert hatte. »Female Misbe­ha­viour« ist das reizvolle Stichwort, unter dem Treut ihre Kurzfilme zusam­men­ge­fasst hat, darunter auch ein Portrait der Porno-Queen Annie Sprinkle, die als Perfor­mance-Künst­lerin tiefe Einblicke in ihre Vagina gewährt.

Festi­val­lei­terin Insa Wiese hat mit ihrem dies­jäh­rigen Schwer­punkt­thema »Starke Frauen« den Nerv der Zeit getroffen. Die Reihe bereitet sie schon seit zwei Jahren vor, damals waren #MeToo und eine neue Aufmerk­sam­keit für femi­nis­ti­sche Themen noch nicht absehbar. Filmende Frauen, Frauen in Filmen, das fristete vor zwei Jahren noch ein Nischen­da­sein bei ProQuote Regie; das Thema bekommt erst jetzt durch aktuelle Studien der FFA von höchster Stelle Rücken­de­ckung – aller­dings ohne die einge­for­derten Konse­quenzen.

Filmende Frauen gibt es seit der Frühzeit der Film­ge­schichte, daran erinnern zwei mit »Starke Frauen« über­ti­telte Programme der Kurz­film­woche. Alice Guy ist eine solche Pionierin; sie ist die weibliche Antwort auf die Brüder Lumière. Schon bei ihr zeigt sich der andere Blick der Frau, die andere Themen ins Visier nimmt: In Madame a ses envies (1907) hat eine hoch­schwan­gere Frau Gelüste – für die Lumière-Brüder ein undenk­bares Thema. Andere Filme­ma­che­rinnen, die Geschichte gemacht haben und die Regens­burg mit je einem Beispiel­film würdigen, sind Lotte Reiniger, Maya Deren, May Spils, Chantal Ackerman oder Helke Sander.

Eine weitere Werkschau des Schwer­punkt­themas war Jennifer Reeder, der Queen des American Inde­pen­dent gewidmet, die das spannende Cross-Over von Coming of Age und Pop entfal­tete. Sie insze­niert novel­len­ar­tige Geschichten mit Teenagern, allesamt aufrechte Gören, die Skate­board fahren, Gothic hören, femi­nis­ti­sche Bücher lesen, sie sind Wieder­gän­ge­rinnen von Reeders eigener Jugend in den achtziger Jahren, die in der Jetztzeit leben.

Daraus resul­tieren knall­bunte, femi­nis­ti­sche Manifeste gegen die Unsicht­bar­keit und für das Aufbe­gehren der jungen Frauen. Mit ihren Filmen über den Seelen­zu­stand der Heran­wach­senden ist Jennifer Reeder eine Sister im Geiste Gus Van Sants. Sie hat neben zwei reali­sierten Lang­filmen – ein dritter ist in Vorbe­rei­tung – immer wieder bewusst das Kurz­film­format gewählt, was ihr erlaubt, schnell und mit wenig Geld Filme zu drehen. Immer sind es Laien, die ihre Filme schön unver­blümt machen, neuer­dings co-produ­ziert sie auch in Deutsch­land, wo sie eine große Aufmerk­sam­keit erfährt, mehr als in den USA, wo der Kurzfilm keine Lobby hat.

Auch Reeders Prot­ago­nis­tinnen sind wie bei Treut in gewisser Weise Gendernauten, die vom Mädchen­da­sein ins Erwach­se­nen­alter reisen, und sich dabei mit den Vorstel­lungen herum­schlagen, wie Frauen wohl zu sein haben. Kraftvoll verschränkt sich das in A Million Miles Away: Eine Chor­lei­terin mit Liebes­kummer wird von den Schü­le­rinnen in ihren Kreis aufge­nommen und im Dechif­frieren und Texten von Liebes-Botschafen unter­richtet. Die dazu­gehö­rige Message des Films hat Metalerin Jennifer Reeder einem Vengeance-Song von Judas Priest entliehen: »You've got another thing comin!«