»Ich will, dass ihr in Panik geratet!« |
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Das Mädchen und die Macht. Greta Thunberg im Film über das Treffen in Davos (Foto: Gebrüder Beetz Filmproduktion) |
Von Dunja Bialas
»Wachstum vor Klimaschutz!« Mit dieser unzeitgemäßen Message schrieb der US-amerikanische Präsident Donald Trump mal wieder Schlagzeilen. Ohne vor der Weltöffentlichkeit jedoch das Wort »Klimawandel« überhaupt in den Mund zu nehmen, sprach er davon, »die ewigen Propheten des Untergangs und ihre Vorhersagen der Apokalypse zurückweisen« zu müssen. Ein Affront gegen das alljährlich im Januar stattfindende Weltwirtschaftsforum, das für seine 50. Ausgabe den Klimawandel ins Zentrum gestellt hatte.
Ebenfalls immer im Januar findet München zum Schweizer Weltwirtschaftsgipfel seine ganz eigene Antwort. Claudia Engelhardt, stellvertretende Leiterin des Filmmuseums, stellt für die politischste aller Jahreszeiten unter dem Titel »FilmWeltWirtschaft« ein Programm aus Filmen und Debatten zusammen, das die Wirtschaftslage unter einem ganz eigenen Gesichtspunkt beleuchtet. Dieses Jahr ist das Thema »Solidarität«. Dabei geht es um den Sozialpakt in einer ökonomisch ungerechten Welt, die auch zur gesellschaftlichen Schieflage führt.
Selbst in der Welt der west-östlichen Industriestaaten werden die Stimmen lauter, die nicht mehr das Hohelied auf das Wirtschaftswachstum singen wollen. Das zeigt die Dokumentation Das Forum von Marcus Vetter, der hinter die Kulissen von Davos blicken durfte. Mit seinem Kameramann Georg Zengerling begleitete er die Vorbereitungen des Gipfels von 2018 und 2019, als auch erstmals Greta Thunberg einen – damals noch unautorisierten – Auftritt hatte.
Mit ihrem eindrücklichen Appell »Ich will, dass ihr in Panik geratet« sorgt Greta Thunberg für den emotionalen Höhepunkt des Films. Eine andere Gallionsfigur der politischen Wachheit ist die charismatische Greenpeace-Leiterin Jennifer Morgan. Der Film zeigt sie engagiert und konsterniert, als lebendigen Lichtblick unter den grauen Herren. Im eigentlichen Zentrum des Films – und von Davos – steht dessen Erfinder Klaus Schwab. Der heute 81-jährige Schweizer vereint Hellsichtigkeit mit Neutralität, Altersweisheit mit Amtswürde. Er spricht kluge Sätze in die Kamera wie »Wir hinterlassen der nächsten Generation einen Schuldenberg, den sie abtragen müssen, in irgendeiner Form. Wir leben auf Kosten der nächsten Generation.« Dass Greta Thunberg dieses Jahr offiziell eingeladen war, ist sicherlich dem Davos-Chef und nicht der versammelten Wirtschaftsriege zu verdanken, die für Greta nach ihrem ersten Auftritt nur ein Schulterzucken übrig hatte.
Marcus Vetters Schwäche ist, dies sei kritisch angemerkt, seinen gehaltvollen Inhalt immer wieder mit emotionaler Streichermusik zu untermalen. Dennoch ist sein über zwei Jahre hinter den Kulissen gewonnener Einblick in das Klassentreffen der Mächtigsten der unangefochtene Star der diesjährigen FilmWeltWirtschaft im Filmmuseum. (Fr 24.1. 18:30, zu Gast: Tabea Stirenberg von »Fridays for Future«)
Die anderen Filme machen es eine Nummer kleiner. Solidarität ist nicht nur auf globaler Ebene einzufordern, das beginnt bereits vor der Haustür. Good Neighbours (2018) von Stella van Voorst van Beest beleuchtet ein Nachbarschaftsprojekt in Rotterdam. Ehrenamtliche sollen ausfindig machen, wie es um die alten Leute im eigenen Viertel steht. Haben sie Verwandte oder Bekannte, die regelmäßig nach ihnen sehen? Haben sie soziale Ansprache? Sich um sie und für sie zu sorgen, auch das sollte ein Anspruch in unserer älter werdenden Gesellschaft sein. Ein Solidarpakt mit denen, die angesichts der Idealisierung der Jugend nur noch wenig gelten und die man allzu leicht und allzu gerne vergisst. (Di 28.1. 18:30, zu Gast: Prof. Gerd Mutz, Hochschule München)
Doch – Freiberufler aufgepasst! – auch die Jüngeren kennen Einsamkeit. Die Schauspielerin Eva Löbau zeigt in Lucia Chiarlas Reise nach Jerusalem (2018) in einer beeindruckenden Performance, wie sich eine prekäre private und berufliche Situation zur existentiellen Krise auswächst. Da trifft mangelndes Selbstbewusstsein auf Standardsituationen des Arbeitsmarktes, eine überlaute Gesellschaft auf eine ehrliche Haut, die keinen Platz für sich finden kann. Der Ausweg ist am Ende der Ausstieg – mit ungewissem Ausgang. Nicht unbedingt ein Feelgood-Movie, aber Kammerspiel-Schauspielerin Eva Löbau kreiert – ähnlich wie in Maren Ades Der Wald vor lauter Bäumen (2000) – eine hilflose und unmögliche Figur, die man zugleich in den Arm nehmen und schütteln möchte. (Sa 25.1. 18:30, zu Gast: Arbeitspsychologin und Coach Annik Weber)
Lieber für sich lassen sollte man die Kinder in Klaus Stanjeks wundersamem mittellangen Film Großstadt – Stadt der Großen, den der Dokumentarfilmemacher 1995 in München mit versteckter Kamera gedreht hat. Für seine als Experiment angelegte Studie über die Kinderfreundlichkeit des urbanen Raums schickte er verschiedene Kinder, darunter auch ein Baby mit seiner Mutter, auf die Straße und in den öffentlichen Nahverkehr. Dort sollten sie erproben, wie Kindsein geht, wenn man mal das Kinderzimmer und die Playstation verlässt. Und siehe da: Kreidemalen verboten, Skateboardfahren verboten, Kinderwagen die Rolltreppe hochfahren ein Ding der Unmöglichkeit, Wickeln Fehlanzeige, Stillen in der Tram? Geht’s noch? Wunderbar sind retrospektiv die alten Münchner »Weiblein«, die sich angewidert von der entblößten Mutterbrust abwenden. Eine Spezies, die aus dem Stadtbild verschwunden scheint – anders als das Stillen in der Öffentlichkeit. Die Kinder haben übrigens noch eine tolle Idee auf Lager, wie die dezidiert autofreundliche CSU auch heute provoziert werden könnte: Einfach einen Parkschein lösen und einen Parkplatz zum temporär angemieteten Spielplatz umdeklarieren. Statt der Menschen, die sich unbedingt »im Sitzen durch die Stadt« bewegen wollen, so die prägnante Formel von Stanjek, würden dann die Kleinsten den Stadtraum erobern. (Mi 29.1. 18:30, Zu Gast: Vertreter*innen des Münchner Forum für Stadtentwicklung)
Die Message der FilmWeltWirtschaft zum neuen Jahrzehnt ist: Nur wenn die Welt auch aus der Sicht der Kleinen, Schwachen, Unterpriviligierten und Leisen überhaupt wahrgenommen wird, kann eine solidarische Zukunft entstehen. Schauen wir einmal, was kommt.
FilmWeltWirtschaft
23.-29. Januar 2020, Filmmuseum München
Eintritt: 4 € (Mitglieder des MFZ 3 €)
Eine Reihe des Filmmuseums München