29.11.2018

»Berlin ist mein Trauma«

Die Filme des Journalisten Will Tremper machen die bundesrepublikanischen 50er und 60er Jahre noch einmal lebendig – Zur Retrospektive im Filmmuseum München

Von Ulrich Mannes

Man trifft auf einen ostdeut­schen Bauern, der sich der Kollek­ti­vie­rung seines Hofs verwei­gert und sich nach West-Berlin absetzen will, und auf einen schnö­se­ligen SED-Funk­ti­onär, der auf demselben Weg nach Ostberlin zu Walter Ulbricht will. Man verliert sich im Tempel­hofer Flughafen, auf dem betrü­ge­ri­sche Geschäfts­leute, untreue Ehemänner, verkrachte Schau­spieler und abge­brannte Starlets zusam­men­kommen. Man begleitet ein unstetes Foto­mo­dell, das im »Schau­fenster des Westens« einfluss­rei­chen Männern den Kopf verdreht. Darüber hinaus begegnet man halb­starken Posträu­bern, groß­spu­rigen Klein­bür­gern, leichten Mädchen und nicht zuletzt skru­pel­losen Jour­na­listen.

Das geteilte Berlin der 50er und 60er Jahre bildet den Mittel­punkt und Flucht­punkt im Kino des Jour­na­listen Will Tremper. Er gehörte zu den wenigen Filme­ma­chern, die in der deutschen Teilung ein Potenzial für Aben­teu­er­ge­schichten sahen. Er schöpfte aus Zeitungs­mel­dungen und aus seinen eigenen Storys, die er als rasender Reporter, als Hans Dampf in allen Gassen (und allen Illus­trierten) verfasst hat. Er stürzte sich kopfüber in seine Projekte, drehte ohne finanz­starke Produk­ti­ons­firmen, ohne Förderung, ohne festes Drehbuch. »Tremper hat einige der reinsten Filme gedreht, aber er war kein Cineast«, schreibt Film­kri­tiker Fritz Göttler in der Film­mu­se­ums­bro­schüre, und zitiert den ehema­ligen Film­mu­se­ums­leiter Enno Patalas: »Ein Routinier ohne Routine, ein Hand­werker ohne Ausbil­dung, ein Cinemane ohne Film­kultur.«

Am Dienstag, den 27. November 2018, ist nun im Münchner Film­mu­seum eine Tremper-Retro­spek­tive eröffnet worden (Anlass ist der 90. Geburtstag, man hätte auch den 20. Todestag nehmen können). Zum Auftakt lief sein wohl bekann­tester Film Die endlose Nacht in einer digital restau­rieren Fassung und mit Ehren­gästen (Trempers lang­jäh­rige Frau Celia, die Söhne Timothy und Terence sowie Klaus Doldinger), die zwar alle nichts mit den Dreh­ar­beiten zu tun hatten, aber nach der Vorfüh­rung in großer Erzähl­laune Will Tremper dem Publikum als Ausnah­me­erschei­nung des deutschen Kinos nahe­brachten.

Die nächsten drei Wochen ist Trempers filmi­sches Œuvre fast voll­s­tändig zu sehen. Es laufen die beiden Horst-Buchholz-Filme, die er mit Georg Tressler verwirk­licht hat: das aufse­hen­er­re­gende Debüt Die Halb­starken und der weniger reiße­ri­sche Endsta­tion Liebe, den es in jeder Tremper/Tressler-Retro neu zu entdecken gibt. Und es laufen natürlich seine eigenen Regie­ar­beiten (neben Die endlose Nacht noch Flucht nach Berlin, Playgirl und Sperr­be­zirk) und sogar eine Edgar Wallace-Verfil­mung, an der er mehr aus Versehen beteiligt war.

Aber nur einmal hat Tremper einen Blick auf sein eigent­li­ches Metier, das Zeitungs­wesen, geworfen. Mit dem Drehbuch zu Nasser Asphalt (1958) schlachtet er die Geschichte von den »Bunker­men­schen in Gdingen« aus, die laut Tremper der in den 50er Jahren sehr populäre und inter­na­tional tätige Jour­na­list Curt Riess erfunden hat – ein besonders folgen­rei­ches Stück aus dem »Tollhaus der Nach­kriegs­ge­schichte«. Demnach sollen 1945 sechs Wehr­machts­sol­daten auf der Flucht vor der Sowjet­armee in einen Versor­gungs­bunker einge­drungen sein, der dann durch eine Sprengung verschüttet wurde. Erst nach sechs Jahren hätten polnische Land­ar­beiter den Eingang freilegen und sogar noch einen Soldaten lebendig rausholen können. Eine Fabelei, die als Tatsa­chen­be­richt in den Boule­vard­me­dien kolpor­tiert wurde, die zu falschen Hoff­nungen und zu unglaub­li­chen diplo­ma­ti­schen Verwick­lungen führte. Will Tremper hat diese Lügen­ge­schichte und ihre Folgen noch ein bißchen dämo­ni­siert, vor allem den Nach­rich­ten­händler Cesar Boyd alias Curt Riess, gespielt von Martin Held (ein Kritiker bemän­gelte die »unty­pi­sche, mondän über­trie­bene Attitüde dieses Satans­re­por­ters, der grund­sätz­lich nur in der Bar oder im Bad seine Berichte zu diktieren scheint«). Nasser Asphalt, insze­niert von Frank Wisbar, zählt nicht zu den Höhe­punkten von Will Trempers Film­kar­riere, vor allem weil die Horst-Buchholz-Figur (Trempers Alter Ego) als aufrecht-naiver Reporter-Zögling viel zu brav gezeichnet ist. Und doch bleibt der Film aus aktueller Sicht natürlich inter­es­sant, weil er überaus aufschluss­reich vor Augen führt, wie es um Fake-News und Pres­se­ma­ni­pu­la­tion in den 50er Jahren stand.

Der letzte Tremper-Film fehlt übrigens in der Retro: How Did A Nice Girl Like You Get Into This Business? (1970), eine für den ameri­ka­ni­schen Markt gedachte Best­sel­ler­ver­fil­mung mit Barbara Benton (damals die Hauptfrau von »Playboy«-Gründer Hugh Hefner), die sich als Totalflop erwiesen hat und wovon nur eine verstüm­melte Kopie übrig geblieben ist. Tremper ließ daraufhin das Filmen sein und kehrte endgültig zum Jour­na­lismus zurück. Die »Filmerei« blieb für Tremper nur eine Episode.