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Ein in jeder Hinsicht besonderer Film: Das Mädchen vom Änziloch |
Von Christel Strobel
Rückblick
Als der Kinderfilm in der Bundesrepublik Deutschland noch in den Kinderschuhen steckte, haben die seit Herbst 1974 stattfindenden Kinderfilmvorführungen im Kommunalen Kino, beherbergt im Historischen Museum am Römerberg, schon regen Zuspruch der Frankfurter Kinder. Vom 23. bis 30. Mai 1975 wurde deshalb dort zum ersten Mal eine „Internationale Kinderfilmwoche“ veranstaltet mit dem Ziel, dem Film für Kinder eine noch größere
Aufmerksamkeit zu geben. Damit legte Walter Schobert, seinerzeit Leiter des Kommunalen Kinos und von 1984 bis 2003 Direktor des Deutschen Filmmuseums, den Grundstein für das älteste Kinderfilmfestival Deutschlands.
Das Angebot an Kinderfilmen im heutigen Sinne allerdings war noch mager. Kinderfilm wurde immer noch mit dem Märchenfilm der 50er-Jahre gleichgesetzt. Erst 1973 kam mit Hark Bohms Tschetan, der Indianerjunge eine andere Filmgeschichte für das junge Publikum ins Kino. Sein nächster Film für Kinder, Wir pfeifen auf den Gurkenkönig (nach dem Buch von Christine Nöstlinger), und Ein Tag mit dem Wind von Haro Senft waren auf der ersten Internationalen Kinderfilmwoche zu sehen, ergänzt mit geeigneten Produktionen aus den Nachbarländern, vor allem Skandinavien und Osteuropa. Dazu gehörten auch die Kinderfilme aus der DDR, wo schon sehr früh realistische, zielgruppenorientierte Filme entstanden, deren Anzahl 1977 die Gründung des fortan zweijährlichen »Nationalen Festivals ‚Goldener Spatz’ für Kinderfilme der DDR in Kino und Fernsehen« als Leistungsschau der Defa-Produktion in Gera möglich machte. Davon hat immer wieder auch die bundesdeutsche Kinderfilmszene partizipiert. Und – das sei hier vermerkt – der „Goldene Spatz“ hat dank des Engagements von Ost und West die Wende überlebt und führt heute als jährliches Kinder-Medien-Festival Goldener Spatz in Gera und Erfurt ein vom jungen Publikum und Fachbesuchern gut besuchtes Dasein.
Die Entstehung und Entwicklung des 1975 gegründeten Frankfurter Festivals jedoch war eng mit der Situation des Kinderfilms in der BRD verknüpft. „Aufbruch zum neuen bundesdeutschen Kinderfilm“, der Titel des Handbuchs für den Kinderfilm (Hrsg. Wolfgang Schneider, Eulenhof-Verlag 1982) signalisierte das gewachsene Bewusstsein bei Produzenten und Filmemachern, Verleihern und Spielstellen. Förderungsformen wurden diskutiert und alles zielte darauf ab, dem kritischen, jungen Kinderfilm den angemessenen Stellenwert einzuräumen. Das Frankfurter „Experiment“ war erfolgreich, das Angebot einer eigenen Kinderfilmschau wurde von den Adressaten angenommen und als jährlich wiederkehrende Veranstaltung etabliert. Zunehmend entstanden auch bundesdeutsche Kinderfilme, Ende der 70er- / Anfang der 80er-Jahre waren es jährlich drei bis vier Kinderfilme zu zeitgeschichtlichen wie Alltags-Themen aus der Perspektive der Kinder.
Der Aufbruch jener Jahre zeigt sich auch an weiteren Gründungen nach 1975:
1977 Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland (KJF) in Remscheid / 1978 Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. (anlässlich der 4. Internationalen Kinderfilmwoche in Frankfurt) / 1979 Kinderkino München e.V., Herausgeber der vierteljährlich erscheinenden Fachpublikation „Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz“ von 1980-2014. Und seit 1978 widmet die Berlinale eine eigene
Sektion dem Kinder- und Jugendfilm, heute unter dem Namen „Generation“ (Kplus und 14plus).
1984, beim 10. Internationalen Kinderfilmfestival, wurde zum ersten Mal der Festivalpreis LUCAS vergeben. Eine Besonderheit war die Zusammensetzung der Jury: Im ersten Jahr entschied eine neunköpfige Kinderjury über die Preisvergabe, seit 1985 arbeiten zu gleichen Teilen Kinder und Erwachsene in der Jury zusammen. Die Einrichtung der Jury kommentierte ein Fachbesucher wie folgt:
»Irgendwann musste es ja so kommen – auch das Internationale
Kinderfilmfestival in Frankfurt hat sich zur Leistungsschau gemausert. Erster Preis, zweiter Preis – ferner liefen. Immerhin – die Organisatoren des Festivals waren sich der Problematik offensichtlich bewusst und verzichteten darauf, eine Jury mehr oder weniger prominenter Menschen zusammenzurufen – sie wandten sich an die Sachverständigen. Durch Kontakte zu Lehrern wurden neun Kinder, 12-15 Jahre alt, für die Kinderjury gewonnen … Die dabei
gemachten Erfahrungen haben mich als notorischen Preis-Gegner über die möglicherweise negativen Folgen dieser Umgestaltung des Festivals hinweggetröstet. Erstaunlich war, dass trotz der ziemlichen Belastung (Schule, zwei bis drei Stunden Film und eine Stunde Nachbereitung) alle Kinder die Sichtung sämtlicher 18 Filme durchhielten und während des Festivals gelegentlich noch mal zusätzlich ins Kino gingen zur Hark-Bohm-Retrospektive. … Die Einrichtung einer
Kinderjury hat sich hervorragend bewährt.« (Oliver Tolmein in KJK Nr. 20-4/1984)
Zudem fand 1984 das „Internationale Kinderfilmfestival LUCAS“ zum ersten Mal im gerade eröffneten Deutschen Filmmuseum statt, in einer historischen Villa am Mainufer, wo das seit 1971 bestehende Kommunale Kino nun ein adäquates Ambiente hat. Der Kulturdezernent, Hilmar Hoffmann, betonte anlässlich der Eröffnung, dass die Konzeption des Filmmuseums dem Gedanken nach bereits bei der Gründung des Kommunalen Kinos mit dem Erwerb von bedeutenden Sammlungen
angelegt war. Das neue Umfeld ist auch eine Bereicherung für die Festivalmacher und fürs junge Publikum, denn die Möglichkeiten des Hauses werden über die Jahre immer intensiver für filmtechnische und medienpädagogische Workshops sowie Ausstellungsführungen genutzt.
Das inzwischen zwölftägige Festival gliederte sich in Filmvorführungen für Kinder, Retrospektive und Wochenendveranstaltung für Filmfachleute und Branche. In vielen der 18 Filme aus 13 Ländern
stehen Kinder im Mittelpunkt, die ohne Erwachsene ihren Weg suchen und finden. Unter dem Motto „Kinder unterwegs“ werden Abenteuersehnsucht, Selbstbehauptung, Überlebenskampf thematisiert, zum Beispiel in Arend Agthes „Flussfahrt mit Huhn“ (der noch heute zum Kinderkino-Repertoire gehört).
Die 90er-Jahre
waren geprägt von Diskussionen und Spekulationen: Mittelkürzungen der Stadt Frankfurt, personelle Unstimmigkeiten und Überlegungen, das Kinderfilmfestival nur noch alle zwei Jahre – im Wechsel mit dem nationalen Kinderfilmfestival in Gera – zu veranstalten, verunsicherten die Festivalbesucher und überschatteten das Festivalereignis. Das Motto des 18. Festivals 1992 war geradezu programmatisch: „Wo ich zu Hause
bin“ mit zehn Filmen über Kinder aus aller Welt und sieben Filmen in der Retrospektive, die dem tschechoslowakischen Kinderfilm galt.
Während die Zeiten für das älteste Kinderfilmfestival in Frankfurt schwierig wurden, entstand 1995 in Chemnitz das »Internationale Filmfestival für Kinder und junges Publikum SCHLINGEL«, das sich im Laufe der Jahre zu einem weiteren Treffpunkt der Kinderfilmszene entwickelte.
1998 kam es schließlich zur Umstellung auf den Zwei-Jahres-Rhythmus, was den KJK-Berichterstatter zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für das Kinderfilmfestival Frankfurt veranlasste: »Ich fahre seit zehn Jahren regelmäßig auf dieses Festival und habe schon alle möglichen Stimmungslagen erlebt. Doch selbst im Krisenjahr 1992 war die Stimmung nicht so schlecht wie diesmal. Denn auch wenn seinerzeit eine allgemeine Unzufriedenheit über Ablauf und Programm herrschte, so waren doch alle davon überzeugt, dass das Festival diese Probleme überwinden und auch weiterhin stattfinden werde. Ganz anders dieses Jahr. Die Ankündigung, dass LUCAS nur noch alle zwei Jahre stattfinden soll, sorgte bei den Teilnehmern für eine Art Untergangsstimmung. Es kann jedoch nicht angehen, dass wir dieses für die nationale und regionale Kinderfilmkultur bedeutsame Forum einfach zugrunde gehen lassen, ohne den Versuch zu unternehmen, alles dafür zu tun, dass das Festival in seiner Substanz erhalten wird. Denn Frankfurt stand immer für einen internationalen Austausch, für interkulturelle Begegnung, bot aber Verleihern und Programmmachern auch ganz konkret die Möglichkeit zu sichten, wo der Kinderfilm steht und welche Tendenzen sich neu eröffnen.« (Lutz Gräfe in KJK Nr. 76-1/1998) – Die 16 Filme aus 15 Ländern behandelten ernste Themen wie Rassismus und Fremdenhass sowie Trauer und Tod und wie Kinder damit umgehen.
Wechselhafte Zeiten – LUCAS wird 25
Zwei Jahre später, 2000, konnte LUCAS sein Vierteljahrhundert (wenn auch erst nach 26 Jahren) feiern. Allerdings unter deutlich weniger Beteiligung einer Fachöffentlichkeit. An der unzureichenden finanziellen Ausstattung hat sich wenig geändert. Viele der Filme (13 aus 10 Ländern) machten den Eindruck, dass sie nicht explizit für Kinder und Jugendliche gemacht waren. Selbst die LUCAS-Jury bemängelte: »Wir, die Kinder und
Erwachsenen der Kinderjury, bedauern die geringe Beteiligung solcher Filme, deren unmittelbares Erzählen die Perspektive der Kinder einnimmt. Auch werden wir nicht mit gut erzählten Geschichten versöhnt, die sich auf die Kraft ihrer Bilder verlassen können.« Bis die Jury wieder berufen wurde, vergingen erneut zwei Jahre, aber der Tenor 2002 klang schon ganz anders: »Ja zum wiederbelebten und neuerwachten LUCAS, der sich nach Jahren der Krise nun unter neuer Leitung mit neuem Design und
vor allem mit neuem Schwung präsentierte … und LUCAS wieder den Stellenwert verschafft, den die nationale wie internationale Kinderfilmszene erwartet und benötigt. Dazu trug auch die Entscheidung bei, das Programm – nach mehrjährigen Versuchen, das Festival mit einer Sektion für Jugendliche zu erweitern – erstmals wieder auf Filme für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren zu konzentrieren. Bei den 14 Filmen dominierten Filme für kleine Kinder, stark vertreten
waren Animation, Fantasy und Geschichten von starken Mädchen.« (KJK Nr. 92-4/2002)
2004 wurde der jährliche Rhythmus wieder aufgenommen. Zum Langfilm-Wettbewerb kam eine eigene, ebenfalls mit einem dotierten Preis ausgestattete Kurzfilmsektion. Auch wenn die Zahl der Fachbesucher vorübergehend abnahm, verzeichnete das Festival einen kontinuierlichen Anstieg der Besucherzahlen. Gestiegen war auch die Zahl der eingeladenen Filme und weitere Kinos wurden einbezogen. Verschiebungen gab es bei den Einreichungen aus den verschiedenen Ländern: Skandinavien – lange Zeit führend in der Kinderfilmproduktion – war nicht mehr so stark, dafür kamen immer mehr Filme aus dem asiatischen Raum – Indien, Philippinen, Indonesien, Südkorea – und Iran ist immer wieder mit außergewöhnlichen Kinder- oder Jugendfilmen vertreten. 2007, im Bericht über die 30. Festival-Ausgabe, hieß es: »LUCAS hat die Jahre des freien Falls in die Bedeutungslosigkeit hinter sich und ist auf einem guten Wege, wieder ein wichtiger Termin im nationalen wie internationalen Festivalzirkus zu sein.« 2011 dann stand das Kinderfilmfestival ganz im Zeichen des umgebauten Filmmuseums, das kurz zuvor unter dem Motto „Mehr Raum für den Film“ wieder eröffnet wurde und gleich eine erste Belastungsprobe, auch für die neu gestalteten Ausstellungs- und Workshop-Räume, bestehen musste.
Das 40. LUCAS-Festival
Das Jubiläum des ältesten Kinderfilmfestivals in Deutschland ist zugleich das erste für eine neue Leitung. Mit Engagement haben Julia fleißig, die als Leiterin der Schulkinowoche praktische Erfahrungen mitbringt, und ihr kommunikatives wie kompetentes Team das Erbe übernommen und diese Erbschaft auch gleich mit einem originellen Trailer
gewürdigt, der im Zeitraffer durch 40 Jahre eilt und an die jeweils typischen grafischen Logos erinnert, und der am Anfang jeder Filmvorführung des Jubiläumsfestivals stand.
Auch die Zahl der für LUCAS 2017 ausgewählten Filme – 70 Lang- und Kurzfilme aus 35 Ländern – macht die Entwicklung im Kinderfilmbereich von den Anfängen bis heute bewusst.
Das Jubiläum war auch ein schöner Anlass für die Wiederentdeckung früherer LUCAS-Preisträger. Der 1986 preisgekrönte „Kleine Revolte“ (Pequeña Revancha, R: Olegaria Barrera, Venezuela 1985) ist bei langjährigen Festivalbesuchern noch in guter Erinnerung, war er ja auch danach fürs nichtgewerbliche Kinderkino vom Bundesverband Jugend und Film verfügbar gemacht worden. Eine „Kleine Revolte“ bedeutet für die Bewohner des Dorfes irgendwo in Lateinamerika unter der
Militärdiktatur, dass die Eltern sich von den überfallartig auftauchenden Jeeps nicht einschüchtern und die Kinder sich nicht aushorchen lassen von den Soldaten, die in ihre Schule gekommen sind und einen Aufsatz darüber verlangen, was ihre Eltern am Abend machen; und dass die Kinder gemeinsam den Ladenbesitzer als Regierungsspion entlarven. »Der Film erzählt auch einiges über das Leben in einem Dorf, dessen politische Situation zum Nachdenken anregt« (aus der Begründung der
LUCAS-Jury für ihre Preisvergabe 1986). „Kleine Revolte“ hat nichts von ihrer Wirkung verloren.
In den kommenden Monaten stehen noch sieben Highlights aus früheren Festivaljahrgängen auf dem Programm vom Kino im Deutschen Filmmuseum.
Auf dem 40. Festival war auch ein neuer Film aus Venezuela (im Wettbewerb 13+) vertreten: Die Familie (La Familia, R: Gustavo Rondón Córdova, 2017) handelt vom harten, von Gewalt geprägten Leben in einem heruntergekommenen Stadtteil von Caracas, wo der zwölfjährige Pedro mit seinem oft abwesenden Vater lebt. Nach Pedros tragisch endenden Streit mit einem Jungen aus einer anderen Clique, verlassen sie überstürzt das Viertel – eine Odyssee durch die Stadt beginnt, immer auf der Suche nach Arbeit, bei der sich Vater und Sohn nach und nach wieder näherkommen, doch Pedro ist auch immer wieder auf dem Sprung zurück in das frühere Leben. Nur mit Laiendarstellern besetzt, entwickelt der Film eine atemlose Dynamik, die – je weiter sich die Beiden vom städtischen Chaos entfernen – entspannten Momenten weicht. Ob es auf diesem Weg weitergeht, bleibt offen.
Ein Film, der lange im Gedächtnis bleibt, ist der dänische Beitrag, Der Tag wird kommen (Der kommer en Dag, R: Jesper W. Nielsen, 2016; zu Nielsens Filmografie gehört auch die preisgekrönte populäre Serie „Borgen“, 2011-2013). Mit seinem neuen Film greift Jesper ein düsteres Kapitel aus einer noch nicht allzu lang zurückliegenden Vergangenheit auf: Weil die schwerkranke, alleinerziehende Mutter von Erik und Helmer ins Krankenhaus muss, werden die Brüder in ein Jungenheim auf dem Lande eingewiesen. Hier herrschen unglaubliche Zustände: Mit einem perfiden System aus Schlägen und Demütigungen, Willkür und Ungerechtigkeit machen sich die Erzieher die Kinder gefügig. Als Erik vom Direktor halb tot geschlagen auf der Krankenstation liegt, gelingt es Helmer mit einer List, vom Direktor die Genehmigung für einen freien Tag in Kopenhagen zu bekommen. Dort – im Jahre 1967 – ist die Flower-Power- Bewegung angekommen und neue Zeiten sind auch für die Heimaufsicht angebrochen. Es ist tröstlich, dass es für Erik und Helmer und all die anderen Heiminsassen gut enden wird, zumal die Filmgeschichte auf tatsächlichen Begebenheiten beruht.
Preise
Die paritätische Jury (drei Kinder / drei Erwachsene aus der Branche) vergab den „Preis für den besten abendfüllenden Film“ (dotiert mit 5.000 €) in der Wettbewerbskategorie ab 8 J. an Oskars Amerika, eine norwegisch-schwedische Koproduktion von Torfinn Iversen, die vom zehnjährigen Oskar erzählt, der gerne einmal auf dem Pferd durch die grandiose amerikanische Landschaft reiten möchte. Seine Mutter ist schon mal
vorweg gereist, sagt sie ihm jedenfalls, obwohl alles auf eine Alkoholentzugskur deutet. Der durchweg mürrische Großvater ist ihm keine Hilfe, doch dann entdeckt er Levi, der sich etwas merkwürdig benimmt und als ungeliebter Außenseiter von den Dorfjungen geärgert wird. Wie Oskar und Levi ihre Reise mit dem Boot nach Amerika vorbereiten, hat schon rührende Augenblicke, aber auch einige Ungereimtheiten und ergibt kein überzeugendes Ganzes. Aus der Begründung der LUCAS-Jury: »Der
Film hat uns berührt und schwere Themen kindgerecht erzählt. Gleichzeitig gab es auch schöne Momente zum Lachen! Außerdem beeindruckte uns die tolle und passende Musik.«
In der Sektion ab 13 J. verlieh die Jury (drei Jugendliche / drei Erwachsene) ihren Preis (ebenfalls mit 5.000 € dotiert) an den französischen Film Ava von Léa Mysius, der von einem Mädchen erzählt, das langsam erblindet. Die Jury befand ihn für preiswürdig, weil »die herausragenden schauspielerischen Leistungen, grandiose Kameraführung und Lichtsetzung uns – im besten Sinne – keine Wahl lassen, als uns voll und ganz mit der Protagonistin zu identifizieren, sie in ihren Handlungen und in ihrer Entschlossenheit zu verstehen und anzunehmen.« Außerdem wurde aus den abendfüllenden Filmen dieser Sektion für den »Preis für eine außergewöhnliche cineastische Leistung« (dotiert mit 2.000 €) der iranische Beitrag Steuermann (Gamichi, R: Majid Esmaeili) ausgewählt. Ein Film, der mit seiner Geschichte und seinem Drehort – den ausgetrockneten Urmia-See im Nordwesten Irans – das „heiße Eisen“ Klimaveränderung / Klimakatastrophe berührt, denn die Familie des Jungen Hassan verliert dadurch ihre Existenzgrundlage. Der Vater hat die Familie vor einem Jahr verlassen, die Mutter ist gestorben. Hassan widersetzt sich vehement dem Verkauf des Familienbootes und restauriert mit seinem Freund Naji das alte Schiff und glaubt fest daran, dass der Vater zurückkehrt. Aus der Begründung für die außergewöhnliche cineastische Leistung. »Der Film erzählt die tragische Geschichte eines Jungen mit unendlicher Hoffnung, dem starken Glauben an Ideale, den Wert von Freundschaft und was es bedeutet, Dinge hinter sich zu lassen, zu bewältigen und weiterzumachen. Jedes Detail des Films hat uns diese Geschichte erzählt: Berührende Bilder, bedeutungsvolle Symbole, die erschütternde Trostlosigkeit der Drehorte, großartige Charaktere und ein außergewöhnlicher Sinn für Humor.«‚
Seit 2012 wird von der ECFA-Jury der Preis der European Children’s Film Association (ECFA) an den besten europäischen Kinder- und Jugendfilm verliehen. In diesem Jahr ging der ECFA-Award an Alice Schmids eindringliches Porträt Das Mädchen vom Änziloch (Schweiz 2016), ein in jeder Hinsicht besonderer Film der Schweizer Dokumentarfilmregisseurin. Auch bei dem Mädchen vom Änziloch handelt es sich hauptsächlich um einen Dokumentarfilm. Laura, inzwischen 12 Jahre, hatte schon mit vier Jahren einen kleinen Auftritt in Alice Schmids Film „Die Kinder vom Napf“ und bereits dort eine starke Leinwandpräsenz. Sie lebt mit den Eltern und älteren Brüdern in einem der kargen Höfe im hügeligen Napf-Gebiet oberhalb von Luzern, einer von Legenden geprägten Landschaft, hilft in Haus und Hof mit und ist ansonsten viel allein, vermisst jemanden zum Reden. Stattdessen führt sie Tagebuch, das sie fürs Aufschreiben der Gedanken braucht. Eines Tages kommt Thom, ein schmächtiger Junge aus der Stadt, um eine Woche Landdienst zu verrichten. Mit ihm kann sie über die sagenumwobene Schlucht, das Änziloch, reden, wo es „geistern“ soll und der sie sich immer wieder mit dem Fernglas von oben nähert. Doch dann ist es soweit – Thom ist schon wieder in die Stadt zurückgekehrt – und Laura wagt sich in die Schlucht. Aus der Begründung der ECFA-Jury: »Wir erhalten einen Einblick in das Leben eines empathischen Mädchens und nehmen Anteil an ihrem tiefen Wunsch nach Freundschaft und Selbstvertrauen. … Die Nähe zu ihrer Protagonistin erlaubt uns eine behutsame Annäherung an ein kaum vernehmbares Lebensgefühl.«
Klassiker
Für diese Reihe waren drei Filme ausgewählt worden: The Kid von Charles Chaplin, USA 1921; Oliver Twist von David Lean, Großbritannien 1948, 116 Min., DF / teils OmU, 116 Min., und Die
Halbstarken von Georg Tressler, Deutschland 1956, mit Horst Buchholz als Freddy, Anführer einer Gang, die sich mit kleinen Diebstählen, Hehlereien und Auftritten im Schwimmbad die Zeit vertreibt, bis sie eines Abends das ganz große Ding drehen wollen...
Eine besondere Erwähnung gilt bei dieser Gelegenheit den Moderatorinnen in Frankfurt, die ihr Fach Filmvermittlung verstehen! Es war z.B. bei diesem Film nicht einfach, ein Gespräch mit den 12-/13-jährigen Schülern einer
Förderschule zu führen. Doch so nach und nach löste sich die Befangenheit und es gab ein längeres, intensives Gespräch sowohl über filmtechnische (Schwarz-Weiß-Film, Dreh an Originalschauplätzen) als auch inhaltliche Aspekte.
Sektion „Young European Cinephiles“
„Was ist wahr und was ist Fake?“ Diese Frage stellten sich sechs junge Cineasten und präsentierten im Abendprogramm ihre Lieblingsfilme, u.a. The Congress von Ari Folman und Synecdoche, New York /
Stage Play von Charlie Kaufman. »Wir leben in einer Welt, in der kein allzu großer Wert mehr auf den Unterschied zwischen Realität und Fiktion, richtig und falsch gelegt wird.« (Lilith, 15 J.) Auch Filmemacher/innen wollen sich in der Wahl der filmischen Form nicht mehr eindeutig festlegen. Für die Projektteilnehmerin Lilith sind die sogenannten Hybridfilme eine Möglichkeit, »durch Kunst kritisch auf dieses Thema aufmerksam zu machen«. Ein aktuelles Thema, mit dem sich
LUCAS – nunmehr „Internationales Festival für junge Filmfans“ – in seiner 40. Ausgabe beschäftigt hat und das neben der Podiumsdiskussion über „Nachwuchsfilm und junges Publikum“ und der flankierenden Tagung „Film bildet“! auch zeigt, dass sich der Weg nach Frankfurt weiterhin lohnt.