Intimität der geteilten Welt |
||
Paju: Die Straße der Freiheit ist eine Sackgasse |
Von Dunja Bialas
Vielleicht kann der kürzlich verstorbene Jonas Mekas sogar als Pionier der Selfie-Generation gelten. Seine filmischen Diaries dokumentierten sein Leben, in der Außergewöhnlichkeit seines New Yorker Künstlerlebens, aber auch in seiner ganzen Banalität. Seine Filme über sich selbst revolutionierten das Dokumentar- und Essayfilmgenre. Filme zu machen wurde allen nahegelegt, es brauchte nun nicht mehr ein Thema, um die Kamera in die Hand zu nehmen. Die Demokratisierung des Mediums mit den digitalen Kameras, die nur noch wenig Wissen ums Filmemachen erfordern, tat ihr übriges: der Tagebuchfilm erlebte einen Boom.
Nur wenige professionelle Filmemacher*innen, die in diesem intimsten aller Genres tätig werden, veröffentlichen auch ihren Stream of life. Wer sich über das Filmemachen bewusst ist, weiß, dass das Leben dann nicht mehr einem allein gehört. Es gilt, die sensible Gratwanderung zwischen Voyeurismus und Nabelschau zu beherrschen, mehr noch zu vermeiden. Intersubjektivität, also etwas aus dem eigenen Leben zu erzählen, das auch andere interessiert, und Objektivierung, sich eine Form zu geben, die einen nach der Seelenschau wieder »anzieht«, tut Not.
Die koreanische Filmemacherin Gina Kim ist sich all dessen bewusst. Sie begann ihr Filmemachen mit einem über die Dauer von fünf Jahren geführten Tagebuch, das parallel zu ihrem Filmstudium entstand. In Gina Kim’s Video Diary erzählt sie von ihrem Aufbruch als Filmemacherin, der für sie auch ganz konkret bedeutete, ihr Heimatland zu verlassen und in die USA zu gehen, wo sie am California Arts Institute in Los Angeles bei James Benning und Hartmut Bitomsky studierte.
Als sie 1995 ihr Tagebuch begann, eroberten die digitalen Kameras gerade erst den Markt. Gina filmte ohne die Veröffentlichungsabsicht, machte sich dann aber doch an das Editieren der vielen Hundert Stunden Videomaterial, das ihr Leben aufblätterte. Im Schnitt verdichtet sich das Leben der damals Anfang Zwanzigjährigen, mit all seinen Selbstzweifeln, Träumen, Wünschen, Sehnsüchten, auch Essstörungen und der großen Einsamkeit, die sie in Kalifornien erfuhr. Das ist poetisch, qualvoll, der Schmerz teilt sich mit. Unter dem Tagebuch scheint jedoch ein Thema auf, das auch heute noch zu uns spricht: Es ist auch ein Dokument über das Verlassen der Heimat ganz generell und über die Ungewissheit, sich in einem fremden Land – und einer fremden Sprache – eine neue Existenz zu geben.
Die Münchner Filmemacherin Susanne Mi-Son Quester macht Gina Kim’s Video Diary nun in der von ihr kuratierten Reihe »Neues asiatisches Kino« und zwei ihrer fiktionalen Filme, Invisible Light (2003) und Never Forever (2007), in Münchner Erstaufführung bekannt. Auch die Spielfilme sind intime Aufnahmen aus dem Leben junger Protagonistinnen, die am Wendepunkt ihres Lebens stehen. (Gina Kim’s Video Diary, Do, 14.3., und Mo, 18.3., 20 Uhr; Invisible Light, Fr, 15.3., und Di, 19.3., 20 Uhr; Never Forever, Sa 16.3., und Mi, 20.3., 20 Uhr, Werkstattkino München)
Susanne Mi-Son Quester, selbst südkoreanischer Herkunft, begibt sich in den Dialog mit der 1973 geborenen Filmemacherin. Seit mehreren Jahren präsentiert sie in der Reihe »Neues asiatisches Kino« Filmemacher*innen, die junge, in Deutschland auch meist unbekannte Positionen des neuen asiatischen Kinos repräsentieren. Immer begleitet ein umfassendes Interview den Programmflyer. Dabei geht es auch ums Filmemachen selbst, um den Schnitt, die Themenfindung, die Werksentwicklung. Das ist immer erhellend und zeigt den ungewöhnlichen Fokus der Reihe auf tiefergehende cineastische Fragestellungen.
Dieses Jahr spinnt Quester den Dialog noch ein wenig weiter. Dabei wagt sie, was als Tabu unter den Festivalmachern gilt, und zeigt auch ihren eigenen Film Paju – Die innere Teilung (2018). Und siehe da: Er fügt sich wunderbar in die Werkschau ein, stellt ein objektivierendes Echo zum sehr intimen Werk von Gina Kim her.
Quester, Tochter einer koreanischen Mutter und eines deutschen Vaters, wuchs in der Nähe von München auf. Sie verkörpert so etwas wie die Fortsetzung einer Migrationsgeschichte, in der die Mutter, ähnlich dem Leben von Kim, das Heimatland verließ: Quester ist die erstgeborene Generation im neuen Land. Sie selbst wuchs gewissermaßen ohne Muttersprache auf, weil die Mutter nur Deutsch mit ihr sprach, eine biographische Leerstelle, die Quester im Zuge ihres Filmschaffens füllt. In Paju hören wir sie aus dem Off Koreanisch sprechen, während sie ihre Fragen an die Interviewten richtet. Ihre Sprache ist zögerlich, suchend, und die Fragilität des Idioms verleiht ihrem Film eine unterschwellige Spannung, spiegelt zugleich die Brüchigkeit des Gegenstands wider: den einer inneren Teilung, die der politischen Teilung Koreas folgte, und der Quester in Paju auf die Spur geht.
Paju, das ist eine Stadt, die erst 1996 nahe der Grenze errichtet wurde. Von hier aus kann man in der Ferne die nordkoreanische Stadt Kaesong sehen. Sie ist die Heimat von geflüchteten Nordkoreanern und von Familien, die bei der Teilung Koreas getrennt wurden. Diese kam, das vergisst man heute fast, in Folge des Zweiten Weltkriegs, genau wie die deutsche Teilung. Am Ende des Kriegs (mit ihm kam die Niederlage Japans, das Korea besetzt hatte) unterstellten die Alliierten Korea der Sowjetunion und den USA. Das Land wurde entlang des 38. Breitengrads aufgeteilt; die Zahl gibt Hinweis auf den inhumanen Reißbrettcharakter des Aktes. Im Koreakrieg, der sich Anfang der 1950er Jahre zutrug, versuchte Nordkorea gewaltsam, die Trennung zu überwinden. Seitdem gibt es in der Grenzregion eine entmilitarisierte Zone, jenseits derer Nordkorea hinter einem eisernen Vorhang verschwunden ist.
Auch die Familie der Filmemacherin Quester erfuhr diese Unüberwindlichkeit der Landesteile. Ihre Großmutter floh kurz vor Ausbruch des Koreakriegs in den Süden und kehrte nie wieder zurück. In Paju erzählt Quester aus dem Off zu Beginn kurz ihre eigene Herkunftsgeschichte. Das passiert wohldosiert und knapp, wie in einem persönlichen Intro zu ihrem dokumentarischen Gegenstand. Die gefilmten Bilder sind hier noch im Gestus des Tagebuchs gehalten, mit einer konsequent subjektiv geführten Handkamera, die suchend einfängt, was die filmende Protagonistin sieht.
Das ändert sich, sobald der Gegenstand etabliert ist. In sorgfältiger Kadrierung (Kamera: Mieko Azuma) wird nun die Gegend von Paju gezeigt, dort, wo sich das Grab ihrer Großmutter befindet. Dabei teilt sich im Bild auch immer die politische Topographie der Landschaft mit, die terrassenähnlich angeordneten Hügel, das saftige Grün, am Horizont die staubige nordkoreanische Stadt, nur etwa 20 Kilometer entfernt. Will man bei Google-Maps die exakte Kilometerzahl erfahren, erhält man die Meldung: die Route konnte nicht berechnet werden.
Die Unerreichbarkeit Nordkoreas ist Thema. Aus dem Off ruft Quester in Erinnerung, dass Verwandtenbesuche nicht möglich sind, während sie auf der »Straße der Freiheit« fährt, die jäh in einer Sackgasse endet. Sie macht eine Führung durch die entmilitarisierte Zone mit, spricht mit der jungen Generation auch darüber, ob für sie die Vereinigung noch politische Aktualität hat, noch erstrebenswert ist. Dokumentiert hat sie auch den Unterricht in einer Grundschule, in dem Reime und Lieder zur bevorstehenden Wiedervereinigung eingeübt werden. Das Interview, das sie am Nachmittag mit einem der Schüler führt, ist einer der verblüffendsten Momente des Films: Das koreanische Wort für Wiedervereinigung kommt dem Grundschüler sichtlich als Fremdwort über die Lippen, und er sagt, dass er lieber richtigen Unterricht hätte, Mathematik oder Koreanisch.
Quester hat mit ihrem persönlichen Zugang eine große Nähe zu allen Interviewten geschaffen, das unterscheidet ihren Film, der seinen Gegenstand von innen heraus entfalten darf, auch von dem herablassenden Gestus vieler Dokumentarfilme, die über ihren Gegenstand von vorneherein allzu gut Bescheid zu wissen glauben. Ihre Methode ist die des behutsamen Vorantastens, der langsamen, auch gedanklichen Durchdringung, ein Prozess des Filmemachens, an dem sie den Zuschauer teilhaben lässt.
Paju wurde bislang von keinem Dokumentarfilmfestival eingeladen. Angesichts der hohen filmischen Qualität und der Aktualität der Themas »Nordkorea« erscheint das als mittlerer Skandal, der auch die Programmentscheidungen von Festivals in Frage stellt. Dass Quester den Tabubruch wagt und ihren Film in der von ihr kuratierten Reihe zeigt, ist mutig, aber auch konsequent. Unterstützung erhält sie dabei durch den Filmkritiker Bert Rebhandl, der am Sonntag, 17.3., das Gespräch mit der Filmemacherin moderiert (Werkstattkino, 20 Uhr).
Neues asiatisches Kino
Gina Kim: Desire & Diaspora
14.-20. März 2019, Werkstattkino München
Eintritt: 6€