Für mehr Zivilcourage! |
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Jan Komasas Corpus Christi | ||
(Foto: New Europe Film Sales) |
Von Tatiana Moll
Die Filme geben Einblick ins Leben der Menschen, in ihre Traum- und Trauma-Welten, in ihre Zweifel, Hoffnungen, Ängste und ihren Kampf um ein würdevolles Dasein. Sie zeigen den Befreiungsschlag der Protagonisten, sind Appell gegen die vorherrschenden Machtformen und sind somit Wegweiser der Filmkunst. Zum Teil erkennt sich der Zuschauer in diesen Filmen wieder, zum Anderen erscheint es ihm wie ein Albtraum, auch weil viele dieser Filme auf wahren Begebenheiten basieren.
Eröffnet wird mit dem Dokumentarfilm des slowakischen Regisseurs Marek Kuboš Posledný autoportrét (SI 2018). Der Titel „Das letzte Selbstportrait“ ist hier wörtlich zu nehmen, denn laut Regisseur ist dies seine letzte Dokumentation. In diesem Werk steht er als Künstler selbst vor der Kamera und reflektiert aus verschiedenen Rollen über sein Lebenswerk, seine lange künstlerische Pause, sowie über das schwere Schicksal des heutigen Dokumentarfilms. Insbesondere werden die moralischen Grenzen im Dokumentarischen sowohl im Dialog mit seinen Kollegen, als auch mit sich selbst in Form eines Selbstgesprächs in Frage gestellt. Am Ende dieses sehr therapeutisch angehauchten Selbsterkenntnis-Prozesses voller Zweifel wird eine schwerwiegende Entscheidung getroffen. (FMM, 27.02. 19:00 Uhr, Regisseur Marek Kuboš ist zu Gast). Apropos, die Psychotherapie scheint momentan sehr en vogue zu sein, so dass auch der avantgardistische und sehr empfehlenswerte Animationsfilm des ungarischen Künstlers und Filmemachers Milorad Krstič Ruben Brandt, Collector (HU 2018) diese zu einem der Hauptthemen macht. Erzählt wird von dem Art-Therapeuten Ruben Brandt (zwei berühmte Künstler lassen in seinem Namen grüßen!), der von surrealistischen Alpträumen in Form von dreizehn weltberühmten Kunstwerken so geplagt wird, dass er sich gezwungen fühlt, diese Kunstwerke von seinen Patienten stehlen zu lassen, um seine psychische Krankheit zu bewältigen. Eine gewaltige Mischung aus Kunst, Psychologie und Krimi mit kubistisch realisierten, Picasso ähnlichen Figuren zieht den Zuschauer in den Bann auf einer surreale Karussellfahrt durch die weltberühmten Galerien mit vielen erkennbaren Kunstwerken sowie zahlreichen Anspielungen aus der Kino- und Musikwelt. Ein wahres Feuerwerk aller ästhetischen Sinne! (FMM 29.02 18:30 Uhr)
Weniger heiter und optimistisch geht es in den Filmen Ich werde keine Loserin mehr sein (SI 2018), dem Debüt der slowenischen Filmemacherin Urša Menart, sowie Falsche Poesie (HU 2018) von Gábor Reisz zu, welche Unsicherheiten, Ungewissheiten und Zweifel der Protagonisten gekonnt einfangen. Ähnlich der Hauptfigur aus dem Film Ich werde keine Loserin mehr sein (28.02. 18:30 Uhr), die nach dem Studium der Kunstgeschichte keinen ihrer Ausbildung angemessenen Job findet, so dass sie bei den Eltern hausend mit Gelegenheitsjobs resigniert ihre Existenz fristet, kehrt auch der Protagonist des Films Falsche Poesie (FMM 3.03. 21:00 Uhr), der 33-jährige Werbetexter Tomás, völlig hoffnungslos und von seiner Freundin verlassen aus Paris nach Budapest zurück und weiß nicht, was er mit sich anfangen soll. Sein zukünftiger Job als Slogan-Dichter für eine Hühnerfleischfirma ekelt ihn an, sein Herz ist durch Trennungsschmerz gebrochen. So taucht er — vor der unerfreulichen Realität fliehend — in Erinnerungen ein, um dort nach den Sachen seiner desolaten Lage zu suchen. Ein urkomisches und zugleich melancholisches Porträt der Millennials Generation. Die Dreißiger-Generation ist ebenfalls Thema des Debütfilms Karel, ich und du des tschechischen Filmemachers Bohdan Karásek, der selber eine der Hauptrollen übernimmt (FMM 1.03. 20:30 Uhr). Und auch hier geht es um Ängste, Unsicherheiten und Zweifel, nur diesmal in Bezug auf die Beziehungskrise. Es ist ein ruhig erzähltes Beziehungsdrama ohne große Worte und übertriebene Performance der Gefühle. Die minimalistisch ausgestaltete Mumble-Core-Ästhetik des Films, die durch viele spontane Dialoge zum Ausdruck kommt, sowie rhythmisierende Trommeltöne verleihen ihm eine Prise Humor und eine gewisse Leichtigkeit, was nicht zuletzt auch an den Hauptcharakteren liegt, die trotz ihres Alters jugendlich bzw. nicht sonderlich reif wirken.
Voller jugendlichen Impetus, aber diesmal auch Hoffnung, strahlt ein weiteres Filmdrama Corpus Christi (PL/FR 2019) des polnischen Regisseurs Jan Komasa. Er war Kandidat als „Bester internationaler Film“ bei der diesjährigen Oscarverleihung (FMM 28.02. 21:00 Uhr). Der Film handelt von wahrem Glauben, von Hoffnung auf eine bessere, vollkommenere Welt ohne Vorurteile. Porträtiert wird ein junger Mann namens Daniel, der in der Strafkolonie eine geistige Verklärung erlebt und Priester werden möchte, was wegen seiner Vorstrafe nicht möglich ist. Dennoch ergreift er bei der ersten Möglichkeit die Chance, sich als Priester in einer Gemeinde auszugeben und tritt dank seines aufrichtigen Glaubens — auch wenn nur für kurze Zeit — als ein neuer charismatischer, wenn auch sehr unkonventioneller und fast rebellischer Glaubensprediger auf, der wie viele Jugendliche sportlich gekleidet ist, laute Musik hört und raucht. Sehr erfrischend!
Wenn der Glaube in Corpus Christi eine erlösende, befreiende und friedensstiftende Wirkung hat, so wird er im Doku-Roadmovie Weite Ferne (CZ 2019, Regie: Martin Mareček) einengend, beängstigend, fast fanatisch. Gezeigt wird die Reise des Familienvaters Vít mit seinem Teenagersohn Grigorij von Brno nach Russland zu seiner Ex-Frau und deren gemeinsamer Tochter. Während der langen Fahrt durch das ländliche Russland schwelgt er in den Erinnerungen an sein damaliges Leben mit seiner Ex-Frau, die aufgrund einer Familientragödie — vor der Realität fliehend — Zuflucht in der strengsten, beklemmendsten Orthodoxie gefunden hat. (3.03. 20.30 Uhr; Vít und Grigorij Kalvoda zu Gast). Alle Filme des Festivals spielen in der Gegenwart, alle bis auf einen — Begnadigung (PL 2018) von Jan Jakub Kolski, der im Sinne der Vergangenheitsbewältigung kühn von dem Trauma der Nachkriegszeit in Polen erzählt (FMM 3.03 18:30). Indem dieser hoch emotionale Film die Begriffe der Menschenliebe und Humanität neu definiert, unternimmt er einen Versuch der Versöhnung mit der Vergangenheit. Auch im slowenischen Drama Unter Tage (SI 2017) handelt es sich um eine Vergangenheitsbewältigung, eine auf mehreren Schichten funktionierende. Dargestellt wird ein erfahrener, aus Bosnien stammender Bergmann, der bei der Untersuchung eines alten Schachts Überreste tausender getöteter Menschen — Opfer unaufgeklärter Nachkriegsverbrechen — entdeckt, was bei ihm eine alte Wunde öffnet — der Völkermord in Bosnien. Ein zutiefst erschütterndes und seelische Narben hinterlassendes Kino! (FMM 4.03. 21:00 Uhr; zu Gast ist die Regisseurin Hanna Slak).
Leider nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart herrscht sinnlose Gewalt. Diesmal in Form des Rechtsradikalismus, von dem drei weitere Filme handeln. Im Debütfilm von Teodor Kuhn Mit einem scharfen Messer (SK 2019) wird ein 18-jähriger von einer Gruppe Neo-Nazis ermordet. Die Versuche seines Vaters die Gerechtigkeit triumphieren zu lassen, indem der Mörder bestraft wird, scheinen im korrupten Staatssystem der Slowakei zum Scheitern verurteilt zu sein (FMM 2.03 20:30 Uhr). Ein weiterer slowakischer Film von Marko Škop Es werde Licht (SK 2019) zeigt die unglaublich stark vernetzten Machtstrukturen der Neo-Nazis, die bis in die Kirche reichen (FMM 6.03 18:30 Uhr).
Der durchdringende, gewaltig wirkende und sehr sehenswerte Film Genesis (HU 2018) von Árpád Bogdán erzählt von einem blutigen Überfall der Neo-Nazis auf eine Roma-Siedlung, der die Schicksale der drei Protagonisten des Films nachhaltig verändert. Die wiederholte rechtsradikale Thematik regt zum Nachdenken über die Gefahren, die der Rechtsextremismus mit sich bringt, an und appelliert für mehr Zivilcourage.
Der Abschlussfilm des Filmfests ist ein weiteres Spieldebüt (es sind einige dieses Jahr!) des tschechischen Regisseurs Michal Hogenauer A Certain Kind of Silence (CZ 2019), ein minimalistischer Psychothriller über die Macht der Manipulation, die zu schlimmsten Taten — wie Gewalt an Kindern — führen kann. Ein äußerst kryptisch-verstörendes und erschauderndes
Kinoerlebnis! (8.03. 18:30)
Viele dieser Filme sind sicherlich keine leichte Kost. Durch ihre gewaltigen Bilder und bewegenden Themen hinterlassen sie unauslöschliche Spuren und Narben, treffen den Zuschauer tief ins Innere. Indem sie über die hoch brisanten politischen Themen reflektieren, werden sie zum machtvollen Instrument eines pazifistischen, friedensstiftenden, gewalt- und traumabewältigenden Dialogs. Und darin liegt fürwahr die eigentliche
Aufgabe der wahren Kunst.
Das Mittel Punkt Europa Filmfest findet vom 27.02-8.03 – im Münchner Stadtmuseum (FMM) und vom 28.02-3.03 in der Regensburger Galerie im leeren Beutel. statt. Weitere Informationen unter http://www.mittelpunkteuropa.eu/.