Das Ende der Münchner Freiheit |
||
Bald nur noch ein Bild – die »Münchner Kino-Freiheit« |
Von Dunja Bialas
Viel ist dieser Tage wieder die Rede vom »Kinosterben«, seit der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass die Kinos Münchner Freiheit schließen werden. In den sechziger Jahren, als die neue Fernseh-Technologie aufkam, grassierte eine regelrechte Epidemie, die die Kinos dahinraffte. In allen Stadtteilen, an jeder Ecke wurde ein Kino geschlossen. Die Kinodichte war nicht aufrechtzuerhalten, auch nicht deren Größe. Der Umbau der vergleichsweise wenigen gebliebenen Häuser begann, und seitdem halten sie sich, mehr oder minder. Eine Epidemie hat es nicht mehr gegeben. Heute sind, wo die verschwundenen Kinos waren, in der Regel Supermärkte zu finden. Das frühe Kinosterben spiegelt so auch das Sterben des Einzelhandels à la Tante Emma wieder. Umgekehrt, wo einmal ein Kino verschwand, hat sich keins mehr aufgetan.
Wenn man übers Kinosterben spricht, muss man sich so auch überlegen, was dies für die Gesellschaft bedeutet. In welcher Gesellschaft werden wir leben, wenn die »niederschwellige« Kultur für alle, das Kino (im Gegensatz zur teureren Hochkultur), verschwindet? Und man sollte sich auch fragen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?
Kinos und Tante-Emma-Läden funktionierten einst wie Marktplätze. Hier traf man sich, tauschte sich über Neuigkeiten aus, zog nach dem Film noch weiter, in ein Café, das alles gehört zur vielbeschworenen kulturellen Praxis, die die Kinos bedeuten. In der »neuen«, kommerzialisierten Stadt geht es nur noch um Einkaufslisten, Sonderangebote, Kreditkarten, namenlose Kassiererinnen.
Die Orte der Stadt weichen so den Nicht-Orten einer abstrakten Gesellschaft, in der nur noch die Funktionszusammenhänge gelten. Aber aufgepasst, Kaufhausbetreiber und Supermarktketten dieser Stadt: Auch Eure Tage sind gezählt. Denn bald braucht man auch keine gesichtslosen Konsumtempel mehr. Online-Shopping ist das Gebot der Stunde. Die Verdrängung des Eldorado an der Münchner Sonnenstraße durch einen »dm« (gleiches Schicksal hat übrigens das Scala in Konstanz am Bodensee ereilt, Douglas Wolfsperger hat einen erhellenden Film, Scala Adieu – Von Windeln verweht, darüber gemacht, den man in München unbedingt noch einmal zeigen sollte) und die jetzt bekannt gewordene Ausbreitung des »Karstadt« an der Münchner Freiheit sind Phänomene eines altkapitalistischen Anachronismus'.
Thomas Kuchenreuther, Betreiber der nun vor der Schließung stehenden Kinos Münchner Freiheit, sagte einmal zu mir: Wenn er in einer fremden Stadt sei, erkundet er diese immer zuerst von den Kinos aus. So spricht natürlich ein Kinobetreiber. Verlässlich aber ist, dass in der Nähe Cafés, Restaurants oder Bars zu finden sind, das Leben der Stadt, die Menschen mit ihren Gesprächen und Eigenheiten.
München hat nun binnen weniger Wochen sechs Leinwände verloren. Das ist kulturell ein Offenbarungseid. Und nicht einfach zu verstehen. Denn die Stadt unternimmt alle möglichen Anstrengungen, die Kinos zu erhalten, zu fördern. Wie zuletzt mit dem erst am vergangenen Montag verliehenen Kinoprogrammpreis. Thomas Kuchenreuther bekam ihn für sein kleines ABC Kino, das ihm bleibt wie die Leopold-Kinos mit seinen drei Sälen. Die Kinos Münchner Freiheit aber waren der Hotspot der Schwabinger, die Kuchenreuther zu unterhalten wusste. Hier machte er keine Unterscheidung zwischen E und U, zwischen Crowd-Pleasern, Blockbustern und angesagtem Arthouse. Er zeigte 2- und 3D, Synchronfassungen, aber auch Originalversionen mit und ohne Untertitel, Kinder- und Spätvorstellungen. Das funktionierte. Wo andere Kinos letztes Jahr Verluste im zweistelligen Prozentbereich machten, brummten seine Kinos Münchner Freiheit und verzeichneten ein Plus von fast 3 Prozent.
Erst vor wenigen Wochen hatte OB Dieter Reiter sich als innovationsfreudiger Kino-OB gezeigt, als er einer Initiative von Till Hofmann, der schon mit dem Bellevue di Monaco ein Eckhaus in München gerettet hatte, und Regisseur Marcus H. Rosenmüller nachkam. Sie wollten Münchens ältestes Kino, das Gabriel, vor der Schließung bewahren, Reiter wollte es dem Stadtrat zum städtischen Ankauf vorschlagen. Kinovater Hans-Walter Büche grätschte dazwischen und schloss das Kino kurzerhand über Nacht (artechock berichtete). Jetzt winkt ihm ein Kaufangebot in zweistelliger Millionenhöhe, heißt es aus informierten Kreisen.
Hier also ein Lichtspielhaus, das nicht dem Druck hoher Mieten ausgesetzt ist, wie sonst bei den Münchner Verhältnissen. Dort ein bestens gehendes Kino, das nicht über Zuschauerschwund klagen muss, wie sonst deutschlandweit.
Beide verschwinden.
Noch einmal: München, was ist los?
Es gibt in München eigentlich nur zwei natürliche Feinde des Kinos. Das eine ist das schöne Wetter, das die Leute in die Biergärten und an die Seen des Voralpenlands lockt. Verständlich. Dagegen kann wohl kaum jemand ernsthaft etwas haben. Das andere: ist der Immobilienmarkt.
Das so oft herbeigerufene Netflix hingegen ist es nicht. Es gibt mittlerweile Studien, die herausgefunden haben, dass sich die Gesellschaft generell in Gucker und Nichtgucker unterteilt. Gucker gucken neben Serien auch Filme, und das tun sie sogar im Kino, während Nichtgucker dem Kino fernbleiben und eher auch keinen Streamingdienst abonniert haben. Netflix ist also (momentan noch) nicht am Untergang des Kinos schuld. Auch gibt es Modelle wie »Mubi Go« in Großbritannien, die vormachen, wie Streamingdienste mit Kinos zusammenarbeiten können.
Gegen das schöne Wetter kann man nichts machen, und seien wir mal ehrlich, das finden wir ja auch wirklich schön, in unserer schönen Stadt. Bleiben also nur noch die hohen Immobilienpreise, die die ganze Bevölkerung betreffen. Selbst die, die die Immobilien besitzen. Die Immobilie der Familie Büche erlaubt dieser, das Haus zu Höchstpreisen zu verkaufen. Die Erben freuen sich. Das Kino zu erhalten, wäre angesichts der angebotenen Millionen Idealismus gewesen, obwohl man keine steigenden Mieten zu befürchten gehabt hätte. Also selbst dort, wo es keinen finanziellen Druck gibt, wirken die Kräfte des Kapitalismus.
Bei Kuchenreuther und seinen Kinos Münchner Freiheit ist die Sachlage etwas komplizierter (die »Süddeutsche Zeitung« berichtete).
Hier geht es um zweierlei Mietverhältnisse, bei der die Kündigung des einen (der Karstadt zugewandten Seite) wegen baulicher Besonderheiten (nur hier kann man alle vier Säle betreten) das Aus des zweiten Verhältnisses (die erst vor wenigen Jahren hinzugekommenen zwei Säle betreffend) provoziert. Obwohl also das zweite Mietverhältnis nicht gekündigt wurde, können diese beiden Säle nicht mehr betreten werden. Damit ist die Kündigung des ersten Mietverhältnisses ein Schildbürgerstreich, wie er im Buche steht.
Ihn zu verantworten hat wiederum eine städtische Behörde: Die Lokalbaukommission.
Die »Süddeutsche Zeitung« schreibt, sich auf Thomas Kuchenreuther beziehend: »Mitte Juni dieses Jahres hat er [Kuchenreuther] sich deshalb für die Eigeninsolvenz entschieden. Anlass war eine städtische Nutzungsänderung jenes Gebäudes an der Leopoldstraße 82, von der er wenige Tage zuvor erfahren hatte.« Kuchenreuther berichtet: »Die Kinos wurden von der Stadt zur gewerblichen Nutzung freigegeben.« Hintergrund ist eine Genehmigung, die laut »SZ« die Lokalbaukommission am 4. April 2019 erteilt hat. Hierin heißt es wörtlich (zitiert nach der »SZ«): »Abbruch des Zwischengeschosses und Angleichung der Geschossebenen, Nutzungsänderung der Kino-, Büro-, Küchen- und WC-Flächen in eine erweiterte Verkaufsfläche mit Lagerflächen.« Dies hebelt wiederum die Regelung von 1994 aus, nach der Kuchenreuther eine Nutzungsgenehmigung als Kino erwirkte.
Eine Stadt gefangen im Paradox. Da haben wir also OB Dieter Reiter, den Kino-Retter. Da haben wir das Kulturreferat und die Stadträte, die sich weniger schlagzeilenkräftig, aber kontinuierlich und aufrecht um die erhaltenswerten Kinos sorgen, um die Familienbetriebe, die Arthouse-Kinos, die Stadtteilkinos. Da haben wir die Kinoprogrammpreise der Landeshauptstadt und auch die Filmkunstwochen, die dieses Jahr zum 67. Mal stattfinden. Und wir haben den Denkmalschutz, der sich über die Theatiner Filmkunst und das Sendlinger Tor Filmtheater legt. Dies alles wird für die Kinos unternommen.
Und wir haben: Die Lokalbaukommission. Die auf einen Streich all diese städtischen Anstrengungen vom Tisch fegt.
Das ist kein Kinosterben mehr. Das ist Kinovernichtung.
Ist die Blindheit im Amt darauf zurückzuführen, dass es in dieser sensiblen Frage der Arthouse-Kinos keine allgemeine Handlungsdevise gibt? Dann muss dies seitens des Oberbürgermeisters schleunigst nachgeholt und der Beschluss der Lokalbaukommission korrigiert werden. Es ist an der Zeit, dass sich die Stadtverwaltung entscheidet, an welchem Strang sie zieht: München den freien Kräften des Kapitalismus überlassen, Gewerbesteuer kassieren und dabei billigend in Kauf nehmen, das Herz dieser »Weltstadt« zu zerstören. Oder sich schützend vor die Schützenswerten stellen und den Verführungskräften des Marktes widerstehen, um das zu retten, was vor dem Ausverkauf steht: Die Kultur und unsere Münchner Freiheit.