Aufbruch ins Morgen |
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Mit dem Schleifgerät in die Zukunft | ||
(Foto: Arena Kino) |
Von Dunja Bialas
Einer der verrücktesten Filme, in denen Michel Piccoli mitgewirkt hat, ist sicherlich Claude Faraldos Themroc (1972). Mit lustvoller Anarchie zeigt der französische Regisseur, getrieben vom Geist der noch nachwirkenden 68er-Revolution, wie sich der Anstreicher namens Themroc zuerst in seinem Zimmer einmauert, um dann mit großer Geste die Außenmauern niederzureißen. Fortan führt er ein wildes Privatleben wie auf einer Bühne. Themroc ist heute der Film der Stunde. Ein furioser Appell, die alten Mauern einzureißen, die uns am Leben gehindert haben, um ein neues, anarchistischeres, freieres und offeneres Dasein zu führen.
Als mir Kinobetreiber Christian Pfeil heute Fotos vom hundertachtjährigen Arena-Kino schickt, muss ich sofort an Themroc denken. Das Kino liegt da als Steinbruch, der große Saal ist entkernt, die Tapetenschichten sind freigelegt. Auch hier wird eingerissen. Aber nicht um abzureißen: Der Abbruch ist ein Aufbruch, in ein neues Morgen des Kinos, das nun nach drei Monaten Zwangspause wieder weitergehen kann.
Allerdings erst einmal ohne das Arena-Kino. Pfeil nutzt die Stunde und runderneuert gründlich. Attraktiv wird das durch Investitionszuschüsse durch den Bund, der seine Förderkriterien für das »Zukunftsprogramm« deutlich ausgeweitet hat. Anstatt bislang vierzig werden nun satte achtzig Prozent vom Bund für Investitionsmaßnahmen – Renovierung, Modernisierung und Sanierung, um die Kinos auf der baulichen Höhe der Zeit zu halten – bereitgestellt. Ein Kino kann nun mit zwanzig Prozent Eigenanteil loslegen. Das rechnet sich, ist aber bis Jahresende begrenzt. Auch die City Kinos in München kündigen deshalb schon Renovierungen an. Zu erwarten ist, dass in den nächsten Monaten ein regelrechter Modernisierungsschub durch die Kinolandschaft gehen wird.
Lange Gesichter gibt es derzeit eigentlich nur bei den Mulitplexen, die auf die Blockbuster gehofft haben. Während der Neustart der Kinos nach Corona den kleinen Verleihern eine Chance bietet, mit ausgefallenen Arthouse-Filmen viel Aufmerksamkeit zu bekommen, haben die Kinos, die schon bei den umfassenden Corona-Soforthilfemaßnahmen leer ausgingen und die besucherstarke Filme jetzt dringend brauchen, das Nachsehen. Kein Bond in Sicht, »Keine Zeit zu Sterben«, davon wurde schon im Februar berichtet, als China die James-Bond-Tour absagte. Jetzt macht auf ungleich regionalerer Ebene die Münchner Constantin Film den Rückzieher und verlegt den neuen Eberhofer-Krimi Kaiserschmarrndrama auf unbestimmte Zeit – es gibt Gerüchte, die von August 2021 sprechen.
Da schiebt so manch ein größerer Kinobetreiber jetzt den Leberkasblues. Die Eberhofer-Krimis sorgen bayernweit stets für ein Millionenpublikum. Es herrscht dann Bierzeltatmosphäre in den Kinosälen, fröhlich-bayerische Ausgelassenheit. Mit den Hygieneverordnungen für die bayerischen Kinos, die ab Montag in Kraft treten, scheint das nicht vereinbar. So wäre der Film, anstatt die Kinokassen halbwegs zu sanieren, aus Verleihperspektive ein rechter Flop – für den erst gar nicht die Werbetrommel angeschmissen wird. Für das Publikum ein schlechtes Signal, wenn es wie sonst immer im August »seinen« Eberhofer diesmal nicht bekommt.
Die Stunde schlägt nun eindeutig für die kleineren Arthouse-Kinos, und die machen sich bereit. So ganz aber glauben sie noch nicht an die Zukunft. Manche fürchten berechtigterweise, dass nun nach der Corona-Krise ähnlich wie nach der Spanischen Grippe vermehrt konfektionierte Kinoware auf den Markt geschwemmt wird, ganz nach dem Motto: Geld muss in die Kassen, also setzen wir auf das Bewährte. So kam nach dem Ende der Spanischen Grippe der Siegeszug von Hollywood, der die vormalige Vielfalt des amerikanischen Films zunichte machte. Wir erinnern uns an die Monokultur von Monsieur Claude & Co., was das Schlimmste befürchten lässt, sollten die Kassandras recht behalten.
Andererseits aber konnten viele mündige Cineasten nun im Internet die unglaubliche Vielfalt und echte Verschiedenheit des Filmangebots entdecken. Wenn nun den ersten Kinos in anderen Bundesländern – aus Mangel an Filmen und Fantasie – nichts besseres einfällt als Die Känguru-Chroniken, Nightlife und Das perfekte Geheimnis zu zeigen, dann kommt unter den Filmaficionados augenblicklich Koma auf. Es könnte nun also die Zeit gekommen sein, wo die kleinen Verleiher mit »besonderen« Filmen (als Chiffre für alles, was nicht eigentlich markttauglich ist), Verleih- und Sammlernerds mit einem Spezialprogramm, das auch Genre und B-Movies enthält, ihren Platz im Kinoprogramm finden.
Wenn sich das schön ausbalanciert, könnte nach Corona sogar mehr Vielfalt in den Kinos herrschen. Wenn die Verleiher die Kinobetreiber machen lassen, und wenn die Kinobetreiber die Lust und den Mut haben, sich auf dieses Experiment einzulassen. Themroc immerhin, der radikalste Film, den Piccoli je gemacht hat, hat es einst vom Geheimtipp zum Kultfilm geschafft.