Wider die Kulturdürre |
||
Leere Leinwand: so soll es wohl erst einmal weitergehen | ||
(Foto: Dunja Bialas) |
Von Dunja Bialas
Mitten in die stillgelegte Corona-Zeit erreicht uns eine obszöne Nachricht: das Pleiteprojekt BER – Berliner Flughafen kann nun – endlich – eröffnet werden. Gerade noch hat die Lufthansa AG vorgerechnet, dass sie pro Stunde (!) einen Verlust von einer Million Euro einfährt, und erbittet nun vom Staat eine 10-Milliarden-Euro-Hilfe. In Zeiten der Reisebegrenzungen und der sich abzeichnenden »größten Rezession der Nachkriegszeit« (Bundesagentur für Arbeit am 29.4.20) klingt die Eröffnung eines schon jetzt finanziell desaströsen Flughafens nach weltfremdem und gesellschaftsverachtendem Zynismus. Wie ein Zombie entsteigt der BER nun seinem selbstgeschaufelten Grab und hält Ausschau nach frischen Fluggästen.
+ + +
»Wenn alles angehalten ist«, schreibt der französische Philosoph Bruno Latour in »Analyse Opinion Critique« »kann auch alles in Frage gestellt, in eine neue Richtung gebracht, ausgewählt, verworfen, für immer abgestellt – oder aber beschleunigt werden. Jetzt ist der Zeitpunkt, in Inventur zu gehen. Auf die Bitte: 'Lasst uns die Produktion so schnell wie möglich wieder aufnehmen', müssen wir mit einem Aufschrei antworten: 'Bloß nicht!' Das Letzte, was wir jetzt tun sollten, wäre genau so weiterzumachen wie zuvor.«
+ + +
Eine Nachricht wie die vom Flughafen mag als Ironie der Pandemie erscheinen, ist aber durchaus ein Symptom dafür, welche Prioritäten in dem bevorstehenden Exit absehbar gesetzt werden. Gerade haben drei Bundesländer (NRW, BW und Niedersachsen) einen Stufenplan für das »Opening up« (siehe Donald Trump: »Open America up again!«) aufgestellt. Demgemäß sollen als erstes öffnen: die Zoos, Gartenschauen, Museen und Minigolfanlagen (!). Ausflugsschiffe sollen außerdem wieder fahren dürfen. Danach, in Stufe zwei, kommen dran: Restaurants, Cafés, Biergärten, Imbisse und Hotels. Last, and least dürfen auch Theater, Konzerthäuser, Kinos »und andere Kulturveranstaltungen« ihren Betrieb aufnehmen. Ach ja: und Schwimmbäder.
Ein Gesicht habe ich in den Wochen, in denen ich nun regelmäßig Nachrichten gucke, zu identifizieren gelernt: Ingrid Hartges mit ihrer sonnengegerbten Haut. Sie betreibt als Hauptgeschäftsführerin des entsprechenden Verbands intensiv Lobbyarbeit für das Hotel- und Gaststättengewerbe, mit regelmäßigen Auftritten in der »Tagesschau«. Ihr Werben zeigt nun Erfolg, und das ist natürlich schön. Auch ich freue mich darauf, dass dann bald, wenn erst einmal Stufe 2 eingeleitet wird, meine geliebte Favorit-Bar wieder aufmachen kann. Was wird das für ein Wiedersehen mit den Freunden! Oder ist am Ende nur die Touristik-Gastronomie gemeint? Dann mache ich eben eine Dampferfahrt über den Starnberger See, zusammen mit den Rentnern, die das dann endlich wieder dürfen.
Was dagegen scheinbar keine Lobby hat, ist die Kultur. Zumindest ignoriert die Politik beharrlich alle Interventionen der unterschiedlichen Verbände und nennt in der geführten »Öffnungsdiskussionsorgie« (Angela Merkel) Kultur immer an letzter Stelle, wenn überhaupt. Aber auch wenn die Häuser – Theater, Oper, Konzert, Kino – irgendwann einmal wieder öffnen dürfen, droht eine Kulturdürre. Es darf beispielsweise nicht geprobt werden: die Choristen, Violonisten, Paukisten und Ballerinas halten Mund, Hände und Füße still. Stattdessen sieht man jetzt zum Ende der Nachrichten erbauliche Kammer-Konzerte, in denen virtuell zusammen musiziert wird. Das ist kaum kaschierte Propaganda, dass der Verlust der Kultur durch derartige »Events« zu substituieren sei. Da wird dann auch der Stellenwert ablesbar, die Kultur angeblich in der öffentlichen Meinung hat (wenn es nach der »Tagesschau« und dem »heute journal« ginge): Kultur ist irgendwie niedlich, dient zu unserer Unterhaltung, und wird schamlos zum Hobby degradiert.
Noch schlechter steht es um den Film. Während eine ganze Branche – Schauspieler, Regisseure, die Gewerke, Kinobetreiber und Verleiher – daran gehindert wird, den Beruf auszuüben, hat Netflix im ersten Quartal 2020 seinen Gewinn um 200 Millionen auf über 700 Millionen Dollar gesteigert und fast 16 Millionen neue Abonnenten bekommen. Den pünktlich zum Shutdown gestarteten Streaming-Dienst Disney+ haben in wenigen Wochen weltweit 50 Millionen Menschen abonniert.
Neun bundesweite Verbände und Organisationen haben jetzt einen offenen Brief an Staatsministerin Monika Grütters und den Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz Bernd Sibler verfasst. In ihm fordern sie folgerichtig »eine Solidaritätsabgabe durch die Streamingdienste und Netzprovider und – sofern angezeigt – durch die öffentlich-rechtlichen und privaten Sender«. Gezeichnet wurde das Papier u.a. von der AG Dok, der AG Filmfestival, der AG Kurzfilm, dem Bundesverband kommunale Filmarbeit, dem Bundesverband Regie, dem Hauptverband Cinephilie, dem Verband der deutschen Filmkritik und Crew United, das u.a. die Gewerke vertritt – Vertreter all derer, die von dem coronabedingten Berufsverbot mittel- oder unmittelbar betroffen sind.
Während die Filmbranche dem Untergang preisgegeben wird, weil sie »nicht systemrelevant« ist, wurd der größte Profiteur der Krise nur widerwillig Teil des Systems. Reed Hastings, Gründer von Netflix, hatte sich in der Vergangenheit gerichtlich gegen eine seit 2016 bestehende Regelung der Filmförderung gewehrt, nach der auch Videodienste ohne Sitz in Deutschland in die Filmförderung einzahlen müssen. Seit September 2019 muss nun auch Netflix eine Filmabgabe an die Filmförderungsanstalt (FFA) bezahlen, wie dies bereits Amazon tut, während sich die Streamingdienste von Apple, Google Play Movies noch sträuben – Disney Plus ist gerade erst dazu gekommen. Eine Reinvestition der Gewinne geschieht im Falle von Netflix und Amazon in der Form eigener Produktionen. Wohingegen die Kinos über die Hälfte ihrer Einnahmen den Verleihern überlassen und ebenfalls die FFA-Filmabgabe bezahlen. Netflix überspringt diesen Punkt der Produktions-und Verwertungskette, womit das Geld dann, bis auf die FFA-Abgabe, ganz in die eigene Tasche fließen kann. Festivals, sofern sie dazu bereits sind, nimmt Netflix hingegen gerne mit: schließlich verschaffen Preise Prestige und später entsprechende Einschaltquoten – die jedoch nicht offengelegt werden.
+ + +
Wenn wir jetzt die Chance haben, unserem Denken und Tun eine andere Richtung zu geben, dann sollten wir nicht in alte Fahrwasser verfallen, schreibt Bruno Latour. Momentan steht nur fest, dass wir gelernt haben, uns richtig die Hände zu waschen. Vieles deutet außerdem darauf hin, siehe Berliner Flughafen, dass die wirtschaftlichen Motoren, sobald es die Hygienebedingungen erlauben, wieder auf Hochtouren gebracht werden. Es muss schließlich wieder weitergehen.
Die Utopie – die uns mehr denn je zum Greifen nahe ist – aber wäre ein System, in dem alles gleichermaßen wichtig ist: die Wirtschaft, der Sport, das Essen und Trinken, die Natur und die Kultur. Das wäre dann: weniger kapitalistischer Egoismus, mehr Solidarität. Vereinte Kräfte, die sich gegen den Klimawandel stemmen wie jetzt gegen das Coronavirus. Und Kinos und Theater, plötzlich so wichtig wie Biergärten, Minigolf und Ausflugsschiffe.