»Berlin ist mein Trauma« |
Von Ulrich Mannes
Man trifft auf einen ostdeutschen Bauern, der sich der Kollektivierung seines Hofs verweigert und sich nach West-Berlin absetzen will, und auf einen schnöseligen SED-Funktionär, der auf demselben Weg nach Ostberlin zu Walter Ulbricht will. Man verliert sich im Tempelhofer Flughafen, auf dem betrügerische Geschäftsleute, untreue Ehemänner, verkrachte Schauspieler und abgebrannte Starlets zusammenkommen. Man begleitet ein unstetes Fotomodell, das im »Schaufenster des Westens« einflussreichen Männern den Kopf verdreht. Darüber hinaus begegnet man halbstarken Posträubern, großspurigen Kleinbürgern, leichten Mädchen und nicht zuletzt skrupellosen Journalisten.
Das geteilte Berlin der 50er und 60er Jahre bildet den Mittelpunkt und Fluchtpunkt im Kino des Journalisten Will Tremper. Er gehörte zu den wenigen Filmemachern, die in der deutschen Teilung ein Potenzial für Abenteuergeschichten sahen. Er schöpfte aus Zeitungsmeldungen und aus seinen eigenen Storys, die er als rasender Reporter, als Hans Dampf in allen Gassen (und allen Illustrierten) verfasst hat. Er stürzte sich kopfüber in seine Projekte, drehte ohne finanzstarke Produktionsfirmen, ohne Förderung, ohne festes Drehbuch. »Tremper hat einige der reinsten Filme gedreht, aber er war kein Cineast«, schreibt Filmkritiker Fritz Göttler in der Filmmuseumsbroschüre, und zitiert den ehemaligen Filmmuseumsleiter Enno Patalas: »Ein Routinier ohne Routine, ein Handwerker ohne Ausbildung, ein Cinemane ohne Filmkultur.«
Am Dienstag, den 27. November 2018, ist nun im Münchner Filmmuseum eine Tremper-Retrospektive eröffnet worden (Anlass ist der 90. Geburtstag, man hätte auch den 20. Todestag nehmen können). Zum Auftakt lief sein wohl bekanntester Film Die endlose Nacht in einer digital restaurieren Fassung und mit Ehrengästen (Trempers langjährige Frau Celia, die Söhne Timothy und Terence sowie Klaus Doldinger), die zwar alle nichts mit den Dreharbeiten zu tun hatten, aber nach der Vorführung in großer Erzähllaune Will Tremper dem Publikum als Ausnahmeerscheinung des deutschen Kinos nahebrachten.
Die nächsten drei Wochen ist Trempers filmisches Œuvre fast vollständig zu sehen. Es laufen die beiden Horst-Buchholz-Filme, die er mit Georg Tressler verwirklicht hat: das aufsehenerregende Debüt Die Halbstarken und der weniger reißerische Endstation Liebe, den es in jeder Tremper/Tressler-Retro neu zu entdecken gibt. Und es laufen natürlich seine eigenen Regiearbeiten (neben Die endlose Nacht noch Flucht nach Berlin, Playgirl und Sperrbezirk) und sogar eine Edgar Wallace-Verfilmung, an der er mehr aus Versehen beteiligt war.
Aber nur einmal hat Tremper einen Blick auf sein eigentliches Metier, das Zeitungswesen, geworfen. Mit dem Drehbuch zu Nasser Asphalt (1958) schlachtet er die Geschichte von den »Bunkermenschen in Gdingen« aus, die laut Tremper der in den 50er Jahren sehr populäre und international tätige Journalist Curt Riess erfunden hat – ein besonders folgenreiches Stück aus dem »Tollhaus der Nachkriegsgeschichte«. Demnach sollen 1945 sechs Wehrmachtssoldaten auf der Flucht vor der Sowjetarmee in einen Versorgungsbunker eingedrungen sein, der dann durch eine Sprengung verschüttet wurde. Erst nach sechs Jahren hätten polnische Landarbeiter den Eingang freilegen und sogar noch einen Soldaten lebendig rausholen können. Eine Fabelei, die als Tatsachenbericht in den Boulevardmedien kolportiert wurde, die zu falschen Hoffnungen und zu unglaublichen diplomatischen Verwicklungen führte. Will Tremper hat diese Lügengeschichte und ihre Folgen noch ein bißchen dämonisiert, vor allem den Nachrichtenhändler Cesar Boyd alias Curt Riess, gespielt von Martin Held (ein Kritiker bemängelte die »untypische, mondän übertriebene Attitüde dieses Satansreporters, der grundsätzlich nur in der Bar oder im Bad seine Berichte zu diktieren scheint«). Nasser Asphalt, inszeniert von Frank Wisbar, zählt nicht zu den Höhepunkten von Will Trempers Filmkarriere, vor allem weil die Horst-Buchholz-Figur (Trempers Alter Ego) als aufrecht-naiver Reporter-Zögling viel zu brav gezeichnet ist. Und doch bleibt der Film aus aktueller Sicht natürlich interessant, weil er überaus aufschlussreich vor Augen führt, wie es um Fake-News und Pressemanipulation in den 50er Jahren stand.
Der letzte Tremper-Film fehlt übrigens in der Retro: How Did A Nice Girl Like You Get Into This Business? (1970), eine für den amerikanischen Markt gedachte Bestsellerverfilmung mit Barbara Benton (damals die Hauptfrau von »Playboy«-Gründer Hugh Hefner), die sich als Totalflop erwiesen hat und wovon nur eine verstümmelte Kopie übrig geblieben ist. Tremper ließ daraufhin das Filmen sein und kehrte endgültig zum Journalismus zurück. Die »Filmerei« blieb für Tremper nur eine Episode.