Gestrandet auf Corona Island
Wo bleibt die Stimme für das Kino? |
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Es war einmal… das Kinoleben | ||
(Foto: Wolf Kino) |
Erstmal vorab: Mir ist als Betreiberin des »Wolf«-Kinos in der Weserstraße in Berlin-Neukölln das gravierende Ausmaß der Pandemie auf schwächere Bevölkerungsgruppen und Länder bewusst, und meine Stellungnahme mache ich in dem Bewusstsein, dass es sich im Vergleich zu den Problemen anderer fast um ein Luxusproblem handelt. Nichtsdestotrotz ist die Situation für Kinobetreibende und Kulturschaffende existentiell.
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Wie viele andere Kinobetreiber mache ich mir gerade stündlich Gedanken, wie wir die Zukunft unseres Kinos sichern können. Dass es zäh ist und auch noch sehr lange gehen wird, ist mittlerweile klar. Dass es ohne weitere öffentliche Gelder, private Unterstützer, nachsichtige Vermieter und Darlehensgeber nicht weitergehen wird, ist leider auch klar. Dennoch sehe ich die aktuelle »Larifari-Phase«, in der Politiker und Entscheidungsträger das Kino hintanstellen, als symptomatisch für ein Problem, das schon vor Corona da war.
Wieder einmal befinden wir Kulturschaffenden uns in einer prekären Lage, die man ständig erklären und ausbuchstabieren muss. Ja, Kino ist ein unersetzbarer sozialer und kultureller Ort der Begegnung. Nein, Kino kann nicht durch Online-Streaming, Autokino, Open Air und Hauswandprojektionen ersetzt werden. Kinobetreiber tragen nicht immer einen Beamer und eine Handvoll Filme in der Tasche.
Wir wollen den Ort Kino, den wir mit viel Mühe an ganz unterschiedlichen Stellen unter ganz unterschiedlichen Bedingungen geschaffen haben, nicht aufgeben. Wir wollen, dass unsere treuen Besucher bald wieder in den Genuss unseres Ortes kommen und ihn nicht woanders suchen müssen. Das Zusammentreffen der Nachbarn in unserer Café-Bar oder dem Kinosaal von »Wolf« ist nicht ersetzbar – und wir werden vermisst.
Ein Kino zu betreiben, das sieben Tage die Woche für 10-14 Stunden jeden Tag des Jahres geöffnet hat, bedeutet, dass man ein tolles und vom Ideellen getragenes Team braucht, das sich mit Mindestlohn, und dies meist als Nebenverdienst, zufriedengibt. Die Einstellungsverhältnisse sind demnach meistens im Bereich »Minijob« oder »Werkstudent«. Man selber zahlt sich auch nicht immer aus, vor allem nicht nach einem dürren Sommer. Ohne Kinoprogrammpreise, Europa Cinemas und andere Fördermittel kämen Kinos meistens nicht durch, zumindest nicht, wenn sie ein eigenes, künstlerisches Programm fahren und keine Blockbuster zeigen.
Dass zur Coronakrise das Kurzarbeitergeld nicht angepasst wurde, damit es auch Minijobber und Studenten beinhalte, und der Corona-Zuschuss für Kleinunternehmer nur für Betriebsausgaben angewandt werden darf, hat dazu geführt, dass viele Kinos und auch gastronomische Betriebe innerhalb kürzester Zeit ihr Personal haben gehen lassen müssen. Diesen Punkt hat das »Wolf«-Kino nun auch schon fast erreicht.
Mit der Pressekonferenz am vergangenen Dienstag des Berliner Senats, die von der »Berliner Zeitung« und dem »Tagesspiegel« erst so interpretiert wurde, dass Kinos erst nach dem 31. Juli an eine Öffnung denken dürfen – die von anderen so interpretiert wurde, dass man sich das Ganze am 10. Mai noch einmal überlegt, ist exemplarisch für den Stellenwert, den Kinos bei den Entscheidungsträgern haben: Sie siedeln sich ganz peripher an, weit hinter Start-ups, Museen, Theatern und Opern, irgendwo da. In vielen Artikeln und Pressekonferenzen wird das Kino nicht einmal genannt.
Dass unser Metier schwer einzuordnen scheint, zeigt sich an dem Spagat, den das Kino immer wieder zwischen Wirtschaft und Kultur machen muss. Oft sind Kinos zwar als Firma registriert, leisten aber wertvolle kulturelle Arbeit und machen keinen nennenswerten Profit. Wir sind schon lange in einer selbstausbeuterischen, prekären Lage, um eine Zukunft für die Filmkunst zu erkämpfen. Deshalb droht nach zwei oder drei Monaten Komplettausfall für viele Kinos der Untergang.
Es gibt gute und richtige Ansätze – deren Details sicher noch feiner und komplexer gefächert sein könnten, um der Vielfalt einer Kunst-und Wirtschaftsfilmbranche gerecht zu werden –, die dem Bundestag jetzt zum Beispiel durch die FDP vorgelegt werden, die SPIO-Chef Thomas Negele und der Filmkritiker Bert Rebhandl jeweils in der FAZ skizziert haben, und an denen die AG Kino derzeit arbeitet. Dennoch mache ich mir große Sorgen, dass gerade in gefühlter Zeitlupe gearbeitet wird – während wir keine andere Wahl haben, als drastische Maßnahmen wie Kündigungen und krasse Betriebsverkleinerungen durchzuführen. Ein Signal der Politik wäre es, uns zu versichern, dass es weitere Hilfspakete geben wird, und zwar keine zinslosen Darlehen, sondern reelle Zuschüsse. Wir brauchen dringend ein solches Signal, ein Signal, das unmissverständlich deutlich macht, dass unsere Sorgen ernstgenommen werden und es konkrete, verlässliche Termine zur Wiederaufnahme unseres Betriebs gibt. Dass wir auch mit Zuschüssen in der Anlaufphase rechnen können und über nachhaltige Mittel nachgedacht wird, wie man uns auch in der Zukunft aus dem permanenten Prekariat hieven kann.
Sicher wird es noch bis ins neue Jahr dauern, bis wir mit voller Auslastung der Kinosäle arbeiten können und das eine oder andere Trauma hinter uns lassen. Aber wenn wir es richtig anpacken dürfen, mit der adäquaten Unterstützung, dann könnte ein viel spannenderes, eigeneres Filmprogramm mit einem noch offeneren Publikum das Ergebnis sein.
Dazu gehört dann auch, dass kulturelle Förderungen wie die »Spartenoffene Förderung« in Berlin ihre Ansage revidiert, die Förderung für 2020/21 zu streichen, um das Geld sofort an Kulturschaffende auszuschütten mit dem gut gemeinten Vorsatz, sie aus einer Notsituation zu holen. Diese Art von Nothilfe sollte nicht aus den Budgets bestehender Fördermittel genommen werden.
Wir werden kulturelle Förderungen mehr denn je brauchen. Nach der Corona-Stille müssen Kinos noch viel kreativere Programme gestalten, um sich von dem Filmstartchaos abzuheben, welches unweigerlich da sein wird nach dem plötzlichen Streamen neuer Kinofilme und dem Ausfall großer Festivals, die normalerweise die neuen Filme auf den Radar des Publikums bringen. Und zu guter Letzt auch, um unsere eigene Motivation für besondere Programme zu steigern. Wenn uns die Politik jetzt aus den für kulturelle Projekte angedachten Fördertöpfen unterstützt, haben wir keine Perspektive für eine künstlerisch diverse Kinozukunft.
Ein Gastbeitrag von Verena von Stackelberg, Gründerin und Geschäftsführung von Wolf Kino, Berlin. Sie ist Mitglied im Filmauswahlteam für den Berlinale Wettbewerb und Encounters, außerdem Gründungsmitglied des Hauptverband Cinephilie.