Seelenritt durch eine Nacht |
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Fassbinder lümmelt legendär im Fauteuil, anno 1978 | ||
(Foto: Filmgalerie 451) |
Von Dunja Bialas
Eine ganze Nacht lang dauerte das Gespräch mit Rainer Werner Fassbinder, das der dänische Filmregisseur Christian Braad Thomsen mit ihm 1978 in Cannes geführt hat. Fassbinder – Lieben ohne zu fordern hat Thomsen sein filmisches Nahportrait genannt, das er 2015, zum 70. Geburtstag von RWF realisiert hat. Im selben Jahr erschien auch Annekatrin Hendels Dokumentarfilm Fassbinder. Der Unterschied zwischen den Filmen ist gewaltig. Während Hendel – eigentlich eine sehr gute Dokumentarfilmregisseurin – artig die biographischen Stationen Fassbinders entlang der Frauen, die seinen Weg begleit haben, nachzeichnet und immer wieder auch Juliane Lorenz, Herrscherin der Fassbinder-Foundation und nebenbei Auftraggeberin des Films, vorteilhaft ins Bild rückt, realisierte Thomsen seinen seelischen Fassbinder-Tiefgang ganz und gar an der potenten Nachlassverwalterin vorbei. Vielleicht ein Grund, weshalb der Film bei uns nie ins Kino kommen konnte, obwohl er besser und erhellender, filmischer und authentischer ist. Ein Film nicht über Fassbinder, sondern wie Fassbinder Filme wollte: ein Film mit. So schreibt es Fassbinder in seinem Text zu Douglas Sirk, in dem er den Meister der Melodramen zitiert: »Sirk hat gesagt, man kann nicht Filme über etwas machen, man kann nur Filme mit etwas machen, mit Menschen, mit Licht, mit Blumen, mit Spiegeln, mit Blut.« Nachzulesen ist das Zitat in dem Buch »Filme befreien den Kopf«, das 1984, zwei Jahre nach Fassbinders Tod, von Michael Töteberg herausgebracht wurde, der damals noch Lektor beim Verlag der Autoren war. Den hat wiederum Fassbinder mitbegründet. Das soll als kleines biographische Fragment für den bahnbrechenden und noch immer prägenden Regisseur des Neuen Deutschen Films hier genügen.
Thomsen war ein enger Freund von Fassbinder und hat ihn seit 1969, als er Fassbinder bei der Uraufführung seines ersten Films Liebe ist kälter als der Tod auf der Berlinale kennenlernte – und Fassbinder schonungslos ausgebuht wurde – , immer wieder gefilmt. Wie das gemeinsame Leben durchziehen diese Gespräche auch den Film. Es geht um die Filmologie Fassbinders, seine neue Filmsprache, die den Schnitt wieder als Schnitt sichtbar machte, die lange Einstellungen wagte und das Schweigen ermöglichte, bevor die Kamera dann plötzlich zum Schwenk ansetzt und einem das Herz stocken lässt. Es geht auch um die Kindheit, vor allem um die Mutter, Lilo Pempeit, die immer wieder in Fassbinders Filmen mitspielte, und zu der er ein eingestandenes ödipales Verhältnis hatte. Es geht um Sadomasochismus, um die Filmfamilie, um das Kino Hollywoods. Und um Douglas Sirk.
Das Centerpiece der vielen Gespräche, oft auf Tonband aufgenommen und aus dem Off zu den Filmbildern und Fotografien gespielt, zieht sich wie ein roter Faden durch den Film, es ist das Gespräch von Cannes. Drei Jahrzehnte hat Thomsen gewartet, bevor er es öffentlich machte. Ein total erschöpfter Fassbinder sitzt dort in einem ausladenden Fauteuil, in der einen Hand ein Glas, in der anderen eine Zigarette, in langen Stunden des Redens, des Schweigens, des Nachdenkens, des Trinkens und Rauchens. Immer wieder ist Fassbinder offenherzig, fast nackt, analytisch und ehrlich. Sowie die Nacht immer tiefer wird, wird sein Reden auch tiefer, innerlich. Gleichzeitig zersetzt sich seine Physis unter dem starken Einfluss von Alkohol und Kokain, während immer wieder gedankliche Lichtblitze diese dunkle Seelennacht durchzucken.
Ein Film über den Wahnsinn, nennt Thomsen selbst seinen Film, denn Fassbinder hatte im Gespräch gesagt, dass es Möglichkeiten gäbe, den Wahnsinn zu überleben. Fassbinder starb an einer »Überdosis Arbeit«, so hat es Harry Baer einmal formuliert. Baer war beim Antitheater von Fassbinder und spielte von Anfang an in seinen Filmen mit. Auch bei Thomsen kommt er zu Wort, erinnert sich, während die 1993 verstorbene Mutter direkt in der Zeit aufgenommen wurde. Eindrucksvoll ist auch Irm Hermann, die erhaben an einem Tisch sitzt, rotgoldenes Haar, eine Dame des Fassbinder-Universums, während sie von ihren seelischen Tiefgängen erzählt, wie sie gelitten hat, wie sie sich das Leben nehmen wollte. Am heutigen Donnerstag ist die große Irm Hermann verstorben, sie wurde 77 Jahre alt.
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Fassbinder hat mit Nachdruck auf den deutschen Film eingewirkt, dennoch keine Nachahmer gefunden. Sein Geheimnis war seine ureigene, unnachahmliche Handschrift. Auch Burhan Qurbanis Berlin Alexanderplatz, der ohne Corona schon längst im Kino gelaufen wäre, mit seinen deutlichen Reminiszenzen an Fassbinders Döblin-Verfilmung von 1980 (das Licht, die Farbgestaltung, die Döblin entliehene Sprache), kann nur nachahmen, auch wenn das Ergebnis beeindruckend ist.
Ein eher locker gedachter Zugang zu Fassbinders Denken und Sein scheint hier fruchtbarer, will man etwas von seiner Faszination auf die Filmemacher*innen erfahren, die bis heute ungebrochen ist, vermutlich sogar noch die Mystifizierung überhöht, die er bereits zu Lebzeiten erfuhr.
Zu Fassbinders 75. Geburtstag ist der Münchner Verein Fassbindertage e.V. wieder aktiv geworden. Er hatte sich vor fünf Jahren gegründet, um dem skandalösen Übergehen des »Münchner« Regisseurs seitens der städtischen Institutionen etwas entgegenzusetzen. 2015 taufte der Verein den Gärtnerplatz, der nahe der berühmten Schwulengaststätte Deutsche Eiche liegt, in der Fassbinder ein- und ausging, für eine Nacht in den Fassbinder-Platz um. Das musste wieder rückgängig gemacht werden. Zwar gabe es auch da schon einen Rainer-Werner-Fassbinder-Platz in der Stadt, allerdings im gesichtslosen Neubauviertel an der Arnulfstraße, das mit München nur den Breitengrad gemeinsam hat. MünchenWiki schreibt treffend: »Der Platz lädt weder zum Verweilen noch zum Staunen ein. Ebensogut könnte man glauben, man befände sich auf dem Vorfeld einer Landebahn. Fassbinder hätte dort sicher nicht eine Minute seiner Zeit verbringen wollen.«
So gibt es in München außer Fassbinders Grab auf dem kleinen Bogenhausener Friedhof keine nennenswerten denkmalhaften Spuren von ihm – während es selbstredend einen Bernd-Eichinger-Platz an einem repräsentativen Ort gibt: der Münchner Filmhochschule.
Jetzt haben die Fassbindertage in Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum München ein »Online-Benifiz-Event« zugunsten der geschlossenen Münchner Kinos gestartet und Künstler*innen aus München gebeten, Filmminiaturen zu Fassbinder zu drehen. Alle Filme entstanden unter den Corona-Bedingungen, man merkt die gewahrte Distanz zwischen den Schauspielerinnen in Jovana Reisingers Die klaffende Wunde, der noch einmal das verhaltene Fassbinder-Sprechen inszeniert, während Martha mit ihrem Schoßhündchen interessanterweise wie eine Reinkarnation von Rudolph Mooshammer mit seinem Schoßhündchen Daisy wirkt – das plüschige Tier im Film heißt Baby Ice, ein Name wie eine Münchner Signatur für alle Stenze dieser Stadt. Auch Anna McCarthy darf nicht in dem Programm fehlen. Die Münchner Künstlerin hatte bereits zum 70. Geburtstag, damals Stipendiatin der Villa Aurora, eine Fassbinder-Fantasie gedreht, Fassbinder in LaLaLand. In ihm sitzt sie breitbeinig in einem Fauteuil, wie es jetzt bei Thomsen zu sehen ist. Spirit of Fassbinder Conspiracy nennt McCarthy ihren neuen Film, ihre Hommage ist eine coronazeitgemäße Verschwörung, mit »üblich-verdächtigen halbstarken Starlets«, wie sie schreibt, die in wehenden Gewändern als Geisterbeschwörer auftreten. Gedreht wurde mit Atemmasken an Fassbinders Geburtshaus in Bad Wörishofen.
Außerdem im Programm sind Filme des Theaterregisseurs Martin Kindvater und des Schauspielers Olaf Becker (L‘anniversaire blanc mit einer Komposition von Peer Raben), von Christian Wagner (Null Komma null, gedreht auf einer ARRI 16BL, Fassbinders Kamera von Berlin Alexanderplatz), des Münchner Theaterregisseurs Emre Akal (12 QM Körperformation, Stop-Motion-Animation), der Schauspielerin Michele Cuciuffo (Traum der Seelenfrieda, eine Produktion der Fassbindertage e.V.).
Leider gibt es, wie schon zu Fassbinders 70. Geburtstag auch zum 75. keine Retrospektive. Geht man davon aus, dass alle schon Fassbinders Filme gesehen haben? Die letzte Retro liegt 25 Jahre zurück, als zu seinem 10. Todestag das Filmmuseum München seine Filme zeigte. Das ist eine ganze Generation her.
»Ich möchte gern für den Fim sein, was Shakespeare war für das Theater, Marx für die Politik und Freud für die Psychologie – einer, nach dem nichts mehr so ist wie vorher.« Ob Fassbinders Wunsch von 1977 in Erfüllung ging?