30.04.2020

Wider die Kulturdürre

Leere Leinwand
Leere Leinwand: so soll es wohl erst einmal weitergehen
(Foto: Dunja Bialas)

Die Kultur steht in Exitplänen an letzter Stelle. In einem offenen Brief fordern jetzt neun Bundesverbände der Filmbranche eine Gewinnabgabe der großen Streamingdienste

Von Dunja Bialas

Mitten in die still­ge­legte Corona-Zeit erreicht uns eine obszöne Nachricht: das Plei­te­pro­jekt BER – Berliner Flughafen kann nun – endlich – eröffnet werden. Gerade noch hat die Lufthansa AG vorge­rechnet, dass sie pro Stunde (!) einen Verlust von einer Million Euro einfährt, und erbittet nun vom Staat eine 10-Milli­arden-Euro-Hilfe. In Zeiten der Reise­be­gren­zungen und der sich abzeich­nenden »größten Rezession der Nach­kriegs­zeit« (Bundes­agentur für Arbeit am 29.4.20) klingt die Eröffnung eines schon jetzt finan­ziell desaströsen Flug­ha­fens nach welt­fremdem und gesell­schafts­ver­ach­tendem Zynismus. Wie ein Zombie entsteigt der BER nun seinem selbst­ge­schau­felten Grab und hält Ausschau nach frischen Flug­gästen.

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»Wenn alles ange­halten ist«, schreibt der fran­zö­si­sche Philosoph Bruno Latour in »Analyse Opinion Critique« »kann auch alles in Frage gestellt, in eine neue Richtung gebracht, ausge­wählt, verworfen, für immer abge­stellt – oder aber beschleu­nigt werden. Jetzt ist der Zeitpunkt, in Inventur zu gehen. Auf die Bitte: 'Lasst uns die Produk­tion so schnell wie möglich wieder aufnehmen', müssen wir mit einem Aufschrei antworten: 'Bloß nicht!' Das Letzte, was wir jetzt tun sollten, wäre genau so weiter­zu­ma­chen wie zuvor.«

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Eine Nachricht wie die vom Flughafen mag als Ironie der Pandemie erscheinen, ist aber durchaus ein Symptom dafür, welche Prio­ri­täten in dem bevor­ste­henden Exit absehbar gesetzt werden. Gerade haben drei Bundes­länder (NRW, BW und Nieder­sachsen) einen Stufen­plan für das »Opening up« (siehe Donald Trump: »Open America up again!«) aufge­stellt. Demgemäß sollen als erstes öffnen: die Zoos, Garten­schauen, Museen und Mini­golf­an­lagen (!). Ausflugs­schiffe sollen außerdem wieder fahren dürfen. Danach, in Stufe zwei, kommen dran: Restau­rants, Cafés, Bier­gärten, Imbisse und Hotels. Last, and least dürfen auch Theater, Konzer­t­häuser, Kinos »und andere Kultur­ver­an­stal­tungen« ihren Betrieb aufnehmen. Ach ja: und Schwimm­bäder.

Ein Gesicht habe ich in den Wochen, in denen ich nun regel­mäßig Nach­richten gucke, zu iden­ti­fi­zieren gelernt: Ingrid Hartges mit ihrer sonnen­ge­gerbten Haut. Sie betreibt als Haupt­ge­schäfts­füh­rerin des entspre­chenden Verbands intensiv Lobby­ar­beit für das Hotel- und Gast­stät­ten­ge­werbe, mit regel­mäßigen Auftritten in der »Tages­schau«. Ihr Werben zeigt nun Erfolg, und das ist natürlich schön. Auch ich freue mich darauf, dass dann bald, wenn erst einmal Stufe 2 einge­leitet wird, meine geliebte Favorit-Bar wieder aufmachen kann. Was wird das für ein Wieder­sehen mit den Freunden! Oder ist am Ende nur die Touristik-Gastro­nomie gemeint? Dann mache ich eben eine Dampf­er­fahrt über den Starn­berger See, zusammen mit den Rentnern, die das dann endlich wieder dürfen.

Was dagegen scheinbar keine Lobby hat, ist die Kultur. Zumindest ignoriert die Politik beharr­lich alle Inter­ven­tionen der unter­schied­li­chen Verbände und nennt in der geführten »Öffnungs­dis­kus­si­ons­orgie« (Angela Merkel) Kultur immer an letzter Stelle, wenn überhaupt. Aber auch wenn die Häuser – Theater, Oper, Konzert, Kino – irgend­wann einmal wieder öffnen dürfen, droht eine Kultur­dürre. Es darf beispiels­weise nicht geprobt werden: die Choristen, Violo­nisten, Paukisten und Balle­rinas halten Mund, Hände und Füße still. Statt­dessen sieht man jetzt zum Ende der Nach­richten erbau­liche Kammer-Konzerte, in denen virtuell zusammen musiziert wird. Das ist kaum kaschierte Propa­ganda, dass der Verlust der Kultur durch derartige »Events« zu substi­tu­ieren sei. Da wird dann auch der Stel­len­wert ablesbar, die Kultur angeblich in der öffent­li­chen Meinung hat (wenn es nach der »Tages­schau« und dem »heute journal« ginge): Kultur ist irgendwie niedlich, dient zu unserer Unter­hal­tung, und wird schamlos zum Hobby degra­diert.

Noch schlechter steht es um den Film. Während eine ganze Branche – Schau­spieler, Regis­seure, die Gewerke, Kino­be­treiber und Verleiher – daran gehindert wird, den Beruf auszuüben, hat Netflix im ersten Quartal 2020 seinen Gewinn um 200 Millionen auf über 700 Millionen Dollar gestei­gert und fast 16 Millionen neue Abon­nenten bekommen. Den pünktlich zum Shutdown gestar­teten Streaming-Dienst Disney+ haben in wenigen Wochen weltweit 50 Millionen Menschen abonniert.

Neun bundes­weite Verbände und Orga­ni­sa­tionen haben jetzt einen offenen Brief an Staats­mi­nis­terin Monika Grütters und den Vorsit­zenden der Kultus­mi­nis­ter­kon­fe­renz Bernd Sibler verfasst. In ihm fordern sie folge­richtig »eine Soli­da­ri­täts­ab­gabe durch die Strea­ming­dienste und Netz­pro­vider und – sofern angezeigt – durch die öffent­lich-recht­li­chen und privaten Sender«. Gezeichnet wurde das Papier u.a. von der AG Dok, der AG Film­fes­tival, der AG Kurzfilm, dem Bundes­ver­band kommunale Film­ar­beit, dem Bundes­ver­band Regie, dem Haupt­ver­band Cine­philie, dem Verband der deutschen Film­kritik und Crew United, das u.a. die Gewerke vertritt – Vertreter all derer, die von dem coro­nabe­dingten Berufs­verbot mittel- oder unmit­telbar betroffen sind.

Während die Film­branche dem Untergang preis­ge­geben wird, weil sie »nicht system­re­le­vant« ist, wurd der größte Profiteur der Krise nur wider­willig Teil des Systems. Reed Hastings, Gründer von Netflix, hatte sich in der Vergan­gen­heit gericht­lich gegen eine seit 2016 bestehende Regelung der Film­för­de­rung gewehrt, nach der auch Video­dienste ohne Sitz in Deutsch­land in die Film­för­de­rung einzahlen müssen. Seit September 2019 muss nun auch Netflix eine Film­ab­gabe an die Film­för­de­rungs­an­stalt (FFA) bezahlen, wie dies bereits Amazon tut, während sich die Strea­ming­dienste von Apple, Google Play Movies noch sträuben – Disney Plus ist gerade erst dazu gekommen. Eine Rein­ves­ti­tion der Gewinne geschieht im Falle von Netflix und Amazon in der Form eigener Produk­tionen. Wohin­gegen die Kinos über die Hälfte ihrer Einnahmen den Verlei­hern über­lassen und ebenfalls die FFA-Film­ab­gabe bezahlen. Netflix über­springt diesen Punkt der Produk­tions-und Verwer­tungs­kette, womit das Geld dann, bis auf die FFA-Abgabe, ganz in die eigene Tasche fließen kann. Festivals, sofern sie dazu bereits sind, nimmt Netflix hingegen gerne mit: schließ­lich verschaffen Preise Prestige und später entspre­chende Einschalt­quoten – die jedoch nicht offen­ge­legt werden.

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Wenn wir jetzt die Chance haben, unserem Denken und Tun eine andere Richtung zu geben, dann sollten wir nicht in alte Fahr­wasser verfallen, schreibt Bruno Latour. Momentan steht nur fest, dass wir gelernt haben, uns richtig die Hände zu waschen. Vieles deutet außerdem darauf hin, siehe Berliner Flughafen, dass die wirt­schaft­li­chen Motoren, sobald es die Hygie­ne­be­din­gungen erlauben, wieder auf Hoch­touren gebracht werden. Es muss schließ­lich wieder weiter­gehen.

Die Utopie – die uns mehr denn je zum Greifen nahe ist – aber wäre ein System, in dem alles glei­cher­maßen wichtig ist: die Wirt­schaft, der Sport, das Essen und Trinken, die Natur und die Kultur. Das wäre dann: weniger kapi­ta­lis­ti­scher Egoismus, mehr Soli­da­rität. Vereinte Kräfte, die sich gegen den Klima­wandel stemmen wie jetzt gegen das Coro­na­virus. Und Kinos und Theater, plötzlich so wichtig wie Bier­gärten, Minigolf und Ausflugs­schiffe.