Kein Koller auf Korona, Teil 5 |
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»Crash Landing on you« wagt die direkte Konfrontation zwischen Nord- und Südkorea auf sehr überraschende und innovative Weise | ||
(Foto: Netflix) |
Von Axel Timo Purr
Ohne das mit den üblichen »Physical-Distancing«-Auflagen der WHO arrangierte Treffen mit meiner koreanisch-australischen Freundin B. auf der Flaucher-Wiese in München wäre ich wohl gar nicht auf die Idee gekommen. Aber B.s schon immer konsequente Missachtung des südkoreanischen Kinos zeigte sich auch jetzt wieder. Sie erzählte von dem, was auch in Deutschland gerade angesagt ist, von der Mini-Doku Tiger King z.B., aber als ich sie fragte, wie es denn mit dieser südkoreanischen Nordkorea-Serie aussehe, die nicht nur in Südkorea (fast) alle Quoten gesprengt hat, sondern auch in Indonesien, Malaysia, den Philippinen und Thailand zu so abstrusen Handlungen wie das von thailändischen Stars führte, die auf Instagram ihr Porträt mit den Helden der Serie »verphotoshoppten«, und dass die letzte Folge in China wegen der massiven Zugriffe gar die Streaming-Server zum Absturz gebracht hätte, da schüttelte B. nur den Kopf. Nein, nichts davon gehört. Aber sie werde mal reinsehen.
Das habe jedoch bislang nur ich gemacht. Nicht nur, weil es mir höchste Zeit schien, nach der großartigen Slapstick-Komödienauswertung des Themas »Nordkorea« durch Seth Rogens und Evan Goldbergs anarchistisch-grotesken The Interview oder der eindringlich-sensiblen Dokumentation der Deutsch-Südkoreanerin Sung-Hyung Cho in Meine Brüder und Schwestern im Norden das Thema auch im Serien-Format mit dramatischen Ansätzen umgesetzt zu sehen, sondern weil es ja gerade in unserem Corona-bedingten Lockdown interessant sein könnte, einen Spiegel von einer Gesellschaft vorgesetzt zu bekommen, die sich im Grund seit Jahrzehnten im »Lockdown-Modus« befindet.
Die von Park Ji-eun, einer der großen Drehbuchautorinnen Südkoreas, geschriebene (und in Deutschland auf Netflix abrufbare) Serie greift auf ein reales Ereignis zurück. Durch dichten Nebel verirrte sich die südkoreanische Schauspielerin Jung Yang mit drei Freunden 2008 in ihrem Boot in nordkoreanischen Gewässern und musste mit großem Aufwand gerettet werden. In Ji-euns »Crash Landing on You« ist es keine Schauspielerin, sondern die Erbin eines großen Firmenimperiums, die mit ihrem Paraglider durch einen Sturm nach Nordkorea abgetrieben wird und dort auf einen nordkoreanischen Offizier trifft, der ihr in ihrer misslichen Lage nicht nur versucht zu helfen, sondern sich auch noch in sie verliebt. Und sie natürlich in ihn. Und das trotz politisch kaum zu überbrückender Differenzen und gesellschaftlicher Sozialisierungen und Rollenmodelle, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Schon dieser kurze Abriss einer sich über 16 Folgen mit immer wieder unkonventioneller Überlänge und einer sich immer komplexer windenden Handlung zeigt, dass Park Ji-eun sich nicht nur das Drama und die »romantischen Komödie« bedient, sondern auch Themen verhandelt, die wir aus den letzten Filmen von Lee Chang-dong und Bong Joon-ho kennengelernt haben. Gesellschaftliche (und persönliche) Entfremdung, der Graben zwischen reich und arm und natürlich die fast schon verdrängte Politik eines Landes, das immer am Rande einer militärischen Konfrontation steht. Verdrängen Lee Chang-dongs Protagonisten in Burning diese Realität durch einen Joint nur unweit der Grenze zu Nordkorea, wagt Park Ji-euns »Crash Landing on You« allerdings die direkte Konfrontation. Durch die Zusammenarbeit mit nordkoreanischen Überläufern wie dem Autor (und in Nordkorea am Filminstitut ausgebildeten Regisseur) Kwak Moon-wan und etlichen anderen auch im Sicherheitsdienst der Armee tätigen Nordkoreanern gelingt es der Serie, ein ungewöhnlich realistisches Bild nordkoreanischen Alltags zu zeigen. Und zwar nicht nur das des Militärs und einer privilegierten Oberschicht – die als ein fast schon gespenstischer Spiegel der südkoreanischen Oberschicht gezeichnet wird – sondern auch der ländlichen, völlig vernachlässigten, aber politisch umso stärker indoktrinierten Bevölkerung.
Diese akkurate Darstellung wird für westliche Betrachter allerdings nicht immer ganz einfach zu rezipieren sein, da »Crash Landing on You« durch Anspielungen auf andere südkoreanische Serien und die gezielte Einbeziehung von klassischen Soap-Opera-Elementen natürlich ein ganz anderes »Kino« als das von Lee Chang-dong, Park Chan-wook, Kim Jee-woon oder Oscar-Preisträger Bong Joon-ho ist, mit denen wir ja gewissermaßen »koreanisch sozialisiert« worden sind. Das »komödiantische« Overacting, das auch in einer ähnlich ungewöhnlichen, innovativen japanischen Serie wie The Naked Director gerade im Kontrast zu den behandelten Themen einer gewissen Adaptionsphase bedarf, aber dann ganz hervorragend funktioniert, ist nur ein Punkt; auch die politischen Kompromisse sind nicht sofort erkennbar, so wie etwa die Ausklammerung des Begriffs »Honorific Chairman« für nordkoreanische Führungspersönlichkeiten oder die (vielleicht dem einen oder anderen noch aus DDR-Zeiten bekannten) politischen Anstecknadeln, die hier um ein Drittel verkleinert worden sind.
Diese »rücksichtsvolle«, klassischen Stereotypen widersprechende Sichtweise und der im ethnologischen Kern korrekte Umgang mit dem »anderen« Korea hat nicht nur nordkoreanische Überläufer »Crash Landing on You« loben, sondern auch die akademische Welt aufhorchen lassen. Ähnlich wie in der (süd-) afrikanischen Netflix-Serie Queen Sono könnte auch hier durch
ein »Re-Framing« der Stereotypen tatsächlich politische Realität verändert werden, glaubt etwa Sarah A. Son, Dozentin für Korea-Studien an der University of Sheffield.
Dieser Re-Framing-Effekt dürfte aber nicht nur für inner-koreanische Verhältnisse funktionieren, sondern auch für die restliche Welt, mehr noch in unserer
gerade so stark durch Corona reglementierten Alltagswelt. Denn so wie wir uns ja weiterhin »ganz normal menschlich« funktionieren sehen, so zeichnet auch »Crash Landing on You« das Bild eines menschlich, herrlich allzumenschlichen Nordkorea, endlich einmal jenseits der »Achse-des-Bösen-Realität« und dummer, nuklearer Machtrepräsentationen.