Gendernauten in Regensburg |
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Teenager können eine unglaubliche Kraft entfalten. Welche, das zeigt uns Jennifer Reeder, die Queen des American Independent. | ||
(Foto: Jennifer Reeder / Kurzfilmwoche Regensburg) |
Von Dunja Bialas
Camille Paglia ist eine Feministin, die gerne um die Ecke denkt und mit Klischees kurzen Prozess macht. Jetzt wurde sie mit ihrem jüngsten Buch »Free Women, Free Men – Sex, Gender, Feminism« von der deutschen Rechten vereinnahmt, die hierfür allerdings empfindliche Eingriffe bei der deutschen Übersetzung vornehmen musste. Eine Unterlassungsklage gegen den Antaios-Verlag folgte. Wie es zu all dem kommen konnte? Paglia schreckt nicht davor zurück, biologistische Sichtweisen auf die Frau zu diskutieren, um sich dem zu nähern, »was sie am glücklichsten macht«. Das beinhaltet bei ihr auch – sie ist offen für alles – Schwangerschaft und Kinderkriegen. Im Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« erklärt sie: »Man muss Frauen die Wahl lassen. Genau diese Fragen müssen von den Linken diskutiert werden, und zwar so, dass es dem Individualismus des modernen Menschen entspricht. Wenn die Linke sich solchen Themen nicht ehrlich stellt, wird die Rechte stärker.«
Die queere Filmregisseurin Monika Treut, Jahrgang 1954, hat die streitbare amerikanische Kulturwissenschaftlerin im Jahr 1991 in dem Kurzportrait Dr. Paglia verewigt, das sie jetzt auf der Kurzfilmwoche Regensburg im Rahmen einer Werkschau persönlich vorgestellt hat. Der Aufführung schickte sie diverse Warnungen voran. Achtung, es folge eine Schnellfeuersprechgewehr, mit durchaus kontroversen Äußerungen. Und in der Tat: Der Film präsentierte die Feministin als im Hochleistungstempo denkende und sprechende Scharfschützin, die im Schnelldurchgang durch die Theorien den Feminismus als »Anti-Intellektualismus« und »Rousseauismus« abknallte und einforderte, sich endlich dem Denken zuzuwenden und dem Sex, der egal wie – bisexuell, lesbisch, sich selbst genügend – praktiziert sein will. »Ich bin mir die Liebesgeschichte des Jahrhunderts« lautet einer ihrer provokant-arrogant-narzisstischen Sätze, mit denen sie, seit sie schreiben kann, herausfordert: Die »anti-feministische« Feministin wurde 1993 vom »Spiegel« als rappendes Theorie-Monster dargestellt. Bei Monika Treut darf sie als Brachialdenkerin faszinierend schillern und macht sogar Lust auf mehr.
Der Feminismus ist voller Widersprüche, das weiß Monika Treut. Sie hat sich früh mit den biologistischen Determinanten der Sexualität befasst und Filme über Menschen gemacht, die sich dem nicht beugen wollten. »Gendernauten« nannte sie die Reisenden zwischen den Geschlechtern, die Geschlechtsumgewandelten, Transgenders, Queeren. Ihnen hat sie 1999 den abendfüllenden Dokumentarfilm Gendernauts: A Journey Through Shifting Identities gewidmet; bei der Kurzfilmwoche stellte sie ihre erste Annäherung an das Thema vor, Max (1992), den sie in ihrer New Yorker Zeit realisierte und der sie in der Szene international bekannt machte.
Treuts Augenmerk gilt ganz allgemein den Tabus der Frauenbewegung, das macht sie auch zur Seelenverwandten von Paglia. Schon 1983 hat sie mit Bondage einen Film über lesbische BDSM-Praktiken gedreht, die von der Szene damals noch ausgegrenzt waren, berichtet sie. Ihr Film kommt direkt aus der »Lesbian Sex Mafia«, die sich damals in New York formiert hatte. »Female Misbehaviour« ist das reizvolle Stichwort, unter dem Treut ihre Kurzfilme zusammengefasst hat, darunter auch ein Portrait der Porno-Queen Annie Sprinkle, die als Performance-Künstlerin tiefe Einblicke in ihre Vagina gewährt.
Festivalleiterin Insa Wiese hat mit ihrem diesjährigen Schwerpunktthema »Starke Frauen« den Nerv der Zeit getroffen. Die Reihe bereitet sie schon seit zwei Jahren vor, damals waren #MeToo und eine neue Aufmerksamkeit für feministische Themen noch nicht absehbar. Filmende Frauen, Frauen in Filmen, das fristete vor zwei Jahren noch ein Nischendasein bei ProQuote Regie; das Thema bekommt erst jetzt durch aktuelle Studien der FFA von höchster Stelle Rückendeckung – allerdings ohne die eingeforderten Konsequenzen.
Filmende Frauen gibt es seit der Frühzeit der Filmgeschichte, daran erinnern zwei mit »Starke Frauen« übertitelte Programme der Kurzfilmwoche. Alice Guy ist eine solche Pionierin; sie ist die weibliche Antwort auf die Brüder Lumière. Schon bei ihr zeigt sich der andere Blick der Frau, die andere Themen ins Visier nimmt: In Madame a ses envies (1907) hat eine hochschwangere Frau Gelüste – für die Lumière-Brüder ein undenkbares Thema. Andere Filmemacherinnen, die Geschichte gemacht haben und die Regensburg mit je einem Beispielfilm würdigen, sind Lotte Reiniger, Maya Deren, May Spils, Chantal Ackerman oder Helke Sander.
Eine weitere Werkschau des Schwerpunktthemas war Jennifer Reeder, der Queen des American Independent gewidmet, die das spannende Cross-Over von Coming of Age und Pop entfaltete. Sie inszeniert novellenartige Geschichten mit Teenagern, allesamt aufrechte Gören, die Skateboard fahren, Gothic hören, feministische Bücher lesen, sie sind Wiedergängerinnen von Reeders eigener Jugend in den achtziger Jahren, die in der Jetztzeit leben.
Daraus resultieren knallbunte, feministische Manifeste gegen die Unsichtbarkeit und für das Aufbegehren der jungen Frauen. Mit ihren Filmen über den Seelenzustand der Heranwachsenden ist Jennifer Reeder eine Sister im Geiste Gus Van Sants. Sie hat neben zwei realisierten Langfilmen – ein dritter ist in Vorbereitung – immer wieder bewusst das Kurzfilmformat gewählt, was ihr erlaubt, schnell und mit wenig Geld Filme zu drehen. Immer sind es Laien, die ihre Filme schön unverblümt machen, neuerdings co-produziert sie auch in Deutschland, wo sie eine große Aufmerksamkeit erfährt, mehr als in den USA, wo der Kurzfilm keine Lobby hat.
Auch Reeders Protagonistinnen sind wie bei Treut in gewisser Weise Gendernauten, die vom Mädchendasein ins Erwachsenenalter reisen, und sich dabei mit den Vorstellungen herumschlagen, wie Frauen wohl zu sein haben. Kraftvoll verschränkt sich das in A Million Miles Away: Eine Chorleiterin mit Liebeskummer wird von den Schülerinnen in ihren Kreis aufgenommen und im Dechiffrieren und Texten von Liebes-Botschafen unterrichtet. Die dazugehörige Message des Films hat Metalerin Jennifer Reeder einem Vengeance-Song von Judas Priest entliehen: »You've got another thing comin!«