Deutschland/SRB 2019 · 105 min. · FSK: ab 6 Regie: Angela Schanelec Drehbuch: Angela Schanelec Kamera: Ivan Markovic Darsteller: Maren Eggert, Jakob Lassalle, Clara Möller, Franz Rogowski, Lilith Stangenberg u.a. |
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Sich davon befreien, immer alles verstehen zu müssen |
Mit drei Punkten führt uns Angela Schanelec in den Film ein, seien sie nun Ausdruck einer Pause, einer Auslassung oder eine Art erster Satz, sie leiten uns in die Geschichte der Mutter Astrid (Maren Eggert) und ihrer zwei Kinder (Jakob Lassalle und Clara Möller), die ihren Mann bzw. ihren Vater verloren haben. Der Titel ist eine sachte Anspielung auf Yasujiro Ozus Familiengeschichte Ich wurde geboren, aber… Ganz allgemein eröffnen die Worte »zuhause« und »aber« schon ein weites Assoziationsfeld.
Schanelecs Film wurde allgemein von der Presse gelobt, Rüdiger Suchsland aber kritisierte hier u.a. dass er nicht kommuniziert, sondern nur monologisiert. Er warf sowohl dem Film als auch seiner Autorin Arroganz vor. Es kann schon sein, dass Schanelec auf der Pressekonferenz arrogant erschien, ich war nicht da, aber man sollte den Film nicht mit seiner Autorin gleichsetzen, auch wenn er stark autobiografisch ist. Natürlich sind Journalisten dazu da, Fragen zu stellen, und ich persönlich bin auch der Meinung, dass man sie beantworten sollte, aber so muss es nicht sein – man könnte sich die Pressekonferenz dann praktischerweise einfach sparen. Es ist auch ok, wenn man Journalisten mit dem Film »alleine« lässt. Liest man die Texte, die zu Ich war zuhause, aber... geschrieben wurden, fällt auf, wie unterschiedlich sie sind, wie jedes Mal auf andere Aspekte des Filmes eingegangen wird, und das ist doch gut.
Hinweise auf die Parallelen zu Schanelecs Biografie fehlen allerdings nie, aber die kann man auch nachgoogeln. Auch ich notiere sie: Ihr Mann ist verstorben, sie haben zusammen »Hamlet« übersetzt, und sie lehrt an einer Kunsthochschule. Aber braucht man das? Es wird immer wieder diskutiert, ob die Biografie eines Künstlers für die Rezeption seines Werkes wichtig ist, ob ein Werk authentischer ist, wenn realer Schmerz dahinter steht, bei Joseph Beuys (ich glaube ihm jetzt mal seine Geschichte) oder Marina Abramović z.B., oder ob das Werk losgelöst vom Künstler existiert. Aber anders als in den beiden genannten Beispielen, die in ihrer Kunst oft ihren realen Körper in den Vordergrund stellten, erschafft Schanelec dezidiert etwas Körperloses, einen Film, der einerseits ganz ohne Körper funktioniert (man sieht es auch in den Kostümen, oder besser den etwas unförmigen Nicht-Kostümen, in denen beispielsweise Maren Eggert steckt), der sich andererseits aber stark um den Körper und die Möglichkeiten der Repräsentation dreht. Es geht eben nicht um den realen Performance-Körper von Künstlern, die aus ihrer eigenen Biografie schöpfen, sondern um den Schauspielerkörper, der vorgibt etwas zu fühlen, was er gar nicht erlebt hat, und ob ihm das möglich ist.
Ich war zuhause, aber... und auch der Der traumhafte Weg oder Nachmittag – denn ja, eine Autorin schafft ein Werk – haben eine ganz eigene und manchmal auch ermüdende Geschwindigkeit oder besser Langsamkeit, die wir so in Filmen vielleicht nicht (mehr?) gewohnt sind. Heute, wo sich die Filme in Aktionen regelrecht »darennen«, wie man im Bayerischen sagt, was schuften, sich abmühen, bis hin zum tödlichen Verunglücken heißen kann, die sich atemlos, ja fast hysterisch selbst beschleunigen, um uns durch irgendwelche Effekte zu emotionalisieren, wirken ihre Filme entschleunigt, kühl und auf den ersten Blick etwas fremd. Man kann die Filme darin als widerständig bezeichnen und auch als kritisch. In dieser Entfremdung kann man sich selbst sehen, in der Distanz werden die eigenen Erwartungen aufgelöst, damit aber auch offensichtlich und hinterfragt. Sie stellt aber auch ganz allgemein die heutige Geschwindigkeit und den Willen nach Konsumierbarkeit in Frage (ähnlich wie Pasolini).
Schanelec ist also keine Erfüllungsgehilfin unserer Erwartungen, sie erzählt nicht chronologisch und nimmt uns auch andere vertraute Orientierungshilfen wie Zeit, Orte, Kostüme, Mimik, Betonung oder Lautstärke. Aber sie lässt einen dennoch nicht absolut frei im Raum hängen, sondern verbindet alles durch Personen und einzelne, wiederkehrende Themen, Geschichten, die aber keiner uns bekannten Dramaturgie folgen. Das ist anstrengend, aber auch einfach sehr interessant. Es hilft dabei sicher, wenn man mehrere Filme von ihr gesehen hat und über ihre Filme mit anderen spricht. Und es ist auch ok, das Kino zu verlassen.
Es gibt Szenen, die nerven, Szenen, die sehr pathetisch sind, z.B. wenn Claudia (Lilith Stangenberg) Lars (Franz Rogowski) vor schwarzem Himmel erzählt, weshalb sie keine Kinder will, irgendetwas sträubt sich da in dieser Direktheit, in der man plötzlich und für den Film eher unüblich ein Gesicht sieht, oder wenn sich die Mutter Astrid nachts auf das Grab ihres Mannes wirft, und ein kleiner Vogel, ein Rebhuhn, in ihren Armkreis tritt. Diese Szene aber schafft es im nächsten Moment erstaunlicherweise dann doch, nicht zu kippen, sondern geht über in Musik und einen Tanz, den Mutter und Kinder für den Vater aufführen, was sehr berührend ist wie ohnehin vieles, was mit dieser Familie zusammenhängt. Die Kinder versuchen, sich gegenseitig zu stützen, während die Mutter in ihrem Schmerz, aber vielleicht auch in ihrer Angst, Gutes nicht zulassen kann, wie das Lachen der beiden (sie schmeißt sie raus), die selbstgemachten Pfannkuchen (sie schreit sie an), oder die Tochter, die in der unterkühlten Architektur eines Schwimmbads steht und sich zur Mutter setzt und sie umarmt (sie ignoriert sie). Kaltes klares Wasser. Es ist traurig zu sehen, wie sich die beiden Kinder immer wieder der Mutter annähern, sie aber nicht umfassen dürfen, und der abwesende Vater sich auch in einer abwesenden Mutter personifiziert.
Großartig ist das vielleicht wichtigste Gespräch im Film, das an einer stark befahrenen Straße geführt wird, auf der Motorräder vorbeiknattern, und die beiden Redner, Astrid und ein entfernter Bekannter, mal innehalten oder lauter werden müssen. Es läuft so nebenbei, wie das wichtige Gespräche im Leben nun mal tun, eine Reflexion über Krankheit und Tod und die Grenzen des Schauspiels und der Kunst und eben den schon beschriebenen Schauspieler-Körper. So ist der Film auch einer über Sprache. Es sind die Tiere, die Kinder – neben Astrids auch eine Gruppe von Kindern, die Hamlet einüben –, der alte Fahrradverkäufer, der keine Stimmbänder mehr hat und nur mit der Hilfe eines Gerätes sprechen kann, die Hilflosigkeit von Astrids Kollegen und der Lehrer ihrer Kinder, die offenbar schon seit Stunden diskutieren und zu keinem Schluss gekommen sind, und deren Müdigkeit, die durch den Raum schwappt, die Verlorenheit Astrids spiegelt.
Der Esel und der Hund, die den Film in zwei Szenen rahmen, haben mich zuerst irritiert, ein Bild der unschuldigen Natur? Ein Traum (das geht ja immer)? Ich habe es nicht verstanden. Ich werde dann ungeduldig, schiebe es weg und mache lieber die Schaffende für mein »Sich-gestört-fühlen« verantwortlich als mich selbst. Es befreit manchmal, wenn man sich davon löst, alles immer verstehen zu müssen: Dann ist es eben ganz einfach ein Bild eines Esels und eines Hundes. Und in dem Moment sah ich die beiden Tiere plötzlich als das, was sie waren: Ein Esel und ein Hund. Genauer: Der Körper eines Esels und der eines Hundes. Nichts weiter. Ganz sie selbst.