Kampf der Schwerter, Kampf der Herzen |
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Fliegende Krieger: A Touch of Zen (1969-1971) |
In der Filmgeschichte gibt es wenige Regisseure, deren Werk dem von King Hu vergleichbar wäre – er brachte dem chinesischen Kino den Durchbruch jenseits der wenigen eingeweihten Cinephilen, die schon seit langem wussten, dass der chinesische Film, vor allem der aus den großen Studios von Shanghai, sich in den dreißiger Jahren anschickte, Hollywood die Stirn zu bieten. Der 1932 in Peking geborene Filmemacher floh nach japanischer Besatzung, Bürgerkrieg und maoistischer Machtübernahme mit seiner Familie 1949 ins seinerzeit noch britisch regierte Hongkong. Dort begann er in der Filmindustrie zu arbeiten, und debütierte 1965 als Regisseur. In den folgenden zehn Jahren entstanden einige Meisterwerke, die nicht nur heimische Kassenhits wurden, sondern erstmals dem westlichen Publikum das chinesische Kino mit seinen Eigenheiten erschlossen.
Vor allem A Touch of Zen ist das unangefochtene Vorbild des Hongkong-Martial-Arts-Kinos bis heute. Filme wie Tiger & Dragon von Ang Lee und Zhang Yimous House of Flying Daggers, die das »Wu Xia«, das chinesische Kampfkunst-Kino im Westen populär machten, wurden unübersehbar von ihm inspiriert. Im Kino von Hongkong, Taiwan und China sind diese Stoffe so populär, wie bei uns Western oder Kriminalfilme.
Dort gibt es eine Zeit vor und eine Zeit nach A Touch of Zen. Jetzt kommt dieses schillernde, zugleich actionreiche Ausnahmewerk erstmals ins deutsche Kino, gemeinsam mit einem zweiten Film dieses bedeutenden Regisseurs: Dragon Inn. Vorher liefen beide Filme allenfalls gelegentlich in Filmmuseen oder auf
Festivalretrospektiven.
In beiden Werken können sich die Zuschauer auf episches, sehr unterhaltsames und gar nicht so fremdartiges Kino freuen: Vergleichbar mit einem Westernklassiker, eher von John Ford als von Sergio Leone.
Es geht um Archetypen: Machthungrige Herrscher, schwache Bürokraten, sadistische Söldner und um Frauen, die in jedem Fall schön und begehrenswert sind, manchmal hexenhaft-verderbte Femme fatales, manchmal verwöhnte prinzessinnenhafte höhere Töchter, oft genug aber die Lieblingsschülerinnen ihres Zen-Meisters, die alle Männer im Gebrauch des Schwerts übertreffen, die den Männern an Kraft unterlegen sein mögen, an Geschick und Intelligenz aber mehr als ebenbürtig.
In Dragon Inn haben einige gute Menschen in einem Gasthaus Unterschlupf gefunden, sie sind von Feinden umzingelt. In A Touch of Zen ist die Handlung komplexer: Eine Gruppe guter Widerständler kämpft gegen eine böse Obrigkeit, im Zentrum steht ein ungleiches Paar: Ein naiver Künstler mit gutem Herz und eine
geheimnisvolle Frau mit einer falschen Identität.
Das Entscheidende aber ist die Form: Große Gefühle in großen Bildern, voller Poesie und in den Farben des Herbstwaldes: Sattes Grün, weißhelles Gelb und dunkle Brauntöne dominieren. Die Kämpfe sind überaus originell und wie ein Feuerwerk immer neuer Einfälle choreographiert. Der Höhepunkt ist der Kampf in einem Bambuswald. Eine pure Ekstase der Sinne – ein Geniestreich! Verführung, nicht Überwältigung dominiert.
Deutsche Zuschauer und King-Hu-Neulinge können sich hier also auf vieles gefasst machen. Denn noch in den achtziger Jahre waren solche Kinowerke bei uns als »Kung-Fu-Filme« oder »Eastern« etwas abschätzig markiert. Harte Fäuste und sanfte Sprüche, irgendwo zwischen Prügelfilmen mit Bud Spencer und dem populärbuddhistischen Seminar in der Volkshochschule – Yoga für jeden sozusagen.
Dabei war gerade King Hu, der vor 20 Jahren, 1997 im Alter von 66 Jahren starb, immer ein
Meister des anspruchsvollen Wu Xia, des formal ausgefeilten, zugleich erzählerisch vereinfachten Abenteuerfilms.
Tatsächlich ist A Touch of Zen, ein dreistündiges Monumentalwerk, ein Meilenstein der Filmgeschichte. 15 Jahre, bevor Zhang Yimous Film Das rote Kornfeld den Goldenen Bär der Berlinale gewann, war es King Hu, der für den 1969 gedrehten Film bei seiner Erstaufführung im Westen 1975 überhaupt erstmals einen Preis auf einem europäischen Festival erhielt: Natürlich in Cannes, die gerade verstorbene große Jeanne Moreau war seinerzeit die Jurypräsidentin.
Sie hat erkannt, dass der Widerspruch zwischen Konkretem und Abstraktem, Muskeln und Geist in diesen zen-buddhistischen virtuosen Phantasien elegant aufgehoben wird. A Touch of Zen ist eine suggestive, kluge Fabel über den Sinn und die Notwendigkeit von Gewalt – auch insofern erzählt sie uns viel über China und die Welt von heute.