Pflanzen ohne Wurzeln |
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»This is Us«: Vorgelebter Serien-Alltag als neues, Rassismus überwindendes Rollenmodell? | ||
(Foto: 20th Century Fox Home Entertainment) |
Von Axel Timo Purr
»Our scars do not mean we are broken. They are proof we are healed.«
– Jas Waters
Sieht man sich Arthur Jafas 7-minütige Video-Installation Love Is The Message, The Message Is Death im Museum of Contemporary Art in Chicago an, in der Jafa Video-Clips aus Jahrzehnten normalen afro-amerikanischen Alltags gegen Szenen von außergewöhnlicher Gewalt gegenüber afro-amerikanischen Körpern schneidet, oder hat man im letzten Jahr die Art Biennale in Venedig besucht und dort die ästhetisch und inhaltlich ähnlich beeindruckenden Zwei-Kanal-Videos BLKNWS von Kahlil Joseph gesehen, eine Nachrichtensender-Variante von Arthur Jafas Videoarbeit, die in ihrer Analyse und Darstellung von rassistisch konnotierter »Blackness« in den USA aber dann auch fast so etwas wie einen Lösungsvorschlag zur angespannten Lage zwischen Schwarz und Weiß suggerieren, und hat man dann vielleicht auch noch das letztjährige Sundance-Filmfestival besucht, bei dem eine Dokumentation wie Always In Season von Jacqueline Olive über eine bis in die Gegenwart reichende Lynchjustiz gegenüber Afro-Amerikanern und die Weltpremiere von Rashid Johnsons Native Son einen Diskurs darüber auslösten, wie man denn nun am besten über alltäglichen Rassismus sprechen, schreiben und Filme machen soll, so kann man sich nur an den Kopf fassen.
Denn schon vor dem letzten Sundance-Festival rollte ja bereits eine dichte, fast alle Genres bedienende Welle von US-amerikanischen Filmen über die Welt, die afro-amerikanische Selbstermächtigung thematisierten und sich kritisch mit Geschichte und Gegenwart von Rassismus in Amerika auseinandersetzten. Von Moonlight (2016) über I Am Not Your Negro (2016), Black Panther (2018) Get Out, (2017), BlacKkKlansman (2018), Green Book (2018) oder If Beale Street Could Talk (2018) war so ziemlich alles dabei, was man sich nur wünschen kann. Und nicht nur das, mit The Hate U Give wurde endlich auch der Jugendfilm bedient, ein nicht zu unterschätzender Faktor. Denn wie soll man Bewusstsein verändern, ohne in die frühe Sozialisierungsphase eines Menschen einzugreifen?
Und George Tillman Jrs 2018 erschienener The Hate U Give ist ein geradezu idealer Stoff, um zu politisieren, das zeigte bereits die 2017 erschienene literarische Vorlage, der gleichnamige Jugendroman von Angie Thomas, der es über einen furiosen Einsatz von Slang und ein vielleicht
etwas zu schematisch und pädagogisch ausgerichtetes Narrativ geschafft hatte, sich weit über ein jugendliches Zielpublikum hinaus über 50 Wochen lang auf der Bestseller-Liste der New York Times zu halten.
Tillmans hält sich dicht an die literarische Vorlage, die ja beides ist, einerseits klassischer Post-Blackness-Roman, andrerseits klassische Coming-of-Age-Literatur.
Auch im Film sehen wir beide Narrative eng miteinander verwoben, folgen wir dem akribisch genau geschilderten Alltag der 16-jährigen Afro-Amerikanerin Starr Carter (Amandla Stenberg), die sich trotz ihrer Vaters Maverick (Russell Hornsby), der sie seit ihrer frühesten Kindheit mit den Ideen und Regularien der Black-Panther-Bewegung konfrontiert und drillt, jugendliche
Leichtigkeit bewahrt hat.
Ihr Vater hat sich von seiner Gang-Vergangenheit zwar emanzipiert und hat einen kleinen Laden im »schwarzen« Viertel und will – obwohl finanziell eigentlich zu einem Umzug in eine bessere Gegend prädestiniert – dort auch wohnen bleiben, auch wenn Starrs Mutter Lisa (Regina Hall) sich immer wieder dagegen ausspricht. Dafür darf Starr eine »bessere«, also »weiße« Schule besuchen, um im späteren Leben alle Chancen zu haben. Ähnlich wie im Roman benutzt auch Tilman die Sprache, um aufzuzeigen, wie verfahren die Lage ist, wie schwer die Grenzgänge zwischen den Parallelwelten sich gestalten. Wechselt Starr in ihrer Familie und zwischen Freunden fließend von normalem Hochenglisch zum Hood-Slang, bewegt sie sich in ihrer Schule auf schwierigerem Terrain. Hier sprechen zwar alle (weißen) Schüler Hood-Slang, um cool zu sein, Starr jedoch muss gerade hier penibel auf ihr Hochenglisch achten, um nicht an Achtung zu verlieren. Diese tragische Groteske, in der Sprache zu einem verdrehten Ghetto wird, zeigt sich auch in anderen basalen Alltäglichkeiten wie dem Essen. Hier müssen Starr und ihr Bruder Starrs weißem Freund Chris (K. J. Apa) vor einem ersten Besuch bei Starrs Vater genau erklären, was in afro-amerikanischem Kontext Beilage und was Hauptspeise ist.
Diese genauen ethnografischen Beobachtungen gehören zu den stärksten Szenen von The Hate U Give, weil sie gerade in ihrer Alltäglichkeit zeigen, wie weit der Graben zwischen weiß-amerikanischer und afro-amerikanischer Kultur auseinanderklafft. Die eigentliche Dramatisierung der Handlung und Politisierung Starrs geschieht dann über schon fast stereotyp zu nennende und dann doch nur allzu wahre Muster, als Starr miterleben muss, wie ihr alter Jugendfreund Khalil (Algee Smith) bei einer »Routinekontrolle« der Polizei neben ihr erschossen wird. Erst jetzt begreift Starr nicht nur die 10 »Gebote« der Black Panther, sondern auch die von ihrem Vater streng vorgetragenen Verhaltensregeln für ein Überleben als Mensch mit schwarzer Hautfarbe, sondern versteht vor allem, dass man als Schwarzer von Weißen nicht nach inneren Werten erkannt wird, sondern stets nach dem Äußeren, der Hautfarbe, die sich nun mal beim besten Willen nicht »akkulturieren« lässt.
Die verzweifelte Wucht, mit der ein »Jugendfilm« wie The Hate U Give seine Geschichte erzählt, lässt das Thema Rassismus so aktuell und virulent erscheinen, dass man fast vergessen könnte, dass die gegenwärtige Welle an Filmen nicht der erste, verzweifelte Versuch Hollywoods ist, sich von der Geißel rassistischen Denkens zu befreien, dass es mit dem New Black Cinema in den 1980ern und 1990ern ja schon einmal soweit war.
Mit Spike Lees und John Singletons Werken erhielten erstmals »schwarze« Filme Oscar-Nominierungen und einer der Filme, John Singletons Boyz n the Hood,galt damals als ähnlich innovativ wie heute Barry Jenkins' Moonlight. Auch Singleton erzählt die Geschichte des Großwerdens in schwierigen, afroamerikanischen Verhältnissen, erzählt von der Emanzipation tradierter Rollenmodelle, vom Kampf, sich zu finden und neu zu erfinden.
Singleton brauchte jedoch nur zwei Lebensabschnitte, sein Soundtrack war der »unchopped«-Rap der damaligen Zeit, der allein durch die Rotorengeräusche der Hubschrauber des L.A.-Police-Departments gebrochen wurde. Und Boyz n the Hood verstörte und berührte vielleicht gerade deswegen mehr als heute Moonlight, weil er den Fokus ganz allein auf die Geschichte stellte, sich jeglicher poetischer Ambivalenz verweigerte, die väterliche Rolle noch eindeutig positiv besetzt ist und Singleton sich weder um Farben noch Erzählhaltungen scherte. Und vor allem: diese Geschichte zum ersten Mal erzählt wurde.
Heute wissen wir von der Marginalisierung der afroamerikanischen Minderheit, sie ist Teil der ständigen News-Gewitter, die periodisch so wie jetzt nach dem Tod George Floyds über uns hereinbrechen – und so wie die jungen Filmemacher auf dem letzten Sundance-Festival ahnen tief im Inneren, dass sich trotz jahrzehntelangem filmischem »Aufbäumen« und weltweiter Demonstrationen sehr wahrscheinlich nur sehr wenig ändern wird.
Denn wie soll es das auch, wenn nicht nur die amerikanische, sondern auch so ziemlich alle westlichen Gesellschaften innerhalb ihres Bildungssystems einem Curriculum folgen, das rassistische Stereotypen schon über den Grundlagenunterricht bedient. In dem – um nur ein Bespiel zu nennen – stets von einem Afrika ohne kulturelle und geografische Differenzierungen erzählt wird, und das dann über die dann erwachsenen Schüler und späteren Journalisten dementsprechend nicht über einen Kontinent der drei »Ks« hinauskommt, einen Kontinent der Kriege, Krankheiten und Korruption. (1) Ein Modus Operandi, der dementsprechend genauso mit Exil-Communities und erst recht mit lang tradierten »ethnischen Hierarchien« wie der zwischen Weißen und Afro-Amerikanern in den USA funktioniert.
Aber was nur tun, wenn das im Grunde alle Menschen erreichende Bildungsssystem sich Reformen verweigert, die erst einen nachhaltigen, »verwurzelten« Paradigmenwechsel der breiten Massen ermöglichen würde?
Jugendfilme wie The Hate U Give sind zwar ein Hoffnungsschimmer, doch die Einspielzahlen sind derart ernüchternd, dass vielleicht dann doch das massentaugliche, so wie die Schulen fast alle »Beteiligten« erreichende, kino-unabhängige Format »Serie« die realistischste Option scheint, neue Sichtweisen durch eine Art von Reframing zu etablieren – vorgelebter Serien-Alltag als neues, Rassismus überwindendes Rollenmodell.
Dazu bietet sich nicht nur eine Serie wie die in diesem Frühjahr gelaunchde Netflix-Serie Queen Sono an, die erste von »script-to-screen« in Schwarzafrika produzierte Serie, die pointiert alte, rassistische Stereotypen hinterfragt und im Gegenzug einen erfrischend-radikalen Pan-Afrikanismus und quicklebendiges, feministisches Geheim-Agenten-Action-Kino bietet, sondern vielleicht noch mehr – weil kulturell ja dann doch viel näher – die amerikanische Familienserie, die ja nicht erst seit Dallas (1978) stets bewiesen hat, wie politisch sie sein kann.
Eine der nicht nur erfolgreichsten, aber auch differenziertesten Serien der letzten Jahre, die die Kluft zwischen Weiß und Schwarz in den USA thematisieren, ist sicherlich This is Us, eine bislang auf vier Staffeln angewachsene filmische Erzählung, die in mehreren Zeitebenen dem Leben dreier Personen, die am gleichen Tag geboren wurden, und dem ihrer Eltern folgt: Kate und Kevin
Pearson kommen 1980 als Teil einer Drillingsgeburt zur Welt, doch als das dritte Kind bei der Geburt stirbt, beschließen die Eltern Jack und Rebecca, ein weiteres Kind, Randall, spontan zu adoptieren. Der am selben Tag geborene afroamerikanische Junge ist von seinem Vater vor einer Feuerwache ausgesetzt und später in dasselbe Krankenhaus gebracht worden, in dem Kate und Kevin zur Welt kamen.
Die Geschichte springt zwischen der Kindheit der drei Protagonisten mit ihren Eltern
in Pittsburgh und ihren heutigen Familienleben und Karrieren in Los Angeles und New York City, nähert sich aber auch kritischen Momenten US-amerikanischer Geschichte wie dem Vietnamkrieg an, fokussiert jedoch in stets wiederkehrenden erzählerischen Schleifen und dezidiert kritisch und in allen Lebenslagen auf die so unterschiedlichen Lebensbefindlichkeiten, die sich trotz eines identischen sozialen Umfelds für Randall, den Afro-Amerikaner in der weißen Familie, auf
seiner Suche nach seiner »wirklichen« Identät ergeben.
Dabei besticht This is Us und Showrunner Dan Fogelman nicht nur durch die Auswahl an afro-amerikanischen Regisseuren wie Regina King und The Hate U Give-Regisseur George Tillman Jr., sondern auch durch eine unkonventionelle
Zusammenstellung des Writer’s Rooms, der nicht nur mit afro-amerikanischen Autorinnen wie Kay Oyegun and Jas Waters (2) besetzt ist, sondern mit seinem 30%-Anteil an afro-amerikanischen Autoren den Hollywood-Standard von 5% auch sonst bei Weitem überflügelt.
Bietet This is Us allein schon durch den familiären Alltags-Kampf um die Überwindung rassistischer Grenzlinien die Chance auf jahrelanges »Reframing«, das sich in seiner immer wieder unverblümten Darstellung von afro-amerikanischer »Realität« und »Identität« den eingangs erwähnten Zwei-Kanal-Videos BLKNWS von Kahlil Joseph und einer echten Vision auf Veränderung der Zustände annähert, geht es in der gerade auf Amazon erschienenen Kurzserie Little Fires Everwhere viel mehr um eine Abrechnung mit der herrschenden Whiteness in den USA. So wie in Breaking Bad, der ersten Staffel von True Detective, oder noch viel eindeutiger in Ozark, wird hier vor allem die Doppelmoral eines weißen Familien-Ideals hinterfragt, das über eine »Konkurrenzsituation« mit einer afro-amerikanischen, alleinerziehenden Mutter dramatisiert wird.
Die Umsetzung des gleichnamigen Romans von Celeste Ng mit Reese Witherspoon und Kerry Washington in den Hauptrollen ist an etlichen Stellen schon fast zu eindeutig didaktisch angelegt, spürt man immer wieder, dass der für eine so kurze Serie übermäßig bestückte Writer’s Room seinen Anteil fordert und zu Überdramatisierungen neigt, doch wird im Gegenzug dafür vor allem eins deutlich: wie subtil und vor allem unbewusst rassistisches Fühlen, Denken und Handeln selbst in »liberal«, »anti-rassistisch« denkenden Familien verankert ist. Dass bei allem Wollen und Gutsein es dann doch nur Pflanzen ohne Wurzeln sind, die bei dem leisesten Wind fortgetragen werden.
(1) Weitere Informationen zum aktuellen Afrika-Diskurs in den Medien in I didn’t do it for you, nigger. Zum aktuellen Afrika-Diskurs in den Medien. (erschienen in: Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und Gegenwart, Literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik. Hrsg: Michael Hofmann, Rita Morrien. Amsterdam, Rodopi/Brill, 2012.)
(2) Jas Waters, die sich am 9. Juni das Leben genommen hat, engagierte sich nicht nur erzählerisch wie in This is Us für eine stärkere Beteiligung afro-amerikanischer Themen und Autoren in Film und Fernsehen, sondern auch in Serien wie Kidding: »On Kidding I’m the only black writer and the only writer of color, as far as the staffing level. So it’s my responsibility to write the show along with everyone else and to ideate and track story, but it’s also my responsibility to make sure that like, ›Wait a minute. Why is everyone in this scene white?‹ My fight is still the same fight, and I don’t have anyone who looks like me fighting in the room. I’m fighting alone, but I’m still fighting.« (aus einem Interview mit dem »Behind-the-scenes-Coverage-of-Black-Hollywood-Magazin Shadow & Act, 2018«)