Horror, Frauen, Aliens |
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Unerschrocken feministisch: Beatrice Manowski (Foto: Randfilm) |
Von Dunja Bialas
»Daran hat mal wieder keiner gedacht, dass die Sonne jetzt so tief steht, dass sie um 6 Uhr abends voll in den Laden reinscheint.« Der tätowierte Mitarbeiter des Film-Shops steht auf der Leiter und hantiert mit dem Gaffer-Tape. Er verklebt den schmalen Schlitz, der einen Sonnenstrahl durchs Fenster durchlässt, direkt auf die Leinwand, wo eigentlich gerade Karyn Kusamas The Invitation zu sehen sein sollte. Anstatt ahnungsvoller Dunkelheit macht sich da aber jetzt der letzte Sommerbote breit. Bei schönstem Wetter wird in Kassel an diesem vorletzten Wochenende im September das Randfilmfest abgehalten. Der Film-Shop, angeblich die älteste Videothek der Welt, die es sogar ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft hat, ist zum ersten Mal dabei. Vor zwei Jahren hat Randfilm die Videothek, als das Aus drohte, unter die Vereinsfittiche gehommen, hat dort das »Deutsche Videothekenmuseum« installiert und nennt sie im Festivalkatalog »Raum der verlorenen Filme«. Ein bisschen Adelung muss sein.
Dabei passt die Videothek mit der Aura der Filmbesessenheit gut zum Spirit des kleinen Festivals. In den vielen Räumen, die sich verwinkelt durch das flache Gebäude an der Erzbergerstraße ziehen, stehen auf den selbstgezimmerten Displays deckenhoch die DVD-Hüllen, schön mit dem Cover voran, um auf die Titel aufmerksam zu machen. In einem Raum wurde ein Super-8-Kabinett installiert, hier werden ab und an Schmalfilmrollen von Blockbustern gezeigt, die für den Heimgebrauch verkürzten Actionrollen, sogenannte Viewer Digest Editionen, wie sie auch im Münchner Werkstattkino zu sehen sind.
Beim Randfilmfest will man aber lieber kein Schmalfilm-Feeling aufkommen lassen. Im Festival-Screeningraum der Videothek haben die drei Randfilm-Macher Volker Beller, Christoph Langguth und Ralf Stadler eine große Leinwand und einen starken Beam inklusive professionellem Soundmischpult installiert.
Nachdem der Sonnenstreifen gebannt wurde, lässt sich so auch vortrefflich The Invitation von 2015 genießen. In seinem Setting erinnert er an die beklemmend-überraschende Eingangssequenz von Jordan Peeles Intruder-Film Us. Hier kommt keiner raus, es geht ans nackte Leben. Die Huis-Clos-Situation – Gäste können eine Dinner-Party nicht mehr verlassen und sind den morbiden Launen der Gastgeber ausgeliefert – eignet sich natürlich hervorragend auch als Metapher auf das Kino und seine Besucher. Zum Glück ist es in der Videothek heimeliger, und nach Ende des Films kommt man auch problemlos wieder raus und den Berg hoch zur anderen Spielstätte des Randfilmfests, dem »Interim« direkt am Bahnhof.
Dort war es am Nachmittag schon ungemütlicher gewesen, mit Mosquito, der Schänder, den der serbische Regisseur Marijan Vajda jr. 1975 drehte. Als Schauplatz seiner Story vom gehörlosen Buchhalter, der wegen einer leicht durchschaubaren und dick aufgetragenen Backstory-Wound zum Leichenschänder wird, hat sich Vajda, der auch bei der Kirch-Gruppe arbeitete, München gewählt. Die Fahrten entlang von Grünwalder Grundstückmauern und Szenen, die sich im tristen Hinterhof damals noch ungentrifizierter Mietshäuser abspielen, vermählen den spießigen Charme von »Derrick« mit der patenten »Hausmeisterin«. Man denkt aber auch an Polanskis Der Mieter, während man dem Buchhalter in seinem mit Puppen dekorierten Zimmer dabei zusieht, wie er mittels Sterbeanzeigen seinen nächsten Besuch in der Leichenhalle plant. Die Ausstattung, die Backstory Wound und die zugrundeliegende wahre Geschichte vom »grausigen« Vampir von Nürnberg erinnern auch an Der Goldene Handschuh.
Frauen sind hier wie dort die Geschöpfe, die den Männern zu schaffen machen. So sehr, dass sie darüber äußerst unangenehme Fantasien entwickeln. Das gilt auch für den in Deutschland entstandenen A Young Man with High Potential von Linus di Paoli (2018), ein Beispiel für die aktuelle Rückbesinnung auf den Genrefilm. Auch hier ist der Protagonist sozial isoliert. Das geht heute dank Homeoffice und Internet-Bestelldienste ganz einfach, leichter als in den siebziger Jahren, wo man, wie der Buchhalter, noch dem Gespött der Kollegen und den Verführungen und Erniedrigungen durch echte Frauen ausgesetzt war. Hier will es das Teamwork im Studium, dass Informatikstudent Piet eine Frau in seiner Wohnung hat. Ihm fällt nichts anderes ein, als ihr Schlaftabletten einzuflößen. Um sich an ihr zu vergehen. Es kommt dann zu einem dummen Overdose-Unfall, der dazu führt, dass die Frau in Einzelteilen mit dem Parcel-Service entsorgt werden muss. Die Hilflosigkeit und abgenutzte Fantasie gegenüber dem weiblichen Geschlecht ist dabei nicht viel anders geartet als bei Mosquito.
Ob diese Genderhilflosigkeit im Horrorfilm auch Genre-Hilflosigkeit ist, mag dahingestellt sein. Sicherlich kommt man beim Erkennen des Horror-Schemas auf seine Kosten. Interessanter wurde es beim Randfilmfest jedoch mit dem Ehrengast Beatrice Manowski, die in ihren Filmen und Rollen die Geschlechterklischees verballhornt, durch selbstbewusste aggressive Weiblichkeit. Jederzeit schnallt sich einen Dildo um und bemannt sich also eigenmächtig. Das ist aus heutiger Sicht viel spannender, als sich in Einzelteilen wiederzufinden. Der Auftritt von ihr und ihrer Schauspiel-Kollegin Eva Medusa Gühne (was für ein toller Name!) anlässlich der »westdeutschen Erstaufführung« von Pins + Balls (2013), wie der ebenfalls anwesende Regisseur Oliver Held süffisant bemerkte, wurde zur fröhlichen Wohltat in dem ansonsten doch sehr männerlastigen Programm.
Held hat Pins + Balls mit billiger Digital-Videotechnik gedreht, der Film spielt überwiegend in einem Zimmer mit einem Bett und greift damit wieder den beliebten Huis-Clos auf, der ja auch kostengünstige Produktionen ermöglicht. Pins + Balls ist eine Verfilmung eines Textes aus der Andy-Warhol-Factory, den einer der Stars tagebuchartig verfasst hat. Die Adepten spielen Warhol, der an seiner Impotenz leidet, und zwei Factory-Girls auf der Jagd nach dem nächsten Orgasmus. Während des ganzen Films sind alle drei meist nackt zu sehen, sie spielen offenherzig und Warhol-würdig. Nebenbei ist Helds Film auch noch ein Problemfilm: Mit viel Humor nimmt er sich des Themas nachlassender Potenz im Alter an (der Österreicher Albert Sackl führt dies derzeit in seinen Steifheit-Filmen als auf siebzig Jahre angelegtes Langzeitprojekt durch), und spricht das Recht der Frau auf den Orgasmus aus. So kann sein Film auch aus feministischem Blickwinkel rezipiert werden und sei dem Hofbauer-Kongress und dem Werkstattkino wärmstens anempfohlen. Einziges Hindernis für die Rezeption auf Frauenfilmfestivals, wo der Film eigentlich auch seinen Ort finden könnte: Oliver Held ist nun mal keine Frau, die diesen Film gemacht hat. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Beatrice Manowski und Eva Meduse Gühne beim Dreh das Heft in der Hand hatten.
Auch Manowskis eigene Regiearbeit Drop Out (1998) lässt diesen Schluss zu. Hier inszeniert sie sich als Privatdetektivin »Nippelsuse«, der im Nachtleben allerhand Abenteuerliches wiederfährt, während ihr die Männer erliegen. Erschwert wurde die Vorstellung durch die miserable Qualität der »Kopie«, die eine digitale Abtastung der DVD war, die selbst wiederum auf einem 5.1-Ton beruht, der auf verwaschenes Stereo heruntergerechnet war. So oder so ähnlich erläuterte und entschuldigte es Ralf Stadler vor der Vorführung, verknüpft mit der Ankündigung, dass Randfilm eine neue digitale Fassung auf Grundlage des Originals erstellen wolle, um dem Film damit wieder zu neuem Leben zu verhelfen. Drop Out reiht sich ein in die Filme von Klaus Lemke, in die frühen Werke von Eckhart Schmidt und in Werner Nekes Johnny Flash (1987); alles wirkt improvisiert, ist aber sorgfältig geskriptet, ist independent und Low-Budget, eine andere Art des Filmemachens, jenseits der ausgetrampelten Filmhochschulpfade.
Es ist natürlich rühmlich, wenn Randfilm hier als Restaurator tätig sein will. Man hätte sich aber auch an anderer Stelle, etwa bei der Vorführung von Bruno Dumonts Hors Satan, gewünscht, nicht nur Leinwand, Abspielgerät und Soundanlage wären qualitativ High-End gewesen. So hätte man den Film von einem adäquaten Vorführmedium zeigen sollen, von Blu-Ray oder ProRes-File zumindest, aber bitte nicht von verpixelter DVD.
DVD und sogar VHS waren jedoch genau richtig platziert beim mitternächtlichen Alien-Quiz, das Moderator Dave launig rüberbrachte. Die drei Kandidaten – Filmkritiker-Kollege Sebastian Selig, Pascalina und ein deutschsprachiger Kanadier – gaben eine Leistungsshow ihres Nerd-Wissens zu Filmen mit Außerirdischen zum Besten. Das war äußerst unterhaltsam und erstaunlich, während Dave die richtigen Antworten mit einem beherzten Griff in die »Trash-Tüte«, einen Müllsack, prall gefüllt mit VHS-Videokassetten, belohnte.
Gerade die Talk-Einheiten fielen beim Randfilmfest bereichernd auf, immer wenn die Macher über ihre »Randfilme« sprachen, taten sich Türen auch auf dahinter liegende Diskursüberlegungen auf. Das könnte noch ausgebaut werden, ohne Gefahr zu laufen, das eigene Programm akademisch werden zu lassen oder aus dem See-and-Enjoy-Zusammenhang zu reißen. Der sorgfältig bestückte Büchertisch in der Videothek demonstrierte auf jeden Fall grundsätzliche Diskursbereitschaft.