11.05.2020

Der Motor der Improvisation

Eddy
Atmosphärisch: Musik zum Sehen, und Hören, natürlich
(Foto: Netflix)

Damien Chazelle hat die Jazz-Serie »Eddy« produziert und in zwei Folgen selbst Regie geführt. Ein atmosphärischer, ungewöhnlich naher Wurf

Von Jens Balkenborg

Dass es so etwas wie einen Netflix-Stil gibt, fällt umso mehr auf, wenn Origi­nal­pro­duk­tionen des Streaming-Giganten aus dem Rahmen fallen. Die eigenen Produk­tionen sprechen ja gerne eine kosmo­po­li­ti­sche Bild­sprache; sie sehen hoch­wertig aus, sind aller­dings selten besonders innovativ oder gar radikal gefilmt, was sicher auch der Produk­ti­ons­tak­tung und -zeit geschuldet sein mag. Doch wie gesagt: Die Ausnahmen bestä­tigen die Regel. Man denke etwa an »Uncut Germs«, in dem die Safdie-Brüder einen oscar­würdig aufspie­lenden Adam Sandler mit haltlosem Hand­ka­mera-Look durch die New Yorker Unterwelt jagen.

Und jetzt »The Eddy«. Mit hekti­schen Bildern geht es gleich hinein in den namens­ge­benden Pariser Jazz-Club. Wir folgen Elliot Udo (André Holland) vom Eisau­to­maten bis vor die Bühne, die Kamera taxiert die Mitglieder der swin­genden Hausband, die Bilder sind rau und haltlos und doch warm. Musik und Bild, davon erzählen diese ersten Sekunden, sind eng verzahnt in »The Eddy«: das Leben als Free Jazz, gefilmt auf 16mm-Material.

Dass die ersten beiden Folgen von Damien Chazelle insze­niert wurden, wundert nicht. Denn auch wenn die von Jack Thorne geschrie­bene Serie, die in der Pariser Banlieue im multi­kul­tu­rellen Einwan­derer-Milieu spielt, weit entfernt ist vom knalligen Musi­cal­mär­chen La La Land, ist Chazelle ein durch und durch musi­ka­li­scher Regisseur. Der Franko-Ameri­kaner versteht es wie kein zweiter, Musik in (filmische) Bewegung zu über­setzen. Was trans­por­tieren Whiplash und La La Land für eine Energie! Die weiteren Folgen, jeweils zwei, wurden von Houda Benyamina (Divines), Laïla Marrakchi (Marock) und Alan Poul (Six Feed Under) in Szene gesetzt. Auch das erweist sich als Glücks­griff, denn dadurch wechselt das erzäh­le­ri­sche Timbre über die Episoden hinweg leicht.

»The Eddy« handelt von Impro­vi­sa­tion, auf der Bühne wie im Leben. Jede Folge der acht­tei­ligen Miniserie stellt eine andere mit dem Club verban­delte Person in den Mittel­punkt. Wir lernen den New Yorker Jazz­pia­nisten Elliot kennen, der den Club mit seinem besten Kumpel und Geschäfts­partner Farid (Tahar Rahim) leitet, seine halb­erwach­sene Tochter Julie (Amandla Stenberg), die aus New York zum Vater nachzieht, oder Band­mit­glieder wie den Bassisten Jude (gespielt vom kuba­ni­schen Musiker Damian Nueva Cortés), die polnische Sängerin Maja (Joanna Kulig) und die kroa­ti­sche Schlag­zeu­gerin Katarina (Lada Obradovic).

»The Eddy« ist ein serielles Konzept­album, erzählt aus unter­schied­li­chen Perspek­tiven. Den Rahmen bilden die Gescheh­nisse um die Band auf dem Weg zum ersten Album und um den Club. Farid muss für seinen Deal mit zwei­fel­haften Typen teuer bezahlen, die schließ­lich auch Elliot auf den Pelz rücken. Die sich entwi­ckelnde Crime-Story läuft quasi nebenher, Haupt­schau­platz der Serie bleiben dabei aber die Menschen. Plot­ge­trieben ist hier wenig, »The Eddy« lässt sich Zeit für die unter­schied­li­chen Typen und bringt multi­kul­tu­rellen Sozi­al­rea­lismus mit filmi­scher Über­spit­zung und Musi­ka­lität zusammen. Da prallen dann in einer wilden Paral­lel­mon­tage unter anderem mal Eska­la­ti­ons­stufen einer betrun­kenen Julie auf eine grimmige Free-Jazz-Nummer der Band.

»The Eddy« ist nicht perfekt: nicht alle Folgen sind gleich stark, manches wirkt überdreht, manches selbst­ver­liebt. Aber Perfek­tion ist auch nicht der Motor von Impro­vi­sa­tion, sondern Gefühl und Drive. Und genau das lässt »The Eddy« so lebendig erscheinen. Für Höhen­flüge muss es auch mal knarzen. Man folgt den Figuren gerne durch dieses ruppige Paris, das so gar nichts von der oft beschwo­renen roman­ti­schen Post­karten-Stadt hat. Und diese Musik! Unter den rund zwanzig von Glen Ballard und Randy Kerber extra für den Film kompo­nierten Stücken sind einige Perlen, die sich in die Gehör­gänge brennen. Und wenn es dann in der letzten Folge dieser Serie, die so oft so angenehm unvor­her­sehbar ist, endlich zu jenem Moment kommt, den man doch erwartet: Das kann einfach niemanden kalt­lassen.