Kinos in München – Rio Filmpalast
Cannes zu München |
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Der Rio Filmpalast in einem typischen Münchner Wohnhaus der 60er Jahre |
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und VoD mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Von Dunja Bialas & Natascha Gerold
Es ist das einzige Kino in Haidhausen: der Rio-Filmpalast am Rosenheimer Platz. Es reiht sich ein in eine Geschäftszeile mit Sparkasse, Apotheke, Metzgerei und Bäckerei und zeigt sich so seit 1960 als unentbehrliches Angebot für die Münchnerinnen und Münchner. Mit anderen Worten: Film ist in Haidhausen genauso wichtig wie das Geld, die Breze und der Leberkäs.
Kein Wunder, denn das Rio wird seit Beginn seines Bestehens von einer Familie geführt, die schon immer mit den lebenswichtigen Grundnahrungsmitteln zu tun hat: der Großvater, der die Idee hatte, in München ein Kino zu betreiben, war ursprünglich Molker und Käser gewesen. Da in den 50er Jahren die großen Molkereien die kleinen schluckten, sattelte er um, verließ seinen Hof und ging nach Aulendorf bei Ravensburg, wo er ein Fotogeschäft übernahm, Sohn und Tochter stiegen mit ein. Den neuen Medien zugewandt, erfuhr er von einem Kino, das in Nürnberg übernommen werden konnte, und schickte seine andere Tochter dorthin: »Da gehst du hin und machst jetzt Kino!«
Elisabeth Kuonen-Reich, die Enkelin dieses resoluten Großvaters, lacht, während sie uns erzählt, wie ihre Familie zum Kino kam. Sie ist heute Betreiberin des Rio Filmpalast, den sie wiederum 1998 von ihren Eltern übernommen hat. Wie sie vielleicht heute eine Molkerei betreiben würde, hätte ihr Großvater damals nicht den entscheidenden Schritt gemacht, folgt sie damit der Familientradition, die jedoch eine ganz und gar matriachale Linie ist. Denn auch wenn der Großvater der Familie vorgab, was zu tun sei, wurde der spätere Kinoweg von der mütterlichen Seite beschritten, und die Männer folgten.
Der Vater von Elisabeth Kuonen-Reich war Lastwagenfahrer für ein Ziegelwerk gewesen, wollte aber »in die große weite Welt hinaus«, wie die Tochter erzählt, und interessierte sich folglich für das Kino in Nürnberg, das immerhin mit den Filmen den Horizont auf die ganze Welt öffnete. Er machte den Vorführschein, den damals alle Vorführer brauchten, denn sie hantierten noch mit dem überaus leicht entzündlichen Nitrofilmmaterial. Kinomachen war damals noch eine gefährliche Angelegenheit und ein großes Abenteuer.
Drei Jahre führten die Reichs das Kino in Nürnberg, als wiederum der Großvater von einem geplanten neuem Kino in München erfuhr, dem Wunschprojekt eines Hausbesitzers: Er stieß auf eine Zeitungsannonce, in der jemand einen Partner suchte, um mit ihm ein Kino am Rosenheimer Platz zu bauen. Dies zu einem Zeitpunkt, als bereits das große Kinosterben eingesetzt hatte. Das Fernsehen sendete seine ersten Straßenfeger, und neue Freizeitbeschäftigungen, die mit neuem Wohlstand kamen, brachten die Menschen nicht mehr so zahlreich in die Kinosäle, wie es noch in den frühen Fünfzigerjahren gewesen war. Vierzehn Kinos gab es einmal in Haidhausen, und es schloss eins nach dem anderen, bis nur noch das „Oli“, wie die Ostbahnhof-Lichtspiele genannt wurden, übrig geblieben war, das vergeblich gegen die Kino-Neueröffnung am Rosenheimer Platz kämpfte und noch vier weitere Jahre die größte Konkurrenz für das neue Kino mit den drei Buchstaben sein sollte.
Trotz dieser ersten Krisenzeit des Kinos verkauften die Großeltern, diesmal der väterlichen Seite, ihren Bauernhof und ermöglichten Bruno und Angelika Reich, sich als Partner des Münchner Bauherrs eine Kinoexistenz aufzubauen. »Ich stehe in der Aufgabe, hier auch noch das Familienerbe weiter zu tragen!«, sagt Elisabeth Kuonen-Reich und lacht dabei. Großvater und Vater zahlten dann bald den Partner aus, der sich als regelrechter Großstadthai offenbarte, und die Familie Reich – Großvater, Tochter und Schwiegersohn gemeinsam – eröffnete das neu gebaute Kino am Rosenheimer Platz, den „Rio Palast“.
Noch heute prangt dieser ganz frühe Name in Originalleuchtschrift über dem Kinoeingang. Später brachte Bruno Reich, um allen, die auf der großen Rosenheimer Straße in Richtung Stadt fuhren, vom Kino zu erzählen, noch einen Hinweis auf dem Dach des sechsstöckigen Gebäudes an. Das kleine Schild mit dem Wort „Kino“, das früher noch leuchtete, ist noch heute ein Kleinod im Stadtbild Münchens.
Die Familie zog im Haus des Kinos ein. Ihr erstes Kind, Elisabeth, kam kaum ein Jahr nach der Kinoeröffnung zur Welt, drei weitere Töchter folgten, und alle wurden im Kino groß. Man war jeden Tag im Kino, es war ganz normal, dass man mithalf, Eis verkaufte oder Karten abriss, »das war gar keine Frage«, erinnert sich die Älteste der Schwestern, die den Familienbetrieb übernahm, ganz wie früher auf dem Land der Hof vom ältesten Sohn übernommen wurde.
»Wir waren einfach Kinokinder.« Dem Kino haftete früher noch der Schaustellergeruch an, und sie wurden als Kinokinder immer ein wenig schräg von ihren Klassenkameraden angeguckt. Noch dazu war Haidhausen ein Glasscherbenviertel, mit Arbeitern vom Ostbahnhof und dem Pfanni-Gelände. Die vier Kinokinder waren also keine Töchter aus gutem Hause, und auch aus keiner feinen Gegend, erinnert sich Elisabeth Kuonen-Reich, die sehr elegant gekleidet in dem frisch herausgeputzten Rio-Filmcafé sitzt. Heute verbindet man mit dem Viertel Haidhausen generell eher teure Mieten, Bio-Läden und Bildungsbürgertum. Keine Frage: die Zeiten haben sich geändert. Und wenn in diesem Augenblick ein Stammgast des Cafés vorbeikommt und auf dem Platz vor dem Kino ein Weinschorle trinken möchte, weiß man, dass irgendwie doch vieles noch beim Alten geblieben ist. Das Café war früher einmal eine »Würschtelbude«, erzählt Elisabeth Kuonen-Reich weiter, »hier kam man zum Biertrinken her«, und es roch immer stark nach Schaschlick. In den 70ern wurde dann aus der Würschtelbude ein Café, und Elisabeth Kuonen-Reich, die Hotelfachfrau gelernt hatte, hatte die Idee, das Café zum Kino dazuzunehmen, als sich die Gelegenheit bot. Das war 1995. Seitdem haben sie es und damit zusätzliche Arbeit, mit eigenem Wirtschaftsbetrieb. Leben kann man nicht davon, aber es ist für das Kino wichtig.
Elisabeth Kuonen-Reich spricht, wenn sie von den Kinobesuchern erzählt, immer respektvoll von ihren „Gästen“. Das fällt auf und ist für Kinobetreiber, die gerne mal wie Taxifahrer herumgranteln, außergewöhnlich. Das kann vom Hotelfach kommen, mehr aber zeigt es die Haltung, mit der man im Rio Fimpalast empfangen wird: der Aufenthalt wird einem so angenehm wie möglich gestaltet. So hält Elisabeth Kuonen-Reich das Café vor allem für ihre Kinogäste, die hier vor oder nach dem Film etwas trinken oder einen selbstgebackenen Kuchen essen können. Selbstgebacken von der Mutter der Assistentin der Geschäftsleitung, Heidi Aron, die gerade die Kasse für den Tag vorbereitet.
Das Rio zu machen hieß in der Anfangszeit, einen Saal mit 700 Plätzen zu bespielen, denn so groß war gebaut worden, große Kinos waren üblich. Damals gab es auch noch eine Platzanweiserin, die den Besuchern im Dunkeln den Weg durch den großen Saal wies.
Das Programm, mit dem die Reichs begannen, war für die damalige Zeit außergewöhnlich. Jeden Sonntag wurden Filme für die türkischen Gastarbeiter gezeigt, die in Scharen aus der ganzen Stadt kamen und den Saal auch mal überbelegten. Noch heute kommen Türkinnen und Türken zu Elisabeth Kuonen-Reich und fragen nach dem Vater, der oft den Saaleinlass machte. Die Gastfreundschaft, mit der die Reichs die türkischen Gastarbeiter mit Filmen empfingen, setzte sich in echten Freundschaften fort. Elisabeth Kuonen-Reich erinnert sich, wie sie in der Türkei zu einem Gegenbesuch bei einer Familie fuhren und ihnen dort »der rote Teppich« ausgelegt wurde.
Heute rollt das Rio den roten Teppich aus: Bei seinen zahlreichen Veranstaltungen für das Filmfest oder Dokumentarfilmfestival München, die im Rio zu Gast sind, bei Filmpremieren, während der Filmkunstwochen und für den Besuch von Regisseuren wie Caroline Link, Edgar Reitz, Dominik Graf, Marcus H. Rosenmüller oder Wolf Gaudlitz. Dann verwandelt sich der Rosenheimer Platz auch schon mal in ein Cannes zu München.
Früher wäre dies undenkbar gewesen. Das Rio war als Vorstadtkino bis zum historischen Kartellurteil, das unter der Federführung von Cinema-Betreiber Dieter Buchwald zusammen mit den Wilhelms vom Studio Solln erstritten wurde, von Premieren ausgeschlossen. Erstaufführungen wurden nur Kinos in der Innenstadt zugesprochen, die sich wie Monarchen an den gut laufenden Filmen erfreuten, die „Vorstadt“-Kinos bekamen die neuen Filme oft erst sechs oder acht Wochen nach Start. Diese ungerechte Regelung hielt sich immerhin bis 1992.
Es wurde zunehmend schwierig, den großen Saal zu bespielen. 1977 wurde umgebaut. Die Loge, die es gab, wich einem zweiten Kinosaal, der sich über den großen Kinosaal darüberlegt, ohne jedoch einer dieser kleinen Schuhschachteln zu werden, wie sie in den 80er Jahren für die Vorläufer der Multiplexe Mode wurden. Heute umfasst der große Saal nach einem zweiten Umbau 357 Sitzplätze, in den kleinen passen 108 Leute, bei einer sechs Meter breiten Leinwand. Das ist komfortabel.
Das Rio-Programm besteht heute vor allem aus Filmen, die zwar von hoher Qualität, aber nicht zu anspruchsvoll sind, mit einem abwechslungsreichen Programm. Bisweilen laufen im Rio über zehn verschiedene Filme in den beiden Sälen, ein breites Spektrum an deutschen oder europäischen Filmen in der Synchronfassung, Kinderfilme, Dokumentarfilme, Matineen und eine Spätvorstellung Samstag Nacht inklusive.
Gezeigt wird Filmkunst, die auch die gerne sehen wollen, die nicht ausgesprochene Cineasten sind. Also kein reines Arthouse, sondern gerne Crossover, mit populären Elementen.
Damit trifft das Rio den Nerv des Münchner Publikums, das aufgrund der guten Lage direkt an der S-Bahn-Station aus der ganzen Stadt angereist kommt und dem Rio auch deshalb den Vorzug gibt, da es die familiäre Atmosphäre schätzt. Die Altersstruktur hat sich leicht nach oben verschoben. Früher waren die Besucher
zwischen 30 und 60, »heute ist unser Publikum zwischen 30 und 90«, sagt Elisabeth Kuonen-Reich augenzwinkernd. Die Best Agers und nicht mehr ganz Party-Wütigen schätzen es, hier tiefenentspannt Filme zu gucken, sich vorher im Rio-Café zu treffen und nach dem Film die Bars von Haidhausen zu entdecken: Wir empfehlen das Nomiya.
Literatur zur Geschichte der Münchner Kinos: