11.03.2019

Intimität der geteilten Welt

Paju: Die Straße der Freiheit ist eine Sackgasse
Paju: Die Straße der Freiheit ist eine Sackgasse

Das Neue asiatische Kino zeigt eine Werkschau der südkoreanischen Filmemacherin Gina Kim, begleitet von Susanne Mi-Son Questers erhellender Nord-Südkorea-Dokumentation Paju – Die innere Teilung

Von Dunja Bialas

Viel­leicht kann der kürzlich verstor­bene Jonas Mekas sogar als Pionier der Selfie-Gene­ra­tion gelten. Seine filmi­schen Diaries doku­men­tierten sein Leben, in der Außer­ge­wöhn­lich­keit seines New Yorker Künst­ler­le­bens, aber auch in seiner ganzen Banalität. Seine Filme über sich selbst revo­lu­tio­nierten das Doku­mentar- und Essay­film­genre. Filme zu machen wurde allen nahe­ge­legt, es brauchte nun nicht mehr ein Thema, um die Kamera in die Hand zu nehmen. Die Demo­kra­ti­sie­rung des Mediums mit den digitalen Kameras, die nur noch wenig Wissen ums Filme­ma­chen erfordern, tat ihr übriges: der Tage­buch­film erlebte einen Boom.

Nur wenige profes­sio­nelle Filme­ma­cher*innen, die in diesem intimsten aller Genres tätig werden, veröf­fent­li­chen auch ihren Stream of life. Wer sich über das Filme­ma­chen bewusst ist, weiß, dass das Leben dann nicht mehr einem allein gehört. Es gilt, die sensible Grat­wan­de­rung zwischen Voyeu­rismus und Nabel­schau zu beherr­schen, mehr noch zu vermeiden. Inter­sub­jek­ti­vität, also etwas aus dem eigenen Leben zu erzählen, das auch andere inter­es­siert, und Objek­ti­vie­rung, sich eine Form zu geben, die einen nach der Seelen­schau wieder »anzieht«, tut Not.

Gina Kim: Aufbruch einer Filme­ma­cherin

Die korea­ni­sche Filme­ma­cherin Gina Kim ist sich all dessen bewusst. Sie begann ihr Filme­ma­chen mit einem über die Dauer von fünf Jahren geführten Tagebuch, das parallel zu ihrem Film­stu­dium entstand. In Gina Kim’s Video Diary erzählt sie von ihrem Aufbruch als Filme­ma­cherin, der für sie auch ganz konkret bedeutete, ihr Heimat­land zu verlassen und in die USA zu gehen, wo sie am Cali­fornia Arts Institute in Los Angeles bei James Benning und Hartmut Bitomsky studierte.

Als sie 1995 ihr Tagebuch begann, eroberten die digitalen Kameras gerade erst den Markt. Gina filmte ohne die Veröf­fent­li­chungs­ab­sicht, machte sich dann aber doch an das Editieren der vielen Hundert Stunden Video­ma­te­rial, das ihr Leben aufblät­terte. Im Schnitt verdichtet sich das Leben der damals Anfang Zwan­zig­jäh­rigen, mit all seinen Selbst­zwei­feln, Träumen, Wünschen, Sehn­süchten, auch Essstö­rungen und der großen Einsam­keit, die sie in Kali­for­nien erfuhr. Das ist poetisch, qualvoll, der Schmerz teilt sich mit. Unter dem Tagebuch scheint jedoch ein Thema auf, das auch heute noch zu uns spricht: Es ist auch ein Dokument über das Verlassen der Heimat ganz generell und über die Unge­wiss­heit, sich in einem fremden Land – und einer fremden Sprache – eine neue Existenz zu geben.

Die Münchner Filme­ma­cherin Susanne Mi-Son Quester macht Gina Kim’s Video Diary nun in der von ihr kura­tierten Reihe »Neues asia­ti­sches Kino« und zwei ihrer fiktio­nalen Filme, Invisible Light (2003) und Never Forever (2007), in Münchner Erst­auf­füh­rung bekannt. Auch die Spiel­filme sind intime Aufnahmen aus dem Leben junger Prot­ago­nis­tinnen, die am Wende­punkt ihres Lebens stehen. (Gina Kim’s Video Diary, Do, 14.3., und Mo, 18.3., 20 Uhr; Invisible Light, Fr, 15.3., und Di, 19.3., 20 Uhr; Never Forever, Sa 16.3., und Mi, 20.3., 20 Uhr, Werk­statt­kino München)

Susanne Mi-Son Quester, selbst südko­rea­ni­scher Herkunft, begibt sich in den Dialog mit der 1973 geborenen Filme­ma­cherin. Seit mehreren Jahren präsen­tiert sie in der Reihe »Neues asia­ti­sches Kino« Filme­ma­cher*innen, die junge, in Deutsch­land auch meist unbe­kannte Posi­tionen des neuen asia­ti­schen Kinos reprä­sen­tieren. Immer begleitet ein umfas­sendes Interview den Programm­flyer. Dabei geht es auch ums Filme­ma­chen selbst, um den Schnitt, die Themen­fin­dung, die Werks­ent­wick­lung. Das ist immer erhellend und zeigt den unge­wöhn­li­chen Fokus der Reihe auf tiefer­ge­hende cine­as­ti­sche Frage­stel­lungen.

Susanne Mi-Son Quester: Die innere Teilung

Dieses Jahr spinnt Quester den Dialog noch ein wenig weiter. Dabei wagt sie, was als Tabu unter den Festi­val­ma­chern gilt, und zeigt auch ihren eigenen Film Paju – Die innere Teilung (2018). Und siehe da: Er fügt sich wunderbar in die Werkschau ein, stellt ein objek­ti­vie­rendes Echo zum sehr intimen Werk von Gina Kim her.

Quester, Tochter einer korea­ni­schen Mutter und eines deutschen Vaters, wuchs in der Nähe von München auf. Sie verkör­pert so etwas wie die Fort­set­zung einer Migra­ti­ons­ge­schichte, in der die Mutter, ähnlich dem Leben von Kim, das Heimat­land verließ: Quester ist die erst­ge­bo­rene Gene­ra­tion im neuen Land. Sie selbst wuchs gewis­ser­maßen ohne Mutter­sprache auf, weil die Mutter nur Deutsch mit ihr sprach, eine biogra­phi­sche Leer­stelle, die Quester im Zuge ihres Film­schaf­fens füllt. In Paju hören wir sie aus dem Off Korea­nisch sprechen, während sie ihre Fragen an die Inter­viewten richtet. Ihre Sprache ist zögerlich, suchend, und die Fragi­lität des Idioms verleiht ihrem Film eine unter­schwel­lige Spannung, spiegelt zugleich die Brüchig­keit des Gegen­stands wider: den einer inneren Teilung, die der poli­ti­schen Teilung Koreas folgte, und der Quester in Paju auf die Spur geht.

Paju, das ist eine Stadt, die erst 1996 nahe der Grenze errichtet wurde. Von hier aus kann man in der Ferne die nord­ko­rea­ni­sche Stadt Kaesong sehen. Sie ist die Heimat von geflüch­teten Nord­ko­rea­nern und von Familien, die bei der Teilung Koreas getrennt wurden. Diese kam, das vergisst man heute fast, in Folge des Zweiten Welt­kriegs, genau wie die deutsche Teilung. Am Ende des Kriegs (mit ihm kam die Nieder­lage Japans, das Korea besetzt hatte) unter­stellten die Alli­ierten Korea der Sowjet­union und den USA. Das Land wurde entlang des 38. Brei­ten­grads aufge­teilt; die Zahl gibt Hinweis auf den inhumanen Reißbrett­cha­rakter des Aktes. Im Korea­krieg, der sich Anfang der 1950er Jahre zutrug, versuchte Nordkorea gewaltsam, die Trennung zu über­winden. Seitdem gibt es in der Grenz­re­gion eine entmi­li­ta­ri­sierte Zone, jenseits derer Nordkorea hinter einem eisernen Vorhang verschwunden ist.

Auch die Familie der Filme­ma­cherin Quester erfuhr diese Unüber­wind­lich­keit der Landes­teile. Ihre Groß­mutter floh kurz vor Ausbruch des Korea­kriegs in den Süden und kehrte nie wieder zurück. In Paju erzählt Quester aus dem Off zu Beginn kurz ihre eigene Herkunfts­ge­schichte. Das passiert wohl­do­siert und knapp, wie in einem persön­li­chen Intro zu ihrem doku­men­ta­ri­schen Gegen­stand. Die gefilmten Bilder sind hier noch im Gestus des Tagebuchs gehalten, mit einer konse­quent subjektiv geführten Hand­ka­mera, die suchend einfängt, was die filmende Prot­ago­nistin sieht.

Das ändert sich, sobald der Gegen­stand etabliert ist. In sorg­fäl­tiger Kadrie­rung (Kamera: Mieko Azuma) wird nun die Gegend von Paju gezeigt, dort, wo sich das Grab ihrer Groß­mutter befindet. Dabei teilt sich im Bild auch immer die poli­ti­sche Topo­gra­phie der Land­schaft mit, die terras­senähn­lich ange­ord­neten Hügel, das saftige Grün, am Horizont die staubige nord­ko­rea­ni­sche Stadt, nur etwa 20 Kilometer entfernt. Will man bei Google-Maps die exakte Kilo­me­ter­zahl erfahren, erhält man die Meldung: die Route konnte nicht berechnet werden.

Die Uner­reich­bar­keit Nord­ko­reas ist Thema. Aus dem Off ruft Quester in Erin­ne­rung, dass Verwand­ten­be­suche nicht möglich sind, während sie auf der »Straße der Freiheit« fährt, die jäh in einer Sackgasse endet. Sie macht eine Führung durch die entmi­li­ta­ri­sierte Zone mit, spricht mit der jungen Gene­ra­tion auch darüber, ob für sie die Verei­ni­gung noch poli­ti­sche Aktua­lität hat, noch erstre­bens­wert ist. Doku­men­tiert hat sie auch den Unter­richt in einer Grund­schule, in dem Reime und Lieder zur bevor­ste­henden Wieder­ver­ei­ni­gung eingeübt werden. Das Interview, das sie am Nach­mittag mit einem der Schüler führt, ist einer der verblüf­fendsten Momente des Films: Das korea­ni­sche Wort für Wieder­ver­ei­ni­gung kommt dem Grund­schüler sichtlich als Fremdwort über die Lippen, und er sagt, dass er lieber richtigen Unter­richt hätte, Mathe­matik oder Korea­nisch.

Quester hat mit ihrem persön­li­chen Zugang eine große Nähe zu allen Inter­viewten geschaffen, das unter­scheidet ihren Film, der seinen Gegen­stand von innen heraus entfalten darf, auch von dem herab­las­senden Gestus vieler Doku­men­tar­filme, die über ihren Gegen­stand von vorne­herein allzu gut Bescheid zu wissen glauben. Ihre Methode ist die des behut­samen Voran­tas­tens, der langsamen, auch gedank­li­chen Durch­drin­gung, ein Prozess des Filme­ma­chens, an dem sie den Zuschauer teilhaben lässt.

Paju wurde bislang von keinem Doku­men­tar­film­fes­tival einge­laden. Ange­sichts der hohen filmi­schen Qualität und der Aktua­lität der Themas »Nordkorea« erscheint das als mittlerer Skandal, der auch die Program­ment­schei­dungen von Festivals in Frage stellt. Dass Quester den Tabubruch wagt und ihren Film in der von ihr kura­tierten Reihe zeigt, ist mutig, aber auch konse­quent. Unter­s­tüt­zung erhält sie dabei durch den Film­kri­tiker Bert Rebhandl, der am Sonntag, 17.3., das Gespräch mit der Filme­ma­cherin moderiert (Werk­statt­kino, 20 Uhr).

Neues asia­ti­sches Kino
Gina Kim: Desire & Diaspora
14.-20. März 2019, Werk­statt­kino München
Eintritt: 6€