Der Esel im Stall und der Elefant im Raum |
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Kritik hat den Sinn, Gründe aufzuführen, sie hat aber auch den Zweck, eine Haltung zu formulieren. |
Alles ist erlaubt. Dies mal vorweg: In der Kunst ist alles erlaubt, und in der Kritik, die ja Kunst ist, auch. Gerade in unseren Zeiten, in denen im Feuilleton gerade Identitätsdebatten geführt werden wie lange nicht mehr, sollte es um Heterogenität gehen, um Verunsicherung, Irritation, Bruch mit allzu gefälligen Konventionen; es sollte um Streit gehen, auch persönlichen.
Ein zweiter Vorsatz: Ich liebe Gedichte. Auch von Frauen. Ilse Aichinger sowieso, aber zum Beispiel auch Sylvia Plath' »Lady Lazarus«. Ich schreibe das hier auf, weil ich inzwischen die Reaktionen mancher Kolleginnen vorwegnehme. Weil ich es anstrengend finde, dass man in manchen Kreisen sofort für einen plumpen Tropf gehalten wird, einen unsensiblen Anti-Poeten, wenn man sein Missbehagen an Angela Schanelecs neuem Film zum Ausdruck bringt, und an der Reaktion auf ihn.
Was Ilse
Aichinger wohl über Angela Schanelecs Ich war zuhause, aber... gedacht und geschrieben hätte, würde mich interessieren. Vermutlich hätte sie ihn interessant gefunden, vielleicht sogar gemocht. Vielleicht aber auch gar nicht, und abscheulich gefunden. Diese Unberechenbarkeit habe ich immer für eine Tugend gehalten.
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Eigentlich wollte ich über diesen Film nicht mehr schreiben. Zur Berlinale war alles gesagt, und so interessant ist Ich war zuhause, aber... gar nicht, dass ich große Lust hatte, es nochmal zu tun. Dass ich es doch tue, hat zwei Gründe. Zum einen, weil ich es etwas albern finde, dass es die eine oder andere Kollegin offenbar nicht schafft, über Schanelec zu schreiben, ohne Verweis auf mich, bzw. meine Einwände während der Berlinale und deren »Widerlegung«. Das leuchtet mir nicht ganz ein... Braucht dieser Film Windmühlen, gegen die ankämpfend man ihn erst verteidigen kann? Und sorry, aber ich weiß natürlich schon, dass man einen Film nicht mit seiner Autorin gleichsetzen »soll« – das habe ich übrigens auch nicht getan. Andererseits kann man einen Autorenfilm, kann man persönliches Kino nicht von der Person trennen, die ihn gemacht hat. Das geschieht tatsächlich auch in den wenigsten Kritiken.
Zum zweiten, und das ist wichtiger, schreibe ich, weil mir die Texte der letzten Woche über Schanelecs Film zu denken geben. Dieser Denkprozess ist nicht abgeschlossen. Insofern schreibe ich eigentlich nicht über Ich war zuhause, aber... sondern über die Texte, die über ihn erschienen sind.
Unausgesprochen im Raum steht: Wir müssen mehr streiten. Gerade auch um diesen Film. Weil er es wert ist, weil dieser Streit prinzipielle Dinge zutage fördern könnte.
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Angela Schanelec macht sehr sinnliche Filme. Zugleich sind ihre Filme sehr intelligent. Und sie sind sehr eigenwillig, eigenwillig bis zur Verschrobenheit. Das alles spricht sehr für sie.
Ihr neuer Film ist ein filmisches Selbstgespräch. Es folgt keiner Geschichte im eigentlichen Sinn, sondern reiht Szenen und Bilder aneinander. Ich will niemandem die Begeisterung daran nehmen, oder absprechen. Aber ich verstehe sie nicht. Und weil sie so groß ist, habe ich den Verdacht, dass da etwas nicht stimmt. Ich will wissen, was dahinter steckt.
Was mir auffällt: Wie defensiv argumentiert wird. Wenn argumentiert wird.
Da wird aufgelistet, wer alles gegen den Film ist, welche Förderungen die Regisseurin für diesen oder ihren nächsten Film nicht bekommen hat – wir haben die fehlende Verleihförderung für diesen Film an dieser Stelle auch kritisiert. Aber der Film wird ja nicht deshalb besser.
Da wird Erstaunen behauptet, und behauptet »bei manchen Filmkritikern und auch immer wieder in der deutschen Filmbranche« würden diese Filme Aggressionen auslösen. Sind Einwände, Zweifel, Kritik gleich Aggressionen? Oder sogar Majestätsbeleidigung?
Der Vorwurf der Verweigerung, Sperrigkeit, Verkopftheit sei ein großes Missverständnis. Gut, aber warum? Weil die Regisseurin konsequent ihrer Intuition nachgeht?
Ich bin nicht sicher, ob Schanelec mit der Schublade Intuition glücklich ist. Aber selbst wenn: Widerlegt das den Einwand der Sperrigkeit und Verweigerung?
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Ansonsten: »Meisterwerk«. Glaube ich nicht, aber ok, warum?
Ich lese weiter: »Reine Form«, »Reinstes Kino«, »Reine Kinopoesie« – alles Fundstücke aus dieser Woche.
»Was zu sehen ist, bedeutet nichts anderes als es selbst. Jenseits von Natürlichkeit und Künstlichkeit verteidigt Schanelec die Kunst des reinen Kinos«, schreibt unsere artechock-Kollegin Dunja Bialas in ihrer Rezension im Tagesspiegel. Ok. Aber was heißt das: »Es bedeutet nichts anderes als es selbst«? Und warum soll
das jemanden interessieren? Was ist daran besser, als Bilder, die etwas anderes bedeuten »als es selbst«. Oder was ist daran schöner?
Und was heißt eigentlich hier »es«?
Außerdem gebe ich zu, dass mir im Zusammenhang mit diesem Film ein bisschen zu oft das Wort »rein« fällt. »Rein« ist für mich etwas Negatives. Da denke ich an Puritanismus und Sauberkeitsfetischismus und Klarheitswünsche und Persilscheine. »Nicht nur sauber, sondern rein.« Klar, dass die Kollegin
vermutlich etwas anderes meint. Aber sie schreibt es nicht. Und wenn es schon um Assoziationen geht: Dies sind meine Assoziationen bei solchen Worten.
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Warum ist es gut, dass eine über 20 Jahre das Gleiche tut?
Wenn es hier nicht um eine deutsche Regisseurin ginge, wäre die Begeisterung darüber geringer.
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Die Regisseurin darf machen, was sie will, Filmkritik aber sollte versuchen, ihr Publikum mitzunehmen. Also etwaige Einwände verhandeln. Dieser Film ist bedingungsloses Kino. Er ist aber nur eine von sehr vielen sehr verschiedenen Möglichkeiten, die das Kino hat. Man sollte ihn nicht verabsolutieren, nicht so tun, als sei alles andere im Kino dieser Art Kino gegenüber sekundär. Einen Satz wie »Denn wer Schanelecs Filme scheut, der scheut das Kino«, finde ich komplett unangemessen. Das ist Ausdruck einer arroganten Haltung der Filmkritik.
Der erzieherische (protestantische?) Grundgestus von Schanelecs Filmen, die immerzu ausdrücken und nahelegen, dass man es sich nicht zu leicht machen dürfe (warum eigentlich nicht?), dass der Zuschauer sich jetzt etwas antun müsse, was er eigentlich nicht will, wogegen er eigentlich einen inneren Widerstand empfindet – und die Regisseurin unterstreicht diesen Gestus dann tatsächlich in ihren Interviews und Pressekonferenzäußerungen –, diese Haltung scheint mir Teilen unserer Filmkritik sehr zu entsprechen, und eine Identifikation nahezulegen.
Was mir auch auffällt: Wie wenig argumentiert wird. Eher geht es um Glaubenssätze. Um Bekenntnisse. Mir scheint, dass die Filme Angela Schanelecs sowas verlangen und hervorrufen, wie Demut und wie Gefolgschaft. Dass sie gewissermaßen eine Art religiöses Verhältnis zwischen dem Geschehen auf der Leinwand und den Zuschauern aufbauen möchten. Die Zuschauer sind dann Jünger; das Geschehen auf der Leinwand ist dann eine Offenbarung, ein Altar-Geschehen, das in gewisser Weise
sakrosankt sein soll.
Aber so kann es nicht gehen. Keine Kunst ist sakrosankt. Keine Kunst ist heilig – von diesem ganzen kunstreligiösen Quatsch müssen wir genauso wegkommen, wie von irgendwelchen Geniegedanken.
Natürlich gibt es das Geniale und vielleicht gibt es auch so etwas wie das Heilige. Aber es muss da, wo es behauptet wird, immer unter Verdacht stehen.
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Es gab in der deutschen überregionalen Presse nur einen einzigen Text, der den Film nicht lobte. Er stand im »Freitag«. Er stammte nicht von einem Filmkritiker, und nicht von einem Deutschen. Er stammte von einem Schweizer Regisseur.
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Exkurs zum Thema: Was ist Filmkritik?
Mein Text während der Berlinale war kein kühler, rationaler Text. Es war ein Gefühlsausbruch, die Äußerung eines Affekts. Und ich habe ungelogen noch nie auf einen Text in den letzten zwanzig Jahren so viele positive Reaktionen bekommen. Zuschriften auch von namhaften Kollegen, von bekannten Filmkritikern – im Vertrauen, weil sie sich öffentlich nicht äußern wollen. Und Zuschriften von Kinobetreibern, von Menschen aus der Branche oder auch von »ganz normalen Zuschauern«. Es
ist interessant, dass mehrere dieser Zuschriften mir Mut attestieren. Offen gesagt fühle ich mich nicht mutig, Angela Schanelec zu kritisieren. Aber es hat Menschen gegeben, die glauben, dass man diese Frau oder diesen Stil nicht kritisieren sollte, oder die glauben, dass sie starke Bataillone hinter sich hat oder irgend so etwas. Offen gesagt interessiert mich das ziemlich wenig.
Es geht ja auch gar nicht darum, dass ich in irgendeiner Form diese Art von Kino verhindern will, dass
ich nicht wollen würde, dass sie diese Filme macht. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich möchte nur, dass man seriös über sie schreibt und redet, dass man sie auch kritisiert, dass es kein Tabu ist, zu sagen, dass man diese Filme nicht gern mag, sie sich nicht ansehen möchte oder nicht noch mal ansehen.
Das Tabuisieren der Kritik ist das Übel. Und tatsächlich gibt es eine Art von „ästhetischer Correctness“, nach der nämlich Kritik an diesem Stil, wenn sie schon keine Majestätsbeleidigung ist, dann aber doch so gehandhabt wird, als wäre sie ein Ausweis der Dummheit und Primitivität, die den Sprecher in seiner Beschränktheit und Kulturlosigkeit bloßstellt.
Kritik hat den Sinn, Gründe aufzuführen, sie hat aber auch den Zweck, eine Haltung zu formulieren. Kritik ist nicht ein nur rationales Geschäft, das den Film in Worte verwandelt und in Argumente zerlegt und diese Argumente dann Stück für Stück widerlegt, also den Film widerlegt, und recht hat, wo der Film falsch liegt. Das alles wäre Unsinn, wenn man das glauben würde.
Ein Film ist Ausdruck einer Haltung; vielleicht einer falschen, vielleicht einer dummen, aber einer Haltung und so ist es auch mit einer Kritik. Es geht also nicht ums Recht haben. Worum es vielmehr geht, ist etwas zum Ausdruck zu bringen.
Es geht, wenn man so will, um Performance. Also das Aufführen einer Haltung.
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Es kann und darf nicht darum gehen, dass Publikum zu sekkieren und zu erziehen – man sollte es gewinnen. Eine Entfremdung vom Publikum wäre noch erträglich. Aber das ist ein Versagen vor der Vermittlungsaufgabe.
Ich habe den Verdacht, dass auch wegen dieses Versagens die Leute in die Streaming-Plattformen fliehen. Dort werden sie nicht erzogen.
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Ich will mich von alldem, was ich hier an anderen kritisiere, gar nicht ausschließen. Wahrscheinlich bin ich ähnlich parteiisch und ungenau und glaubensanhängerhaft, wenn es um andere Regisseure geht. Und ganz bestimmt vermeide ich manchmal auch, offen zu schreiben, was ich wirklich über einen Film denke. Weil es mir zu anstrengend ist, das dann zu verteidigen.
Das ist aber keine gute Entwicklung.
Wir müssen darüber weiterreden.