Gestrandet auf Corona Island
Das Straucheln der Giganten |
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Corona-Aus für das Colosseum in Berlin |
Von Dunja Bialas
Kaum haben die ersten Kinos wieder geöffnet, schon machen die ersten wieder dicht. Insolvenz. Wegen der Corona-Schließung. Oder sollte man lieber von Corona-Öffnung sprechen? Zwei Monate lang hielten sich die Lichtspielhäuser über Wasser – kaum sollen sie den operativen Betrieb wieder aufnehmen, ist es dahin. Dass die Schließung zum Ende des Corona-Shutdowns kommt, macht das Kino-Aus als Corona-Tod vermittelbar und ruft solidarische Sympathie hervor.
Schlagzeilen dieser Art machte soeben der große Ufa-Palast in Stuttgart. Man werde den Betrieb des Kinos nicht mehr aufnehmen, verkündete am 29. Mai Familie Riech, zwei Tage vor der offiziellen Wiedereröffnung der Kinos in Baden-Württemberg. Ihr Kino mit 13 Sälen und über 4000 Plätzen, eines der größten inhabergeführten Multiplexe Deutschlands, mache wegen der Corona-Pandemie dicht, erklärten sie. Auch wenn jetzt wieder geöffnet werden könne, erwarteten sie eine »schwierige Wiederanlaufphase, da die Filmverleiher leider alle angekündigten Filmstarts auf unbestimmte Zeit verschoben haben«. Dies führe zu einer wirtschaftlichen Situation, »die uns keine Alternative gelassen hat«.
Das lässt ein paar Fragen offen. Kein Kino wird gezwungen, zum vorgegebenen Zeitpunkt wieder zu eröffnen. Der Ufa-Palast hätte also noch einen Monat warten können und dann im Juli mit Berlin und München in die neue Filmsaison starten können. Das hätte zumindest die Inbetriebnahme solider gemacht. Einerseits. Andererseits findet sich, forscht man etwas tiefer nach, dass der Ufa-Palast schon seit längerer Zeit mit roten Zahlen zu kämpfen hatte, 2018 wurde laut North Data ein Verlust von über 500.000 Euro verbucht. Dem 1996 eröffneten Kino ging es also bereits seit längerem schlecht. Eine unattraktive Innenstadt-Randlage, die Großbaustelle von Stuttgart 21 und andere, neuere Multiplexe, die dem Kino Konkurrenz machten, haben ihm zugesetzt.
Die Ufa-Schließung offenbart dennoch, wie fragil und vulnerabel die Bestandslage der großen, inhabergeführten Kinos ist, die keinen multinationalen Konzern als Rückendeckung haben. Die Corona-Soforthilfen der Bundesländer greifen meist nur für kleinere Arthouse-Kinos, im Vorteil sind all jene, die in der A-Liga der Kinoprogrammpreise spielen. Der Sonderpreis der BKM (Bundesbeauftragte für Kultur und Medien) schüttete zum 50. Jubiläum fünf Millionen Euro an die Kinos aus, die in den vergangenen drei Jahren einen Preis erhalten haben, pro Leinwand sind das 10.000 Euro. Die hochgetunten wirtschaftlichen Betriebe der Multiplexe sind von den BKM-Preisen ausgeschlossen.
Bei den finanziellen Hilfen für die Kinos hat sich eine Lücke aufgetan, die jetzt die großen Multiplexe, die für das Gros der Einnahmen sorgen, hart trifft. Hier ist viel Geld im Spiel, das am Ende der Filmförderung fehlt. Wenn nun gerade die großen Häusern ins Straucheln kommen, reißt das, ungeachtet der Vorerkrankungen, relevante Löcher ins System. Das darf den Verantwortlichen nicht egal sein.
Auch das Colosseum in Berlin ist so ein Fall. Am 22. Mai meldete das seit 1924 als Kino existierende und unter Denkmalschutz stehende Haus Insolvenz an. Mit zehn Sälen und über 2500 Plätzen ist es ebenfalls ein Big Player im Kinogeschäft, seit 2006 im Betrieb durch die UCI-Kinowelt-Gruppe, die Teil einer komplizierten mulitnationalen Eigentümerkaskade ist. Auch dieses Kino ist inhabergeführt. Sammy Brauner übernahm es von seinem Vater, dem legendären Filmproduzenten Artur Brauner.
Allerdings meldete auch das Colosseum bereits seit Beginn des neuen Jahrtausends schlechte Zahlen, trennte sich nach einem Streit von der Cinemaxx-Kette um Hans-Joachim Flebbe und ging zu Odeon/UCI. Auch hier machte sich das Geschäftsmodell der Multiplexe selbst den Garaus: nur einen knappen Kilometer vom Colosseum entfernt hatte 2000 in der Kulturbrauerei ein Cinestar-Multiplex mit acht Sälen und über 1500 Plätzen eröffnet.
Das Problem dieser großen Kinopanzerkreuzer ist, dass sie irrsinnige Kosten produzieren. 750.000 Besucher pro Jahr hätte es gebraucht, errechnete Flebbe im Jahr 2005, um schwarze Zahlen zu schreiben. 2019 machte wiederum Cinestar Schlagzeilen, als die als Berlinale-Kinos bekannten Säle am Potsdamer Platz schließen mussten. Too big to fail: das gilt heute nicht mehr, die Mega-Multiplexe sind sogar für das Popcorn-Segment eindeutig zu groß.
In Anbetracht von Ufa und Colosseum zeigt sich jedoch auch, dass die deutschen Kinowiedereröffnungen ohne Strategie und geradezu sachfremd und kopflos durchgeführt werden. Die Vorgaben der Politik haben zu einem verheerenden Imageschaden der Lichtspielhäuser geführt. Warum beispielsweise wird die maximale Besucherzahl pro Saal in Baden-Württemberg auf 100 Leute begrenzt? In Bayern, wo das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, sollen es gar nur 50 Leute sein – für die Gastronomie, Flugzeuge oder Reisebusse gilt dergleichen nicht. Die eigentlich rigidere Schweiz erlaubt eine Obergrenze von 300 Kinobesuchern. Offensichtlicher kann die Willkür nicht sein, mit der ein Kinobesuch in Deutschland als gefährlicher als anderes eingestuft wird.
Ähnlich wie die Dehoga, der Gaststätten- und Hotellerieverband, sollten jetzt die Kinoverbände und selbstorganisierten Kino-Gemeinschaften, wie sie sich für München und das Umland gebildet haben, täglich auf der Matte der Politiker stehen. Kinos dürfen, sofern es um Corona geht, jetzt nicht dichtmachen. Stattdessen sollten sie deutlich vernehmbar die absurden Regelungen hinterfragen, sich mit anderen Kinos zusammentun und mit ihrer Fachkompetenz der Politik zusetzen. Und nicht umgekehrt!