Kein Koller auf Korona, Teil 3 |
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Eine »afrikanische« Gegenwart, die sich selbstbewusst von der eigenen Historie entkoppelt hat | ||
(Foto: Netflix) |
Von Axel Timo Purr
„I feel like my brain is broken.“ – Queen Sono, Folge 4
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Malcolm X You can’t have Capitalism without Racism. Thomas Sankara We must learn to live the African way. It’s the only way to live in freedom and with dignity. Patrice Lumumba Africa will write its own history, and it will be, to the north and to the south of the Sahara, a history of glory and dignity. Robert Sobukwe Politically we stand for government of the Africans for the Africans by the Africans, with everybody who owes his loyalty only to Africa and accepts the- democratic rule of an African majority, being regarded as an African Steve Biko It is better to die for an idea that will live, than to live for an idea that will die. Julius Nyerere There is no time to waste. We must either unite now or perish. Robert Mugabe We are no longer going to ask for the land, but we are going to take it without negotiating. Jomo Kenyatta When the Missionaries arrived, the Africans had the Land and the Missionaries had the Bible. They taught us how to pray with our eyes closed. When we opened them, they had the land and we had the Bible.
Den meisten Menschen in unserem Kulturkreis ist die Alliteration »Kinder, Küche Kirche«, die für ein Frauenbild nach konservativen Wertvorstellungen steht, ein feststehender Begriff, der immer wieder auch daran erinnert, wie schwer es ist, tradierte Rollenbilder in der Praxis aufzulösen. Dass drei andere »Ks« ein ebensolcher Fluch für einen ganzen Kontinent sind, wissen die wenigsten. Doch seit westliche Medien und Menschen den »Komplex Afrika« rezipieren, kommt im Großen und Ganzen dabei nicht viel mehr als »Kriege, Krankheiten und Korruption« heraus. Zwar gab es in den letzten Jahren verstärkt pan-afrikanistische Bestrebungen aus dem Umfeld afro-amerikanischer Universitäten (etwa die University of Louisville), oder Autoren wie Ngũgĩ wa Thiong’o und David Maillu, die das alte pan-afrikanistische Feuer aus den Zeiten der Unabhängigkeitsbestrebungen der 1960er neu entfachten bzw. weitertrugen, aber viel mehr als ein paar großartige theoretische Texte und Romane und ein dann doch durch und durch eskapistischer und letztendlich enttäuschender Superheldenfilm wie Black Panther ist dabei nicht entstanden. Und natürlich »Filmkunst« wie Atlantique oder Félicité, die allerdings über ihre Popularität auf Festivals nie hinauskamen. Von Ausnahmen natürlich abgesehen. Doch auch wenn Netflix einen Film wie Atlantique im Programm hat, muss man ihn erst einmal finden, worauf ich bereits im ersten Teil von Kein Koller auf Korona hingewiesen hatte, spiegelt sich auch innerhalb einer Plattform wie Netflix fast schon tragisch ein über Generationen tradiertes, marktwirtschaftliches Verhalten.
Dabei ist allen klar, dass die »Neuschreibung Afrikas« intrinsisch und auf breiter Ebene erfolgen muss, um das Denken (und damit die Realität) tatsächlich zu dekolonialisieren, wie es Ngũgĩ einmal formuliert hat. Doch wer kennt schon Ngũgĩ oder Maillu oder Filme wie Atlantique oder Félicité, die nicht einmal der aufstrebenden senegalesischen oder kongolesischen Mittelschicht ein Begriff sind? Dafür kennen alle Netflix, mehr noch in den Ländern, in denen es seit vielen Jahren – und das weder Corona- oder Streamingbedingt – schon keine Kinos mehr gibt.
Dementsprechend hoch muss man Netflix Bestreben anrechnen, dieses Vakuum mit Inhalten zu füllen (und auch noch dafür zu werben), die nicht den klassischen Stereotypen der drei afrikanischen »Ks« entsprechen. Zwar gab es bislang schon eine gute Auswahl an Nollywood-Filmen, die andere Geschichten erzählen, doch eine eigene Serie, die von »Script« bis »Screen« aus dem subsaharischen Raum stammt, gab es bislang noch nicht. »Queen Sono«, Ende Februar gelaunched, füllt diese Lücke. Und sie füllt diese Lücke überraschend gut.
Zwar gibt es auch in »Queen Sono« Kompromisse, ist es ein standardisierter 6-Teiler, der oberflächlich den bei anderen Non-Western-Netflix-Produktionen üblichen Mix aus Action, Tragik und einem universellen, trockenen Humor inkludiert, und ist es letztendlich eine südafrikanische und keine (pan-) afrikanische Serie. Aber Showrunner Kagiso Lediga modelliert Südafrika geschickt als Blaupause für andere sub-saharische Regionen und hämmert kompromisslos afrikanische Realitäten in die Serie, die bislang so nicht zu sehen waren und eine Wucht entfalten, die die eingegangenen Kompromisse schnell vergessen lassen.
Das beginnt schon bei der Kernerzählung um die junge Geheimagentin Queen Sono, differenziert und leidenschaftlich von Pearl Thusi verkörpert, die von der südafrikanischen Geheimdienstorganisation SOG beauftragt wird, mit ihrem Team neokolonialistische Bestrebungen, korrupte Strukturen und indigenen Terrorismus zu bekämpfen. Doch Sono versucht nicht nur die Probleme ihrer »afrikanischen« Gegenwart zu lösen, sondern auch die ihrer persönlichen Vergangenheit. Im Schatten ihrer Mutter, einer charismatischen Anti-Apartheids-Aktivistin, die in Anwesenheit ihrer Tochter einem Attentat zum Opfer fiel, will Sono nicht nur die Mörder ihrer Mutter stellen, sondern sich gleichzeitig von ihren Traumata befreien und sich von dem Widerstands-Ethos ihrer Mutter emanzipieren. Dabei gerät sie nicht nur in den Strudel afrikanischer Befreiungsgeschichte und Identitätsverlusten, sondern muss auch ihre eigene Identität neu erfinden.
In dieses spannende, aber immer wieder mit ungewöhnlich langen Einstellungen bis zum Stillstand operierende narrative Grundkonzept flechtet Kagiso Lediga den Alltag eines halben Kontinents ein. Er zeigt nicht nur Orte wie Zanzibar (in einem tollen Bond-liken Opener), Harare, Nairobi oder Joburg von einer Seite, die kaum einer vermutet, und die etliche westliche Betrachter regelrecht schockieren dürfte, sondern macht auch ihre Sprachen erfahrbar – von Afrikaans über isiZulu, Kiswahili, Shona und Xitsonga ist eine – und erklärt mit diesen simplen Mitteln, wie komplex der Kontinent im Grunde ist, dass es ein Afrika ebenso wenig gibt wie ein Europa.
Das wird auch durch die Darstellung politischen Lebens deutlich, dem sich »Queen Sono« mit fast schon beißender Realität widmet. Es werden nicht nur die politischen Skandale in Südafrika der letzten Jahren thematisiert – sei es Jacob Zuma, die Gupta Family um Ajay, Atul und Rajesh »Tony« Gupta und der Eskom-Korruptionsskandal in Südafrika – sondern über einen Wiedergänger des tanzanianischen »Mwalimu« Nyerere in der dritten Folge auch die traumatische Tragik des politischen Widerstands im afrikanischen Kontext erläutert. Gleichzeitig zeigt Lediga jedoch einen kreativen, »südafrikanischen« Gegenwartsalltag, der sich selbstbewusst von der eigenen Historie entkoppelt hat und dennoch – sei es über Mode oder Familienstrukturen – nimmt, was zum »indigenen« Überleben notwendig ist.
Dabei ist »Queen Sono« nie eindeutig. Wird in einer Szene etwa mit Hilfe der pan-afrikanischen Terrormiliz »Watu Wema« (Kiswahili für Gute Menschen) der perfide Kapitalismus evangelikaler Kirchen demaskiert, wird im nächsten Moment deutlich, dass die Terrormiliz von Oligarchen finanziert wird, die mit ihrer paramilitärischen Organisation eine neokolonialistische Superinvasion vorbereiten.
In diese multiplexen, politischen Abhängigkeiten gelingt es Kagiso Lediga dann aber noch viel mehr zu verweben: die fremdenfeindlichen Tendenzen gerade in Südafrika und eine von Populisten angeheizte Gewalt, die sich nach Rache sehnt, um das Elend und die Tragik um die eigene Geschichte vergessen zu lassen.
Dass Rache aber immer und gleichzeitig auch ein Sündenfall sein muss, wird dabei ebenso deutlich wie die Tatsache, dass sich das südliche Afrika dann doch nicht so sehr von »Europa« unterscheidet, dass dort wie hier nur politischer Widerstand und politische Wachsamkeit verhindern können, uns die Freiheit, ohne dass wir es so recht merken, abhanden kommt. Und es natürlich Rollenbilder braucht, um dieses politische Bewusstsein zu schaffen. Rollenbilder wie sie »Queen Sono« besser nicht hätte liefern können.