Die Zärtlichkeit des Kannibalen |
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Kirk Douglas 1955 während der Dreharbeiten für seine Rolle als Vincent van Gogh in Lust for Life | ||
(Foto: Behrens, Herbert / Anefo [] · CC BY-SA 3.0 NL) |
»People are always talking about the old days. They say that the old movies were better, that the old actors were so great. But I don’t think so. All I can say about the old days is that they have passed.«
Kirk Douglas
Er war der letzte große Star des klassischen Hollywood. Und doch repräsentiert er in vieler Hinsicht schon dessen Neuanfänge und die Zukunft nach dem Ende des Studiosystems: Kirk Douglas, der jetzt im biblischen Alter von 103 Jahren in Hollywood gestorben ist.
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Der Sohn eines Lumpensammlers wurde 1916 in Amsterdam geboren, nicht in Hollands Metropole, sondern der Industriemetropole im Staat New York. Sein Geburtsname Issur Danielovitch Demsky verweist auf die Herkunft der Eltern: Einwanderer der ersten Generation, jüdische Weißrussen, die aus dem vorrevolutionären Zarenreich vor antisemitischen Pogromen geflohen waren.
Diese Herkunft hat ihn geprägt. Es war der schwere, harte Weg. Eine bettelarme Kindheit, in der dem einzigen Sohn neben sechs Schwestern nichts geschenkt wurde – oder eben doch, in anderer Weise: Ein festes, wertkonservatives Weltbild ohne große religiöse Bindung. Dies hinderte die jüdische Gemeinde des Viertels nicht, dem begabten Jungen ein Stipendium zu zahlen, damit er eine höhere Schule besuchen und studieren konnte. Zusätzlich verdingte er sich als professioneller Ringer, als Kellner und Hotelpage.
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Bald wechselte er auf die Schauspielschule. Es gab erste Broadway-Auftritte, doch dann begann auch für Amerika der Zweite Weltkrieg und Douglas, wie er jetzt hieß, wurde noch im Dezember 1941 zur Navy eingezogen. Als der Krieg vorbei war, ging er wieder zurück nach New York. Bis er als Schauspieler überleben konnte, dauerte es aber. Begonnen hatte seine Hollywood-Karriere ein Jahr später angeblich auf Empfehlung von Lauren Bacall, die auf der »American Academy of Dramatic Arts« seine
Klassenkameradin war. Sehr früh und schnell gab es markante Auftritte. Etwa in Die seltsame Liebe der Martha Ivers (1946) als Alkoholikergatte von Barbara Stanwyck. Und in Jacques Tourneurs Film-Noir-Klassiker Out of the Past (1947) als Gegenspieler von Robert Mitchum.
Schon
1951 spielte er dann einen Hollywoodstar: Unter Vincente Minnellis Regie in The Bad and the Beautiful, einer der raren Hollywood-Selbstparodien, einen skrupellosen Filmproduzenten.
In den Folgejahren arbeitete Kirk Douglas mit fast allen Großen seiner Zeit zusammen, neben Minnelli auch mit Billy Wilder (Reporter des Satans), Otto Preminger (In Harms Way), William Wyler, Joseph L. Mankiewicz, Howard Hawks, und gleich zweimal mit Stanley Kubrick im Kriegsfilm Wege zum Ruhm und dann unvergesslich in der Titelrolle von Spartacus.
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»If the good guy gets the girl, it’s rated PG; if the bad guy gets the girl, it’s rated R; and if everybody gets the girl, it’s rated X.«
Kirk Douglas
Douglas war ein gutaussehender, zugleich aber sehr spezieller Typ. Mit seinem kantigen Kinn und dem Grübchen in dessen Mitte, den strahlend blauen Augen, den nach hinten gesträhnten aschblonden Haaren spielte er als einer der wenigen sowohl Helden wie Bösewichter. Und immer brachte er in die eine Seite etwas von der anderen mit hinein: Seine Schurken hatten Charme, seine Helden einen brutalen Zug – sein Markenzeichen war die Zärtlichkeit der Kannibalen. Er spielte Wilde,
Proletarier, Krieger, Sklaven, immer wieder Harte, Konsequente, Einzelgänger; Charaktere, mit denen man nicht gut reden konnte, die Gehorsam einforderten, bestenfalls Gefolgschaft, aber nie Teamplayer waren. Was sie antrieb, war eine archaische Urkraft, ebenso Eros wie Todestrieb.
Man könnte all das aber auch als »Schillern« beschreiben, und es ist wahrscheinlich, dass dieses Leinwandimage des Schauspielers Kirk Douglas nicht besonders viel mit seinem Träger, mit der Person
dahinter zu tun hatte.
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»When you become a star, you don’t change. Everyone else does.«
Kirk Douglas
Was beides, Person und Persona verbindet, war aber wohl Gier. Gier nach Leben, nach Wissen, nach Erfahrung, nach allem, worin er sich zu kurz gekommen fühlte. Lust for Life, wie sein zweiter Film mit Minnelli heißt, in dem er Vincent van Gogh spielte, jenen Maler am Rande des Nervenzusammenbruchs, der in Hollywood für »Kunst an sich« steht, also den Universalkünstler und dessen Verbindung von Genie und Wahnsinn. Die schien kein zweiter so auszudrücken, wie Douglas, wie sein Stahlblick und sein Kinn. Und man tritt Kirk Douglas wohl nicht zu nahe, wenn man bemerkt, dass ihm diese Rolle des Van Gogh schon besonders wichtig war. Seinen dritten Sohn nannte er Vincent, und der Film wurde in den folgenden Jahren sehr oft dann vorgeführt, wenn Douglas irgendeine wichtige Ehrung fürs Lebenswerk bekam. Beim Ehrenbär 2001 allerdings, bei der Abschiedsberlinale von Dieter-Kosslick-Vorgänger Moritz de Hadeln, war es Kubricks Wege zum Ruhm.
Der Mensch Kirk Douglas war schon früh immer an mehr interessiert, als am Schauspiel allein. Er wollte ein Werk schaffen, etwas hinterlassen, was über den Tag hinaus Bestand haben könnte. Er sprang als Produzent ein, wenn ein Film schwer zu finanzieren war, er interessierte sich für Inhalte – manchmal mehr, als den Regisseuren lieb war.
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»I cannot forgive the way Michael Moore treated Charlton Heston in 'Bowling for Columbine'. Even if I don’t agree with much of Heston’s politics, Chuck is a gentleman. He agreed to have an interview with Moore, and Moore took advantage of the situation and made Chuck look foolish. He had been invited to Heston’s home and he was treated with courtesy. I winced when I saw the expression on Chuck’s face change as he realized that he had been duped. And yet he remained a gentleman and dismissed the interloper with grace.«
Kirk Douglas
Politisch war Kirk Douglas einerseits immer ein Linker in Hollywood, das alles in allem viel reaktionärer ist, als sein Ruf. Aber er war nie ein Prinzipienreiter – so engagierte er sich für Obdachlose und gegen Waffenfreizügigkeit, und holte den in der McCarthy-Zeit auf die Blacklist gesetzten Autor Dalton Trumbo zurück nach Hollywood. Aber er half auch dem Regisseur Elia Kazan zu einer Zeit, als dieser in der linksliberalen Filmszene der 60er Jahre gerade verfemt war, weil man ihm seine persönliche Feigheit während der McCarthy-Ära vorwarf.
So ist mit Kirk Douglas, der aus zwei Ehen vier Söhne hat und von seiner deutschstämmigen hundertjährigen Gattin Anne überlebt wird, nicht nur der letzte große Star aus Hollywoods Glanzzeit gestorben, sondern auch eine vielschichtige, engagierte Künstlerpersönlichkeit.