Ein Leben für das Kino |
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Elisabeth Kuonen-Reich (1961-2019) Foto: Catherina Hess |
Von Dunja Bialas
Völlig überraschend ist am vergangenen Donnerstag die Leiterin des Münchner Rio Filmpalasts verstorben. Elisabeth Kuonen-Reich war unfassbar vital, und sie war eine in den 1960er-Jahren Geborene, somit war sie auch unfassbar jung, als sie aus dem Nichts der Tod ereilte.
Elisabeth Kuonen-Reich war das Herz des Rio Filmpalasts in München-Haidhausen. Das Herz, das das Haus mit Leben füllte, aber auch das Herz, das alle überaus freundlich aufnahm. Das war ihre Natur: alle zu umarmen, zu begrüßen, sich zu freuen, dass man sich zu ihr, in ihr Haus begab. Sie hatte Hotelfachfrau gelernt, stammte andererseits aus einer ländlichen Familie, die eine Molkerei gehabt hatte, bevor sie mit dem Kino begann. Mit diesem Erbe beseelte sie das Kino, sie führte es resolut als Familienbetrieb, fast wie einen Bauernhof, bei dem nun mal die Arbeit gemacht werden muss, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass sich der Stress und auch der ein oder andere Ärger nicht auf die Stimmung, auf ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, ihre Gäste übertrug. Wer ins Rio kam, merkte, dass hier in freundlicher Atmosphäre gearbeitet wurde.
Auch die Münchner Filmemacher und Filmemacherinnen waren ihr in Treue verbunden, wussten, wie sehr sie sich dafür einsetzte, dass alles reibungslos verlief, auch, wie sie in dem eng gezurrten Programm immer wieder einen Platz freimachen konnte. Wolf Gaudlitz zeigte hier seit den Anfängen seine Filme, Marcus H. Rosenmüller und Ralf Westhoff ebenso. Zu den Filmkunstwochen München (die sie in ihrem Haus traditionsgemäß mit einem Film von Gaudlitz eröffnete) kamen auch Peter Goedel, Dagmar Knöpfel, Dominik Graf, Matti Bauer und viele andere mit ihren Filmen.
Ende der 90er Jahre hatte sie das Kino von ihren Eltern übernommen. Schon damals war es das einzige Lichtspielhaus in Haidhausen, in dem Kino war sie groß geworden. »Wir waren Kinokinder«, erzählte sie meiner Kollegin Natascha Gerold und mir im Gespräch, das wir für unser artechock-Kinoportrait führten. Eine Kindheit im Kino, das ist ein Aufwachsen an einem Ort, an den ständig Menschen kommen, die man nicht kennt, ein Aufwachsen mit den Plakaten von Filmen, die man noch nicht sehen darf, wo man früh mithilft, wie in allen Familienbetrieben, wenn die Arbeit nicht vom Leben getrennt ist.
»Arbeit, Liebe, Kino« heißt das bei Godard, auch bei Elisabeth Kuonen-Reich war das so, selbst ihr Mann half im Kino mit. Sie blieb dabei immer geerdet, überlegte gut, welcher Film für das Rio-Publikum passen könnte. So recht wusste sie auch nicht, selbstlos wie sie war, wofür ihr Kino eigentlich stand, das mussten wir ihr, Ludwig Sporrer und ich, bei unseren gemeinsamen Vorbereitungen zu den Filmkunstwochen immer wieder sagen: Dass sie das Haus mit Leben fülle, mit ihrer Herzlichkeit dafür sorge, dass gerne Gäste zu ihr kamen, um ihre Filme vorzustellen. Und, was sehr ungewöhnlich war und ihre herzliche Freundlichkeit zeigte: auch beim Publikum, in dem andere Kinobetreiber nur die »Kunden« sehen, sprach sie immer von ihren »Gästen«.
Sie war eine der wenigen Frauen, die früh einen Kinobetrieb führten, auch das muss gesagt werden. Als älteste von vier Schwestern wurde sie in einer Zeit ins Kino hineingeboren, als die Nouvelle Vague in Frankreich gerade anbrach und ein Jahr vor dem Oberhausener Manifest. »Kino« brachte damals keinen guten Stallgeruch mit sich, hatte noch die Schaustellerassoziationen, sie erzählte uns auch, wie sie in der Schule deshalb immer etwas schief angesehen wurde.
Das Kino machte sie aber bald zu etwas Besserem, von ihr kam die Idee, aus der benachbarten Würstelbude ein Café zu machen, das sie dem Kino angliederte, noch bevor sie überhaupt den Betrieb leitete. Die Leute kommen gerne dorthin, trinken einen Kaffee, essen den selbstgebackenen Kuchen von Heidi Aron, der treuen Mitarbeiterin und zweiten guten Seele des Hauses.
Jetzt reißt das frühe Ableben von Elisabeth Kuonen-Reich eine große Lücke in die Kinofamilie Münchens. Das Rio macht mit bei den Filmkunstwochen, jedes Jahr mit einer rekordverdächtigen Anzahl an Gästen, das Haus beherbergt die großen Münchner Festivals, das Filmfest München und das Dokfest. Bei ihren Kolleginnen und Kollegen war Elisabeth hochgeschätzt und sehr beliebt, außerdem wirkte sie mit bei der Jury für den Bayerischen Filmpreis, sah also auch genau hin, wenn es um die Beurteilung von Filmen ging.
Wenn heute über lebendige Kinokultur nachgedacht wird und wie diese erhalten werden kann, dann sollte daran erinnert werden, wie Elisabeth Kuonen-Reich genau das vorgemacht hat: wie man ein Lichtspielhaus zu einem beliebten Treffpunkt macht, wie Kino nicht nur Abspielstätte von Filmen ist, sondern ein echter Ort, an den man gerne zurückkehrt.
Liebe Elisabeth, leider wirst Du an diesen Ort niemals mehr zurückkehren. Noch können wir uns das Rio ohne Dich überhaupt nicht vorstellen. Du wusstest, was Du für eine große Aufgabe hattest, das »Familienerbe weiterzutragen«, wie Du uns erzählt hast, weil Deine Großeltern für das Kino sogar ihren Bauernhof verkauft hatten. Wir alle, die Dich kannten, werden dafür sorgen, dass Dein Lebenswerk weiter pulsieren wird.
Versprochen.