Hinter geschlossenen Türen |
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Was tut man als »Kinogeher« (Walker Percy), wenn das alles plötzlich wegfällt, wenn der spezielle existentielle Zustand, den das Kino bedeutet, einem auf einmal untersagt ist. | ||
(Foto: A.T. Purr) |
Das Kino war immer schon eine infektiöse Angelegenheit. Was gibt es Schöneres, als gemeinsam, eng in einem dunklen Kinosaal zu sitzen? Den fremden Nachbarn zu spüren. Seinen Atem, sein Stöhnen, Reaktionen auf den Film. Sich gehen zu lassen, süchtig am Leinwandgeschehen zu hängen, und sich gleichzeitig aber auch mit den anderen Zuschauern zu verbinden in einer Wechselwirkung der Gefühle?
Kino – das ist immer mehr als der Film, der da vorne läuft. Kino ist immer schon Geselligkeit mit Unbekannten, Bekanntschaft mit dem Fremden, Gier auf das Neue, Kino ist Exzess, Gegenwelt, Jahrmarkt und Spektakel. Kino ist die schöne Sünde.
In den letzten Jahren hat man schon versucht, diesen sündhaften Teil des Kinos zu bändigen. Rauchersäle wurden verboten; Cineplexe lösten das Kino um die Ecke ab; aus Programmkinos wurden durchformatierte Abspielplätze für Arthouse-Mainstream und Familienfilme; langweilige Wellnessberechenbarkeit trat an Stelle des produktiv Herausfordernden; Mitternachtsfilme wurden selbst bei Filmfestivals abgeschafft.
Aber das Kino wehrte sich gegen diese Nachtwächtermentalität der Mehrheitsgesellschaft.
Es beharrte eigensinnig auf seiner Besonderheit und seiner Wildheit.
Neue Kinokonzepte entstanden, alte Kinos wurden restauriert.
Tausendmal wurde das Kino schon totgesagt, tausendundeinmal stand es wieder auf.
Denn wie bei aller Kunst geht es gerade auch bei der Massenkunst Kino, die keine Klasse, keine gesellschaftliche Gruppe unberührt lässt, darum, zu irritieren, herauszufordern, zu beunruhigen.
Nun aber ist alles anders.
Plötzlich, von einer Woche auf die andere, ist alles vorbei. Seit 125 Jahren gibt es erstmals kein Kino in Europa.
Der staatlich angeordnete Shutdown der Kultur, das Schließen der Kinos und Filmmuseen, das Aussetzen aller Neustarts im Kino und Filmfestivals trifft alle Kinogeher hart.
Alle die, die es gewohnt sind, mehrfach pro Woche in einen fremden öffentlichen Raum zu gehen, dort auf die Dunkelheit zu warten und mit fremden Menschen, allenfalls auch ein paar Freunden und Vertrauten, einzutauchen ins Unbekannte, Unvertraute, das jeder neue Film naturgemäß ist, und das die Faszination des Kinos ausmacht.
Was tut man als »Kinogeher« (Walker Percy), wenn das alles plötzlich wegfällt, wenn der spezielle existentielle Zustand, den das Kino bedeutet, einem auf einmal untersagt ist. Wenn das Kino-Fasten erzwungen ist, nicht selbstgewählt?
Was ersetzt ihn? Wie hilft man sich über die Runden?
Entzugserscheinungen zeigen sich bereits jetzt, nach wenigen Tagen.
Was helfen Streamingdienste, Mediatheken, die DVD-Sammlung? Bestenfalls wirken sie wie Methadon, schützen den Süchtigen vor dem Austicken, vor dem Koller.
Denn es sind Pixel. Digitale Signale, nicht tot und nicht lebendig, Zombiebilder.
Es ist, als ob es tausend Pixel gäbe, doch hinter tausend Pixeln keine Welt.
Dieser Zustand des Digital-Sehens, des Allein-Sehens, des Zuhause-Sehens verändert unseren Blick auf Filme, auf Kinos.
Es nimmt den Zauber, die Magie und das Wundersame, das Jetzt und Hier aus den Filmen und macht aus ihnen eine Ware wie alle anderen – beliebig verfügbar, jederzeit und überall.
Aus der Nebensache und dem Notbehelf wird plötzlich die Hauptsache.
Wir können dabei gewinnen an Zeit und Tiefe und Nachhaltigkeit behauptet die Ideologie der Quarantäne jetzt schon in vorauseilendem Autoritätsgehorsam.
Aber wir Kinogeher sind in einem ganz eigenen Ausnahmezustand. Wie werden wir daraus wieder herauskommen? Als Geläuterte, Un-Abhängige? Als Traumatisierte?
Nein! Als noch viel Kino-Hungrigere. Eingeschlossen sind wir jetzt plötzlich nicht mehr ins Offene, Unbekannte, sondern ins Allzu-Vertraute.
»Die Hölle, das sind die Anderen« schrieb Jean-Paul Sartre einst in seinen Stück »Hinter geschlossenen Türen«. Aber Sartre kannte nicht Corona. Denn die wahre Hölle, das ist es, ohne die Anderen leben zu müssen; verdammt zu sein zum Allein-Sehen.
Bis dahin träumen wir den Traum vom Einbruch ins Kino – Beschaffungskriminalität in tristen Zeiten.